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Die Wohnung

Wenn diese Reihe selbständiger Aufsätze auch manches in den vorhergehenden Enthaltene wiederholen mag, es hat mir besser geschienen, sie als ein Ganzes hier abzudrucken als sie an die andern anzuschweissen.

I. Das Elend der Mietwohnung

Niemals wohl war weniger als in der heutigen »Kulturepoche« opportunistisch-quietistisches Behagen am Platze. Niemals jedoch hat diese dünnflüssige Weltanschauung ärger grassiert. Im Grund ist jedermann mit sich und seinem Schatten ganz erbärmlich zufrieden. Man preist allerwege dies und jenes, »weist hin«, verkündet, kommentiert. Kurz, wir leben wieder einmal – von leidigen Nörglern abgesehen – in der besten aller Welten. Ich kann dem nun durchaus nicht beipflichten. Ich finde, ehrlich, geradeaus und breit darüber gesprochen, alles schlecht. Ich finde unsre Erziehung falsch, nämlich wichtigtuerisch und seicht, ich finde unsre öffentlichen Einrichtungen von allem eher als vom öffentlichen Bedürfnis diktiert, ich sehe dieses öffentliche Bedürfnis sich selbst belügen und mittlerweile die ganze sichtbare Kultur, wo davon überhaupt noch etwas atemlos am Rande der Kluft hängt, zugrundegehen. Ich sehe eine allgemeine Verflachung des sinnlich-seelischen Empfindungslebens, höre in der Literatur und Publizistik schrillen Lärm, sehe die Sprache verderben, die Sitten verkümmern, das gesellschaftliche Wesen veröden. Ich höre alle Drähte vom Fortschritt surren und konstatiere auf Schritt und Tritt nur Verfall des Guten und Aufkommen des Frechen, des Falschen, des Halben, des Leeren. Der Snobismus thront tyrannisch. Die Strassen werden täglich ordinärer, die Theater täglich äusserlicher, der Bücher zwar stündlich mehr, aber sie kommen einem manchmal, so vermehrt, überhaupt belanglos vor; die organischen Trachten werden verdrängt, blöde Moden wechseln, jeder Unsinn wirkt seuchenartig, und der Phrasensud über all und jedes schwillt immer höher. Von Kultur – die doch ein allgemeines Niveau der Lebenslage und -lagerung bedeutet – bemerke ich wahrlich nichts. Aber für »Erzieher«, Doktrinäre, Rabulisten, Laienprediger, mit einem Worte: Schwätzer ist immer noch Platz unter uns. Jeder Mensch »trägt« über jedes Ding »vor«, Revuen schiessen geil ins Kraut, jeder Begriff wird zu einer »Frage«, was wieder angenehmen Anlass zu Befragungen bietet. (Selbst die Betätigung der Gliedmassen ist auf dem Wege, Humbug zu werden.)

Und die Wirkung? Im besten Fall finden die Leute, die's angeht, die Sache, die Meinung »gut« und – wenn's darauf ankommt, sich darnach einzurichten – die ihre auch gut. Es gibt aber kein Auch in der Frage: Gut oder schlecht. Nicht »auch« gut ist das Halbe, das »annähernd« Richtige, sondern schlecht. Leute, die Rat hören wollen, sollen nichts einwenden. Kein »Vorschlag zur Güte«. Wer nicht dafür ist, gelte als Feind der guten Sache. Die gute Sache – jede gute Sache – duldet kein Lavieren.

Unser Heim ist unser letzter heiliger Schlupfwinkel vor der Barbarei des Mitbürgertums. Wer in der Wahl und Gestaltung seines Heims fehlgreift, verdirbt wahrlich sein Leben. Alles ärgert uns: der Übermut der Ämter und der Lärm der öffentlichen Beförderungsmittel, die Verteuerung der Lebenshaltung und das Unwesen der Reklame, das geschändete Stadtbild und die erzwungene Lustigkeit der »Vergnügungsetablissements« (auch ein Terminus teutonicus!), die falsche Prüderie und die törichte Zote, Staub, Gestank, Bettelei und Bauernfang –: das Verlangen nach einer behaglichen, die Sinne beruhigenden Wohnung ist wahrhaftig Selbsterhaltungstrieb.

Aber auch hier lauert der Feind in der dreifachen Gestalt des Hausherrn, des Tapezierers, des Künstlers und betrügt uns um unser mühsam heimgeborgenes Quentchen an Lebensfreudemöglichkeit.

Der Hausherr besitzt Häuser, die er gern um teures Geld vermietet. Herstellungen sind ihm verhasst. Er will sein Anlagkapital gut verzinst sehen. Alles andre ist ihm gleichgültig oder lästig. Er bietet dem Wohnungsbedürfnis des Grossstädters das dürre Schema seiner Mieträume, »ausgestattet mit allem Komfort der Neuzeit«, nämlich der Wasserleitung und der elektrischen Beleuchtungsanlage. Etwa noch Lift oder Luftheizung, Vakuumreiniger (dies bei märchenhaften Preisen). Der Aspekt der Wohnung ist nach der Devise »öder Prunk« gestaltet, d. h. Türen und Fenster überlebensgross, (falsche) Stuckorgien auf dem Plafond, Parkettfussboden, Milchglas- oder reich verzierte Renaissancetüren, Ofenburgen, Tapeten mit viel Gold. Eigentlich gehörte in die Hand des Mieters ein Beil – nicht um damit den Hausherrn zu erschlagen (das wäre zwecklos), sondern um ein wenig Ordnung zu schaffen. Leider geht das nicht an, sondern man muss sich aufs Verhandeln legen. Man seufzt nach der herrlichen Kahlheit der vier Grundmauern. Stellte man doch getünchte Gevierte her! Aber da man denn einmal vorlieb nehmen muss, trachtet man wenigstens zu mildern.

Alles Unechte wird – auf eigene Kosten selbstverständlich und gegen Gewähr der Wiederinstandsetzung – entfernt. Es geht mit einiger Geduld. Nur die Ofen widersetzen sich. Hätte man doch den Ofensetzer sein biederes Handwerk üben lassen! Der hätte glatte gute Kacheln geschichtet. Aber es gibt »Manufakturen«, »Niederlagen« ... Genug von diesen Mördergruben. Verstellen wir den Ofen, so gut es geht. Hoffentlich heizt er wenigstens, denn da die Zugluft überall durch Fenster- und Türspalten durchspielt, ist ein heizbarer Ofen ein Bedürfnis erster Ordnung. Nun den Anstreicher her und alle Türflächen und Fensterrahmen und -Bretter (wie ärmlich eng sind sie!) glatt weiss gestrichen und lackiert. Kostet Geld, verlängert aber das Leben. Der erste Feind ist so ziemlich unschädlich gemacht; – er zuckt im Hintergrund die Achseln ...

Der Tapezierer. Der Gesamtbegriff deckt alle die ruchlose Tätigkeit, die man unter »fertiger Wohnungsausstattung« versteht. Der Tapezierer – damit ist ausgedrückt, was seit vierzig Jahren unser Elend heisst: falscher Glanz, staubbedeckter Firlefanz, geleimte Pracht, genagelte Vorhänge, gepresste Stoffe, alles »artige« (lederartig, Holzpapier), jeder Schwindel des bloss Äusserlichen. Vom Tapezierer datiert die schier unausrottbare Krankheit des »Salon«, der Blödsinn der historischen Speisesaaleinrichtung in der Wohnung des Steuereinnehmers und Viktualienhändlers, alles, was unpraktisch, ordinär und bald »hin« ist. Dem Tapezierer gebührt am Denkmal der neuzeitigen Afterbildung ein ganzes Geviert in Hochrelief.

Der Künstler. Die moderne Maske des Erbfeindes. Der Künstler tritt zu dem, der den Tapezierer hinausgeworfen hat, und bietet seine Dienste an. Er will »individuell« einrichten. Alles, was schon da ist, erfindet er. Alles, was gut ist, entfernt er, aus künstlerischem Prinzip. Er komponiert immer Gesamteindrücke. Sein Materialienkasten enthält, was die Wilden ködert: Glas, Metall und bunte Farbstoffe. In jeden Kasten schneidet er einen Spiegel ein, jede Fläche erhält drei, vier Beschläge, alles Holz wird gebeizt. In der ganzen Wohnung verstreut er Bibelots. Wenn er weggegangen ist, spiegelt ihn noch jede Politur. Wer dem »Künstler« einmal die Hand gereicht hat, dem bleibt sie lange verrenkt. Vor seinen geschlossenen Augen wirbeln Farbenflecke einen Schlängeltanz, seine Kinder sieht er nur mehr als künstliches Spielzeug. Er denkt nichts mehr, ohne sich's vom Berater entwerfen zu lassen. Selbst die Bartbinde erhält ein schwarzweisses Würfelmuster. Der Mann geht elend zugrund an Gehirnarabesken.

II. Kultur der Wohnung

Wer, wie die Mehrzahl der Städter, mit einer Mietwohnung vorlieb nehmen muss, sollte wenigstens der innern Ausstattung der mehr oder minder schematischen Räume alle Sorgfalt angedeihen lassen. Gerade in diesem Punkt findet man den durchschnittlichen Deutschen, der seiner intellektuellen Bildung jedes Opfer bringt, ganz merkwürdig genügsam. Ja, Menschen mit den weitestgehenden geistigen Ansprüchen leben jahraus, jahrein, ohne es auch nur gewahr zu werden, geradezu in ästhetischer Barbarei. »Sage mir, wie du wohnst ...«

Die Ausrede, die einem kopfschüttelnden Betrachter des deutschen Einrichtungselends zumeist entgegnet wird, lautet: »Meine Mittel erlauben es mir nicht.« Diese Ausrede ist in neunzig von hundert Fällen unaufrichtig. Die Mittel erlauben die Anschaffung des Konversationslexikon, »reich illustrierter« Geschichtswerke, die man jahrelang in Heften bezieht, kaum aufschneidet, binden und – verstauben lässt, von Pflanzen- und Länderatlanten, sie erlauben das Abonnement der dem deutschen Haushalt unentbehrlichen Familienzeitschriften – vom alleinseligmachenden Tagblatt ganz abgesehen –: warum sollten sie nicht auf ein für die Hygiene der Seele sicherlich ungleich wichtigeres »Bildungsmittel«, die allmählich fortschreitende solid einfache Ausstattung der Innenräume sich erstrecken? Aber es fehlt etwas ganz andres als die »Mittel«: das Bedürfnis! Und dieser Mangel ist ein beschämendes Zeichen rückständiger, falscher Kultur.

Kultur besteht nicht im Wissen, sie besteht vor allem nicht im oberflächlichen, enzyklopädischen Erraffen der Wissenschaften. Kultur ist Harmonie der Lebensgestaltung. Es steckt mehr Kultur in einer in bescheidenem Wohlstand lebenden Bauernschaft als in dem »gebildeten Mittelstand«, der bei uns Deutschen die sogenannte öffentliche Meinung vorstellt und so ziemlich in allen Fragen der Sozialpolitik, Wissenschaft, Kunst und Religion als sachverständig gilt. – Es klafft ein Abgrund zwischen der traditionellen Sitte des deutschen Adels und dem Interessenwirrwarr des Mittelstandes, es klafft ein Abgrund zwischen diesem Mittelstand und der ackerbautreibenden Einwohnerschaft des Flachlandes. Ich spreche nicht von sozialen Differenzen, sondern einzig und allein von der Kultur der Lebensführung. Mein Tadel richtet sich an die breite Masse der kleinen Besitzenden, die nach des Tages gleichförmiger Bureau-, Kanzlei-, Ladenarbeit ihr geistiges Heil in der Zeitung, ihr leibliches am Stammtisch, ihr gesellschaftliches in trübseligem Vereinsleben sieht. Diese Klasse lebt in ästhetischer Öde. Und die Probe aufs Exempel ist die Misere der Wohnungsgestaltung.

Das Bild der deutschen Mittelstandswohnung kann nur als Groteske gezeichnet werden. Mit unfehlbarem Instinkt assimiliert sich der Hochzeitsausstattungskern ihrer Einrichtung alles Kleinliche, Hässliche, Ordinäre, was auf den Markt der Surrogatfabrikate gelangt. Die wenigen Stuben, in denen sich das Leben der meist mehrköpfigen Familie abspielt, sind überladen mit völlig wertlosem Plunder. Alles, was Brauchgeräte vorstellt, ist unpraktisch, alles was Ziergegenstand heisst, geschmacklos. Die »Kunst« dieses Hausstandes ist Schimpf und Schande. Von der gleichen Qualität ist die Kleidung der Inwohner. Das Tagtägliche ist wohlfeil und schlecht, das Aussergewöhnliche minder wohlfeil und noch schlechter. Aber öffentliche Angelegenheiten jeglichen Kalibers sind die ständige ungelüftete Atmosphäre dieser grassen Rückständigkeit. Und vom Hausvater angefangen bis hinab zum Abc-Schützen, der seit den Säuglingszeiten nicht mehr regelmässig gebadet worden ist, liest jedes Mitglied der Familie immer wieder etwas Gedrucktes.

Nochmals also: Mit der Ausrede von den mangelnden Mitteln ist es nichts. Am Bedürfnis liegt's, das nicht entwickelt ist oder in der Entwicklung verbildet wurde. Und das Beispiel fehlt, das erste, vorzüglichste, ja das einzige Element der Erziehung. Die deutsche Mittelschicht muss erst lernen, was sie zu wünschen hat im Wohnungsbild. Und dass sie es lerne, dazu bedarf sie der ästhetischen Erzieher. Es wird so viel bei uns von Erziehern geredet und geschrieben. Immer wieder aber ist der Endzweck »Bildung«. Und im Grunde läuft es auf allerlei nur allzu seichte Historie hinaus.

Leben soll der lebendige Mensch lernen, das ist das wichtigste, und vor allem häuslich leben. Ein geselliges Leben im edlen Sinne grosser Kulturepochen ist dem deutschen Bürger unbekannt. Die Gasthäuser und Turnvereine, die Wählerversammlungen und Radwettrennen sind keine Vehikel einer geselligen Organisation. Dem deutschen Bürgertum fehlt jede Möglichkeit zu leicht beweglichem Verkehr. Es gibt keine Feste, keine Volksheiligtümer mehr. Das Theater ist eine Krambude geworden, der Gottesdienst ein Privatissimum. Salons kennt die Mittelschicht nicht. Die Reit-, die Schiessjagd, der Hochgebirge-, der Tennissport erfordern alle die Basis ganz anderer Gepflogenheiten, als sie der kleine Bürger ahnt. Er ist auf das Haus angewiesen. Werde ihm seine Wohnung sein Alles. Hier, wohin er die bescheidene Lebensgefährtin geführt hat, wo seine Kinder zur Welt kommen, hier mag er ausruhen vom eintönigen Sausen der grossen Schwungräder des Gewerbes, des Handels, der Verwaltung, die er namenlos, eine kleine Schraube der Pflicht, bedient. Aber dieses Heim soll ihm wirklich das Labsal der Ruhe bringen, seine Sinne besänftigen.

In der grellen Orgie seines bisherigen Hausrates kann er nicht zur seligen Einkehr gelangen, die sein bestes irdisches Teil bleibt, an dem er aber sein Leben lang wie an vergrabenem Schatze vorbeilebt.

Ich möchte an einfachen Beispielen systematisch zeigen, wie ein schlichtes Hauswesen anmutig zu gestalten wäre.

Der vornehmste Raum des Hauses ist das Schlafgemach. Der Schlaf ist das unabweisliche Bedürfnis des tätigen Menschen. Er komme auf das feierlichste zu seinem ewigen Rechte. Man wähle daher zum Schlafzimmer nicht einen engen, dunkeln, sondern den grössten verfügbaren Raum. Was braucht ein Schlafgemach? Licht und Luft. Daher sei es der Raum, dem genug Fenster zur Verfügung stehen. Man muss es rasch und leicht lüften können. Dass es vom Strassenlärm entfernt liege, ist wohl ein weit schwieriger zu erfüllendes Verlangen.

Was gehört ins Schlafgemach? Zwei Betten, zwei Nachtkasten, zwei Stühle, zwei Kasten. Was passt nicht hinein? Jedes Gerät, das dem Zweck dieses Ruheraumes widerspricht; vor allem also kein Tisch, denn man hat hier weder zu essen noch zu schreiben.

Wenn man bei der Einrichtung der Wohnräume nur den Zweck im Auge behält, wird die Wahl der einzelnen Gegenstände sich von selbst regeln.

Soll das Schlafzimmer auch als Ankleideraum dienen (es ist das Ideal der Lebensgestaltung, dass das nicht der Fall sei), dann hat es die notwendigen Geräte zu enthalten, also etwa den Toilettetisch der Frau, den möglichst breitflächigen, zur Aufnahme von zwei grossen Lavoirs tauglichen Waschtisch, die Kübel und Kannen. – Ein schlichtes Bild – Holzschnitt, Lithographie, Radierung, künstlerische Photographie – schmückt die Wand zu Häupten der Betten. Reine weisse Gardinen, denen verschliessbare, einfarbige Vorhänge zur Ergänzung dienen, zieren und schützen zugleich. Des Teppichs bedarf man hier nur als »Bettvorleger«. Dem Schlafraum soll jeder Staubfänger erspart bleiben.

Und wie sollen alle diese Geräte beschaffen sein? Einfach, d. i. glatt und reinlich. Wer sich hartes Holz zum Bettrahmen leisten kann oder Messing-Gestänge, ist bevorzugt. Aber auch weiches Holz, sorgfältig gestrichen (am schönsten weiss), gewährt einen schmucklos friedlichen Anblick. Alle Laden- und Türbeschläge seien aus Metall. Auch die Handtücher hängen besser über Metallstangen denn auf eignen (durch Stickereien verhunzten) Gestellen. Messing- oder vernickelte Haken kann man allüberall, wo darnach Bedarf ist, einfügen. Kleiderständer sind eine wackelige Scheusslichkeit, Kleiderrechen meist kaum das Gegenteil.

Sonnenschein im hellen Gemach, ein paar Feldblumen in der schlanken Kristallvase: wie friedlich beschaulich könnte, müsste dieses einfache Bild wirken! Aber da sind allerlei Ungetüme von Bettdecken vorhanden, die protzend miteinander um den Vorrang streiten. Warum nicht nur ein einfaches Pikeezeug, wenn schon nicht wirklich wertvolle Überschlagdecken erstanden werden können, deren ruhige Farben zur glatten Bemalung, zur einfarbigen (lichtgrauen, lichtgrünen) Tapete stimmen.

Es gibt im deutschen Lande Kannibalen, die sogenannte Tagesbetten aufbauen, Schaustücke für Besucheraugen (als ob ein Mensch von Takt, ausser etwa bei Wöchnerinnen-Besuchen, einen Dritten das Schlafzimmer betreten liesse!). Abends wird das Prunksal abgeräumt und die Liegestatt zur Nacht mit dem schmutzigen Überzug instand gesetzt – zur Benützung! Es sind das die bemitleidenswerten Familien, in denen die Mutter der Kinder tagüber im fettigen Schlafrock oder gar im Nachtkamisol umherschlurft. Und unter solchen abgründigen »Kultur«-verhältnissen soll eine schönheitschauende Generation heranreifen?

Vom Schlafzimmer, dem ein Badezimmer mit Wanne, Badeofen, Abfluss-Waschtisch und strohgeflochtenen Stühlen zur heilsamen Ergänzung dient, wenden wir uns zu den Tagstuben.

Auch ein kleiner Haushalt wird des Speisezimmers nicht entraten können. Freilich ist die Ausländern mehr als sonderbare Warnung vorauszuschicken, dass das Speisezimmer nicht als ein Nolimetangere betrachtet werden dürfe. Es ist leider keine allzu seltene Erscheinung, dass sich das Leben des »gebildeten« Mittelstandes im Schlafgemach abspielt, während das von den Schwiegereltern nach einer monumentalen Schablone abschreckend »nobel« beigestellte Speisezimmer für Besucher als Ehrfurchtschauer erweckender Prunkraum reserviert bleibt. Unter dem um Nachsicht flehenden Motto »Ersparnis des Heizmaterials« wird diesem die Wohnlichkeit versagt, während sich angesichts womöglich unaufgeräumter Betten die notwendige Fütterung des tagüber in dumpfiger Kanzleiluft qualmenden Familienoberhauptes vollzieht. In frierender Verlassenheit harrt das altdeutsche oder Renaissance-Speisezimmer der im Jahre doch einigemal sich einfindenden »Honoratioren«. Ein schändlicher Zustand!

Aber auch hier klafft der Abgrund der ästhetischen Bedürfnislosigkeit. Die Gattin des Steuereinnehmers wird sich keinen »Repräsentationsball« nehmen lassen, aber ansonsten geruhig ihr Troglodyten-Dasein, genannt intime Häuslichkeit, weiter fretten.

Einige Grundzüge für Bildsame: Los von der Schablone der »Einrichtung«. Ein Speisezimmer ist für die mittleren Schichten bisher ein totes Fixum gewesen. Es gilt Belebung durch Zerteilung des Begriffes. Was braucht eine Haushaltung, die sich zwischen vier Wänden zu Tische setzt?

Zunächst den Tisch. Nieder mit dem eingerosteten Aberglauben, dass er ein »historisches« Ungeheuer vorzustellen habe! Der Tisch ist das Gerät, um das man sich beim Essen versammelt. Am besten entspricht dem elastischen Platzbedürfnis die runde Form. Ihn umstellen Stühle. Wichtig ist das Höhenverhältnis. Die Stühle sollen ein bequemes Sitzen ermöglichen. Die Tischplatte sei daher nicht lächerlich hoch, sondern zur Sitzfläche der Stühle in richtigem Abstand. Der Armlehnen bedarf es nicht, auch nicht der Polsterung. Wohl aber der Sitzbarkeit. Daher dürfen einerseits der Tisch, anderseits die Stühle nichts aufweisen, was sie verneint oder erschwert. Man muss die Stühle unter den Tisch heranziehen können. Das Steissbein soll nicht beim Platznehmen der Verletzung durch blödsinnige Knäufe, das Schienbein nicht dem Angriff scharfkantiger Latten ausgesetzt sein. Ausser Gebrauch soll der Speisetisch seinen Zweck nicht verbergen. Eine Decke wird die Platte schützen. Eine Blumenvase schmückt die Decke.

Die Speisen werden von der Küche nicht unmittelbar auf den Tisch getragen. Die Magd wird sie irgendwo niederzusetzen gehalten sein (ein Servierbrett, auf dem die schwerlastenden Schüsseln durcheinanderschüttern, ist weder schön noch praktisch). Diesem Zweck dient die breite Platte eines überdies der Aufbewahrung der Glas-, Silber- und Porzellangeräte gewidmeten Kastens: das Buffet (reichlicher ausgestattete Speiseräume werden über ein Buffet, einen Anrichtetisch, einen Silberkasten verfügen). Auf diesem Buffet sind einzelne Geräte nicht als Schaustücke wie Reliquien ausgestellt, sondern sinngemäss (dem Gebrauch zur Hand) gereiht; man wird den Wasserkrug, die Kaffeekanne, die Zuckerdose nicht immer erst geschlossenen Gefachen entnehmen wollen; die Suppenterrine, die Tellerstösse sollen dagegen nach dem Gebrauch verwahrt werden.

Die Wände eines Speisezimmers mögen Bilder zieren. Aber um keinen Preis sei die Logik der Bilderbeschaffung diese (übliche): ins Speisezimmer gehören Bilder; gehen wir demnach zum Bilderhändler. Bilder stellen sich allmählich ein, man kauft sie nicht wie Bettwäsche. Lieber kein Bild als ein schlechtes. Der Schmuck, den ein Bild repräsentiert, besteht nicht in seiner blossen unkritisch hingenommenen Existenz. Ein schönes Bild hängt man gern an die Wand: das ist der natürliche Gedankengang. Aber Reiche und Unbemittelte kaufen heute Bilder als »Begriff«, nicht als Individuen.

Der dritte wichtige Raum ist das Kinderzimmer. Es steht natürlich in Türverbindung mit der Schlafstube der Eltern. Seine Ansprüche sind vom Gesundheitsstandpunkt bedingt. Die Kinder sollen Ruhe haben, Ruhe vor den Erwachsenen. Abgeschlossenheit gegen den Strassenlärm bleibt in der Grossstadt und unter den mittelmässigen Verhältnissen, die wir hier als Durchschnitt ansetzen, ein ideales Verlangen. Aber was an Luftzutritt, Luftwechsel möglich ist, soll beschafft werden. Und nicht der dunkelste Raum, sondern einer der hellsten, am liebsten der hellste werde den Kindern zugebilligt!

Im Kinderzimmer stehen die Betten der Insassen, das der Wärterin. Es ist schon ein – kaum zu vermeidender – Übelstand, dass eine erwachsene Person den Kleinen die einzuatmende Luft beschränke. Um so weniger Gelegenheit sei hier dem Staub geboten. Leichte, weisse Vorhänge, alles Kleingeräte (Staubfänger!) verschlossen, nicht mehr Teppiche als zum Belag des Bodens unbedingt vonnöten (vor Bett und Waschtisch, unter dem Arbeitstisch). Und Heiterkeit, Frische auch im Farbenton: weiss gestrichene Kasten, weisse Bettüberwürfe. Keine an unsichern Nägeln, Fall und Verletzung drohenden schweren Bilder, Uhren, Spiegel, zumal über den Lagerstätten.

Ist noch ein oder der andre Raum, wenn diese wichtigsten Bedürfnisse befriedigt sind, zu erübrigen, so wird er dem geselligen zunächst der Familienmitglieder selbst dienen: ein Wohn-, Sitz-, Verkehrs-, im weiteren Rahmen Besuchs-, Empfangszimmer, zugleich der Arbeitsraum des Familienvaters (während die Frau etwa in ein ihr verbleibendes Gelass, daraus sie die Kinderstube überblicken kann, ihre häusliche Erneuerungstätigkeit verlegt).

Der »Salon« ist völlig entbehrlich. Er ist eine grössere Lebensbedingungen nachahmende Armseligkeit, ein krankhafter Auswuchs der Bürgerwohnung, im Grund ein Missverständnis. Dem Verkehrsbedürfnis genügt eine mit guten Sitzmöbeln, die sich behaglich um einen niedrigen, runden Tisch versammeln, versehene Stube: hier raucht, liest, spricht, schreibt man. Ein Salon ist der Ausdruck höherer, förmlicher Geselligkeit. Man steht in einem Salon. Daher ist er saalartig. Man vereinigt sich festlich in einem Salon. Darum sind seine Wände mit Licht und Pracht wiederholenden Spiegeln bedeckt. Er glänzt mit blanken Parketten, glitzert mit abends erstrahlenden Kronleuchtern. Und ein Salon verlangt nach der Vervielfältigung. Es gibt eigentlich keinen Salon, nur »Salons«, eine Flucht vornehmer Prunkräume. Was soll die Miniatur-Kopie, was das Fragment? In den meisten Bürgerwohnungen, die an einem Salon kranken, bleibt er auch jahrüber mit verhängten Möbeln verschlossen. Er ist ein kalter, ungemütlicher Raum. Die Kinder blicken voll Hochachtung hinein, die Hausfrau bewacht ihn argwöhnisch. Benutzt man ihn einmal, stellt sich gewöhnlich seine Überlebtheit heraus: denn ein Salon drückt in kleinen Verhältnissen eine vergängliche Mode aus. In grossen Häusern sind die Salons die stattlichen Museen der Traditionen. Mag der reiche Emporkömmling sein Geld im »Stil« schwelgen lassen, der kleinere Bürger bedarf keiner repräsentierenden Aufbewahrungsstätte verbleichender Möbel. Er lebt in seinen wenigen Räumen durch sein ununterbrochenes Dasein in ihnen. Und eine kleine Wohnung soll nichts erzählen als von ihrem Bewohner. Der Salon des Kleinbürgers erzählt eine Lüge. Der Kolonialwarenhändler, der Gerichtsbeamte »empfängt« nicht, er sieht manchmal eine befreundete Familie bei sich zu Gast.

Möchten die Deutschen das Wesen ästhetischer Gastlichkeit lernen, möchten sie es nur sehen lernen! Statt ihrer »guten Stube«, darin allerlei protziger Kram modert, sollten sie lieber die lautlosen Vorgänge, die das häusliche Leben anmutig gestalten, ihrer Aufmerksamkeit würdigen. Ein nett gedeckter Tisch, eine rasch und geschickt bediente Tafel, ein zwangloses Verlassen des Speiseraumes: das sind die Elemente, die zwei Dritteln der deutschen Haushalte zur Lebensart fehlen.

III. Der Salon

Die kleine Abhandlung nimmt einen Abschnitt des vorhergehenden Aufsatzes verbreiternd wieder auf.

Etwas unnachahmlich Deutsches – ein Gemisch aus unbewusster Geschmacklosigkeit, kleinbürgerlicher Selbstgefälligkeit, Ordnungssinn bei bescheidenem Wohlstand, reinlicher Pedanterie, armseliger Wichtigtuerei, Kindlichkeit und kurzatmigem Snobismus, arglosem Pharisäertum und Bonhomie, Pietät, Autoritätsglauben, Tradition, Schwerfälligkeit, Nüchternheit – steigt wie ein etwas fader Geruch aus dem sehr rationellen Wort »gute Stube«. Die gute Stube ist das Sanktuarium der »züchtigen Hausfrau«, das sichtbare Zeichen ihrer im Entwicklungsgange »Das Weib als Jungfrau, Gattin und Mutter« endgültig erreichten (und sich mit Überzeugung verflachenden) Gipfelstellung. Die gute Stube wird mit aufopfernder Hingebung gepflegt und (für die unausbleiblichen Motten) erhalten. In diesem Feiertags- und (nur selten enthüllten) Prunkraum gelangt im Laufe der nicht allzu »pfeilgeschwind fliehenden« Jahre alles, was dem Hausrat an überflüssigem Schmuckkram von lieblos schenkender Hand hinzugefügt wird, zu rührend unzusammenhängender Aufstellung; hier stehen die »Girandolen« aus Bronze oder Gusseisen, die »realistisch« lackierten Majolika- und Porzellantiere, prangen die »Flinserl«tücher und Spitzenbehänge, »träumen« die »venezianischen« und die an verplüschte Sockel gefügten Standspiegel, verkümmern die »vornehm das Gemach verdunkelnden« Palmen.

Das trübselige Zimmer soll den Besuchsraum vorstellen. Nach deutscher Kleinbürger-Auffassung ist ein Besuch etwas Feierliches, irgendwie vom Alltag zu Unterscheidendes. Ein Besuch: man kennt das Provinzschema. »Herr und Frau« statten an einem Sonntagvormittag »Herrn und Frau« ihre »Visite« ab. Das Ereignis ist meist keine Überraschung. Man ist vorbereitet. Man empfängt. Etwas Kläglicheres ist kaum denkbar als diese wechselseitig mit Ernst, ja Würde aufrechterhaltene Komödie der »Aufwartung«. Das Lächerliche steckt, wie immer, im Kontrast. Kleine Häuslichkeit, plötzlich in Repräsentation erstarrend; unsichere Gebarung, die wie ein verrosteter Mechanismus ächzend in Funktion tritt. Wo anders als in einer sonst gänzlich zwecklosen Prunkstube, dem gebührenden Milieu, kann sich solches Krähwinkeltum abspielen? Der Unsinn, der darin liegt, dass Menschen mit bescheidensten Lebensgewohnheiten einander, vom Quartalswahn gepackt, zeitweils, notwendigerweise unzulänglich, »Welt« vorspielen, der grössere Unsinn, dass dieser Fiktion, mit Hintansetzung der dringendsten Bedürfnisse, ein eigener Raum gewidmet wird, gewidmet werden muss, fordert die Karikatur heraus.

Die bürgerliche Wohnung, die, des Badezimmers entratend, den »Salon« nicht entbehren zu können sich erdreistet, ist ein symptomatisches Merkmal unserer horrenden Unkultur.

Der »Salon« als Prunkraum stammt aus repräsentativen historischen Epochen. (Und niemals wird die »Welt« seiner entraten können.) Er verlangt, wie Shakespeares Rosenkranz im Güldenstern, seine Fortsetzung in einer Reihe gleichgearteter Räume. Nur das »grosse Haus« darf sich »Salons« erlauben, das grosse Haus, das heisst eine in Verhältnissen sich darstellende Haushaltung, die sich weit über die auch wohlsituierter Bürger erhebt. Die bürgerliche Wohnung bedarf keiner »guten« Stube: alle ihre Stuben seien gut, d. h. zweckentsprechend. Die bürgerliche Wohnung umfasst eine Familie, die essen und schlafen und sich manchmal auch im geselligen Kreise vergnügen will; Arbeitsräume (des Familienvorstandes, lernender Kinder), die »Kemenate« der Hausfrau erweitern angenehm ihr Schema. Mit »Salons« hat sie nichts zu schaffen. Und »der« Salon ist eine Lächerlichkeit. Nicht als redete ich einem Schildkrötendasein das Wort. Ausdrücklich sei auf das schätzbare Bedürfnis nach geselligen Zusammenkünften im Hause (nicht im Gasthause!) hingewiesen. Aber diesem billigerweise zu pflegenden Bedürfnisse dient kein Salon; es begnügt sich mit einem Verkehrsraum, der, sei er nun als Arbeits- oder Rauch- oder Lese- oder Musikzimmer charakterisiert (charakterisiert nicht nach einem Klischee, sondern nach persönlicher Neigung und Gewohnheit!), dem Salongepräge in weitem Bogen ausweicht. Die bürgerliche Geselligkeit beginnt am Speisetische (mögen sich – grössere Verhältnisse angenommen – die anlangenden Gäste in einem kleinen Vor- und Empfangsraum, den ein paar gute Bilder und Kunstgegenstände diskret schmücken, versammeln), sie setzt sich in einem Rauch- und Sitzzimmer fort, wo man in zwangloser Gruppierung – am besten wohl um einen breitflächigen, runden, niedrigen Tisch – bei Nachtischgetränken weiter plaudert. Es ist ein Unding, diese bequeme Konversation plötzlich aus dem warmen Essraum in ein steifes Repräsentationsgemach zu verlegen, dessen Marmortische und goldgestelzte Stühlchen nur Zwang und Unbehagen schaffen. Man kennt den Typus solcher Salonunterhaltung in bürgerlichen Häusern: die Herren stehen gelangweilt herum, die Frauen sitzen um den mit Prachtwerken beladenen Empiretisch in hoch- und geradelehnigen kurzfüssigen Atlasfauteuils und sprechen über Kinder und Dienstboten. Endlich verkündet die schwere bronzene Kunstgruppenuhr vor dem bis zur Decke aufreichenden Spiegel die obligate (späte) Aufbruchstunde. Nachher kehren die Dienstmädchen von »Schillers Glocke« (»mit Illustrationen erster deutscher Künstler«) und Hammerlings »König von Zion« die Zigarrenasche ab, und die Hausfrau beklagt die feuchten Randspuren der Gläser auf den gestickten Tischdecken.

Ganz anders die Bestimmung des wirklichen (wie gesagt, sich in Brüdern fortsetzenden) Salons der Paläste und intimen Hotels. Hier versammelt sich, einzeln angemeldet zumeist, eine durch Rang und Namen auf die gesellschaftliche Schaustellung gewiesene Gesellschaft, man plaudert in Gruppen, Diener servieren auf silberner Platte den Tee, den man stehend schlürft. In solchen Salons wird wohl auch ein Ballfest abgehalten.

Zum Salon gehört eine Art von gesellschaftlicher Bewegung und Bewegungsfreiheit, die bürgerlichen Kreisen von vornherein nicht ansteht. Es ist im Grund eine Raumfrage. Man wandelt in Salons umher, man sitzt nicht anders denn auf kurze Fristen gelegentlich nieder. Diese Art von Geselligkeit kennt das bürgerliche Haus nicht. Wozu also der Prunkraum?

Das Absurdeste aber an der Sache ist der »historische« Charakter dieser Schaustube. Die Salons der grossen Häuser haben ein historisches Gepräge, weil sie historisch sind; wie das Gebäude ist seine Einrichtung in ihren wesentlichen Zügen Erbstück. Es stände alten Palästen und Schlössern schlecht an, sich nach bürgerlichem Zuschnitt zu verjüngen. Aber eher noch lässt sich eine solche organische Evolution rechtfertigen als das nicht einmal als Parvenütum mitleidig zu tolerierende sinnlose Pfropfen, wie es die Angliederung eines Salons an den Körper der bürgerlichen Bedürfniswohnung vorstellt.

Das Rokokoboudoir der Maitresse hat Sinn, denn seine Insassin ist selbst ein Stück »Historie«, ein Luxusobjekt, und wie man den Papagei im stereotypen Messinggestänge verwahrt, wird die Femme entretenue in einem Milieu behaust, das ihrem Charakter (nach generalisierender Anschauung) gemäss ist.

Stil ist Gemässheit, wechselseitiges Tragen und Getragenwerden, Einheit.

Die bürgerliche Wohnung jedoch, die an einen Speise-, einen Schlafraum, eine Küche samt Dienstbotenkammer den »Salon« schweisst, ist eine Stillosigkeit, atmet Barbarei.

Ich habe den Salon als symptomatisch bezeichnet für unsre kulturverlassene Zeit. Es ist die Epoche des heraufgestiegenen und sich alsbald auch breit hinlagernden Bürgertums, die der Salon bezeichnet. Noch die Wohnung der zwanziger und dreissiger Jahre des vorigen Jahrhunderts kennt ihn nicht. Man irrt, wenn man die jener wunderbar harmonischen Häuslichkeit wesentlichen Stilelemente als Salonmotive anspricht. Weil man heute den Salon (zumeist) nicht mehr im Geschmack Louis XV. oder XVI., sondern »Empire« oder »Directoire« herstellt, vermeint man, diese (letzten historischen) Epochen hätten den Salon »an sich« besessen. Der Irrtum ist ein Fehler in der Perspektive.

Zunächst unterscheide man zwischen dem Empire, dem an »klassischen« Ressentiments, speziell römischen Reminiszenzen, genährten eklektischen napoleonischen Prachtgeschmack, und dem vorzüglich deutschtümlichen Biedermeierstil einer fast um ein Menschenalter jüngeren Periode. Es ist sehr richtig, dass die künstlerische Heimausstattungs-Bewegung an den Biedermeierton anknüpft: hier hat die organische bürgerliche Tradition abgerissen. Alles, was zwischen Biedermeier und der »Moderne« liegt, ist Wirrwarr. Mit dem Auftreten des Fabrikantentums als Stand beginnt der grasse Unfug, der im Verfolg den Salon des Kleinbürger-Wohnungsschemas gezeugt hat.

Die Biedermeier-Wohnung hatte an Rang einander gleich gestellte Stuben. Das Kanapee, die Kommode, der Rundspiegel, alles kehrt in allen Räumen wieder. (Man vergegenwärtige sich die Häuslichkeit der Goethe, Schwind, Bauernfeld, um klar zu sehen.) Dieser Epoche ist keineswegs das Postulat des Gesellschafts-Pferchs bekannt. Man bewegt sich gesellig frei in mehreren relativ kleinen Stuben. Erst die mit der falschen Konvention und dem Geldbeutel rational (nicht rationell) kombinierende und kompromittierende unorganische Häuslichkeit des entwurzelten oder überhaupt ahnenlosen Bourgeois (der mit dem Bürger von damals nichts gemein hat) hat das dürre Schema erfunden, das seither allüberall gewerkelt wird. Die Miethäuser, diese Zerstörer der intimen Häuslichkeit, haben es in rasenden Schwung gebracht. Denn der Unterschied zwischen früher und jetzt ist, scharf gefasst, darin zu suchen, dass man einst vom Gewerbe zum Hausstand, d. i. im weiteren Verlauf zum eigenen Häuschen zu gelangen trachtete, während man jetzt (seit mehr als 50 Jahren) mit dem von Wohnungsverschleissern Gebotenen vorlieb nimmt. Die Hausbesitzer aber (sehr unähnlich den Patriziern von anno dazumal, die aus der Bezeichnung noch keinen Beruf gemacht hatten) füllen ihren Rahmen bis zum Zerspringen mit dem unelastischen Klischee der Mittelstandswohnung, darin als Hauptstück der Salon fungiert. Und Tapezierer und mechanische Tischlereien bieten dem falschen »Bedürfnisse« einer immer wieder aus dem Chaos emporgewirbelten »Bildungs«klasse ihre Ausstattungsnummern.

Zerstörung der Kultur ist die Marke unsrer an vergeudeten Zivilisations-Bedingungen überreichen Gegenwart. Der kleine Mann, der sich im kleinsten Laden mit den Erzeugnissen einer wüsten Surrogatwirtschaft bedient sieht, glaubt sich dem auf breitester Traditionsgrundlage seinen Besitz erwerbenden Erben um seine ganze Parvenülänge zu nähern, wenn er die äussern Zeichen (oft nur die letzten Zieraten) seines sich nur als Masse, als Ganzes bestätigenden Besitztums kopierend usurpiert. Und jedermann will, und sei es auch in der bescheidensten Art, nach aussen hin auf den Nachbar wirken.

Die ungelüftete »gute Stube« mit ihren den gepressten Samt der Möbel hütenden Überzügen und dem wandhohen Spiegel, vor dem die Viktualienhändlersgattin die neue »Toilette« seidenrauschend spazieren führt, ist das grauenhafte Symbol eines Kulturdebacles.

IV. Das Sitzzimmer

Das Sitzzimmer tritt in der bürgerlichen Wohnung das Erbe des Salons an. Der neue Stil stammt aus England.

Die englische Geselligkeit der Mittelklassen spielt im drawing room, dem Verkehrs- oder Plauderzimmer. In Deutschland hatte man gern am Speisetisch verweilt. Nur die feierlichere Geselligkeit wanderte nach dem Mahle in den Salon hinüber. Der gemütliche Kreis blieb um den abgeräumten (nicht abgedeckten) Tisch beisammen. Der Engländer erhebt sich vom dinner. Der Deutsche trinkt weiter. Das zweite Frühstück ist dem Engländer etwas rasch zu Erledigendes. Das »Mittag«-Mahl (um 7 Uhr) dehnt er, im abendlichen Anzug, durch eine Reihe von obligaten Gerichten in die Länge. Der Deutsche teilt den Tag nicht so scharf in zwei ungleiche Teile. Er isst wirklich zu Mittag, zwischen 12 und 1 Uhr. Das Abendbrot nimmt er gern in Gesellschaft. Seit zwei Menschenaltern ist das französische Restaurationswesen beliebt. Man geht ins Gasthaus. Der Engländer bleibt zu Hause. Seit jeher. Sein häusliches Bedürfnis hat längst den vorzüglich häuslichen Raum geschaffen, ja, sein ganzes Haus trägt ihm Rechnung (die bewohnbare geheizte hall). Erst nach dem dinner sucht der Vermögliche einen Klub auf, während der »gesellige« Deutsche vom Gasthaus in das Kaffeehaus (eine österreichische Besonderheit, die ihre Art sehr verwandelt hat) übersiedelt.

Die englische Einrichtung (Möbelstil) hat eine kleine Revolution in die deutsche Geselligkeit gebracht. Seitdem er sich in sein englisches Sitzzimmer eingelebt hat, bleibt auch der Deutsche lieber zu Hause.

Von etwa 1890 an beginnt bei uns das Sitzzimmer seine immerhin wohltätige Wirksamkeit auszuüben. Um 1900 hatte man sich allenthalben in den besseren Ständen neu eingerichtet. Englisch war die erste Losung. Später erst kam der neudeutsche Stil auf, der den Künstler in der deutschen Mittelstandwohnung zum Wort gelangen liess. Der Snobismus plapperte hinein. Es ist eine Übergangszeit. Man hat nunmehr, an die abgerissene Tradition anknüpfend, den Biedermeierstil als das Bürgerlich-Gemütliche wieder entdeckt. Die Klub-»Note« weicht der Alt-Wien-, Alt-Hamburg-Mode. Und krampfhaft regt sich das Individualisierungsstreben. Typisch dafür ist das aus Stückwerk sich erbauende Sitzzimmer. Leute, die es nicht fertig vom Möbeltischler ankaufen und in den dazu bestimmten Raum stellen (Vorliebe für eingebaute Möbel), versuchen zu komponieren. Meist wohl ohne kontrapunktische Fähigkeiten, vag dilettierend.

Betrachten wir ein typisches Sitzzimmer. Ein runder Tisch versammelt tiefe Leder-Fauteuils um seine breite Fläche. Die Lampe (Messing), die über ihm hängt, schafft eine Ecke. Man weicht der Zimmermitte aus. Nun sind allerlei Reste da aus »historischen« Stilgemächern. Man hilft mit den so schön Stimmung, Tiefe, Grund schaffenden orientalischen Teppichen, mit einfach gerahmten, an Schnüren statt an Nägeln befestigten Bildern, mit verglasten Regalen nach. Der Möbelantiquar kommt mehr und mehr zur Macht. Man kauft »alte Sachen«. Aber das Klavier steht da und lässt sich nicht stören. Man verhüllt seinen mächtigen Rücken und schafft daraus eine Ablagestätte für Bibelots. Ziergefässe mehr oder minder fragwürdiger Existenzberechtigung marschieren auf. Silber, Kupfer, Kaiserzinn und Messing (Beschläge) werden beschafft.

Aber deutsche Pietät macht sich auf Schritt und Tritt hinderlich bemerkbar. Echte Pietät schont und wahrt Traditionelles. Falsche Pietät hält wahllos am Besitz fest. Die elende Amateurarbeit behauptet den vorlängst angewiesenen Ehrenplatz. Die Geschenke (Bilder, Bronzen, Polster) dürfen nicht angetastet werden. So wird das Sitzzimmer zum Magazin. War der Salon eine kalte, ist es eine warme (belebte) Ungemässheit. Den Salon hatte man kaum betreten. Im Sitzzimmer verkehrt man. Aber noch kann man sich nicht von Verkehrshindernissen trennen. Und schrecklich sind die geschmeichelten Versuche, durch einzelne neue Stücke nachzuhelfen. Da wird ein schlechter Teppich an die Wand genagelt, dort um einen glasierten Ofen das steife Schaugestelle einer unbenützten Bank gerüstet. Ein wohlfeiler Schrank wird protzig mit sinnlosem Beschläge montiert, ein Grossvaterstuhl zu wilder Ehe mit einem Filigrantischchen gekoppelt. So schafft man »Stimmung«. Und während früher die Prachtwerke ihre verbleichenden Goldbuchstaben räkelten, baut man jetzt aus zierlichen »Liebhaber«-Ausgaben künstliche Unbefangenheiten, verstreut sezessionistische Falzbeine und plündert alte Bücher nach »mahagoniartig« zu rahmenden Kupfer- und Stahlstichen. Und immer wieder schwätzt der Snobismus breitmäulig von »Entwicklung«, wo leere Laune tändelt.


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