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Der Helfer aus Blasewitz

Sei ruhig! Mir entkommst du nicht mehr!

Wedekind.

Wie erwähnt, wird die Angelegenheit Avenarius vor ein anderes Forum kommen. Deshalb beschränke ich mich hier darauf, genau diejenigen Ausmerzungen wiederzugeben, die zunächst Kleinberg an seinem eigenen Artikel angebracht hatte, und ebenso diejenigen, die dann Avenarius daran vornahm. Letzterer suchte bei seinen Lesern den Eindruck zu erwecken, als sei dieser Zwitter, dieser von ihm »gereinigte« Aufsatz der Urtext Kleinbergs, und unsere Ansprüche auf Beseitigung seien sonach unberechtigt und grundlos gewesen.

Jedermann kann leicht nachprüfen, daß Avenarius Kleinbergs Aufsatz mit den nachfolgend bezeichneten Auswechslungen und Streichungen abdruckte und dabei nur ganz gelegentlich von »kleinen Änderungen« sprach, für die er selbst die Verantwortung trage. Daß dabei eine Verschleierung der Tatsachen vorliegt, und daß gerade diese einschneidenden Änderungen am besten zeigen, wie reformbedürftig Kleinbergs Artikel selbst dem ärgsten May-Gegner erschien, das dürfte denn doch zu denken geben.

In der nachfolgenden Spalte I wird Kleinbergs ursprüngliche Fassung, soweit erforderlich, wörtlich aus der obigen Seite 11 wiederholt. In der Spalte II finden sich diejenigen Abweichungen, die Kleinberg Ende November 1917 als neues Manuskript an de Gruyter einsandte, dann aber als » kleine stilistische Änderungen« bezeichnte und wieder zurückzog. In der Spalte III bringe ich die im »Deutschen Willen« vorgenommenen Abweichungen, die Avenarius selbst bewirkte und » kleine Änderungen« nannte. Die von ihm völlig ausgemerzten Stellen habe ich, soweit es sich nur um Bruchteile handelte, in der Urfassung (Spalte I) durch Sperrdruck hervorgehoben.

???tabelle

I.

M.s Vater war ein mittel- und oft beschäftigungsloser, auch wenig arbeitslustiger Weber …

II.

unverändert!

III.

Die Sperrdruckstelle gestrichen!

I.

Auch Einbrüche und Raubanfälle dürfte sich M. haben zuschulden kommen lassen. Die Akten wurden 1904 eingestampft.

II.

gestrichen!

III.

Es wurde behauptet, daß M. sich auch Einbrüche und Raubanfälle habe zuschulden kommen lassen, doch steht das nicht fest, denn die Akten wurden 1904 eingestampft.

I.

Am 14. Januar 1903 wurde er von seiner Gattin Emma, geb. Pollmer, die er am 17. August 1880 geheiratet und mit der er noch 1896 durchaus glücklich zu sein (»Dtsch. Hausschatz«) bekannt hatte – nach Mitteilungen von Freundesseite auf ihren Wunsch hin – geschieden und ehelichte unmittelbar darauf die Witwe Klara Plöhn, die im Scheidungsprozeß als Kronzeugin aufgetreten war und ihrer Vorgängerin die abscheulichsten Dinge nachgesagt hatte.

II.

Die beiden Sperrdruckstellen sind gestrichen!

III.

unverändert!

I.

… die unsäglich schmutzigen Kolportageromane …

II.

… die vom sittlichen Standpunkte aus sehr anfechtbaren Kolportageromane …

III.

… die sehr anfechtbaren Kolportageromane …

I.

… bezeichnenderweise unterließ er es aber, die Einsichtnahme in die Manuskripte, deren Herausgabe er erzwang, irgend jemand zu gestatten …

II.

gestrichen!

III.

gestrichen und an diese Stelle ein »usw.« gesetzt!

I.

… und die nachgelassene »Selbstbiographie« verhüllen alles Tatsächliche so scheinheilig mit Phrasen und Selbstbeweihräucherung, daß in dieser verlogenen Aufmachung auch alles vielleicht Wahre ungeglaubt verhallt.

II.

unverändert!

III.

Die drei Sperrdruckstellen sind gestrichen!

I.

Doch muß gesagt werden, daß sich M. auch ab und zu als großzügiger Wohltäter bewährt und sein ganzes Vermögen einer Stiftung für werdende Schriftsteller hinterlassen hat. Ob es sich dabei um eine grandiose Reklame handelt oder hier doch ein guter, durch traurige Umstände in der Entwicklung gehinderter Kern hervorbricht, wage ich nicht zu entscheiden. Jedenfalls spannte er seine Schützlinge gründlich vor seinen Ruhmeswagen. Sascha Schneider z. B. lieferte einen Bilderzyklus zu M.s Werken, von Selmar Werner stammt das Grabmonument mit der von M. selbst verfaßten, bezeichnenden Inschrift: …

II.

Auch jetzt, am Ausgange seines Lebens, hat also M. noch nicht die sittliche Kraft aufgebracht, sich frei über die Vergehungen seiner Jugend zu erheben, und dies, nicht das Behagen am Gemeinen, macht es nötig, seine Vergangenheit hüllenlos zu zeigen. Ein innerlich so gebundener Mann, der nach solchem Leben für sein Grabdenkmal den Spruch zu dichten wagte: … taugt, rein menschlich genommen, nicht zum Volks- und Jugenderzieher.

III.

Auf M.s Grabmonument steht die von ihm selbst verfaßte Inschrift …

(Alles übrige gestrichen! In den an dieser Stelle zitierten Vierzeiler Mays hat Avenarius willkürlich einen sinnstörenden Gedankenstrich eingesetzt, so daß die vierte Zeile bei ihm so lautet: … »Und steigst mit uns nun – zu dir selbst empor.«

I.

M.s Ruhm beruht auf seinen »Reiseromanen« (41 Bände; u. a. »Durch die Wüste«, »Durch's wilde Kurdistan«, »Winnetou« (4 Bände), »Weihnacht«, »Im Reiche des silbernen Löwen«, die er ab 1878 im katholischen »Dtsch. Hausschatz« (Pustet, Regensburg) zu veröffentlichen und seit 1892 mit zunehmendem Erfolg in Buchform zu sammeln begann.

II.

unverändert

III.

Sein Ruf beruht auf seinen »Reiseromanen«.

(Alles übrige gestrichen!)

I.

Aus dieser Täuschung an sich kann man ihm gewiß keinen Vorwurf machen, wohl aber aus der künstlerisch völlig überflüssigen, eitlen Betonung der Identität des Verfassers mit seinem von Edelmut, Kraft und Weisheit triefenden Helden. Die Charakteristik der Gestalten wirkt einfach kindisch, so sehr entbehren sie einer Entwicklung oder der gewöhnlichsten psychologischen Wahrscheinlichkeit.

II.

unverändert

III.

Aus dieser Täuschung an sich kann man ihm gewiß keinen Vorwurf machen, wohl aber aus der künstlerisch nicht zu motivierenden, irreführenden Betonung einer Identität des Verfassers mit seinem von Edelmut, Kraft und Weisheit triefenden Helden. Die Charakteristik der Gestalten wirkt kindisch, so sehr entbehren sie einer Entwicklung oder der gewöhnlichsten psychologischen Wahrscheinlichkeit.

I.

… Ebensowenig schöpferische Phantasie wie in den Vorgängen verspüre ich in den von M.s Anhängern gerühmten Landschaftsschilderungen …

II.

unverändert

III.

So wenig ich in den Vorgängen schöpferische Phantasie verspüre, ebensowenig in den von M.s Anhängern gerühmten Landschaftsschilderungen.

I.

… Verteidigungsschriften, »K. M. als Erzieher« (1902), Dittrich, Max, »K. M. als Erzieher«, 1904, beide z. gr. T. von M. selbst verfaßt …

II.

… Verteidigungsschriften, »K. M. als Erzieher« (1902), Dittrich, Max, 1904, beide vermutlich z. gr. T. von M. selbst verfaßt …

III.

Das gesamte Literaturverzeichnis ist gestrichen!

Ich stelle fest: Avenarius zeiht im »Deutschen Willen« den Verlag Georg Reimer des Unrechts, weil dieser Kleinbergs Pamphlet beseitigte. Zu seiner Beweisführung gegen de Gruyter druckte er Kleinbergs »Nekrolog« mit den obigen »kleinen Änderungen« ab, also mit fast genau den gleichen Ausmerzungen, die wir selbst gefordert hatten, und mit denen sich die Angelegenheit gegenüber Kleinberg-Bettelheim schließlich erledigt hätte. Avenarius hatte also – man höre! – selbst nicht den Mut, die Unwahrheiten mit seinem Namen zu decken, deren Aufrechterhaltung er anderen zumutete.

Als de Gruyter gegen eine solche zerstückelte »Beweisführung« bei Avenarius Einspruch erhob, hat der Kunstwartleiter im »Deutschen Willen« (zweites Juliheft) folgendes behauptet:

Als May noch lebte und mich verklagen konnte, habe ich ihn mit klarer Aufzählung verschiedener Vergehen und Verbrechen beschuldigt, die auch keineswegs alle lange zurücklagen, und ihn aufgefordert, mich zur Feststellung der Wahrheit zu verklagen. Er hat auf jede Klage gegen mich verzichtet. Jetzt, wo er tot ist, glaubte ich, genügte im Kunstwart das Mindestmaß der Erinnerung. Es widerspricht eben dem Anstandsgefühl, von den Niedrigkeiten eines Toten zu reden.

Mit dieser wiederholten Erklärung, er habe May zu Lebzeiten in der obenerwähnten Weise angegriffen und ihn sogar ausdrücklich zur Klage zwecks Wahrheitsermittlung aufgefordert, hat Avenarius wissentlich die Unwahrheit gesagt. Er hat dadurch das Andenken des verstorbenen Karl May beschimpft, »daß er wider besseres Wissen über ihn eine unwahre Tatsache behauptet und verbreitet, welche diesen bei seinen Lebzeiten verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen geeignet gewesen wäre« – § 189 des R.St.G.B. Diese Kampfesweise und Betätigung von »Wahrheitsliebe« des pp. Avenarius entspricht übrigens durchaus seinen früheren Praktiken und Kämpfen gegen Bodo Wildberg, Fritz Lienhard, Freiherrn J. von Grotthuß, den Buchhändler-Börsenverein und gegen viele andere; sie entspricht vor allem auch einer Schiebung, die der Kunstwartmann einmal mit einem Briefe des Generalfeldmarschalls von der Goltz vorgenommen hat: eine »dunkle« Angelegenheit, die ihm Wilhelm Kotzde auf Seite 94 des »Kampfes um die Jugendschrift« vorwarf und die bisher noch keine gerichtliche Klärung gefunden hat, von mir aber sehr gründlich behandelt werden soll.

Und noch etwas stelle ich fest: Avenarius setzt über seinen hier erwähnten neuen Angriff auf den Toten die Worte: »May-Rummel und freie öffentliche Kritik«. Er bekennt darin u. a. wörtlich: Gegenüber Mays »stofflich nicht anstößigen Büchern … bleibt nichts anderes übrig, als die Aufgabe ›andersherum‹ zu versuchen …« Wie er das meint, zeigt am besten die Überschrift seines zweiten Angriffs: »Der Verbrecher als Erzieher«!

Karl May kam, wie man sogar aus Kleinbergs Schmähschrift ersehen kann, nach 1870 nicht mehr mit dem Strafgesetz in Konflikt; er war damals 28 Jahre alt und ist 42 Jahre später als 70jähriger gestorben. Seit 1912 ruht er im Grabe. Nicht das, was er in jungen Jahren gefehlt (und gebüßt!) hat, sondern einzig und allein die Werke, die er nach seiner Leidenszeit schrieb, sind der Grund, weshalb man heute noch von ihm spricht und sich mit ihm literarisch beschäftigt. Avenarius aber, dessen eigener Lebensweg durchaus nicht einwandfrei ist, bezeichnet ihn als »Verbrecher«.

Was ist das?

Das ist angewandte Kunst, das ist Ästhetik, das ist Ausdruckskultur, das ist »Deutscher Wille« aus Blasewitz, das ist Ferdinand Avenarius!

Das ist aber auch eine Herzensroheit, deren Hemmungen und Sicherheitsventile durch die zunehmende Senilität mehr und mehr gelöst werden!


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