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Begründung der Einwände

Tout comprendre, c'est tout pardonner.

Staël.

Was inzwischen bei den jenseitigen Parteien vorgegangen war, darüber erhielt ich erst durch die Veröffentlichung der »Offenen Briefe« Dr. Bettelheims und Dr. de Gruyters nähere Kenntnis. Ich verweise deshalb auf diese Veröffentlichungen, aus denen ich übrigens weiter unten einzelne wichtige Stellen auszugsweise wiedergebe. Dr. de Gruyter hatte alles aufgeboten, um bei Verfasser und Herausgeber des Kleinbergschen Nekrologs eine Berichtigung der von mir beanstandeten bedenklichsten Punkte durchzusetzen, Dr. Kleinberg hatte sich dazu bereit erklärt und auch schon alle jene Änderungen vorgenommen, bei deren Einschaltung und Aufnahme in den Nekrolog jeglicher Streit ohne irgendwelche Weiterungen aus der Welt geschafft gewesen wäre; dieses neue Manuskript war von ihm unterm 25. November 1917 an Dr. de Gruyter eingesandt worden, Dr. Bettelheim jedoch bestand unter völliger Verkennung der Rechtslage darauf, daß der vom Verfasser selbst als verbesserungsbedürftig erachtete Artikel nun doch wieder die ursprüngliche Form behalte. Dadurch war für Dr. de Gruyter eine überaus schwierige und für seine Entscheidungen folgenschwere Lage gezeitigt.

Mittlerweile hatte ich mit dem Geschäftsführer des Deutschen Verlegervereins, Oswald Wagner-Leipzig, über die Angelegenheit gesprochen und von ihm folgenden Rat erhalten: »Gehen Sie doch persönlich zu Herrn Dr. de Gruyter und tragen Sie ihm den Sachverhalt vor! Er gehört zu den vornehmsten deutschen Verlegern, und es ist ausgeschlossen, daß er etwas in seinem Verlag duldet, was seinem Rechtsempfinden widerspricht!« So entstand folgender Brief:

* * *

Dr. Schmid an Dr. de Gruyter:

Radebeul, 26. November 1917.

Ihr vorgestriges Einschreiben muß mich überaus schmerzlich berühren, denn nun naht also wirklich die Schar häßlicher und zeitraubender Prozesse, in deren Verlauf wieder und wieder das Grab des Toten beschmutzt werden wird. Sollte aber die Ablehnung unserer Einwände auch bei Ihnen wirklich endgültig werden, so sind wir allerdings unter allen Umständen zur Durchführung des Rechtsstreits gezwungen, den wir viel lieber vermieden hätten. Es ist ja ganz ausgeschlossen, daß deutsche Gerichte und deutsche Richter solch glatte, in den früheren Prozessen längst widerlegte und auch jetzt noch leicht erweisliche Unwahrheiten dulden, wie sie Dr. Kleinbergs Artikel bringt.

Selbstverständlich werde ich, um nicht meinerseits die letzte Möglichkeit einer schiedlichen Auseinandersetzung zu zerstören, mit dem gerichtlichen Vorgehen warten, bis Sie mir die Nachprüfung der Kritik als beendet melden; dabei fasse ich Ihren jüngsten Brief so auf, daß Sie die Auslieferung des XVIII. Jahrgangs inzwischen nicht wieder beginnen, denn diesen Wiederbeginn muß ich unverzüglich mit der einstweiligen Verfügung beantworten.

Ich erkläre mich ausdrücklich auch Ihnen gegenüber bereit, jede gewünschte Unterlage oder Aufklärung im Rahmen der Möglichkeit zu beschaffen. Aber auch die rechtliche Seite sollten Sie meines Erachtens nicht außer Erwägung lassen, und ich würde Ihnen auf Wunsch gern die diesseitigen Prozeßpläne und Beweismittel schon vorher bekanntgeben, damit Sie deren Gewicht und Bedeutung nicht verkennen.

Am Montag, den 3. Dezember (vielleicht auch noch am Dienstag), habe ich in Berlin zu tun, und da eine persönliche Aussprache vielleicht manches Unheil verhüten könnte, so schlage ich Ihnen vor, sich einmal mit mir über Karl May und über jenen Aufsatz zu unterhalten. Am liebsten wäre es mir, wenn ich – meiner Arbeitsüberlastung wegen – am Sonntag früh nach Berlin fahren könnte, um Sie dort im Laufe des Nachmittags zu besuchen. Sollte Ihnen dieser Zeitpunkt unerwünscht sein, so würde ich trachten, mich Ihrer Freizeit anzupassen. Ihrem raschen Bescheid sehe ich entgegen.

Für heute erlaube ich mir noch, Ihnen die Abschrift eines Briefes vorzulegen, den ich unterm 19. April d. J. an den Sohn des mit May befreundeten Dichters Peter Rosegger sandte; er soll Ihnen zeigen, daß ich mich ernstlich, wissenschaftlich und ohne Überschwenglichkeit mit dem seltsamen Problem Karl May beschäftige. Die Ansichten, die ich darin ausspreche, gedenke ich in einer späteren umfassenden Biographie Mays zu verwerten. Sie dürfen die Kopie außergerichtlich und außerhalb der Presse benützen, im übrigen aber ist sie als mein Manuskript zu betrachten und nach Inhalt und Form mein Eigentum.

Anlage:

Dr. Schmid an Dr. Rosegger.

19. April 1917.

Das erst zu Anfang dieses Monats erschienene Nachlaßwerk Mays »Ich« hat mir bereits eine Fülle von (bisher durchweg freundlichen) Zuschriften eingetragen, und da ich Ihrem Brief vom 8. c. eine ausführliche Antwort widmen möchte, so kann ich erst heute darauf zurückkommen.

Zuerst muß ich Ihnen sagen, daß ich selbst tatsächlich nicht mehr über Mays Vergangenheit weiß, als ich in dem Anhang zu Band »Ich« niederlegte. Natürlich habe ich mich bemüht, dem Dichter in jeder Weise gerecht zu werden und mich seiner Denkweise auch da anzupassen, wo meine eigene Weltanschauung andere Wege geht. Über seine trübste Vergangenheit habe ich noch keine weiteren Anhaltspunkte auffinden können, als die von seinem bekannten Gegner hervorgezerrten, aber vielfach entstellten und übertriebenen Tatsachen.

Dennoch glaube ich meinerseits unbedingt an mindestens eine Amerikareise, und zwar aus eben den im Anhang zu Band »Ich« niedergelegten Erwägungen, zu denen sich allerdings noch Gefühlsmomente gesellen. Unsicher war ich mir eigentlich nur, ob diese Amerikareise in die Zeit 1862 oder 1869 fällt, oder ob es sich hier um zwei verschiedene Reisen handelt. May hat nämlich in glaubwürdigem Ton vielfach von jener ersten Reise erzählt, die er mit 20 Jahren gemacht haben will und die fast ein volles Jahr gedauert haben soll; ein Widerspruch zu diesen Angaben hat sich nicht ergeben, sondern vielmehr im Gegenteil eine Lücke in seinem Leben, die gerade auf diese Reise passen würde. Den Henry-Stutzen kann er nun aber wieder damals noch nicht mit aus Amerika gebracht haben, weil dieses Gewehr nachweisbar (Eingravierung Henrys) aus dem Jahre 1866 stammt. So mußte ich bei dieser Zweiteilung der frühzeitigen Amerikafahrt bleiben und kann nur wiederholen, daß ich mindestens an eine dieser Reisen bestimmt glaube. Auch für die Afrikareise spricht große Wahrscheinlichkeit, denn eines der von seinen Gegnern ans Licht gebrachten polizeilichen Aktenstücke teilt mit, May sei um jene Zeit aus Deutschland nach Italien geflüchtet, doch sei von ihm keine nähere Auskunft über diese Reise zu erhalten gewesen.

Ihrem Wunsche gemäß will ich hier einmal mein eigenes Urteil über den Verstorbenen, an dessen Größe und Edelsinn ich glaube, zusammenfassen. Ich habe früher mit Vorliebe und mit großem Eifer gerichtliche Psychiatrie studiert, und zwar bei einer ganzen Reihe berühmter Nervenärzte, und mich dabei vollkommen zu jener Auffassung gesellt, die ungefähr folgendes sagt: Das Genie ist im Grunde eine anormale Erscheinung, insofern es einzelne oder auch viele Komponenten des menschlichen Geistes über das Normale hinaus erweitert, verlängert. Meist verkümmern aber nun dabei verschiedene andere Komponenten, und daher kommt es, daß viele Genies durch falsche Erziehung zu Verbrechern werden, und daß auch häufig die größten unter ihnen ganz furchtbare Schwächen haben, die allerdings meist von der Nachwelt nicht gewußt oder vergessen werden. Das Musterbeispiel hierfür ist Richard Wagner, der sich ja gegen seine Freunde und Wohltäter z. B. Heine, Meyerbeer, Freiherr von Hornstein in einer geradezu unbeschreiblichen Undankbarkeit und selbstsüchtigen Rücksichtslosigkeit benahm und überhaupt ein bitterböser Herr war. Stärker treten derartige Erscheinungen (Anomalien) etwa bei folgenden Personen zutage: Edgar Allan Poe (Manisch-depressives Irresein), Arthur Schopenhauer (Frauenhaß infolge von Lues), Fritz Reuter (Quartals-Trunksucht), Guy de Maupassant (Paralyse), Oskar Wilde (Homosexualität) Da diese seinerzeit flüchtig hingeworfenen Krankheitsbilder ursprünglich, wie im Brief selbst betont, nicht für die Öffentlichkeit bestimmt waren, erwähne ich, daß ich gar wohl weiß, daß die Meinungen hierüber auseinandergehen; daß z. B. Poe von anderer Seite als Epileptiker, Maupassant als Melancholiker angesprochen wird. Ganz abgesehen davon, daß in solchen Fällen die Gelehrten immer uneins sind, ist die psychiatrische Diagnose selbst für die Art meiner Beweisführung ohne Belang. Vgl. hierzu auch Karl-May-Jahrbuch 1919, S. 162..

Ausdrücklich bemerke ich, daß ich diese Beispiele in dem vorliegenden, nicht für die Öffentlichkeit bestimmten Brief lediglich deshalb anführe, um Ihnen, hochgeehrter Herr Doktor, meine Gedankengänge zu veranschaulichen, und ohne meinen May, sei es nach der guten oder nach der bösen Seite, in irgendeine Parallele stellen zu wollen.

May hatte eine glänzende Begabung, die sich vor allem auf Länder-, Natur- und Völkerkunde erstreckt und auf alles, was damit zusammenhängt. Hierzu gesellen sich bei ihm ein sinniges Gemüt und ein erquickender Humor. All dieses aber ist mir wohl die Grundlage, nicht aber eigentliche Ursache zu seinem zuerst riesenhaft ansteigenden Ruhm, seinem nachherigen Sturz und seiner seit einigen Jahren wieder erwachenden und immer mehr anwachsenden Volkstümlichkeit gewesen, sondern vielmehr zwei andere Charaktereigenschaften, die seine größte Stärke und seine größte Schwäche bilden: Phantasie und Mannesstolz, zwei Geisteskomponenten, die erfahrungsgemäß leicht nach der Unwahrhaftigkeit und Eitelkeit hin ausstrahlen. Sie ermöglichten es dem Dichter, Siegfried-Gestalten wie »Winnetou«, »Old Shatterhand« usw. zu schaffen und diese herrlichen Schöpfungen zuweilen aber mit unfreiwilligen Übertreibungen und verblüffender Ruhmsucht auszustatten; sie verleiteten ihn aber auch, getragen von dem durchweg verständlichen Bestreben, seine trübe Vergangenheit zu verheimlichen, sich selbst mit seinen Helden mehr oder weniger eins zu fühlen und zu verquicken.

May lebte tatsächlich in einem Traumreich, und ich selbst habe in den nicht häufigen Zusammenkünften mit ihm mancherlei Seltsames hierüber wahrnehmen müssen, wovon ich Ihnen zwei Beispiele gebe. Das eine besteht darin, daß er beim Dichten meist laut mit den Gestalten seiner Phantasie sprach, lachte und weinte. Das andere ist folgendes Erlebnis: Ich hatte ihn bei einer längeren Unterhaltung gefragt, ob denn ein Winnetou, ähnlich wie er ihn schilderte, gelebt habe, und darauf gab er mir die Antwort, die ich auf Seite 558 des Nachlaßbandes abdruckte. Einige Stunden später besichtigte ich mit ihm einen Teil seiner exotischen Sammlungen und betrachtete mir vor allem die Gewehre, darunter die Silberbüchse. Dabei fragte ich: »Na, Herr May, sagen Sie mir mal ganz aufrichtig, woher die Silberbüchse stammt!« Und da sah er mir ganz erstaunt in die Augen und erwiderte: »Ja, haben Sie denn meinen ›Winnetou‹ nicht gelesen?« …

Dr. de Gruyter an Dr. Schmid:

Berlin, 29. November 1917.

Ich danke Ihnen für Ihren Brief vom 26. cr., werde das, was Sie in ihm und in seiner Anlage zu meiner Kenntnis bringen, bei der weiteren Prüfung der Angelegenheit gewiß nicht ungenutzt lassen und will mich auch gewiß einer mündlichen Besprechung mit Ihnen nicht entziehen. Nun verreise ich aber heute abend zum Niederrhein, habe danach in Süddeutschland zu tun, kehre frühestens am 6. Dezember wieder nach Berlin zurück, muß vielleicht aber am 7. und 8. schon wieder draußen sein. Mit einiger Sicherheit kann ich deshalb nur sagen, daß ich in der Woche vom 9.-16. Dezember in Berlin anwesend sein werde.

Die hiermit vereinbarte persönliche Besprechung fand am 14. Dezember 1917 in Gegenwart des Prokuristen August Hilbert statt, und ich hatte Gelegenheit, alle Einwände gegen den Nekrolog mündlich vorzutragen. Bei der Aussprache verhielt sich Dr. de Gruyter naturgemäß sehr zurückhaltend, versuchte in jedem einzelnen Punkte den Aufsatz Kleinberg-Bettelheim zu stützen und zu schützen, und der Eindruck, den ich dabei hatte, war nur der, daß er selbst kein Hindernis für die Auswechslung des Artikels bilden werde. Er verlangte von mir, ich solle so rasch wie möglich alle meine mündlich vorgebrachten Einwendungen zu Papier bringen und sie gleichzeitig ihm und Dr. Bettelheim übermitteln, was ich ihm versprach, mit der Zusicherung, meine Forderungen auf das alleräußerste Maß zurückzuführen.

Dr. Schmid an Dr. de Gruyter:

Radebeul, 18. Dezember 1917.

Wunschgemäß nenne ich Ihnen im folgenden diejenigen Punkte des bewußten Artikels, an deren Beanstandung wir nicht vorübergehen können.

I.

Unter dieser Abteilung zähle ich einzeln diejenigen Stellen auf, deren Beseitigung für die Vergleichsmöglichkeit eine conditio sine qua non bedeutet. Um die mühevollen, zeitraubenden und für alle Beteiligten überaus peinlichen Rechtsstreitigkeiten durch schiedliche Lösung hintanhalten zu können, haben wir uns auf das alleräußerste, auf die ganz glatten und lückenlosen Unwahrheiten beschränkt, die der Artikel enthält:

a) »Auch Einbrüche und Raubanfälle dürfte sich May haben zuschulden kommen lassen. Die Akten wurden 1904 eingestampft.« – Diese Verdächtigung entbehrt jeglicher Unterlage, denn in Mays Strafakten war von solchen Straftaten niemals die Rede. Niemals ist der Mann wegen solcher Dinge gerichtlich verfolgt worden. Niemals war er hiewegen in Untersuchungshaft und niemals war eine Voruntersuchung oder auch nur ein Ermittlungsverfahren in dieser Hinsicht gegen ihn in die Wege geleitet. Erst um das Jahr 1909 wurden diese Behauptungen aufs Geratewohl von seinem Hauptgegner ausgestreut, indem er sie durch ein Korrespondenzbureau in die Zeitungen lancierte, worauf er diese Zeitungen selbst wieder zitierte. In den von May angestrengten Privatklagen ist jede gegen den Dichter versuchte Beweisaufnahme gescheitert, und es ist entsetzlich, einem toten Mann, der seine Verfehlungen schwer büßen mußte, nun auch noch Dinge aufzubürden, von denen die Polizei und die Gerichte jener Zeit nicht das geringste wußten oder argwöhnten. Zeugen: der gegnerische Anwalt Dr. Oskar Gerlach, dem die Strafakten bekannt sind, Mays noch lebende Schwestern und andere überlebende aus Mays Jugendjahren.

b) Die Behauptung, die Kolportageromane »Waldröschen«, »Der verlorene Sohn«, »Die Liebe des Ulanen«, »Deutsche Herzen und Helden« und »Der Weg zum Glück« seien »unsäglich schmutzig«. – Denn selbst die nachweisbar von dritter Hand verfälschte Fassung verdient diesen Vorwurf keineswegs. Hierzu Anlage A-C.

Im Prozeßfall wird Herr Professor Dr. Kleinberg als Zeuge dafür geladen, daß er diese fünf Werke mit der Bezeichnung »unsäglich schmutzig« belegte, ohne sie überhaupt vorher gelesen zu haben; daß er ferner seine ganzen Unterlagen hierzu lediglich dem gerichtlich verbotenen gelben Buch entnahm, also selbst zugängliche Originale erst aus zweiter Hand mit den von dem Verfasser des gelben Buches vorgenommenen Kürzungen und Veränderungen.

c) Die Behauptung, May habe »die Herausgabe seiner Manuskripte erzwungen und sie bezeichnenderweise dem Einblick entzogen«. – Wohl hat May im vieljährigen Münchmeyer-Prozeß die Verurteilung der Frau Münchmeyer zur Herausgabe dieser Manuskripte erstrebt, aber Frau Münchmeyer erklärte sich in der Folge zur Auslieferung dieser inzwischen vernichteten Manuskripte nicht mehr imstande. Zeugen: a) Mays Anwalt in dieser Instanz, Justizrat Rud. Bernstein, Dresden, Amalienstraße 5, b) der gegnerische Rechtsanwalt Dr. Oskar Gerlach, Dresden, Gerokstraße 25, dessen Brief Ihnen die Unwahrheit dieser Behauptung bereits bestätigte, c) eidesstattliche Versicherung des Unterzeichneten, d) eidesstattliche Versicherung Dr. Beissels, ferner zahlreiche andere beteiligte Anwälte und die in unseren Händen befindlichen Prozeßakten und Urteile.

d) »Ob es sich bei der May-Stiftung um eine grandiose Reklame handelt oder hier doch ein guter, durch traurige Umstände an der Entwicklung gehinderter Kern hervorbricht, wage ich nicht zu entscheiden. Jedenfalls spannte er seine Schützlinge gründlich vor seinen Ruhmeswagen. Sascha Schneider z. B. lieferte einen Bilderzyklus zu Mays Werken. Von Selmar Werner stammt das Grabmonument …« Sascha Schneider und Selmar Werner sind niemals Schützlinge von May gewesen und niemals von ihm unterstützt worden, desgleichen auch nicht etwa der Bildhauer Professor Kreis, der ebenfalls ein Freund Mays war und eine bisher unveröffentlichte Zeichnung geschenkweise für ihn anfertigte. Endlich ist auch der vierte dieser Freunde Mays, der Universitätsprofessor Dr. Joh. Werner, Leipzig, der die Einleitung zur Sascha-Schneider-Mappe schrieb, nicht etwa von May unterstützt worden, ja, er nahm für diese Einleitung nicht einmal ein Honorar entgegen. Zeugen: die Genannten.

Alle diejenigen Künstler und aufwärtsstrebenden Talente aber, die May tatsächlich unterstützt hatte, haben ihn oder seine Kunst niemals öffentlich verherrlicht. Kein einziger davon hat ihm etwa ein Schrift- oder Bildwerk oder ein Musikstück gewidmet. May war in seinem innersten Herzen und aus edelster Überzeugung hilfsbereit und freigebig, und nie wußte bei ihm die Linke, was die Rechte tat; hierzu vergleiche man Mays Brief vom 24. September 1905, wörtlich abgedruckt in Band »Ich« auf Seite 538 ff.

Die Zitate, die Herr Professor Dr. Kleinberg dem wegen seiner Entstellungen gerichtlich verbotenen gelben Buch entnimmt, sind uns vollständig unbekannt und auch durchaus nicht erreichbar, denn solche Voruntersuchungsprotokolle sind der Öffentlichkeit nicht zugänglich. Wir bestreiten deren Bestehen, das übrigens gegenüber der Aussage der lebenden Zeugen vollständig belanglos wäre. – Hierzu Anlage D.

e) »Dem Leiter des ›M.-Verlags‹, Dr. Schmid, einem ehrlich überzeugten Verehrer M.s, bin ich für werktätige Unterstützung Dank schuldig.« – Ich lehne es mit Entschiedenheit ab und bezeichne es als eine Beleidigung und Herabwürdigung meiner eigenen Persönlichkeit, daß ich zu einer solchen Schmähschrift, die überhaupt keine Lichtseite an dem Verstorbenen gelten läßt, mit beigeholfen haben soll; das wenige, was ich Herrn Professor Dr. Kleinberg an tatsächlichen Angaben übermitteln durfte, hat er zurückgewiesen und nichts davon irgendwie in seinem Aufsatz als für May sprechend anerkannt. –

Diese hier angegebenen fünf Punkte müssen durch Einschaltung eines Ersatzbogens beseitigt werden; eine Berichtigung in einem späteren Jahrgang könnte den entstehenden ideellen und materiellen Schaden nicht aufwiegen, weil diejenigen Gelehrten, die Band XVIII benützen, meist gar nicht mehr auf Band XIX verfallen, zweifellos aber selbst dann vorher durch die gegenwärtige Fassung in Band XVIII furchtbar beeinflußt und irregeführt würden, übrigens meinen wir, daß auch für die Gegenpartei eine solche Berichtigung viel peinlicher ist, als eine rechtzeitige und vollständige Amputation des biographischen Geschwürs.

Eine Wiederaufnahme der Auslieferung und die damit beginnende neue Behauptung der oben festgestellten Unwahrheiten würde nunmehr eine Verbreitung wider besseres Wissen bedeuten, wodurch der Tatbestand des §189 St.G.B. (Verunglimpfung eines Toten) restlos gegeben wäre.

II.

In diesem zweiten Teil bringe ich diejenigen Punkte, an denen wir einen außergerichtlichen Vergleich nicht scheitern lassen würden, obwohl sie teilweise unwahr und teilweise unseres Erachtens zum mindesten unbillig sind, weshalb wir um die Nachprüfung der folgenden Einwände und Feststellungen bitten:

a) Die an und für sich überflüssige Bemerkung, Mays Vater sei »wenig arbeitslustig« gewesen, trifft in keiner Weise zu, denn es steht ganz zweifelfrei fest, daß Mays Vater überaus fleißig war, genau so, wie ein großer Fleiß auch dem Dichter selbst sogar von seinen grimmigsten Gegnern zugestanden wurde. Mays Vater war anscheinend, ebenso wie die Großmutter, eine Persönlichkeit, in der sich das später bei May erwachende Genie bereits andeutete, ein Sonderling, der im übrigen ziemlich grob und jähzornig war. Sonst aber sind dem Manne, von dem noch Briefe erhalten sind, keinerlei Fehler nachzuweisen, und er hat sich ein ganzes Leben lang für die arme Weberfamilie abgerackert, wie die Schwestern Mays und alle sonstigen Bekannten unentwegt bestätigen.

b) »Allerlei Auswüchse des Ernstthaler Lebens, wie Alkoholismus, Falschspielerei und Lügenhaftigkeit taten noch ein übriges …« – Hier wird der falsche Eindruck erweckt, als habe May oder auch dessen Vater sich mit Falschspielerei befaßt; von dem ebenfalls unwahren »Alkoholismus« nicht zu sprechen.

c) Die Behauptung, daß May wegen Diebstahls aus Waldenburg ausgeschlossen wurde, bitten wir mit seiner Darstellung in Band 34, Seite 368ff., zu vergleichen. Auch die Sache mit der Uhr erscheint uns und verschiedenen Psychiatern, denen sie vorgelegt wurde, als folgerichtig und nicht etwa gesucht. Sie stimmt auch mit einem Brief von Mays Vater über die Schulbehörde überein, der zurzeit leider noch bei einem unserer Anwälte liegt, und dessen Abschrift ich somit noch nicht beifügen kann.

d) Wir sind des Weltkriegs wegen noch nicht in der Lage, Mays Reisen vor 1898 lückenlos nachzuweisen, bitten aber die sorgfältig überlegten Ausführungen auf Seite 542ff. von Band »Ich« zu berücksichtigen. Außerdem hierzu Anlage E. (Gutachten des Sachverständigen Emil Linck, Hamburg, über den in Mays Nachlaß befindlichen Henry-Stutzen.)

e) »May war während seines letzten Jahrzehnts noch in mehrere andere Prozesse verwickelt, die seine Ehre als Mensch und Schriftsteller zerstörten.« – Ganz abgesehen davon, daß man so nicht über einen Verstorbenen spricht und daß man hart sein kann, ohne roh zu werden, ist hier vollkommen außer Ansatz gelassen, daß May die ganzen Prozesse gewann, darunter auch den furchtbaren Münchmeyer-Prozeß, bei dem sich alle fünf beteiligten Instanzen für ihn entschieden!!! In den Augen des Herrn Dr. Kleinberg sind anscheinend alle Richter, die für May urteilten, ebenso ich und seine sämtlichen übrigen Freunde und Anhänger irregeführte oder irreführende Hanswurste, was sich auch aus der mir gütigst bewilligten Zensur eines »ehrlich-überzeugten Verehrers« ergibt.

f) Die Darstellung von Mays zweiter Ehe; vergleichen Sie hierzu meine Ausführungen in Anlage F.

g) »Verschwommene Zweiseelentheorie«. – Auch diese unwahre Behauptung ist aus dem verbotenen Buche abgeschrieben, denn May hatte doch gar keine »Zweiseelentheorie«, sondern eine ausgesprochene Einseelentheorie. Herr Dr. Kleinberg hat also die Bücher, die sich mit dieser Frage beschäftigen, gar nicht gelesen, denn daß May beim Menschen Geist und Seele unterscheidet, ist doch wirklich etwas ganz anderes. Vergleichen Sie hierzu auch Band »Ich«, Seite 565ff., sowie vr. Lhotzkys Ausführungen. (Übrigens hat Dr. Lhotzky für Dr. Beissels Karl-May-Jahrbuch 1918 auch einen neuen Aufsatz über »Die Welt der Seele bei Karl May« geschrieben, den ich noch nicht kenne, weil ich mich, wie erwähnt, in dieses Jahrbuch, trotz meiner Freude über das Zustandekommen, nicht einmische.)

h) Die Ausdrücke »Lügenhaftigkeit«, »verlogene Aufmachung«, »scheinheilig«, »kitschige Poesie«, »Afterkunst«, »charakterlose Sprache« und ähnliches halten wir und andere für Schimpfworte, wie sie, selbst, soweit etwa Grund vorhanden, in einem Nekrolog durch sachliche und vornehmere Ausdrücke ersetzt werden können.

i) »Salbungsvolle Frömmigkeit«. – Die Frömmigkeit Mays kann ebensowenig, wie seine Mildtätigkeit, angetastet werden. Während seines ganzen Lebens war May überaus fromm und gottesgläubig; selbst zur Zeit seiner Verfehlungen. Das von mir im Originaldruck aus dem Jahre 1876 entdeckte Werk »Geographische Predigten«, dessen Vorhandensein Mays Gegner jahrelang schlankweg geleugnet hatten, während er selbst es nicht mehr aufzufinden vermochte, beweist allein schon, daß es sich hier um wirkliche Frömmigkeit handelt, denn wie sollte er als damaliger Redakteur einer Bergwerkszeitung sonst dazu kommen, seinen Lesern diesen langen tellurischen Gottesbeweis in der Zeitschrift vorzusetzen? Auch die Kolportageromane, die immer in Gegensatz zu seinen sogenannten »frommen« Werken gesetzt werden, zeigen, wie der Augenschein lehrt, unablässig Frömmigkeit und Gottvertrauen. Im »Verlorenen Sohn« finden sich ganze Seiten, in denen die Andacht der erzgebirgischen Weber rührend und mit innerster Hingebung des Verfassers dargestellt wird. Endlich aber haben wir auch aus der Zeit vor 1876 noch eine Reihe fragmentarischer Manuskripte u. dgl. aufgefunden, worin sich May fortgesetzt mit Gott und dem Jenseits beschäftigt, z. B. das Bruchstück einer Abhandlung über »Mensch und Teufel« Inzwischen im Karl-May-Jahrbuch 1919 S. 173 f. veröffentlicht. und ähnliches. Ja, sogar das von ihm geschriebene »Buch der Liebe«, das von seinen Gegnern des Titels wegen als ein Schmutzwerk hingestellt wurde, ist, wie aus Abschnitt II meines eidlichen Gutachtens ersichtlich, in Wahrheit eine Abhandlung über die Liebe zu Gott!!! Wenn wir weniger Wert auf die Beseitigung dieses Vorwurfs legen, so geschieht es nur deshalb, weil er durch unsere späteren Nachlaßveröffentlichungen ohnehin unhaltbar werden wird.

k) Das Buch »Karl May als Erzieher« und Dittrichs Von Kleinberg unrichtig zitiert. Werk sind durchaus nicht etwa nachweislich »zum großen Teil von May selbst verfaßt«. Die Möglichkeit läßt sich wohl nicht bestreiten, zum mindesten aber darf sie doch nicht als unbedingte Tatsache, sondern höchstens als Ansicht hingestellt werden.

1. In den Zitaten sind die zahlreichen für May eintretenden Aufsätze (z. B. Dr. Krapp, Professor Freytag, Professor L. Gurlitt, Peter Rosegger, Max Geißler usw.) überhaupt nicht berücksichtigt (denn in dem gelben Buch waren sie natürlich nicht zu finden!). Auch gar mancher Gegner hat schon seine Ansicht geändert, denn gerade die von Herrn Professor Kleinberg zitierte »Zeit« schrieb beispielsweise am 16. September 1917 in einem acht Spalten langen Aufsatz ganz anders über May, als früher; natürlich ohne unser Zutun, denn uns ist der Verfasser (Richard A. Bermann) gar nicht bekannt. Daß ein wegen seines Inhalts gerichtlich verbotenes Pamphlet, wie das gelbe Buch, als Quelle angegeben und somit einer neuen Verbreitung näher gerückt wird, ist ebenfalls unzulässig.

III.

Anschließend noch einige weitere Unstimmigkeiten, die daraus entstanden, daß Herr Dr. Kleinberg sich lediglich an das verbotene Buch hielt, ohne eine eigene Nachprüfung der darin enthaltenen Angaben vorzunehmen:

Er hat die beiden ersten Strafzeiten ganz genau und mit einer sehr erheblichen Breitspurigkeit aufgezählt, während er hingegen bei der dritten Strafe nicht in der Lage war, die genaue Strafzeit hinsichtlich ihrer wirklichen Dauer anzugeben! Diese letztere Strafzeit findet sich nämlich zufällig nicht in dem gelben Buch.

Der Geburtsort Mays heißt Hohenstein-Ernstthal; im Nekrolog ist unrichtigerweise Umstellung und falsche Schreibweise angegeben.

Die Villa Mays hieß von jeher »Villa Shatterhand«, ohne den Zusatz »Old«.

Auch die Behauptung, daß May erst 1883 nach Dresden zog, stimmt nicht, denn er wohnte schon acht Jahre vorher dort! Nachträglich stelle ich fest, daß Kleinberg auch den Tag von Mays erster Eheschließung unrichtig angab, denn diese erfolgte nicht am 17. August, sondern am 12. September 1880.

Mit äußerster Mühe und Kraftanspannung war es mir, hochgeehrter Herr Kollege, möglich, jetzt, eine Woche vor Weihnachten, die Ihnen zugesicherte Arbeitsleistung zu bewältigen, doch habe ich jede einzelne Bemerkung sorgfältig nachgeprüft und von meinen Mitarbeitern ebenfalls untersuchen lassen, so daß ich die volle Gewähr für die Richtigkeit dessen, was ich feststelle, zu tragen vermag. Um die Sache zu vereinfachen, und Ihnen eine vermeidbare Umständlichkeit zu ersparen, lasse ich die für Herrn Professor Dr. Bettelheim hergestellten, wortgetreuen Kopien des Briefes und aller Anlagen diesem unmittelbar durch eingeschriebenen Eilbrief zugehen.

Mit der wiederholten Bitte, Karl May da, wo er frei von Schuld und Fehl ist, Gerechtigkeit, bei der Beurteilung seiner Schwächen jedoch mildernde Umstände zu gewähren, zeichne ich …

Was die der obigen Verteidigungsschrift beigegebenen und Anfang Januar 1918 noch ergänzten Anlagen betrifft, so sind sie so umfangreich, daß ich mich im Rahmen dieser Broschüre nur auf folgende Aufzählung beschränken möchte.

Anlage A. Meine eidliche Zeugenaussage vor dem Amtsgericht Stuttgart am 13. Dezember 1912, auf Ersuchen des Oberlandesgerichts Dresden, in Sachen May gegen Münchmeyer.

Anlage B. Nachträge zu dieser meiner eidlichen Zeugenaussage, entstanden durch meine in die Zwischenzeit fallenden Forschungen.

Anlage C. Ein Feldbrief, betreffend den anonymen Roman »Waldröschen«.

Anlage D und G. Die Entstehungsgeschichte von Mays Grabmal.

Anlage E. Gutachten des Waffenimporteurs Emil Linck-Hamburg über Mays Henrystutzen.

Anlage F. Über Karl Mays Ehe.

Anlage H. Karl Mays Vermögen.

Anlage I. Bemerkungen zu Dittrichs Buch über Karl May.

Anlage K. Eine Zuschrift des Rechtsanwalts Dr. Gerlach.

Anlage L. Karl May an Klara May.

Anlage M. Eine Anzahl von Zuschriften aus allen Gesellschaftskreisen.

Wenn ich in der Zeit des Papiermangels und der Herstellungsnot davon absehe, diesen umfangreichen Anlagen hier ebenfalls Raum zu geben, so geschieht dies nicht etwa deshalb, um sie der Öffentlichkeit vorzuenthalten. Sie sind nicht nur mit als Grundlagen für eine allerdings erst nach Jahren beabsichtigte und mögliche Karl-May-Biographie bestimmt, sondern ich habe sie bereits jetzt den beiden Herausgebern des Karl-May-Jahrbuchs zur Verfügung gestellt. Im Jahrgang 1919 des Jahrbuchs sind die mit A, C, K und L bezeichneten Anlagen (S. 153 f., S. 190/91, S. 146, S. 249 f.) wiedergegeben, die anderen folgen in den späteren Jahrgängen. Im übrigen bin ich gern bereit, jedem Literaturhistoriker, der sie jetzt schon veröffentlichen will, auf Ersuchen die Abdrucksgenehmigung für diese meine Manuskripte zu erteilen.


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