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Stellungnahme der Presse

Vox populi, vox dei.

Seneca.

Da der May-Verlag als Hauptbeteiligter und Besitzer des wichtigsten Materials erst jetzt mit der Darlegung des Sachverhalts vor die Öffentlichkeit tritt, war die Presse lediglich auf die Behauptungen der Gegner und auf de Gruyters Antwortbrief angewiesen, den dieser aber nur in Wahrung seiner eigenen Interessen geschrieben hat. Die wenigen Urteile, die sich einseitig und vielleicht auch von den May-Gegnern nicht ganz unbeeinflußt auf Seite der Angreifer stellten, hat Bettelheim in seiner »Abrechnung« zusammengetragen. Ich ergänze seine Zitate, indem ich als Anfang drei für die Sachlage bezeichnende Äußerungen des Berliner Tageblatts bringe:

Berliner Tageblatt Nr. 247, Morgen-Ausgabe, vom 16. Mai 1918.

Professor Dr. Anton Bettelheimin Wien hat die Herausgabe des »Biographischen Jahrbuches« und »Deutschen Nekrologes«, die er 21 Jahre lang geleitet hat, niedergelegt, weil er (nach einem offenen Brief an die Mitarbeiter und Freunde des Jahrbuches) durch seine redaktionelle Ehre und seine wissenschaftliche Überzeugung zu diesem Entschluß gezwungen wurde. Der Grund der ungewöhnlichen Entschließung, die Herrn Professor Dr. Bettelheim bei seinem freundschaftlichen Verhältnis zu dem Verlag Georg Reimer nicht leicht geworden sein mag, ist in einer Angelegenheit zu suchen, die auch für die Öffentlichkeit Interesse hat. Über den 1912 verstorbenen Schriftsteller Karl May war im »Deutschen Nekrolog« (Bd. XVIII) eine Arbeit erschienen, deren Verfasser Professor Dr. Alfred Kleinberg ist; der jetzige Inhaber des Karl-May-Verlages, Dr. Euchar Schmid in Radebeul, fand, daß Professor Dr. Kleinberg durch seinen Nekrolog das Andenken Karl Mays herabsetze und veranlaßte den Verleger durch die Einleitung eines Klagverfahrens auf Grund des § 189 St.G.B. (Beschimpfung des Andenkens eines Verstorbenen) die Auslieferung des Bandes mit dem Nekrolog Karl Mays zunächst ohne Befragen des Herausgebers zu sperren und inzwischen eine Abänderung der Kleinbergschen Arbeit zu verlangen. Weder Kleinberg als Verfasser noch Bettelheim als Herausgeber verstanden sich dazu, diesem Wunsche nachzugeben. Vielmehr zog Professor Dr. Bettelheim die natürliche Folgerung, indem er, mit dem Ausdruck aufrichtiger Dankbarkeit für langjährige gemeinsame Arbeit, aber auch mit löblicher Entschiedenheit seine Stellung als Herausgeber niederlegte.

Diese Handlungsweise Bettelheims ist in jeder Hinsicht zu billigen. Es geht nicht an, daß in einem wissenschaftlichen Werk, wie es der »Deutsche Nekrolog« ist, die Wahrheit aus irgendwelchen Gründen unterdrückt werde, und es geht noch weniger an, auf diese Unterdrückung mit Drohungen, wie sie nach dem »offenen Briefe« Bettelheims vorzuliegen scheinen, hinzuwirken. Ein solches Verfahren ist auch dann zu verurteilen, wenn es sich um einen Verstorbenen von besonderer literarischer Bedeutung handelt: vorausgesetzt, daß die Angaben, die seinem Leben und Schaffen gelten, auf Tatsachen begründet und in sachlichem Tone gehalten sind. Was aber über Karl May nach seinem Tode noch gar so Erschreckliches gesagt werden kann, um ein solches Eingreifen zu rechtfertigen, ist wirklich schwer zu begreifen …

Berliner Tageblatt Nr. 250, Abend-Ausgabe, vom 17. Mai 1918.

Dr. Walter de Gruyter, der Inhaber der Verlagsbuchhandlung Georg Reimer, macht uns einige Mitteilungen, die den Fall »Bettelheim und Karl May«, über den in der Morgenausgabe des Berliner Tageblattes vom 16. Mai gesprochen wurde, doch in etwas anderem Lichte zeigen, als der »offene Brief« Professor Anton Bettelheims vermuten ließ. Der von dem Verleger und dem Rechtsvertreter der Familie des verstorbenen Karl May beanstandete Artikel des »Deutschen Nekrologes«, wegen dessen die Herausgabe des Werkes von Dr. Walter de Gruyter gesperrt wurde, enthält in dieser ersten Fassung, wie wir uns überzeugt haben, tatsächlich Stellen, die beleidigend sind, nicht nur für den toten Karl May, sondern weit mehr für noch lebende Persönlichkeiten. Das Recht war auf der Seite des Herrn Dr. de Gruyter, als er diese Sätze nicht mit seinem Verlegernamen decken wollte, und es ist unverständlich, daß Herr Professor Bettelheim als Herausgeber den freundschaftlich vorgeschlagenen Änderungen nicht zustimmte, die Karl Mays literarische Wertung gar nicht berührten, an der Charakterisierung seiner menschlichen Erscheinung nichts Unentbehrliches unterdrückten und zu denen im übrigen der Verfasser, Professor Dr. Kleinberg, zunächst sich bereit erklärt hatte.

Noch unverständlicher freilich ist es, daß Herr Professor Dr. Anton Bettelheim unter diesen Umständen in seinem »offenen Brief« erklärte: »Ein Versuch, Professor Kleinberg zur Abänderung des Textes zu bestimmen, schlug fehl«, und daß Professor Dr. Kleinberg nach Angabe Bettelheims seine Vorschläge für kleine stilistische Änderungen später wieder zurückgezogen hat. Nebenbei: Diese »kleinen stilistischen Änderungen« bestanden zum Teil in sehr wesentlichen Strichen, die eben jeden Anstoß beseitigen sollten.

Nach der Überzeugung, die wir aus dem uns vorgelegten Material gewonnen haben, müssen wir erklären, daß Herr Professor Dr. Bettelheim in seinem »offenen Briefe« den Fall nicht ganz objektiv geschildert hat, und daß Herr Dr. de Gruyter zu seinem Verfahren sich durch ernstlich berechtigte Bedenken genötigt sah, denen der Herausgeber ohne Schädigung seines Ansehens wohl hätte nachgeben können …

Berliner Tageblatt Nr. 266, Abend-Ausgabe, vom 27. Mai 1918.

Herr Professor Dr. Anton Bettelheim in Wien sendet uns eine Zuschrift zur weiteren Erklärung seiner an dieser Stelle wiederholt erwähnten Differenz mit dem Inhaber des Verlages Georg Reimer in Berlin, Herrn Dr. Walter de Gruyter. Er wünscht festzustellen, daß er, als er sein Amt als Herausgeber des »Biographischen Jahrbuches« und »Deutschen Nekrologes« niederlegte, niemals »an sich und sein Ansehen«, sondern lediglich an das Recht wissenschaftlicher Forschung und die Pflicht redaktioneller Verantwortung gedacht habe. Beides schien ihm gefährdet, als Dr. de Gruyter um Änderung einiger Stellen in dem von Professor Dr. Kleinberg verfaßten Nekrolog für Karl May ersuchte und, nach entschiedener Weigerung des Herausgebers, diesem Ersuchen nachzukommen, den ganzen Abschnitt aus dem Buche entfernen ließ. Herr Professor Dr. Bettelheim verweist auf Briefe der Herren Dr. de Gruyter und Professor Dr. Kleinberg, die den Beweis für die Richtigkeit seiner Darstellung erbringen sollen.

Demgegenüber können wir nur noch einmal aussprechen, daß nach dem uns vorgelegten Material die von Herrn Professor Dr. Bettelheim gegebene Schilderung des Sachverhalts auch jetzt noch lückenhaft ist. Seine Beweisstücke werden durch andere ergänzt und zum Teil widerlegt, die im Besitz des Herrn Dr. de Gruyter sind und von diesem nunmehr gleichfalls in einem »offenen Briefe« allen, die sich für den Fall interessieren, zugänglich gemacht werden. Diese Widersprüche aufzuklären, kann unseres Amtes nicht sein. Wir haben über das Sachliche der Angelegenheit zweimal berichtet (im »Berliner Tageblatt« vom 16. und 17. Mai, Nr. 247 und 250) und müssen es ablehnen, dem weiteren Streit durch alle seine Phasen zu folgen.

Wir möchten aber bemerken, daß Herr Professor Dr. Bettelheim seinen »offenen Brief« doch wohl an die Zeitungen versandt hat, um eine Ansichtsäußerung hervorzurufen. Er muß es sich also gefallen lassen, daß diese Ansicht ausgesprochen wird, auch wenn sie nicht einseitig von seinem eigenen Standpunkt aus gewonnen werden kann. Auch dies gehört in das Gebiet jenes redaktionellen Verantwortlichkeitsgefühls, das er mit Recht so hoch einschätzt.

Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel Nr. 140 vom 19. Juni 1918.

… Kein Verleger hätte vorsichtiger, korrekter und fairer handeln können, wenn man berücksichtigt, daß das Maß der Verantwortlichkeit bei Pressedelikten sich nach dem Maß der Beteiligung des Täters oder Mittäters bestimmt und der Kleinbergsche Aufsatz Behauptungen enthält, die eine Verurteilung wegen Beleidigung sehr wahrscheinlich machen. Gerade bei Beleidigungsklagen kann niemand den Ausgang eines Prozesses voraussagen, und wenn dem Rechtsbeistand Professor Bettelheims eine Verurteilung ausgeschlossen ›scheint‹, so gibt das noch keinerlei Gewähr, daß nicht das Gegenteil eintritt. Die weitere Verbreitung des Bandes hing in dem vorliegenden Falle von dem Willen Dr. de Gruyters ab, da die Verpflichtung aus dem Urheberrecht gegenüber Professor Bettelheim nicht als Legitimation zur Begehung einer strafbaren Handlung angesehen werden kann. Das Maß der Verantwortlichkeit war zu der Zeit, als er noch keine Kenntnis von dem inkriminierten Artikel hatte und sich infolgedessen auf seinen guten Glauben berufen konnte, ein ganz anderes als nach dem Schreiben Dr. Schmids und der beiden Künstler, die sich ebenfalls durch den Artikel Dr. Kleinbergs beleidigt fühlten. Ist doch der Verleger als Verbreiter selbständiger Täter, dem nicht dadurch zur Straffreiheit verholfen werden kann, daß der Herausgeber sich zur Übernahme der Verantwortlichkeit bereit erklärt. Selbst § 21 des Pressegesetzes, der übrigens hier auch deswegen ausscheidet, weil Herausgeber und Verfasser sich im Auslande befinden, befreit ihn nicht von der selbständigen Verantwortung, da es sich um eine nach den allgemeinen Strafgesetzen zu verfolgende Beleidigung handelt und Dr. de Gruyter nach dem Schreiben Dr. Schmids sich des ehrenkränkenden Charakters des Kleinbergschen Artikels bewußt sein konnte. Das aber genügt, um jede weitere Auslieferung des Bandes mit dem beanstandeten Artikel zu einer strafbaren Handlung zu machen.

Ein weiterer Irrtum Professor Bettelheims ist es, anzunehmen, daß die Beschwerdeführer sich mit der Aufnahme sachlicher Richtigstellungen in dem folgenden Band des Biographischen Jahrbuchs zufriedengeben, also zuwarten müßten, bis es ihm gefällt, etwaige Schädigungen abzuwenden. Die ganze Taktik Professor Bettelheims beruht offenbar auf der Vorstellung, daß Dr. Schmid und die anderen Beschwerdeführer nur bluffen wollten, in Wirklichkeit aber gar nicht daran dachten, ihre Drohungen wahr zu machen. Das ist zweifellos ein Irrtum, da genug innere und äußere Gründe vorliegen, die es dem Geschäftsführer des Karl-May-Verlags wünschenswert erscheinen lassen könnten, die Öffentlichkeit mit einem neuen Karl-May-Prozeß zu beschäftigen. Zudem handelt es sich für einen Menschen von ausgesprochenem Gerechtigkeitsgefühl wohl auch nicht so sehr darum, ob ein Verstoß gegen das kodifizierte Recht vorliegt, das doch im wesentlichen nur Form ist, als vielmehr um die der Sache innewohnende höhere Gerechtigkeit, bei der jeder nach seinem eigenen Gefühl zu entscheiden hat. Diesem Gefühl ist hier schon deswegen ein größerer Spielraum zu geben, als der Kleinbergsche Aufsatz, von seinem Tone ganz abgesehen, weder in formaler noch in sachlicher Beziehung strengste Wissenschaftlichkeit für sich in Anspruch nehmen kann. Einiges darin ist direkt falsch, anderes auf einem bloßen on dit aufgebaut. Gerade weil Karl May kein Kalenderheiliger war, versteht man nicht recht, warum er unter Zuhilfenahme alter, längst widerlegter Beschuldigungen noch schwärzer gemalt werden mußte, als er es verdient. Daß auch Professor Kleinberg nicht in allen Phasen seiner Auseinandersetzung mit Dr. de Gruyter an ein und derselben Auffassung festhielt, geht aus der Tatsache hervor, daß er sich mit Änderungen einverstanden erklärte und einen ›Entwurf‹ dazu einsandte, der, wie erwähnt, genügt hätte, die ganze Streitfrage aus der Welt zu schaffen. Ganz unwillkürlich kommt man auf den Gedanken, daß sich während dieser Wandlung ein Zwischenakt, in dem noch andere Personen handelnd aufgetreten sind, hinter den Kulissen abgespielt und diese auffallende Sinnesänderung bewirkt hat. Denn es handelt sich bei dem von Professor Bettelheim dem Verlag eingesandten ›Entwurf‹ – der zweiten Fassung des Kleinbergschen Aufsatzes – keineswegs um ›kleine stilistische Änderungen‹, wie sie K. bezeichnet, sondern um Veränderungen und Abweichungen so erheblicher materieller Art, daß damit sogar dem Verlangen Dr. Schmids entsprochen werden konnte. Auch sonst bleibt noch eine Reihe Fragen offen. Vor allem: War Karl May wirklich der Nichtskönner und unlautere Charakter, welche Veranlassung lag dann vor, ihm einen Platz in dem Biographischen Jahrbuch anzuweisen, da der (nach Kleinbergs Meinung unverdiente) Erfolg seiner Schriften allein doch nicht die – nachträgliche – Aufnahme hätte rechtfertigen können? (May ist bereits länger als sechs Jahre tot!) Es genügt, den Kleinbergschen Nachruf mit den übrigen Beiträgen des Biographischen Jahrbuchs zu vergleichen, um sofort zu erkennen, wie sehr er in Art und Ton aus dem Rahmen des Ganzen fällt. Dr. de Gruyter geht darüber kurz hinweg, wie er sich überhaupt größte Zurückhaltung in der Kritik des Verhaltens Professor Bettelheims auferlegt und nur da mit unerbittlicher logischer Schärfe gegen ihn vorgeht, wo dieser seine beleidigte Herausgeberehre ins Treffen führt und – jenseits der schwarz-gelben Grenzpfähle in Sicherheit – dem Verleger zumutet, die ihm eingebrockte Suppe auszulöffeln.

Es ist nicht unsere Sache, zu entscheiden, ob der Streitfall als so erheblich anzusehen ist – der Kleinbergsche Aufsatz ist es sicherlich nicht –, um ihm das Biographische Jahrbuch und die freundschaftlichen Beziehungen zu einem so angesehenen Verlage wie Georg Reimer in Berlin zum Opfer zu bringen. Darüber aber kann kein Zweifel bestehen, daß das moralische und juristische Recht nicht auf seiten Professor Bettelheims liegt und sein eigenes Verhalten in dieser Angelegenheit weit mehr Anlaß zu Beanstandungen bietet als die wohlerwogenen Maßnahmen seines Verlegers. Während man aus dem notgedrungenen offenen Briefe Dr. de Gruyters den Eindruck unbedingter Offenheit erhält und sich angenehm berührt fühlt von dem Ernst und der Gewissenhaftigkeit, mit der er bestrebt gewesen ist, ein nach seinem Empfinden begangenes Unrecht nach Möglichkeit wieder gutzumachen, erweckt das offene Sendschreiben Dr. Bettelheims das peinliche Gefühl, daß es mehr auf dekorative Wirkung als auf Offenheit abzielt.

Literarisches Zentralblatt Nr. 51/52 vom 2. Dezember 1917.

… Bei aller Sachlichkeit zeigt sich (im Biographischen Jahrbuch) liebevolle Vertiefung in deren Eigenart. Eine Ausnahme macht in dieser Beziehung wohl nur Karl May, an dem Alfred Kleinberg sozusagen kein gutes Haar läßt. Fast ergötzlich nimmt sich diese Kennzeichnung inmitten der anderen Aufsätze aus.

Literarisches Zentralblatt Nr. 27 vom 15. Juni 1918.

… Ohne hier die mannigfachen verwickelten Einzelheiten darlegen zu können, wollen wir nur so viel sagen, daß uns de Gruyters Beweisführung im wesentlichen überzeugt hat. Auf jeden Fall war er der Möglichkeit einer Strafverfolgung ausgesetzt, der Herausgeber des Jahrbuchs aber nicht, und mindestens entsprach der Kleinbergsche Aufsatz nicht dem, was man von der Schilderung des Lebens eines Verstorbenen zu erwarten pflegt. Wenn irgendwo, dann gilt hier das Wort de mortuis nil nisi bene, nicht in jenem mißverstandenen Sinne, als ob von Toten nur Gutes zu rühmen wäre, sondern dahingehend, daß nicht übelwollend über sie berichtet werde. In diesem Falle ward kein Versuch gemacht, Eigenart und Entwickelungsgang des Geschilderten menschlich zu erklären, sondern dieser nur schwarz in schwarz gemalt, wie wir bereits im 67. Jahrg. (1917) Nr. 51/52, Spalte 1220 d. Bl. angedeutet haben.

Literarisches Zentralblatt, Beilage Nr. 17 vom 17. August 1918.

… Bemerkenswert ist auch, daß in dritter, so gut wie unveränderter Auflage (11. bis 15. Tausend) herauskam: »Ich« … Diese Selbstbekenntnisse muß gelesen haben, wer ein Urteil über die Entwicklung des Menschen und Dichters gewinnen will, dessen Charakterbild in der Literaturgeschichte noch schwankt, jedenfalls aber nicht verdient, schwarz in schwarz gemalt zu werden.

Das literarische Echo, Heft 19, vom 1. Juli 1918.

… Ob der Verleger, dem sich eine bei ihm beheimatete Druckschrift als eine Beleidigung darstellt, schon allein um deswillen durch die Einstellung des Vertriebes der Auswirkung des durch sie geschehenen Unrechtes Grenzen setzen muß und darf, das mag dahingestellt bleiben und dürfte, wenn eine andere vom Recht berufene Instanz ihn deckt, von der Schwere des Falles und dem Grade seines ablehnenden Urteiles abhängig sein. Fehlt aber nach dem Gesetze eine solche andere Instanz, dann trägt er auch rechtlich die Verantwortung, und dann darf auch nur der eigene Rechtssinn sein Führer sein. Mit wie starkem Ernst auch Professor Bettelheim die Erklärung wiederholt, daß er zur Übernahme jeder Haftung vorbehaltlos bereit sei, so entbehrt sie doch der juristischen Kraft. Zivilrechtlich hätte Professor Bettelheim den Verleger dadurch vielleicht vor Entschädigungsklagen schützen können, wenn die Beleidigten oder die Geschädigten damit einverstanden gewesen wären; die strafrechtliche Untersuchung und Anklage aus § 189 des Deutschen Reichsstrafgesetzbuches und aus § 21 des Deutschen Reichspreßgesetzes hätte sich nur an den Verleger halten können, weil sich die anders in erster Reihe Verantwortlichen, Herausgeber und Verfasser, ›nicht im Bereiche der richterlichen Gewalt eines deutschen Bundesstaates befinden«. Mit keinem Wort macht Professor Bettelheim in seinem »offenen Brief« den Versuch, diese Feststellung zu entkräften …

Das literarische Echo, Heft 20, vom 15. Juli 1918.

… Wenn es der Redaktion des »Literarischen Echo« gestattet sein darf, sich ihrerseits zu der hier mehrfach behandelten Streitfrage zu äußern, so wäre unsere Meinung dahin zu fassen: Man wird sowohl Herrn Professor Anton Bettelheim für sein energisches Eintreten für einen seiner Autoren, wie Herrn Dr. de Gruyter dafür, daß er zur Entfernung des May-Nekrologes aus dem Biographischen Jahrbuch das Seine – vielleicht mehr als das Seine – getan hat, sympathische Anerkennung nicht versagen dürfen. Nur eben der leidige Umstand, daß der May-Nekrolog des Herrn Professor Kleinberg – eine wohl auf Bestellung gelieferte Arbeit – offenbar anders ausgefallen ist, als die Besteller vermuten konnten, hat den Streit verursacht. Dieser May-Nekrolog, den uns Herr Walter de Gruyter in seiner ursprünglichen Fassung zugänglich gemacht hat, scheint uns in der Tat eine Arbeit zu sein, die schwerste Bedenken, wenn auch nicht juristischer, so doch gewiß literarischer Art hervorruft. Das eigentliche Problem, das Karl May gegenüber gilt, und das man auf den Namen des Wildeschen Aufsatzes » Pen, Pencil and Crime« taufen kann, ist Herr Professor Kleinberg überhaupt nicht einmal von ferne gewahr geworden. Aber auch den menschlich und christlich versöhnenden Standpunkt, den Professor Gurlitt in seinen in der letzten Nummer des »Literarischen Echo« abgedruckten Ausführungen eingenommen hat (Spalte 1172), hat Kleinberg nicht finden können. Sein May-Nekrolog ist eine harte Nebeneinanderstellung leidiger Tatsachen, wie sie etwa ein Staatsanwalt oder ein Katheder-Pädagoge, nicht aber jemand, der von Literatur reden will und kann, liefern dürfte.

Das literarische Echo, Berlin, 21. Jahrgang, Heft 3, vom 1. November 1918.

… Um den Namen Karl Mays hat sich ein Gewölk von wahren, halbwahren und falschen Urteilen und Ansichten zusammengeballt. Man hat ihn als Menschen und Schriftsteller ebenso angegriffen und verdammt, wie verteidigt und entschuldigt. Eine lange moralische Debatte, nicht immer erfreulicher Art, hat sich über dieses Mannes Leben und Werk entsponnen … Es erscheint unglaubwürdig, daß ein Schmock ohne jede Qualität eine so lange und kräftige Wirkung auf eine im Kerne gesunde Jugend, wie die deutsche ist, haben kann. Die moralische Debatte hat bislang die ästhetische Kritik über diesen gelesensten aller deutschen Schriftsteller der letzten dreißig Jahre verhindert; es ist hohe Zeit, dieses Versäumnis nachzuholen. Eine ästhetische Kritik wird selbstverständlich auch von den Elementen und der Sittlichkeit der Persönlichkeit als Voraussetzungen des Schaffens zu handeln haben – aber freilich ohne Moralismus allein von der Frage nach der menschlichen Echtheit und nach der künstlerischen Zucht aus …

May arbeitet vor allem mit dem Mittel des überraschenden Scharfsinns und der überragenden Moralität seines Helden; er verwendet ferner die Reize der exotischen Landschaft und des fremdartigen Menschentums, die Spannungen der Detektivgeschichte und die Freude an der humoristischen Zeichnung seltsamer Exemplare der Gattung Mensch, endlich die Lust an der Erhabenheit großer Empfindungen und Gedanken. In seinen Romanen vereinigen sich also Detektivgeschichte und Reiseromantik, Landschaftsschilderung und Humor, pathetische Leidenschaftlichkeit und hochgespannter Moralismus zu einem reizvollen Ganzen …

Das Hauptdokument für die Persönlichkeit Mays ist seine in den letzten Lebensjahren geschriebene Selbstbiographie, die – auffallende Parallelen zu Strindbergs Selbstbiographie bietet. May stammt wie Strindberg aus sehr ärmlichen Verhältnissen und hat daran schwer zu tragen; er arbeitet sich wie dieser aber daraus hervor, hat eine ähnliche Gemütsneigung zu manischen Zuständen, religiösen Aufschwüngen und hysterischen Übertreibungen und neigt wie dieser bei allem Realismus der Anschauung zu einem ins Unwahre und Verstiegene führenden Idealismus. Es ist meine Absicht nicht, die Parallele zu Tode zu hetzen: worauf es mir ankommt, ist nur, zu zeigen, wie bei einem anerkannten Vertreter der hohen Literatur, einem Literaten von europäischem Ruf, sich ganz die gleichen Züge finden wie bei May: sie gehören der gleichen Generation an, ihr Talent und ihre Geistesanlage ähneln sich; worin sie sich unterscheiden, liegt klar zutage: Mays Optimismus und Strindbergs Pessimismus, Mays Freisein von Erotik und Strindbergs Übererotik, Mays stämmige Gesundheit und nüchtern-klarer Blick und Strindbergs Verschrobenheit; das sind gründliche Verschiedenheiten, aber aus dem zuvor Gesagten geht doch hervor, daß May und Strindberg merkwürdige gemeinschaftliche Generationseigentümlichkeiten haben, die selbst in Einzelheiten der Gestaltung und des Lebens sich aufweisen lassen. Ich erinnere da z. B. an die Stellen der Mayschen Autobiographie, die von den manischen Zuständen handeln; ganz Ähnliches findet sich bei Strindberg im »Inferno«-Bande seiner Selbstbiographie. Auch die ganze Einstellung Mays bei der Niederschrift der Selbstbiographie ist die gleiche, welche Strindberg zu seinem Selbstbekenntnisse treibt: beiden geht es um Verteidigung ihres Lebens, beide wollen den Leser rühren, zu einem milden Richterspruch verführen, ihn sentimental machen. Bei beiden herrscht deshalb ein Streben vor, minderwertigen oder doch indifferenten Motiven nachträglich einen idealen Sinn unterzulegen und so eine eigentümliche Verschiebung der Beurteilung vorzunehmen … Ich betone: es ist das bei May ebenso wie bei Strindberg, und die Kritik, welche Strindberg in den Himmel hebt, hat kein Recht, May aus moralischen Gründen abzulehnen …

Die Jugend und das Volk spürten das bedeutende Wollen, den großen Schwung in Karl May, und sie waren sich nicht klar über die mancherlei Entgleisungen dieses Mannes, der gab, was sie entbehrten: Farbe und Buntheit ins Grau ihres Lebens, Bewegung in die Öde ihres Daseins, Anregung in die Langeweile der Mechanisierung.

Für die Dichtung unserer Tage bedeutet der Erfolg Karl Mays eine Mahnung: große Stoffe, bedeutende Handlungen, erhebende Gefühle, tiefe Gedanken allein vermögen das Volk zu ergreifen; nur in großen Bildern kann man ihre Nöte und Leiden, Freuden und Seligkeiten deuten und gestalten … Vergessen wir es nicht: er war im tiefsten Elend und rang sich empor, er schrieb Indianergeschichten und deutete sie faustisch, er war Strafgefangener und Prediger, und er gewann sich die Herzen der Jugend und des Volkes. Unsere Dichtung kann viel von ihm lernen – und die Erfahrungen an ihm sollten nicht vergessen werden. Bleiben aber wird, auch wenn seine Erzählungen vergessen sind, seine Autobiographie, weil ein merkwürdiger und seiner Weise bedeutender Mensch sein Leben und Streben darin niedergeschrieben hat.

(Dr. Werner Mahrholz.)

Vossische Zeitung Nr. 245, Morgen-Ausgabe, vom 15. Mai 1918.

Das Biographische Jahrbuch, das Professor Anton Bettelheim bisher im Verlag Georg Reimer herausgab, wird, wie wir erfahren, sein Erscheinen einstellen … In dem letzten Biographischen Jahrbuch war ein Nekrolog auf Karl May enthalten, der neben einer reichlich absprechenden Charakteristik auch die bekannten Jugendversündigungen Mays aufzählt. In einigen persönlichen Details scheint der Verfasser etwas zu weit gegangen zu sein. Es meldeten sich bei dem Verlage der protestierende Anwalt der Mayschen Erben und Freunde. Nun erklärte sich der Verfasser zu einigen Retuschen bereit, mit denen der ganze Konflikt einverständlich aus der Welt geschafft worden wäre. Leider zog der Verfasser später sein Einverständnis zu diesen kleinen Verbesserungen wieder zurück, und auch Professor Bettelheim bestand aus prinzipiellen Gründen auf dem unveränderten Abdruck des Nekrologes. Aber Dr. de Gruyter war nicht gesonnen, sich einen May-Prozeß aufbürden zu lassen, da er auch innerlich die Entgleisungen jenes Nekrologs nicht billigte. Über dieser Bagatelle ist ja nun ein so wichtiges, ja unentbehrliches Werk, das Verleger und Verfasser jahrzehntelang aus idealen Motiven gefördert hatten, im Stiche gelassen worden …

Belgrader Nachrichten, Nr. 262, vom 25. September 1918.

… Wie dem auch immer sei und wie der kommende Prozeß auch ausgehen mag: auch derjenige, der dem verstorbenen Karl May nicht schöne Stunden der Zerstreuung in seiner Jugendzeit verdanken sollte, wird der Meinung sein, daß die systematisch betriebene Besudelung eines Toten, der für seine früheren Vergehen zu Lebzeiten schwer gebüßt hat, unsympathisch ist und mit literarischer Objektivität oder berechtigter Kritik gar nichts zu tun hat.

Weserzeitung Nr. 526, Erste Morgen-Ausgabe, vom 30. Juli 1918.

Was eine kleinliche, pharisäerhaft aufgeblasene Mitwelt an dem alternden Karl May in unverantwortlicher Weise gesündigt hat, das scheint die Nachwelt wieder sühnen zu wollen. Alle, denen er in der Jugend ein gefeierter Führer aus der Enge der Schulstube war, alle, die sich für seinen herrlichen Winnetou begeistert haben, oder für seinen pfiffigen Hadschi Halef, alle, die aus seinen Werken mehr gewonnen haben, als ihnen tausend Unterrichtsstunden zu geben vermochten, treten jetzt nach und nach auf den Plan und legen Zeugnis ab für den Mann, der mehr geleistet hat als alle die spießbürgerlichen Zeloten, die ihm seinen Lebensabend so unendlich sauer gemacht haben und ihm selbst im Grab noch keine Ruhe lassen. Dabei gehen die Anfänge der Hetze auf rein persönliche Beweggründe zurück, die zu gelegener Zeit wohl noch einmal erörtert werden müssen. Wer die Werke unvoreingenommen liest, wird nicht nur das außergewöhnliche Können dieses Mannes anerkennen müssen, der muß sich auch sagen, daß hier ein Mensch am Werke war, der, von seinem dürftigen Schreibtisch aus, weiter und tiefer ins Leben gesehen hat, als viele andere, die nicht aus eigener Kraft etwas geworden sind, … Daß Ferdinand Avenarius in seinem allgemach verkalkten, längst überlebten Kunstwart wieder einmal Sturm gegen Karl May läuft, ist ein neuer Beweis dafür, daß er an Altersschwäche krankt … Allerdings, von Dresden ging die Hetze aus, und in einer dortigen Redaktion sitzt heute noch einer ihrer Führer.

Weserzeitung Nr. 356, Zweite Morgen-Ausgabe, vom 24. Mai 1918.

… Von einer moralisch-literarischen Minderwertigkeit Karl Mays zu reden, ist also ganz und gar nicht am Platze … May ist, was einmal entschieden festgestellt werden muß, im deutschen Schrifttum eine einmalige, unnachahmbare Erscheinung von großem Ausmaß, nicht etwa der ins Blutige gewendete Typ der Courths-Mahler und Konsorten. Diese Erkenntnis sollte eigentlich nicht schwer fallen, aber wo der Weg mit spießigen Vorurteilen gepflastert ist, hat die Wahrheit immer ein schlechtes Vorwärtskommen … (Victor Klages.)

Weserzeitung Nr. 278, Zweite Morgen-Ausgabe, vom 21. April 1918.

Wer da weiß, daß die Hetze gegen Karl May in allererster Linie aus rein persönlichen Gründen erfolgte, und sich noch der widerwärtigen und unwürdigen Weise erinnert, in der dem Sechzigjährigen mitgespielt wurde, der wird sich freuen, daß ihm in Professor Dr. L. Gurlitt ein überzeugter Verteidiger erstanden ist. Daß die Blätter, die am schärfsten gegen May vorgingen, in ihren eigenen Spalten wirkliche Schundromane veröffentlichen, sei zur Kennzeichnung des ganzen Falles noch besonders erwähnt.

Die Schriftleitung.

… Wir haben in der neueren deutschen Literatur trotz der unerhörten Massenfabrikation wenig Bücher unterhaltenden Inhalts, denen man Dauer voraussagen kann, wenig Bücher, denen man Bestand als Volkslektüre wünschen darf, zu diesen wenigen zähle ich diese Selbstbiographie Karl Mays …

Diese Schrift ist aus einem Gusse, erfüllt von tiefstem sittlichen Ernst, von großer innerer Wahrhaftigkeit, Überzeugungskraft und Wucht der Darstellung, ist das Bekenntnis einer so starken und so sieghaften Weltanschauung, daß sie selbst den ganz anders gerichteten Geist seiner Leser mit sich fortreißen muß.

Wer einer solchen Leistung gegenüber noch von Schund zu sprechen wagt, dem liegt die Verpflichtung ob, etwas nur annähernd Gleichwertiges zu schaffen.

Will man der Jugend ein Leben zeigen, das sich aus tiefster Armut und Not, aus Schuld und Strafe, mit nie erlahmender Kraft an seinem Glauben und seinen Idealen zum Licht emporgerungen hat, so gebe man ihr diese Bekenntnisse: sie zeichnen das allgemeine Menschenschicksal, haben symbolischen Wert und sind erhaben über Ort und Zeit. Abgesehen von der Gesinnung steht die Arbeit auch künstlerisch auf einer solchen Höhe, daß man zum Vergleich nur die besten Werke der Weltliteratur heranziehen kann. Welch meisterhafte Beherrschung der Sprache! Wie paßt sie sich jeder Stimmung an, bald plaudernd, scherzend, bald zürnend und strafend, bald weich klagend, bald ergreifend predigend, bald weise mahnend. Und wie versteht er, mit wenigen Strichen zu zeichnen! Die Gestalten treten plastisch vor uns hin, so sein poetisches, märchenerzählendes Großmütterchen, seine Mutter, eine stille Dulderin voller Seelengröße, sein geistig reger, nervöser, oft brutaler, doch im Grunde gutherziger Vater, die armen Weber im Erzgebirge, getreue Abbilder der von Gerhart Hauptmann gezeichneten, aber ganz unabhängig von diesen. Wir sehen sie und erleben mit, was er uns von ihnen erzählt, vertrauen seiner Führung. Wer so schreiben kann, ist ein großer Künstler und ein großer Mensch zugleich. Das »dumme« Volk hat wieder einmal recht behalten … (Professor Dr. Ludwig Gurlitt.)

Weserzeitung vom 11. September 1918.

In diesen Tagen hat Anton Bettelheim, der alte Freund Karl Mays, in einer neuen Broschüre versucht, sein durch Walter de Gruyter, den Verleger des Biographischen Jahrbuches, nachgewiesenes Unrecht in Recht zu verdrehen, indem er sich wieder in allerlei Schmähungen gegen den Toten ergeht. Da ist es vielleicht nützlich, einem Feldgrauen Der in der Weserzeitung abgedruckte, von mir nur auszugsweise wiedergegebene Aufsatz stammt von dem Gefreiten A. Stuckmann und ist vorher in der »Liller Kriegszeitung«, in der »Vogesenwacht« usw. erschienen. Ich halte es für wichtig zu betonen, daß der Verfasser zu den zahlreichen Mayfreunden gehört, die für ihren Karl May eintreten, ohne in irgendwelchen Beziehungen zu unserem Verlag zu stehen, und ihre Aufsätze über ihn schreiben, ohne auch nur Besprechungsstücke von uns zu verlangen. Nur durch einen Zufall erhielten wir seinerzeit Kenntnis von dem Abdruck in der Nr. 107 der Liller Kriegszeitung, und als wir uns am 19. Juni 1918 an die dortige Redaktion wandten, konnte sie uns nicht einmal die Anschrift des Verfassers mitteilen. Erst viel später gelangten wir in den Besitz der Adresse und auch der Abschrift eines Protestes, den Stuckmann an Avenarius gesandt hatte, als ihm dessen neue Angriffe gegen Karl May bekannt geworden waren. das Wort für Karl May zu verstatten.

Die Schriftleitung.

Karl May war einer der stärksten Eindrücke meiner Jugend; ein Durchblättern der verlesenen Seiten, ein Blick nach den kurzen Überschriften der Kapitel genügt, um die vielen Szenen vor meinem Auge kühner und größer erstehen zu lassen, als der Erzähler selbst sie mit nimmermüder Hand zu schildern vermochte …

Jahre vergingen. Ich kam aus dem Kriege nach Hause, verwundet und krank. Eine böse Zeit körperlicher Schwäche und inneren Gedrücktseins zog nach jener herrlichen Erhebung herauf. Mit allzuscharfen Sinnen sah ich auf manches Häßliche und Trübe in der Heimat, fühlte neidische Widerstände, die sich dem Verwundeten beim Wiedereintritt ins Berufsleben entgegenstemmten, um so bitterer, als das gern gebrachte Opfer an Blut und Gesundheit einen andern Lohn verheißen hatte. Ich sah mich auf totem Gleis, war seelisch krank – da griff ich in guter Stunde wieder zu Karl May. Ich las die alten Geschichten wieder und fühlte mich bald wunderbar erquickt. Nun jagte ich nicht mehr atemlos dem Sturm der Abenteuer nach, behaglich folgte ich dem bunten Geschehen, erneuerte überall alte Freundschaft und erfrischte mich an dem prächtigen Humor, an dem fröhlichen männlichen Leben, das immer wieder begütigend und befreiend über den Gestalten und Ereignissen schwebt. Damals habe ich Karl May als Heilmittel erprobt, das ich nie wieder ganz beiseite legen werde. –

In dieser Zeit las ich auch seine Selbstbiographie »Mein Leben und Streben«. Mit Rührung und tiefer Spannung verfolgte ich diesen einzigartigen Werdegang, dies wechselvolle Ringen in Licht und Finsternis, diesen mühseligen Aufstieg aus dem niedrigsten Ardistan nach Dschinnistan, dem hellen, hohen Land der Edelmenschen. Ein Lieblingskind der Not, der Sorge, des Kummers nennt Karl May sich einmal selbst; nach Tagen des Ruhms und des Glücks ist er schließlich unter der Last erlittener Unbill körperlich zusammengebrochen und in Einsamkeit gestorben. Aber niemals hat ihn die Überzeugung verlassen, daß ihm seine Leiden weise und dringende Notwendigkeit gewesen sind, bestimmt, der suchenden Seele den rechten Pfad zu weisen. Erst seine Irrgänge und traurigen Schicksale führten ihn den Weg zur Größe. Was er selbst in der harten Wirklichkeit nicht zu sein vermochte, das legte er in seine Gestalten. Auf edlen Pferden reiten sie durch die Savannen, an allen Lagerfeuern des wilden Westens lebt der Ruhm Old Shatterhands und Winnetous. Seine Helden haben die heroische Gebärde, die stolze Vornehmheit eines Harun al Raschid, der unerkannt große Taten verrichtet. Im Schatten des Padischah zieht Kara ben Nemsi mit seinem treuen Halef durch die Länder des Orients; er straft oder bessert die Bösen. Verehrung und Liebe läßt er bei den Guten zurück. So schuf sich der arme Webersohn in seinen Büchern eine schöne Welt der Märchen; aus den Prärien des Westens, aus der unendlichen Wüste hob er immer wieder sehnsüchtig die Schwingen zum Fluge nach dem Mount Winnetou und dem Dschebel Marah Durimeh. –

Karl May ist auch ein guter Deutscher gewesen. Überall ist es in seinen Geschichten der Deutsche, der an fremder Küste mutig und kraftvoll auftritt. Ihn schreckt nicht die Überzahl der Feinde, unerschrocken verfolgt er seinen Weg und macht die Anschläge der Gegner immer wieder zunichte. Mannesmut, Tapferkeit, Gottvertrauen beseelen seine Helden; sie besitzen die höchste Klugheit, Herzensbildung und Geschicklichkeit in allen Leibesübungen. Das begeisterte den Knaben, darum lieben wir ihn heute, wo es wieder das Höchste gilt, ein Mann zu sein. Wenn je, so gehört darum Karl May in der Kriegszeit zu den Führern und Freunden der deutschen Jugend, des deutschen Volkes. In unseren Schützengräben und Lazaretten, im deutschen Hause ist sein Platz. Und in der kommenden schönen Friedenszeit wollen wir mit dem alten Freund noch manche frohe Fahrt in die blaue freie Welt unternehmen.

Hamburger Correspondent Nr. 11, Morgen-Ausgabe, vom 26. Mai 1918.

… Der Fall May war keine Notwendigkeit. Einmal, weil die Akten über ihn geschlossen sind, und zum anderen, weil über diesen Fall wahrhaftig genug Tinte vergossen worden ist. Wozu die Toten wecken? Und nicht vergessen sei, daß gerade der Fall Karl May sehr problematisch ist, daß die Frage, wo und wie hier Gut und Böse voneinander zu scheiden sei, schwer zu beantworten ist. Mag die eine Seite ihr »Kreuzige ihn!« schreien, die andere wird um so lauter ihr »Hosianna!« rufen … (Erich Kühn.)

Hamburger Correspondent Nr. 14 vom 7. Juli 1918.

… Die breite Öffentlichkeit hat ein Recht darauf, über den am meisten gelesenen romantischen Erzähler, der vorzüglich auch im Schützengraben gelesen wird, ein ungetrübtes Urteil zu hören. Professor Dr. Gurlitt hat schon seit Jahr und Tag für den Wert der Karl-May-Werke gestritten als Mensch, den das Unrecht an Karl May bedrückte und mehr noch vielleicht als Erzieher der Jugend. Aber wenige Zeitungen werden, so wie Ihr geschätztes Blatt, die Ausführungen des Pädagogen im Karl-May-Jahrbuch einer breiteren Öffentlichkeit vermitteln wollen, da Karl May leider immer noch zu sehr mitten im Kampfe der Gegenwart steht. Diese Lücke in der öffentlichen Gerechtigkeit füllt nun nach meiner persönlichen Überzeugung das Karl-May-Jahrbuch in hervorragender Weise aus. Schon wenn es nichts anderes böte als den auch von Ihnen als wertvoll erkannten Aufsatz des geschätzten Schulmannes, so hätte es wohl in dem Urteil Unbefangener zur Genüge die Notwendigkeit seines Erscheinens erwiesen.

Die Frage Karl May haftet ja nicht an der Oberfläche, wie das nach dem Geschrei seiner Gegner wohl scheinen könnte. Hinter dieser Gegnerschaft steht die Ablehnung der gesamten romantischen Schriftstellerei, einer Schriftart, die gerade das noch von Kriegsnot umfangene Volk ohne Zweifel haben muß. Ein Schriftsteller, dessen dickleibige Bände in mehr als zwei Millionen Exemplaren gekauft worden sind, kann nicht auf den Wunsch einiger weniger aus dem Herzen des Volkes ausgemerzt werden. Seine Wurzeln reichen zu tief, und gelänge es, den Stamm zu fällen, so würden sie aller Orten von neuem aus dem Boden sprießen. Deshalb kann auch die »zeitgenössische Kritik« um diese Karl-May-Frage nicht herum, denn es handelt sich, schon rein äußerlich genommen, wegen der riesigen Verbreitung der Karl-May-Bücher um eine entscheidende, kulturelle Frage. An diesem Punkte setzt das Karl-May-Jahrbuch ein und sucht diese Frage zur Lösung zu bringen. Es sammelt die Urteile anerkannter Jugenderzieher, Wissenschaftler und Literaten und begegnet damit auf einwandfreie Weise den leider bestehenden Vorurteilen einer Minderheit …

Ich hatte Gelegenheit, den für das Biographische Jahrbuch von Professor Kleinberg-Teschen geschriebenen May-Aufsatz zu lesen, und zwar in seiner ursprünglichen und in der von ihm selber auf Drängen des May-Verlages grundlegend abgeänderten Fassung. Damit hatte Professor Kleinberg seiner eigenen – wissenschaftlichen – Arbeit das Urteil gesprochen.

Kann man nun heute Karl May wirklich noch nicht unbefangen gegenübertreten? Objektive Abhandlungen, wie die schon erwähnten von Erich Kühn (Literaturbeilage des Hamburgischen Correspondenten vom 26. Mai), sind leider Ausnahmen und um so wertvoller. Aber zu allgemeiner, ungetrübter Stellungnahme wird es jetzt, da May schon sechs Jahre unter der Erde ruht, langsam Zeit. Und so ist denn das Karl-May-Jahrbuch durch sich selbst eine unabweisbare literargeschichtliche Forderung und eine Erscheinung, deren Plan wohl allenthalben in der Luft lag. Denn die Kreise sind groß und wichtig, die nach einer unbeeinflußten Würdigung Karl Mays verlangen … (Schuldirektor Gustav Kiehn.)

Hamburger Neueste Nachrichten, 2. Beilage zu Nr. 160 vom 11. Juli 1918.

… Wir haben jüngst an dem in der gesamten deutsch-österreichischen Öffentlichkeit peinliches Aufsehen erregenden Fall des Wiener Professors Bettelheim gesehen, daß dieses Jahrbuch eine bittere Notwendigkeit war; denn, konnte es sich ereignen, daß der Wiener Gelehrte und Herausgeber des »Biographischen Jahrbuchs und deutschen Nekrologs« dem urdeutschen Dichter Karl May, dem deutschen Jules Verne, dem deutschen, veredelten Cooper nach seinem Tode einen Fußtritt versetzte, so müssen wir den beiden deutschen Herausgebern Dank sagen, daß sie der Wiederholung einer solchen beschämenden Tatsache auf vornehme Art vorbeugten, indem sie in ihrem Jahrbuche anerkannte wissenschaftliche Federn als Zeugen für May und seine Werke auf den Plan riefen. Inzwischen ist Bettelheim in der Versenkung verschwunden, und der tote May steht aufgerichtet wie weiland Old Shatterhand im wilden Westen und Kara Ben Nemsi im Orient vor der deutschen Jugend und hört ihr jubelndes Glaubensbekenntnis zu ihrem alten Erzähler …

Das scheint uns die eine Seite der verdienstvollen Arbeit des Jahrbuches; die andere wirkt mehr in der Stille. Da sammeln sich um die Herausgeber Erzieher und Wissenschaftler mit ihrem von des Tages Haß und Gunst unbeeinflußten Urteil über Karl May, das in der großen und undeutsch-sensationslüsternen, durch geschickte Mache gegen May festgelegten Presse vorläufig nicht zu Wort gekommen wäre. Im Jahrbuch aber hat diese Wahrheit über Karl May eine wohlbehütete Stätte, und in Zukunft wird kein Nekrologschreiber an den gewichtigsten und klangvollen Zeugen für May vorübergehen dürfen, will er sich nicht, wie Bettelheim, sein eigenes Grab schaufeln.

Natur und Gesellschaft, 6. Jahrgang, Heft 1, vom Oktober 1918.

Zwischen vier Wänden spielte sich im verflossenen Jahre ein Vorgang ab, der bei einiger Zurückhaltung des einen Teils der Rechtenden der Öffentlichkeit verborgen geblieben wäre. Es hätte dies niemandem geschadet, wie es in der Tat niemandem genutzt hat, daß nachher im Frühjahr dieses Jahres der »Fall« zu einer besonderen cause célèbre von der gesamten Fach- und Tagespresse deutscher Zunge aufgebauscht wurde: der Fall Karl May, den man nach dem Tode des Dichters im März l912 endlich für erledigt ansehen durfte …

Darüber kann gar kein Zweifel bestehen, daß die noch lebende Witwe Karl Mays, lediglich, um sie persönlich zu kränken, von Ferdinand Avenarius mit angegriffen wird, obwohl sie in allen Punkten außerhalb der biographischen Diskussion steht.

… So weisen wir die Verhöhnung mit vollster Entrüstung zurück, die wir aus der Wiedergabe der herrlichen, von Karl May selbstverfaßten Inschrift auf seinem Grabmal unbedingt herauslesen müssen … Ja, wer ist denn der Prof. Kleinberg, der sich vermißt, über deutsche Angelegenheiten etwa das letzte Wort zu sprechen? Wir kennen von ihm keine Zeile – außer den Lästerungen über May! Ja, wer ist ferner der Macher des »Deutschen Willens«, der in Selbstüberhebung über seines toten Mitmenschen Größe zu Gerichte sitzt?

Das freie Wort, XVIII. Jahrgang Nr. 13/14, 1. u. 2. Oktoberheft 1918.

… May-Rummel? – Von wem ging der neue Streit aus? Von den Männern, die es nötig fanden, gegen May mit einer Biographie zu eifern, die sich ausnimmt wie der Auszug aus einem Verbrecheralbum und von mir öffentlich als »literarische Leichenschändung« bezeichnet wird … Der brieflichen Aufforderung, tatsächliche Unrichtigkeiten und Beleidigungen auszumerzen, die Dr. Schmid an Prof. Bettelheim richtete, hätte dieser ohne Schädigung seiner wissenschaftlichen Ehre, ja, vielmehr zu deren Wahrung nachgeben sollen, dann wäre der »May-Rummel« nicht wieder aufgelebt. Also wer trägt die Schuld an ihm? …

»Jüngster Vorstoß des May-Verlages gegen die freie wissenschaftliche Forschung?« Wir sahen schon oben, daß das die reinste Spiegelfechterei ist. Es gehört schon eine gute Portion von Dreistigkeit dazu, im Namen der wissenschaftlichen Wahrhaftigkeit eine solche Fälschung in die Welt zu setzen! Das Gegenteil des Behaupteten ist wahr: Die Kritik fordert den Verfasser auf, sachlich Falsches zu beseitigen, Behauptungen, die sich urkundlich als unhaltbar erweisen lassen, Schmähungen, die auf Stimmungen und auf Mißverstehen beruhen und ohne Not noch Lebenden wehe tun, deren Unterdrückung jedoch an dem wissenschaftlichen Gehalt der Arbeit nicht das Geringste geändert hätte, aber Verfasser und Herausgeber lehnen diese sachliche Belehrung ab. Aus Wissenschaftlichkeit? Nein, aus Starrsinn! Im Dienste der Wahrheit? Nein, im Dienste der persönlichen Eitelkeit und ihres Hasses …

Falsch ist auch die Darstellung von Avenarius, als habe »ein nützliches und vornehm geleitetes wissenschaftliches Unternehmen, das ›Bibliographische Jahrbuch‹, wie sein Verleger selbst schreibt, den Todeskeim erhalten – wegen Karl May.« Nein, nicht wegen Karl Mays, sondern wegen der Gehässigkeit und wegen des Starrsinnes seines Biographen und dessen Beiständen: Karl May ist unschuldig daran. Wohl aber empfinde ich es als einen Akt der ausgleichenden Gerechtigkeit, daß die ganze ungeheuerliche Hetze, unter der May zu leiden hatte und zusammenbrach, hier einmal ihre Sühne erfahren hat …

Es gibt Dinge, die sich von selbst verstehen. Dazu gehört für den Deutschen die Ehrfurcht vor dem Unerforschlichen und die Liebe zu seinem Volkstum.

Beides findet unser »Volk« und unsere Jugend in Karl May und wird deshalb in dem neuen »Rummel« doch wieder zu ihm halten und gegen die sich stellen, die bei höherer ästhetischer Bildung, aber weniger starken völkischen Instinkten von Mays Ton abgestoßen werden. Ich verstehe sie durchaus. Mir geht May auch sehr häufig und sehr stark gegen das Gefühl. Ich lege ihn da oft beiseite mit dem Ausruf – »Ah!« und zwinge mich pflichtmäßig weiter fortzulesen, weil ich mir die Aufgabe gestellt habe, ihn pädagogisch zu werten. Und dann kommen doch wieder Stellen, wo es mir warm ums Herz wird und wo ich mir sagen muß: »Alle Achtung! So was brächtest du nicht zustande. Und wer wohl sonst von den Lebenden?« …

(Prof. Dr. Ludwig Gurlitt.)

Das Forum, Wien, XII. Jahrgang, Nr. 20 vom 15. Oktober 1918.

… Kleine und große Geschichten, Erzählungen aus dem Orient, aus dem wilden Westen, von überall, und diese Erzählungen wurden deshalb so unendlich plastisch, weil der Erzähler sich selbst in die Mitte der Ereignisse stellte und in Ichform erzählte. Alles farbenglänzend, blühend, brennend, bunte Erlebnisse, interessante Begegnungen und die mannigfachsten Abenteuer. Spannende Kämpfe, Gefangennahmen, Befreiungen, und alles in edler, einfacher Sprache und von einem ergreifenden sittlichen Ernst getragen … Der Name Karl May flatterte, flog, brauste durch alle Lande, seine Werke wurden in viele Sprachen übersetzt und auf der ganzen Welt mit Beifall und Jauchzen empfangen. Welche unvergängliche Gestalten blühten aus diesen Erzählungen hervor! … Jahre und Jahre vergingen und der nimmermüde Karl May hatte unsere Liebe, unsere Bewunderung erlangt, eine Gemeinde von Millionen jubelte ihm zu. Hatte er in seiner Jugend wirklich gefehlt – nehmen wir es nur ruhig an – dann hat er diese Fehler wettgemacht, und nicht nur durch seine Arbeit, auch durch die Freude, die er Millionen und Millionen durch seine Schriften bereitete …

Die Nichtskönner erfuhren, man weiß nicht wie, von den Strafen, die Karl May vor Jahrzehnten erduldet hatte, und nun besaßen sie – wie sollen wir das nennen? – die Torheit, Gemeinheit, Unverschämtheit, Niedertracht, Herzlosigkeit, Unchristlichkeit, Unmenschlichkeit, dem alten Manne das öffentlich vorzuhalten, was er in seiner Jugend angeblich getan hat … Da schlug sich nun der alte Mann in öden Prozessen mit dieser niederträchtigen Brut herum, stand Rede und Antwort, und darüber brach sein großes Herz, das soviel Schönes und Gutes getan hatte, und so sank er, der noch viele, viele Jahre hätte leben können, der uns noch viele, viele kostbare Perlen aus dem Meere seiner Phantasie hätte bringen können, vorzeitig in die Grube …

(Dr. Gustav Morgenstern.)


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