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Die Entspannung

Zwischen uns sei Wahrheit!

Goethe.

Am 14. Januar 1918 sandte mir der uns vorher unbekannte Schuldirektor und Hochschuldozent Dr. Artur Buchenau, Berlin, folgenden Brief:

Soeben habe ich das Buch von Karl May gelesen: »Durch die Wüste«, und zwar hat das folgende Veranlassung: Vor einigen Wochen zeigte mir Herr Dr. de Gruyter, dessen wissenschaftlicher Mitarbeiter ich bin, den Nekrolog im Bettelheimschen Jahrbuch. Über die Verhandlungen, die sich daran anschlossen, will und brauche ich nichts zu sagen. Sie haben ja von Herrn Dr. de Gruyter seinen Standpunkt gehört. Ich muß gestehen, daß für mich als Psychologen dieser Karl May ein interessantes Problem ist. Daß ein Mann mit so schwerer Jugend, zumal belastet mit Vergehen (die er doch wohl gar nicht bestreitet?), es zu einem so gelesenen Schriftsteller bringt, ist doch höchst erstaunlich. Ein Beweis für die Energie dieser Persönlichkeit. Freilich habe ich kein klares Bild von seinem Werden, daher geht meine Bitte dahin, mir 2-3 Werke anzugeben, in denen (nach Ihrer Ansicht!) objektiv über Mays Lebensgang berichtet wird.

Die Erzählung »Durch die Wüste« finde ich durchaus passend als Jugendlektüre; ich kann zwar die Unwahrscheinlichkeiten nicht übersehen, aber der Humor Mays sowie die Schilderung der Landschaften sind doch trefflich! Als Knabe habe ich mit viel Vergnügen den »Methusalem« gelesen, auch »Winnetou«, dagegen entsinne ich mich eines Bandes, der in Südamerika spielte und der mir toll-abenteuerlich vorkam. Mays Stellung zum Christentum hat meine Achtung, wenngleich ich auf anderem Boden stehe; jedenfalls glaube ich an den ernsten Willen des Autors, emporzuführen, wie er denn ja auch Abstoßendes, Blutiges, soweit es der Stoff zuläßt, zu vermeiden bestrebt ist, mehr als z. B. Cooper. Unverständlich ist mir allerdings der Abbruch der Erzählung ohne rechten Schluß.

Diese meine Mitteilungen bitte ich als rein persönlich und vertraulich zu betrachten. Hier spricht nicht der Verlagsmitarbeiter, sondern nur der Dozent der Psychologie, den das Problem May beschäftigt.

Dr. Schmid an Dr. Buchenau.

Radebeul, 15. Januar 1918.

Ihr wertes Schreiben vom gestrigen Tag hat mich überaus erfreut, und ich stelle mich gern zu Ihren Diensten. Selbstverständlich erkenne ich, daß hier nicht der Mitarbeiter des Verlags Reimer, sondern lediglich der Forscher der Psychologie zu mir spricht.

Das Buch »Durch die Wüste« ist nur der Anfang eines sechsbändigen Sammelwerks. Da ich annehmen darf, daß Sie Lust haben, weiter zu lesen, sende ich Ihnen gleichzeitig den nächsten Band als Drucksache und lasse die übrigen, sowie den Nachlaßband »Ich« als Postpaket folgen. Eine Reihe von Drucksachen über den Dichter füge ich bei, und aus den darin enthaltenen Pressestimmen und sonstigen Äußerungen vermögen Sie sich am besten in den derzeitigen Stand des noch lange im Fluß befindlichen May-Problems hineinzudenken.

Ferner empfehle ich Ihnen, in irgendeiner Ihnen passend erscheinenden Form von Herrn Dr. de Gruyter Einblick in meine letzten ausführlichen Briefe zu erbitten, weil ich mich darin eingehend über die durch Dr. Kleinbergs Aufsatz emporgewachsenen Streitpunkte verbreite. Die Forschungen, zu denen ich bei dieser Gelegenheit gezwungen war, haben sich zu solch ausführlichen Ausführungen verdichtet, daß ich sie als Unterlagen für eine erst nach Jahren geplante kritische Biographie Mays verwenden kann und werde. Sollte es Ihnen nicht gut möglich sein, von Herrn Dr. de Gruyter den erwähnten Einblick zu erlangen, so könnte ich Ihnen im Notfall die Kopien zur Durchsicht überlassen.

Abgesehen von diesen genauesten Niederschriften und einer Unmenge von Zeitungsaufsätzen aller Art, kann ich Ihnen keines der über May veröffentlichten Werke (auch nicht die für ihn sprechenden) sonderlich empfehlen. Meiner Sendung an Sie lasse ich zwei dieser Schriften beilegen, ohne daß ich ihnen aber heute noch Bedeutung zumesse. Wertvoll scheinen mir hingegen die mir bisher erst teilweise bekannten Aufsätze in Dr. Beissels Karl-May-Jahrbuch, das gegen Ende Februar in Breslau erscheinen wird, und das ich Ihnen seinerzeit gern verschaffen werde. Ich selbst bin übrigens ebenfalls mit einigen Gelehrten in Verbindung, die sich näher mit Karl May befassen und Abhandlungen über ihn vorbereiten.

Die Sache mit dem deutschen Nekrolog ist zur Zeit noch nicht entschieden. Herr Dr. de Gruyter hat mir vor einigen Wochen zugesagt, nicht nur die oben erwähnten Ausführungen (bzw. Widerlegungen von Dr. Kleinbergs Behauptungen) noch genau nachzuprüfen, sondern auch einige Werke des Dichters zu lesen; seine Entscheidung wird erst in nächster Zeit fallen, und ich hoffe noch immer, daß sich durch Ausmerzung des von Unwahrheiten strotzenden Artikels Dr. Kleinbergs ein Prozeß mit dem Verlag vermeiden läßt. Sollten Sie, hochgeehrter Herr Doktor, die Möglichkeit haben, noch vor Torschluß ein gutes Wort für Karl May einzulegen, so bitte ich Sie inständig, dies zu tun.

Was mich betrifft, so betrachte ich Ihren Brief wunschgemäß als vertraulich. Es wäre mir aber eine große Freude, wenn sich aus unserem Briefwechsel weitere nutzbringende Forschungen Ihrerseits und vielleicht später einmal eine literarische Behandlung der May-Frage ergeben würden. Jedenfalls bleibe ich jetzt und später mit Vorliebe zu Ihrer Verfügung.

Dr. Buchenau an Dr. Schmid.

Berlin, 17. Januar 1918.

Besten Dank für Ihren fr. Brief und die Sendung. Von Bd. II. habe ich heute 200 Seiten gelesen, und die Fortsetzung hat mir gut gefallen. Heute hatte ich in der Kleinberg-Angelegenheit eine Besprechung mit Herrn Dr. de Gruyter, der Ihnen wohl seinerseits auch geschrieben hat. Er hat sich entschlossen, den Artikel Kl. herauszunehmen, und wir haben verabredet, daß ich den Ersatzaufsatz schreibe. Ich will versuchen, den Umfang genau einzuhalten, damit mein Aufsatz als Karton gedruckt werden kann. Mein Urteil werde ich mir aus der Lektüre der Mayschen Werke selbst bilden, bin aber für jede Unterstützung natürlich dankbar. Wenn Sie mir etwas zuschicken, bitte ich (da ich gewohnt bin, Striche in den Texten zu machen) um Angabe, wie weit ich das übersandte als geliehen zu betrachten habe. Da es auch auf die ästhetische Würdigung ankommt, bitte ich möglichst auch um Bände mit Abbildungen. Leicht ist die Aufgabe für mich nicht, da mein eigenes Arbeitsgebiet Philosophie und Pädagogik sind. Soweit vorläufig.

Haben Sie Bände mit Karten, auf denen die Reiserouten verzeichnet sind?

Dr. Schmid an Dr. Buchenau.

Radebeul, 19. Januar 1918.

Die Lösung der Kleinberg-Angelegenheit, die Sie mir in Ihrem gestrigen Brief ankündigten, nimmt mir eine schwere Last von der Seele und bringt mir zugleich eine frohe Überraschung.

Jedes beliebige unserer Bücher steht Ihnen ohne weiteres zur Verfügung, soweit möglich, illustriert, das übrige nichtillustriert, und manches vielleicht mit etwas Verzögerung, denn wir leiden schrecklich unter Papiernot. Die Schwierigkeit der Herstellung ist es auch, die vorläufig noch manchen alten Zopf an unseren Ausgaben beläßt, den wir später beseitigen oder verbessern: so können wir erst nach dem Krieg die neue Schreibweise einführen, wobei wir auch stilistische Mängel und Schwächen da und dort entfernen. Ferner werden später auch den einzelnen Bänden Landkarten beigegeben, denn diesen von Ihnen angedeuteten Plan haben wir schon seit langem im Auge, und es liegen uns auch schon verschiedene Entwürfe vor, wobei der Kartograph stets die genaue Route einzeichnet.

Alle die Bücher, die Sie erhalten, wollen Sie ohne weiteres als Ihr Handwerkszeug betrachten, dessen Rücksendung wir nicht wünschen; nur soweit ich Ihnen eine Unterlage gebe, die ich selbst wieder benötige – etwa einen einzelnen Zeitungsabschnitt – würde ich um spätere Zurückleitung bitten, dies aber dann gleich vorher ganz ausdrücklich angeben.

Ich weiß nicht, hochgeehrter Herr Doktor, ob Sie Zeit und Lust haben, alle bisher erschienenen May-Bände zu lesen und schicke Ihnen heute diejenigen, die m. E. – neben den Ihnen schon gesandten sechs Bänden – mehr oder weniger notwendig als Grundlage für die Erforschung des May-Problems sind, nämlich:

» Winnetou« (3 Bde.); dieses gilt als Mays berühmtestes Werk.

» Am Rio de la Plata« und » In den Kordilleren«. Diese beiden stellen jenen südamerikanischen Roman dar, der Ihnen in Erinnerung ist. Vielleicht spricht aber bei Ihrem Gedächtnis nicht der Roman selbst mit, sondern vielmehr eine abfällige Kritik, die Sie mal darüber lasen: irgend jemand, ich glaube Wolgast, hat nämlich das Buch »Am Rio de la Plata« als Beispiel benutzt, um Mays Häufung von Geschehnissen zu verurteilen.

» Weihnacht

» Im Reiche des silbernen Löwen« (4 Bde.). Dies ist das Werk, in dem May so unvermittelt zu der in seinen früheren Büchern nur angedeuteten Symbolik überging. Vergleichen Sie bitte Näheres in Band »Ich« Seite 565 ff. Der Roman ist höchst eigenartig und hat manche Schwächen, vor allem Langweiligkeit am Anfang, erhebt sich aber dann m. E. zu einer besonderen Höhe. Der matte Anfang wird nach dem Krieg wahrscheinlich da und dort etwas verkürzt, und auch sonst will ich manche Weitschweifigkeiten des Werkes beseitigen; im übrigen empfehle ich es Ihrer besonderen Beachtung, doch erst, nachdem Sie die vorhergehenden gelesen haben.

» Und Friede auf Erden

» Ardistan und Dschinnistan« (2 Bde.).

» Unter Geiern.« Dieses Buch gehört zu den sieben Jugendschriften Mays, von denen auf Seite 459 des Bandes »Ich« und ferner z. B. auf Seite 582 ebendort die Rede ist.

Eine weitere dieser Jugendschriften, nämlich die » Sklavenkarawane«, halte ich in der Komposition und erzieherisch für die beste, aber gerade diese fehlt zur Zeit vollständig am Lager und wird wohl erst in einigen Monaten wieder fertig. Im Notfall könnte ich sie Ihnen aber broschiert senden.

Einige andere Bände, die ich für besonders lesenswert halte, hoffe ich Ihnen bald übermitteln zu können, während die übrigen zwar alle ebenfalls ihre persönliche Note und wohl auch Vorzüge haben, sich aber doch mehr um die genannten Eckpfeiler gruppieren, und im übrigen erwarte ich Ihre näheren Wünsche.

Ich nehme an, daß Sie sich von Herrn Dr. de Gruyter die mehrfach erwähnten Anlagen A. – M. zu meinen Verteidigungsbriefen gegen Kleinberg aushändigen lassen, ebenso die Kopie meines seinerzeit an Herrn Dr. Ludw. Rosegger gerichteten Schreibens. Auch werde ich mir überlegen, welche Unterlagen für Sie wohl noch als Bausteine wertvoll sein könnten.

Auf der anderen Seite aber sehe ich Ihren eigenen Fragen mit besonderer Freude entgegen und werde jede wahrheitsgetreu und möglichst erschöpfend beantworten.

Dr. Schmid an Dr. de Gruyter.

Radebeul, 22. Januar 1918.

Durch Herrn Dr. Artur Buchenau erfuhren wir zu unserer Freude von der angenehmen Lösung der schwebenden Frage, die Sie mit ihm vereinbarten. Heute möchte ich Sie aber noch bitten, mir diese nicht im Namen Ihres Verlags geschriebene Mitteilung baldigst, und zwar schon in den nächsten Tagen, zu bestätigen, weil nämlich unsere Maßnahmen gegen Herrn Prof. Dr. Kleinberg von der Art der Erledigung, die Sie als Verleger treffen, abhängig sind.

Die ersten drei Klagevollmachten gegen Kleinberg nebst den Prozeßinstruktionen waren nämlich gerade auf dem Weg an unseren Wiener Advokaten, als die Nachricht des Herrn Dr. Buchenau eintraf, wodurch sich mancherlei verschiebt, weil wir ja unter anderem auch auf Zurückziehung des Artikels klagen wollten, was durch Ihre Zusicherung nicht mehr nötig ist. Da nun aber die Beleidigungsklage des Herrn Prof. Selmar Werner schon Anfang Februar verjährt, so müssen wir uns wegen der über Wien zu bewirkenden Schritte bald schlüssig werden. Deshalb meine heutige ergebene Bitte, uns die freundliche Mitteilung des Herrn Dr. Buchenau zu bestätigen, wodurch die leidige Sache, wenigstens zwischen Ihnen und uns, zur beiderseitigen Zufriedenheit beigelegt wäre.

Dr. de Gruyter an Dr. Schmid.

Berlin, 22. Januar 1918.

Ich schrieb Ihnen persönlich zuletzt am 20. Dezember 1917, war seitdem bis zum 13. Januar von Berlin abwesend, und teile Ihnen heute, mich dabei möglichster Kürze befleißigend, in unserer Angelegenheit höflichst dieses mit. Alsbald nach unserer Unterredung vom 14. Dezember 1917 hatte ich – woraus Sie indessen keine Schlüsse zum Nachteile des Kleinbergschen Artikels herleiten wollen – Herrn Dr. Bettelheim gebeten, zuzustimmen, daß jener Artikel an einzelnen Stellen eine Änderung erführe und Herrn Dr. Kleinberg zu solcher Veränderung zu veranlassen. Zur Antwort erhielt ich darauf von Herrn Dr. Bettelheim ein unbedingtes Nein und von Herrn Dr. Kleinberg, der in einem früheren Stadium der Angelegenheit zu einer solchen Änderung bereit gewesen war, die Erklärung, daß er sich nicht mehr dazu verstehen könne.

Infolgedessen habe ich mich entschlossen, das zu tun, was ich für Recht erkannt, d. h., den Kleinbergschen Artikel durch einen anderen in Gestalt eines in den noch auf meinem Lager befindlichen Beständen einzuschaltenden Kartons zu ersetzen. Dabei bin ich mit Rücksicht auf den Herausgeber, der dies verlangt, jedoch zu sagen genötigt, daß dies wider seinen Willen geschieht und werde das in geeigneter Form in einer Fußnote zu diesem Artikel tun, zu dessen Abfassung sich der mir und meinem Verlage nahestehende Herr Direktor Dr. Buchenau bereit erklärt hat.

Sobald meine Lagerbestände diese Wandlung erfahren haben, werde ich dann Band 18 dem Buchhandel wieder zugänglich machen.

Sie hatten dann noch den Wunsch, ich möchte den größeren Bibliotheken, von denen man annehmen könnte, daß sie Band 18 bezogen hätten, jene Ersatzseiten mit einem kleinen Begleitbrief zugehen lassen. Dazu bin ich leider außerstande. Auf sein Verlangen werde ich aber jedem Bezieher der alten Fassung den Karton zugänglich machen und ebenso die aus dem Buchhandel wieder an mich gelangenden Remittenden-Exemplare damit versehen.

Sobald Herr Direktor Dr. Buchenau in die mir von Ihnen gesandten verschiedenen Stücke Einsicht genommen hat, werde ich Ihnen solche wieder zustellen.

Dr. Schmid an Dr. de Gruyter.

Radebeul, 8. Februar 1918.

Für Ihren freundl. Bescheid vom 22. Januar danke ich Ihnen im Namen meiner Firma und in eigener Sache herzlich. Obwohl Ihr Entgegenkommen die Grenze unserer Wünsche unter den obwaltenden Verhältnissen nicht voll erreicht, so war es doch sofort nach Eintreffen Ihrer Mitteilung für uns vollständig ausgeschlossen, daß wir Ihnen gegenüber noch weitere Forderungen geltend machen könnten. Die Schwierigkeiten, die Sie bei dieser Frage zu überwinden hatten, verkennen wir in keiner Weise, und ich kann Ihnen auch zusichern, daß wir aus Ihren Maßnahmen weder jetzt noch später Schlüsse zum Nachteil des Kleinbergschen Artikels ableiten werden.

Daß Herr Dr. Bettelheim einen solch schroff ablehnenden Standpunkt einnimmt, ist uns allen befremdlich, um so mehr, als wir von Anfang an nie beabsichtigt hatten, ihm gegenüber gerichtliche Schritte zu ergreifen, die allerdings dem Verfasser und dem Verlag gegenüber im Ablehnungsfall unvermeidlich gewesen wären.

Nach reiflicher Überlegung haben sämtliche diesseits Beteiligten und unsere Rechtsbeistände beschlossen, die bereits eingeleiteten Schritte gegen Herrn Dr. Kleinberg auf Grund Ihres Entgegenkommens wieder rückgängig zu machen, in der Annahme, daß zum mindesten eine Wiederholung eines solchen Angriffs gegen die Ehre des Toten und der noch lebenden Beteiligten nicht wieder erfolgt. Ob Herr Dr. Kleinberg, der mir selbst unterm 2. April 1917 auf einer offenen, in meiner Abwesenheit eingetroffenen und von meinem ganzen Geschäftspersonal gelesenen Karte » Mangel an Bekennermut« vorwarf, sich in der Frage des Jahrbuches vielleicht doch noch eines Besseren besinnt, überlassen wir ihm. Vielleicht haben Sie die Güte, an ihn und an Herrn Dr. Bettelheim folgende an uns gerichtete Zuschrift des Herrn Rechtsanwalt Dr. Gerlach vom 1. Februar 1918 weiterzuleiten:

»Ich bestätige dankend Ihre Rücksendung meiner Akten und ihre Mitteilung des Wortlauts der Zuschrift aus Berlin, vom 22. Januar 1818.

Vom Verlag können Sie wohl kaum mehr erwarten, als diese zugesagte Umwandlung durch Einschaltekartons in die noch auf seinem Lager befindlichen Bestände, wennschon mit der Fußnote, deren Abfassung durch Dr. Buchenau man mit Interesse entgegensehen darf. – Unverständlich ist mir das unbedingte Nein des Herausgebers. Doch würde ich, wenn ich meine Ansicht sagen soll, auch ihm gegenüber den Bogen nicht zu straff spannen. – – Schließlich anlangend den Verfasser Dr. Kleinberg, so empfehle ich statt Klage, von der ich abrate, doch noch den Versuch zu machen, ihn durch die Mitteilung des Herrn Dr. de Gruyter zu fassen, daß er ›in einem früheren Stadium der Angelegenheit zu einer gewünschten Änderung bereit gewesen war‹ und sich nur ›nicht mehr‹ dazu verstehen könne.

Dieses ›nicht mehr‹ bereit sein zu etwas, wozu er ›in einem früheren Stadium‹ bereit war, kann meines Erachtens doch nicht sachliche, sondern nur persönliche Gründe haben, und diese würde ich Herrn Dr. Kleinberg bitten doch zurückzustellen.«

Um Ihnen Abschrift zu ersparen, füge ich meinem heutigen Brief zwei Kopien bei.

Dr. de Gruyter an Dr. Schmid.

Berlin, 9. Februar 1918.

Ich danke Ihnen für Ihren freundlichen gestrigen Brief, bin aber leider nicht in der Lage, an Herrn Dr. Bettelheim den Inhalt der Zuschrift Ihres Rechtsanwalts, Herrn Dr. Gerlach, vom 1. Februar 1918 weiterzuleiten, da meine Beziehungen zu Herrn Dr. Bettelheim durch die Angelegenheit, die zwischen Ihnen und mir nunmehr zur Erledigung gekommen ist, vollständig zerstört sind. Das hat seinen Grund darin, daß Herr Dr. Bettelheim in meiner Entschließung eine Antastung seiner Herausgeberehre, in Ihren Schritten aber eine Drohung erblickte, der gegenüber, wenn sie überhaupt ernst gemeint sei, er mich durch die Übernahme der Verantwortung decken könne.

Aus diesem letzten Brief de Gruyters ergab sich: Bettelheim blieb auf seinem ablehnenden Standpunkt stehen und suchte sogar die Ernsthaftigkeit der gerichtlichen Schritte zu leugnen, die mein Verlag angekündigt hatte für den Fall, daß das Pamphlet nicht auf friedlichem Weg geändert oder beseitigt würde. Es entstand die peinliche Lage, daß zwar durch die diesseitigen Einwände das Friedenshindernis selbst ausgeschaltet war, daß aber die dritte und prozessual nicht in Betracht kommende Partei (Bettelheim) unser Entgegenkommen als eine Art Angst vor gerichtlichem Austrag hinstellte. Um diese zum mindesten für de Gruyter unangenehme Deutung zu berichtigen, schrieb ich die folgenden zwei Briefe, die beide, ebenso wie die vorherigen, sowohl nach Berlin wie nach Wien abgingen, und die darlegen sollten, daß wir trotz unserer Friedensliebe alle Möglichkeiten erwogen hatten, die im Bedarfsfall für die gerichtliche Durchführung unserer Rechtsansprüche in Betracht kommen konnten. Die große Schwierigkeit hatte ja von Anfang an darin bestanden, daß sowohl der Verfasser des Artikels wie der Herausgeber des Jahrbuchs im Ausland wohnten, so daß wir Reichsdeutsche uns an den nur unfreiwillig beteiligten Berliner Verleger halten mußten.

Dr. Schmid an Dr. de Gruyter.

Radebeul, 1. März 1918.

Ihr freundlicher Brief vom 9. Februar hat mir kaum weniger Denkarbeit gegeben, als die schwierigsten Augenblicke unserer Verhandlungen, und ich möchte nach reiflicher Überlegung nochmals darauf zurückkommen.

Daß die für alle Teile peinliche Angelegenheit gerade durch die Art ihrer schließlichen Beilegung zu einem Abbruch von Herrn Dr. Bettelheims Beziehungen zu Ihnen führte, ist mir überaus bedauerlich, und, wie Ihnen meine vorherigen Briefe zeigen müssen, auch unverständlich. Vor allem aber ist die Meinung des Herrn Dr. Bettelheim, wir würden Sie im Ablehnungsfall vielleicht gar nicht verklagt haben, so irrig, daß ich es für richtig halte, Ihnen über unsere seinerzeit vorbereiteten Schritte einige Tatsachen mitzuteilen:

In dem Augenblick, in dem Sie die Auslieferung des »Biographischen Jahrbuchs und deutschen Nekrologs« Bd. XVIII wiederaufgenommen hätten, wäre Ihnen zunächst unsere einstweilige Verfügung und dann anschließend die Beleidigungsklage des Herrn Professor Werner (§ 187 St.G.B. »Wider besseres Wissen«), die Beleidigungsklage der Frau Klara May (§ 189 St.G.B. Verunglimpfung des toten Ehegatten), des weiteren die Zivilklage von Frau May einerseits und unserem Verlag anderseits zugegangen. Schon Mitte Dezember hatte ich telephonisch mit Herrn Justizrat Dr. Georg Mühsam, Berlin, Nicolaistraße, vereinbart, daß er diese Klagen gegen Sie übernehmen würde. Unser Dresdner Rechtsbeistand, also der Instruktionsanwalt, war Rechtsanwalt Netcke, während Herr Rechtsanwalt Dr. Gerlach den Hauptzeugen gegen Dr. Kleinbergs Unwahrheiten dargestellt hätte; ebenso war eine Klage des Herrn Professor Schneider lediglich deshalb nicht beabsichtigt, damit er als Belastungszeuge gegen Sie dienen könne.

Gegen Herrn Dr. Bettelheim, den wir stets für einen Neutralen gehalten hatten, war eine Klage niemals beabsichtigt. Dagegen waren die mehrfachen Klagen wider Herrn Dr. Kleinberg bereits eingeleitet, und ich überreiche Ihnen anbei die gesamten Original-Prozeßinstruktionen gegen diesen Herrn, die am Freitag, den 18. Januar, abends hier geschrieben wurden, um am Sonnabend, den 19. Januar, früh als eingeschriebener Eilbrief an unseren Wiener Advokaten abzugehen. (Sie dürfen Abschrift nehmen, wie überhaupt von allen diesen Mitteilungen jeden Ihnen nötig erscheinenden Gebrauch machen; Rücksendung eilt nicht.) Gerade mit jener Morgenpost aber traf die Mitteilung des Herrn Dr. Buchenau ein, er würde einen Ersatz-Nekrolog schreiben, so daß ich die Absendung der Klageaufträge gegen Dr. Kleinberg noch bis zu einer weiteren Beratung mit unseren Rechtsbeiständen und Freunden zurückstellte.

Bei dieser Besprechung habe ich selbst, der ich unter allen Umständen und trotz Ihres Entgegenkommens für eine Klage gegen Dr. Kleinberg war, einen schweren Standpunkt gehabt, denn alle anderen erklärten sich für Frieden. Vor allem hat Herr Rechtsanwalt Netcke mit Erfolg gegen mich betont, daß durch Ihren Bescheid der eigentliche Zweck unserer Forderungen erreicht sei, und daß eine Verurteilung Dr. Kleinbergs kein literarisches Plus, wohl aber eine ekle Sensation zeitigen würde. Des weiteren waren unsere eingehenden Auskünfte über Herrn Dr. Kleinberg sehr ungünstig ausgefallen: er soll völlig vermögenslos sein und hat ein solch geringfügiges Einkommen, daß er nicht einmal in der Lage wäre, bescheidene Prozeßkosten zu bezahlen, geschweige die Riesensummen, die bei unseren mit sehr kostspieligen Beweisaufnahmen verbundenen Prozessen in Betracht kämen. (Der Münchmeyer-Prozeß hat z. B. mit allem Drum und Dran rund einhunderttausend Mark Kosten, Gebühren und Spesen verschlungen.) Endlich aber wurde mir als ausschlaggebender Gesichtspunkt entgegengehalten, daß die Durchführung unserer Klagen in Österreich an und für sich, noch mehr aber durch den Krieg und die Grenzschwierigkeiten sehr umständlich sei, und daß ich mich deshalb lieber mit dem Teilerfolg begnügen solle.

Diese österreichische Seite der Angelegenheit hat uns allerdings von allem Anfang an viel Kopfzerbrechen gemacht, und es war sogar schon der Plan aufgetaucht, daß entweder Herr Dr. Beissel oder ich Herrn Dr. Kleinberg unter Verständigung seiner vorgesetzten Behörden derart beleidigen solle, daß er einer Klagestellung gegen uns nicht entgehen könne, wodurch dann der Prozeß nach Deutschland herübergezogen worden wäre.

So war der bitterernste Sachverhalt. Ich gebe gleichzeitig Herrn Dr. Bettelheim von unserem neuerlichen Briefwechsel durch Abschriften Kenntnis und bringe damit die Angelegenheit zum vorläufigen, hoffentlich aber auch endgültigen Abschluß.

Dr. Schmid an Dr. Bettelheim.

Radebeul, 2. März 1918.

Unterm 8. Februar schrieb ich lt. mitfolgender Kopie an Herrn Dr. de Gruyter, worauf er mir lt. gleichfalls beiliegender Abschrift vom 9. Februar antwortete. Diese Antwort rief meine heute an ihn gerichteten Ausführungen hervor, die ich Ihnen wiederum anbei vorlege. Im Grunde glaube ich nun alles gesagt zu haben, was gesagt werden mußte, und möchte nur persönlich Ihnen gegenüber noch folgendes beifügen:

In meiner früheren Tätigkeit als Literat und Redakteur habe ich Ihren »Deutschen Nekrolog«, den ich für ein sehr verdienstvolles Unternehmen halte, stets mit Vorliebe benutzt, und noch vor etwa Jahresfrist las ich mit großem Interesse den Aufsatz über den von mir ähnlich als May bewunderten Felix Dahn. Wie bitter weh mir dann Dr. Kleinbergs Schmähschrift gegen May und damit gegen meine Lebensaufgabe tun mußte, werden Sie sich immerhin trotz Ihres gegensätzlichen Standpunktes vorstellen können. Gegen Sie wollte ich niemals klagen, und gegen Herrn Dr. de Gruyter nur notgedrungen, beim Ablehnungsfall aber unter allen Umständen.

Und nun, da es mir unter wahrhaftig sehr großen Mühen gelang, Herrn Dr. de Gruyter zu dem einzig richtigen Ausweg zu veranlassen, muß ich wahrnehmen, daß Sie, den ich stets für einen Neutralen hielt, die schroffste Gegnerschaft in dieser Angelegenheit einnehmen; ja, daß Sie es hiewegen sogar bis zu einem Bruch zwischen Ihrem Verleger und sich kommen ließen. Sehr geehrter Herr Doktor, Sie sind genau doppelt so alt wie ich, und ich vermag mich nur schwer in Ihre Erwägungen hineinzuversetzen, aber die Erbitterung, die ich eigentlich gegen Sie empfinden müßte, wird durch das Mitgefühl verdrängt, daß Sie den weiteren Ausbau Ihres Jahrbuchs gefährden wollen, lediglich wegen literarischer Gegensätze, die durch Dr. Kleinbergs Schmähungen gegen May entstanden.

Als Mann zum Mann, als Akademiker zum Akademiker und als Deutscher zum Österreicher bitte ich Sie: verlassen Sie den Standpunkt, daß der deutsche Dichter Karl May, der vielen Menschen Gutes und Ihnen sicherlich nichts zuleide tat, unter allen Umständen herabgewürdigt werden muß!

Mit dieser Bitte betrachte ich, falls nicht Ihrerseits Weiterungen folgen, die Angelegenheit als beendet und ersuche Sie noch, mir die 48 Seiten Schriftsatz May-Lebius zurückzusenden, wobei Sie das Einschreibeporto durch Postnachnahme erheben wollen.

Um die gleiche Zeit erhielt ich aus Berlin den neuen, in das »Biographische Jahrbuch« eingeschalteten Karton, der den mittlerweile von Dr. Buchenau verfaßten Nekrolog über May enthielt. Da sich der Verfasser genau dem durch die Beseitigung von Kleinbergs Aufsatz verfügbaren Raum hatte anpassen müssen, mußte er nachträglich einiges an seinem eigenen Text kürzen. Die Originalfassung hat er den Herausgebern des Karl May-Jahrbuchs für den zweiten Jahrgang (1919) zur Verfügung gestellt. Die von gegnerischer Seite aufgestellte Behauptung, ich hätte diesen von Dr. Buchenau verfaßten, selbständigen Aufsatz vor der Drucklegung gelesen und gar kritisch durchgesehen, ist eine Verdächtigung, die ich zu den übrigen lege.

Buchenau schrieb seinen Aufsatz völlig unbeeinflußt und ich habe ihm lediglich die an mich gestellten Fragen beantwortet (gleichwie ich dies Kleinberg mehrfach angeboten hatte). Der Verfasser hat unsere sämtlichen Verlagswerke durchgearbeitet und außerdem – im Gegensatz zu Kleinberg – auch einen großen Teil der anonymen Münchmeyer-Romane (»Waldröschen« usw.) gelesen.


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