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Das Buch

I. Wesen

Heut, in der Ära des »Buchschmuckes« – Gott verdamm ihn! – Klage zu erheben über das Äussere neuer Bücher, mag manchem einigermassen paradox, wenn nicht gar ungerecht erscheinen. Dennoch ist es einem zärtlichen Liebhaber schöner Buchindividuen Bedürfnis. Man täusche sich nicht. Wir haben in den letzten Jahren allerhand kostbar und aufmerksam hergestellte Bücher zu Gesicht und in die Hand bekommen. Man hat sich apart, kapriziös gegeben. Aber mich dünkt, als sei da nicht so sehr der Handlichkeit, Lesbarkeit, Dauerhaftigkeit, Schärfe, Klarheit, Gediegenheit und ehrlichen Daseinsfröhlichkeit gedient worden, als vielmehr von vornherein Sonderbarkeit und Prunk beabsichtigt gewesen. Wenn auch die richtige Überzeugung zugrunde gelegen hatte, das Buch als technisches Produkt müsse Kunstwerk, dürfe nicht gedankenloser Massenartikel sein. Ein Heer von »dekorierenden« Künstlern hat sich auf das neue Arbeitsfeld geworfen. Wir haben denn auch manch eine wertvolle Gabe urständiger Künstlerschaft erhalten, freilich weit mehr an innerlich leerer Unverfrorenheit und im ganzen blutwenig wirklich Geschmackvolles. (Wo soll denn auch ein solcher deutscher »Künstler« Geschmack herhaben? Seht ihn euch doch nur an, er ist ja selbst ein Jammerbild vom Kopf bis zu den Zehen, unerzogen, ungeschickt, ungepflegt, unbequem, zu guter Letzt noch unnatürlich!) Eines ist fast ganz ausser Bereich der treibenden Absichten geblieben: dem Wesen des Buches hingebungsvoll zu dienen.

Was ist das Wesen des Buches? Papier, Format und Druck, in zweiter Linie Umschlag, Einband sind die seinem Begriffe gemässen notwendigen Bestandteile. Ein festes, dauerhaftes, klares Papier, tunlichst edlen Materials ( Handwerk, nicht Fabrikerzeugnis wünscht sich der Bibliophile, sieht aber verzichtend ein, dass das nicht Norm sein könne), scharfer, reiner, satter, klarer, grosser Druck, breitrandiges, handliches Format sind die wichtigsten Anforderungen. Dann sei des Papiers nicht gerade genug, sondern mehr, will sagen, man spare nicht mit weissen Blättern (drucke nicht – scheusslicher Missbrauch – auf die letzte Seite Anzeigen!); sie sind Schmuck und Schutz zugleich. Damit sei der Verschwendung nicht das Wort gesprochen: alles über seinen Zweck Hinausstürmende vermag den Einsichtigen nur zu ärgern. Und: man verteile die Druckmasse, den Satz, mit Rücksicht auf die bequemere Arbeit des Zeilen durcheilenden Auges sowohl als das rein räumliche Gleichgewicht der Einzelseite. Man beachte die Typen! (Ein Kapitel, in dem der neue »Buchschmuck« barbarisch, grundsatz- und kenntnislos, wirtschaftet).

Man nehme die bessern Bücher vom Anfange des 19. Jahrhunderts heran. Wie leicht liest sich das! Wie angenehm ist ihre handliche Dicke, mit wie feinem Takt ist der Rand gemessen; blendendweiss und doch nicht glänzend, blättern sich die Seiten auf. Unverwischbar prangt in schlichter Vornehmheit (der einzig echten) der schön abgesetzte Druck. Der ästhetisch veranlagte Bücherfreund verzichtet freudig auf alle gedankenlosen Vignetten und Seitenumrahmungen. Mehr: dem Unfug sollte endlich durch ein Massenaufgebot blutigsten Hohns gesteuert werden. Die Seitenzahl zwischen zwei schmalen Strichen, in gehöriger Distanz vom Text, befriedigt und genügt als Kopf. Wie schön sind die übersichtlich eingeteilten Titelblätter! Man überzeuge sich an alten Ausgaben von Goethes, Thümels, Heinses, Hoffmanns Werken. Aber ein Titelblatt von heute! Man stellt sich gleichsam auf den Kopf. Es ist der reine Affenzirkus. Statt klarer Verhältnisse – darin liegt das ganze Geheimnis – gibt man aufdringliche Allotria zum besten.

Und der Einband! Der englische Verleger überlässt das Binden dem Käufer. Er kartoniert seine Bücher oder hängt sie unbeschnitten in anspruchslose Leinenwände. Dafür sorgt er, dass Papier und Druck tadellos sich präsentieren. Die deutschen Bücher seit dem Anfang der neueren Barbarei (1870 etwa) geben sich äusserlich protzig, überladen mit wohlfeiler Goldpressung und sparen dafür an Satz und Papier. Im Einband hat die kunstgewerbliche Bewegung seit den neunziger Jahren Wandel geschaffen, meinem Empfinden nach aber das Wesen nicht begriffen. Ein einzelner gefälliger Einband von geschmackvoller Künstlerhand wiegt den Mangel an edel-stiller Mittelware nicht auf. Der Leinenband der üblichen Klassiker-Ausgaben – mit dem hass- und verachtungswürdigen Ornament – ist ein beschämendes Zeugnis für den deutschen Leser.

Der Schnitt! Ein Kapitel endlosen Jammers des Bücherfreundes. Die Kunst der glatten Schnittfarbengebung (nicht abfärbend, nicht verrinnend, einheitlich und diskret getönt) scheint wirklich abhanden gekommen zu sein. Was erlebt man da beim handwerksmässigen Buchbinder! Das dick aufgetragene Gold tuts nicht. Jedes bessere englische oder französische Buch hat einen soliden Kopfschnitt. Und was für herrliche Nuancen erfreuen den Bibliothekenspürer an älteren deutschen Ausgaben. Ich erinnere nur an den zum moirierten Grau des ehrlichen Leinwanddeckels anheimelnd abgesetzten gelben Schnitt der Kleinoktavausgabe von Goethes Werken (»Vollständige Ausgabe letzter Hand. Unter des durchlauchtigsten deutschen Bundes schützenden Privilegien.« 1828-1833.)

Das Kapitalband. Dass es dem Gesamtcharakter des Bucheinbandes angemessen sein müsse, scheint man nicht mehr zu begreifen. Und wie schlecht sitzen die Bogen an dem innen mit Zeitungspapier nachlässig verklebten Rückenfalz!

Das Vorsatzpapier! Weites Feld empörender Fabriksmache. (Hier hat zumal der »Insel«-Verlag in Leipzig Treffliches gezeigt.)

Das Publikum ist an dem allen schuld. Das Bedürfnis nach guter Buchware fehlt. Das Buch ist nicht mehr der ehrliche Freund des stillen Lesers. Schreiende Titelbilder räkeln sich in den Auslagenfenstern. Um jeden Preis soll der erste beste gewonnen werden. Die teuern Luxusbände sind für die Menschen da, die schon so wie so um das Wesen der Buchschönheit wissen. Für die andern arbeitet die Dampfpresse nach »bewährter« Schablone.

II. Buchkunst

Die schauderhafte »Buchschmuck-Bewegung« der neunziger Jahre beginnt bei uns gottlob abzuflauen. Kompromittierendes ist zwar noch reichlich vorhanden, und weitverbreitete schnöde Typen gebären sich endlos fort, aber vielfach hat man die Langweiligkeit und Geschmacklosigkeit kitschiger Ornamente, wenn nicht eingesehen, doch gefühlt, und tüchtige Firmen haben gezeigt, dass man auch in Deutschland endlich wieder an die herrliche Tradition – unsre Bücher vom Anfang bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts – mit Verständnis anzuknüpfen bereit und seelisch wie technisch in der Lage sei. Im allgemeinen freilich stehts noch recht schlimm darum. Es fehlt der ruhige Blick für das edle stille Ziel, es fehlt am Sinn für das bessere Bedürfnis. Man experimentiert noch immer, weiss nicht, worauf es ankomme.

Soll ich meinen Eindruck von der Art, wie heute von unternehmenden deutschen Verlegern Bücher gemacht werden, in ein Wort zusammenfassen, so lautet mein Tadel: unharmonisch. Es fehlt den Druckwerken, die sich auf den ersten Blick oft recht gefällig präsentieren, an der Einheit. Und nur in dieser Einheit, die Notwendigkeit verkündet, beruht das Geheimnis der wunderbaren Wirkung aller älteren deutschen und der französischen und englischen guten Publikationen. Unsere Verleger schiessen fast immer übers Ziel hinaus, oder sie haben keinen Sinn für das Wesentliche. Sie fahnden unruhig nach dem neuen und originellen »Buch künstler« und gehen an trefflichen Mustern des Bücher lebens vorüber. So machen sie immer wieder leere, tote, meist fratzenhafte Bücher. Leider sind bei uns noch immer die künstlerischen Einfälle landesüblich und werden von den nur allzurührigen Verlegern unentwegt mit Stil verwechselt. Dieses »Künstlerische« ist überhaupt der Krebsschaden unsrer um allen Stil betrogenen Zeit, eine richtige Krätze.

Möchten doch die Deutschen wieder einmal bei den Franzosen in die Schule gehen, nicht etwa nur den neuesten, auch nicht den »klassischen« Alten, sondern bei denen der gleichgültigen sechziger und siebziger Jahre zum Beispiel. Eine Luxusausgabe etwa von Jouaust. Was ist der Grund der unbeschreiblich vornehmen Wirkung der Textseite? Das Verhältnis, die Ruhe, die von aller »Absicht« entbürdete Sicherheit des Geratenen. Nichts als kostbares Papier und guter Druck. Nichts sonst – aber wie verschmolzen zum Eindruck des Verehrungswürdigen!

Bei uns ist man immer auf »Kultur« aus. Welch ein Irrtum! Man hat Erziehung, das ist alles. Und die Deutschen haben Erziehung genossen – in verschollenen Zeiten ... Geht in die Kinderstube eurer Tradition, fürwitzige Kulturförderer; vielleicht lernt ihr doch noch das Gruseln! ...

Zum hundertsten Male: zu einem guten Buch braucht man keinen »Buchkünstler«, sondern »bloss« – Geschmack und solide Arbeit in solidem Material. Zum Teufel mit allen »rhythmisch abgewogenen Liniaturen«; seht und schaffet das richtige Verhältnis von Satzspiegel zur Seite, von Type zum Format.


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