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1. Anhang:
Ferdinand Avenarius und die Wahrheit

(Flugblatt aus dem Jahr 1918)

I

Gegenüber Mays »stofflich nicht anstößigen Büchern … bleibt nichts anderes übrig, als die Aufgabe › andersherum‹ zu versuchen … Mir scheint es im höchsten Maße an der Zeit, der Mayschen Schundliteratur mit den allerrücksichtslosesten Mitteln entgegenzutreten …«

Ferdinand Avenarius im »Deutschen Willen«
Zweites Juniheft 1918.

 

»Solange es noch deutsche Fäuste gibt zum Dreinschlagen für Recht und Ehre, so lange wird auch das Grab in Radebeul nicht ohne Beschützer sein.«

»Hamburger Neueste Nachrichten«
Juni 1918.

Herr Avenarius,

Sie, der Sie sich seit Kriegsbeginn bescheiden den »Deutschen Willen« nennen, haben sich bemüßigt gesehen, die Niederlage der Herren Dr. Bettelheim und Dr. Kleinberg in Sachen des Karl-May-Nekrologs derart zu bemänteln, daß Sie Kleinbergs aus dem »Biographischen Jahrbuch« beseitigtes Pamphlet auf Karl May in Ihrer Zeitschrift mit irreführender Umrahmung abdruckten. Daß man den wackeren »Stilisten« Kleinberg als einen Ritter vom Geiste und für Wahrheit nicht betrachten darf, das ist Ihnen ja selbst nicht entgangen. Ich schließe dies daraus, daß Sie an seinem Aufsatz Kürzungen und Auswechslungen anbrachten, die Sie gütig und nachsichtig als »kleine Änderungen« bezeichnen. Schon längst vermuteten ich und andere, daß Sie hinter Kleinbergs »freier unabhängiger Forschung« als Schutzherr standen, aber seine übereifrige Schmähsucht hat ihn selbst zu Fall gebracht, und ich glaube, daß Sie sich als Vormund dieses Entmündigten nicht wohl fühlen werden.

Heute begnüge ich mich in dieser Richtung mit der Andeutung, daß Ihre »kleinen Änderungen« noch nicht ausreichen, um die strafgesetzliche Abwehr der Schmähungen auszuschalten. Die Witwe des verstorbenen Dichters hat die erforderlichen Strafanträge gegen Sie bereits gestellt; die Privatklage wird aus prozeßtechnischen Gründen erst im Spätherbst folgen. Inzwischen können Sie sich mit der Frage beschäftigen, für welche Ihrer »ganz sicheren« Behauptungen Sie auch nur den guten Glauben nachzuweisen imstande sein werden.

Durch seinen Versuch einer von Bekennermut unbehelligten Standhaftigkeit hat Herr Bettelheim die Ihnen bekannte vernichtende Niederlage erlitten, die Sie jetzt geschickt zu überpinseln trachten. Sie aber haben mich durch ihre entstellenden Angaben gezwungen, mein Material in Sachen des »Deutschen Nekrologs« nun ebenfalls zum Druck zu geben, wobei dann auch Ihre »kleinen Änderungen« ein wenig sichtbar werden. Heute sei nur Ihr dreistes Verfahren gebrandmarkt, mit dem Sie sogar das Eheleben des toten Dichters in den Staub zu ziehen suchen. Ich wußte bisher nicht, daß der »Deutsche Wille« eine abfällige Beleuchtung des gegnerischen Alkovens fordert, werde mich aber diesem Ihren »Willen« anzupassen wissen, o Besitzer des grünen Glashauses in Blasewitz! Somit wird Ihnen also die ausdrücklich gewünschte »Wahrheitsermittlung« im reichsten Maße zuteil, und Ihr Bedarf an Prozessen voraussichtlich auf Jahre hinaus gedeckt werden, leider auf einem für mich ungewohnt tiefen Niveau, das Sie selbst durch die Niedrigkeit Ihrer Kampfesweise bestimmten. Das erste Prozeßthema aber stelle ich Ihnen im folgenden:

Gerade Ihre wiederholte Äußerung, Sie hätten May »zu Lebzeiten öffentlich aufgefordert, Sie zwecks Wahrheitsermittlung zu verklagen«, brachte mich darauf, die alten Jahrgänge Ihrer Zeitschrift nachzuprüfen; ich konnte nicht entdecken, an welcher Stelle Sie dem durch die schonungslose Enthüllung seiner jugendlichen Vorstrafen gebrochenen Greis eine solche Aufforderung zukommen ließen, bestreite hiermit diese Ihre Behauptung und frage öffentlich, wo und wann Sie das schrieben! Wohl aber fand ich im ersten Maiheft 1912 Ihrer Zeitschrift, d. i. in Ihrem »Nekrolog« und eineinhalb Monate nach Karl Mays Ableben, eine ähnliche Bemerkung, indem Sie nämlich, wie weiter unten ersichtlich, von Ihrem »ganz sicheren Material« und von den Vermögensverhältnissen Karl Mays sprechen. Um jene Zeit konnten Sie von May nicht mehr verklagt werden. Aber da Sie sich dort ausdrücklich als » Angreifer« bezeichnen, so fühle ich mich als sein » Verteidiger«, als sein Freund und Verleger berufen. Ihnen die gewünschte Gelegenheit zur Wahrheitsermittlung zu verschaffen. Ich zitiere hierzu wörtlich:

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»Die Lüge, daß ich (May) Millionär sei, daß mein Einkommen 180 000 Mark betragen habe, stammt von einem raffinierten, sehr klug vorausberechnenden Gegner, der ein scharfer Menschenkenner ist und sich keinen Augenblick bedenkt, diese Menschenkenntnis selbst gegen die Stimme des Gewissens in Gewinn und Vorteil umzusetzen. Er wußte sehr wohl, was er tat, als er seine Lüge in die Zeitungen lanzierte. Er erweckte dadurch den allerniedrigsten und allerschlimmsten Feind gegen mich: den Neid. Die früheren Angriffe gegen mich sind jetzt kaum der Rede wert. Aber seit man mich im Besitz von Millionen wähnt, geht man geradezu gnaden- und erbarmungslos gegen mich vor … Ich besitze ein schuldenfreies Haus, in dem ich wohne, und ein kleines Kapital als eisernen Bestand für meine Reisen, weiter nichts … Ich konstatiere, daß jene Gewissenlosigkeit, mich als einen steinreichen Mann zu schildern, mir mehr geschadet hat, als alle gegnerischen Kritiken und Feindseligkeiten zusammengenommen.«

Karl May: Mein Leben und Streben. 1910. (Aufgenommen in May's Gesammelte Werke Bd. 34 S. 306.)

Vor Mays Tod: »… Es wird (über May) behauptet, wir sagen nicht, daß es erwiesen sei. Uns fehlt ja zur Nachprüfung dieser Behauptungen jede Möglichkeit.«

Ferdinand Avenarius im »Kunstwart« 1910.

Nach Mays Tod:

»Er wagt bei Aufklärungsversuchen die kecksten Beleidigungsprozesse, wo er nicht, wie beim Kunstwart, ganz sicheres Material in den Händen der Angreifer weiß … Allein die nüchterne Ziffer sagt wohl genug, daß May als Literat etwa sechs Millionen verdient hat.«

Ferdinand Avenarius im »Kunstwart« 1912.

»Der Tagesmarktwert machte Karl May zum Millionär.«

Ferdinand Avenarius im »Deutschen Willen« 1916.

»Eines der treffendsten Beispiele, mit welchen Waffen May's Widersacher gegen den Dichter arbeiteten, bilden die Märchen über sein Einkommen und sein Vermögen: trotz seines steten Widerspruchs, z. B. in seiner Selbstbiographie, suchten seine Neider ihn immer wieder zum Millionär, und dadurch zum gewiegten Geschäftsmann und Geldmacher zu stempeln … Auf Grund genauester Forschungen stelle ich hiermit fest: Der Dichter hat während seines ganzen Lebens im Höchstfall die Summe von 800 000 Mark vereinnahmt, und sein Nachlaß bezifferte sich einschließlich des Wertes seiner Villa und der dazu gehörigen Gartengrundstücke auf nur 140 000 Mark.«

Dr. E. A. Schmid in Bd. 34 S. 581 von May's Gesammelten Werken. 1916.

Herr Avenarius, wie kommen Sie dazu, nachdem Sie im gleichen Aufsatz von Ihrem »ganz sicheren Material« sprechen, mit dem Brustton der Gewißheit zu behaupten, der verstorbene Karl May habe etwa sechs Millionen verdient? Wie kommen Sie dazu, aus dieser unerhörten Unwahrheit abfällige Schlußfolgerungen gegen den Toten abzuleiten?

So also ist es mit Ihrem Material und mit Ihrer Wahrheitsliebe bestellt? Schmähen ist leicht; jetzt gilt es: beweisen! Um Ihnen die Möglichkeit zu geben, Ihr »ganz sicheres Material« über die sechs Millionen einem unparteiischen Richter vorzulegen, erkläre ich hiermit vor breitester Öffentlichkeit:

Herr Ferdinand Avenarius, die von Ihnen ausdrücklich als Tatsache hingestellte Behauptung, Karl May habe sechs Millionen verdient, ist ein glatter Schwindel und eine literaturgeschichtliche Fälschung! Nicht einmal eine einzige Ihrer sechs Millionen ist wahr! Ich bin im Besitz der urkundlichen Gegenbeweise, die durch die eidlichen Aussagen von Mays Verlegern erhärtet und ergänzt werden!

Vor breitester Öffentlichkeit fordere ich Sie auf, mich »zwecks Wahrheitsermittlung« zu verklagen. Jetzt haben Sie also den ersten der von Ihnen so sehnsüchtig gewünschten und dem toten Karl May nahegelegten Prozesse!

Heraus zur Rechtfertigungsklage, Herr Avenarius!

Damit haben Sie aber auch meine erste, vorläufige Antwort auf Ihre zu Anfang dieses Briefes abgedruckten Äußerungen gegen Karl May und meinen Verlag, wobei Sie sich einer Sprache bedienen, wie sie einem Revolver-Journalisten ziemen mag, nicht aber einem Geschäftsmann, der Ästhet zu sein behauptet und den literarischen Vormund des deutschen Volkes spielen will. Konnten Sie einen Augenblick hoffen, daß ich mir von Ihnen solche Drohungen entgegenschleudern lasse, ohne zur Abwehr und Notwehr zu schreiten? Glauben Sie wirklich, daß Ihnen deutsches Recht und deutsche Gerechtigkeit erlauben, die unzähligen Offiziere, Juristen, Theologen, Philosophen und Pädagogen, die Mays Schriften lesen, lieben und empfehlen, als eine Art von Trotteln hinzustellen, nämlich als »Unreife und Menschen mit schlechter ästhetischer Bildung«, die sich durch »Schwindel betrügen« lassen und deshalb durch Sie »andersherum« aufgeklärt werden müssen? Es scheint mir bei dieser Gelegenheit wichtig, daran zu erinnern, daß Sie, der Sie sofort »beim Lesen das Unechte fühlen«, trotz der Mittel Ihrer Eltern nicht die Fähigkeiten besaßen, bis zum Zensurstempel des Abituriums vorzudringen, sondern vorher als Gymnasialschüler Schiffbruch erlitten.

Da Sie übrigens auch in Ihrem neuerlichen Aufsatz wieder auf das »Geldverdienen« und auf die »Kapitalkraft« meines Verlags hinweisen, so will ich das einzige Leid, das Ihnen der verstorbene Karl May antat, hier bekennen: er sündigte dadurch, daß er solch überaus erfolgreiche und wie in Deutschland, so auch in der ganzen übrigen zivilisierten Welt viel und gern gelesene Bücher schrieb, die nunmehr Ihren eigenen Handelsgeschäften (»Unternehmungen«) eine Ihnen unliebsame Konkurrenz machen, denn Sie sind Geschäftsmann, sogar Inseratensammler. (In der Sache L. hat ja Ihr Werturteil schon dadurch einen bedenklichen Barometersturz erlitten, daß die Verlagsluft aus Stuttgart wehte, statt Ihrem Verlangen gemäß aus München.) Und nun möchten Sie das Ding auf eine bisher im literarischen und Geschäftsleben nicht gebräuchliche Weise drehen, indem Sie »die Aufgabe › andersherum‹ versuchen«, wie Sie feinsinnig und durchaus zutreffend ankündigen, indem Sie die »Ausdruckskultur« durch Sperrdruckskultur ersetzen. Die Persönlichkeit Mays trachten Sie herabzuwürdigen, – wobei Sie nicht immer der Wahrheit folgen –, um so seine »stofflich nicht anstößigen« Schriften aus Ihrer Konkurrenz zu beseitigen! Diese ungeheuerliche Drohung werde ich mit Gegenmaßregeln beantworten, denn wenn Sie »literarische Leichenschändung« treiben wollen, werden Sie einige unerwartete Widerstände finden.

Nun wollen wir einmal mit Ihrem Millionenmärchen und Ihren Millionenbeweisen zu Gericht gehen, und inzwischen werde ich den nächsten Prozeßgegenstand auf die Tagesordnung setzen; meine von Ihnen als »Bitte um gut Wetter« verhöhnte Friedensbereitschaft ist zu Ende, und ich bin nunmehr für gründliche und durchgreifende, prozessuale Behandlung jedes einzelnen Punktes, bei dem ich Ihren »ganz sicheren« Beweisen meine Beweise entgegenzustellen vermag. Also nun keine Müdigkeit und keine Altersschwäche vorgeschützt, denn Ihre Prozeßwünsche sind erhört, und es handelt sich jetzt um die gerichtliche Feststellung, wer die Wahrheit sprach, der tote Karl May oder der lebende Avenarius!

Radebeul, im Juni 1918
Dr. jur. Euchar Albrecht Schmid
Leiter des Karl-May-Verlags

II

Als gebildeter Mann hatte er von Karl May natürlich nichts gelesen.

Avenarius.

 

Si tacuisses, philosophus mansisses. Boëthius.

Herr Avenarius,

noch bevor ich die obige Abwehr Ihrer ebenso maßlosen wie unbegründeten Anwürfe gegen den toten Karl May und gegen meinen Verlag zum Druck geben konnte, haben Sie im zweiten Juliheft Ihres sogenannten »Deutschen Willens« weitere Angriffe losgelassen.

Dabei täuschen Sie u. a. Ihren Lesern vor. Sie hätten die von dritter Seite gerügten Streichungen und Änderungen an Kleinbergs Aufsatz nur aus »Anstandsgefühl« (!) vorgenommen, da Sie ja früher zu Lebzeiten Mays schon alle diese Beleidigungen verübt hätten. In Wahrheit haben Sie Ihre einschneidenden Verfälschungen an Kleinbergs Text nur deshalb vorgenommen, weil Sie die Ihnen bekannten Unwahrheiten denn doch nicht vor Gericht zu vertreten wagen; oder haben Sie vielleicht jetzt noch den Mut, Kleinbergs aus dem »Biographischen Jahrbuch« beseitigtes Original ohne Ihre Verdrehung und Einschränkung in Ihrem »Deutschen Willen« abzudrucken, Herr Avenarius?

Ferner verdächtigen Sie mich und die Leiter einer »deutschen Propagandaschrift« (welche denn, tapferer Helde?) einer »Boche-Kultur«!!! Und schließlich kündigen Sie, der Sie ohne jede amtliche Legitimation sind, mir »weitere Maßregeln« an, ja, Sie drohen mir sogar mit Existenzvernichtung. Geschäftsleute, die einen Konkurrenten ohne die geringste Herausforderung in solch unsachlicher Weise angreifen, muß man sich genauer betrachten; Ihre Kampfesart gegen di Person und die Vergangenheit des toten Karl May zwingt mich, nun auch Ihr Vorleben einmal unter die Lupe zu nehmen. Ich beginne:

Ihr Mangel an Humanität gegenüber Karl May ließ mich auf das Fehlen von Humanistik schließen. In »Wer ist's?« und ebenso in Brümmers Schriftstellerlexikon erzählen Sie allerdings eine Geschichte von Ihrem philosophischen »Universitätsstudium« zu Leipzig in den Jahren 1877/78. Nach meinen Ermittlungen haben Sie aber die Einjährigenprüfung erst im Alter von 18 Jahren (1874) und das Maturum überhaupt nicht bestanden. Somit konnten Sie kein reichsdeutscher Universitätsstudent und Philologe werden, sondern günstigenfalls nur ein sogenannter »Hörer«, womit Sie aber nicht zu prahlen brauchen. Ich ließ bei der Leipziger Universitätskanzlei anfragen und erhielt folgende Auskunft: »Ein Ferdinand Avenarius, geb. am 20. Dezember 1856 in Berlin, hat in den Jahren 1877/1880 an hiesiger Universität nicht studiert und ist weder immatrikuliert noch als Hörer eingetragen gewesen.«

Herr Avenarius, Sie werden ersucht, Schein und Sein zu trennen und zunächst Ihren Bildungsgang von unverdientem Weihrauch zu befreien; vielleicht benützen Sie dazu den nächsten Geburtstagsartikel, den Ihr Stiefsohn Wolfgang Schumann über Sie in die Presse lanziert.

Radebeul, im August 1918
Dr. jur. Euchar Albrecht Schmid
Leiter des Karl-May-Verlags


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