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Vandalismus

Wenn man durch die Strassen der modernen Grossstadt wandelt – aber wer von uns hat Zeit und Lust, zu »wandeln« (auch ein Symptom unwiederbringlichen Verlustes an geruhigem Lebensrhythmus!) –, fragt man sich unwillkürlich schaudernd, wohin das geradezu wahnwitzige Bauen führen solle. Wenn das so fort geht, werden wir in fünfzig Jahren kaum mehr ein einsames Wahrzeichen verschollener Baukultur besitzen. Eine Orgie der Barbarei tut sich vor dem verwunderten Blicke auf. Würde eine der »zielbewusst« aufgebauten Städte heute vom Aschenregen eines ästhetischen Vesuv begraben und tauchte nach Jahrhunderten, wie einst Pompeji, aus der bewahrenden Hülle wieder auf, der Beschreiber dieser Ausgrabung müsste verzeichnen: damals, da diese vor unsern staunenden Blicken sich erneuernde Stadt am Leben war, scheint in den Bewohnern der Sinn für Einheit, Ebenmass, Würde, Kraft, Reiz durch irgendeine psychologisch sicherlich nicht uninteressante Bewusstseinsseuche völlig ausgetilgt, das, was wir Geschmack nennen, bis auf seine letzten Wurzelenden ausgerottet gewesen zu sein; wir stehen vor den unwiderleglichen Beweisstücken einer wahren Hottentotten-Unkultur.

Das Traurigste an der Tatsache, dass wir Mittel- und Nordeuropäer mit Riesenschritten in eine Epoche des kulturellen Niederganges blind hineinstürmen, ist aber die Erwägung, dass wirklich nur eine Schar mildtätiger Feuerberge uns vom Übel erlösen könnte. Denn wie denkt sich der Sanguiniker, der an eine wohltätige Wandlung in den scheinbar verschrumpften Gehirnzellen »für Auffassung des Schönen« etwa noch glaubt, die tatsächliche Umwandlung unsres Stadtbildes? Man kann doch nicht den Eigentümern der Negerpaläste, die uns auf Schritt und Tritt, sich wie scheussliche Pilze im Sumpfterrain unsrer Bauzustände vermehrend, entgegenblicken, man kann den mit ihrem Geld hier engagierten Eigentümern – den Tag der grossen Erleuchtung angenommen – doch nicht von heut auf morgen zumuten, das alles wieder abzubrechen und aus uneigennütziger Freude an ihrer edleren Einsicht in trefflicher Gestalt neu zu errichten?

Zweierlei aber ist nicht ausser allem Bereich der Möglichkeit. Erstens: der gedankenlosen Bauwut, die aus dem Weichbild der Städte längst, ein geschwollener Giftmolch, sich ins anmutige Gelände hinausgewunden hat und die landschaftliche Umgebung unserer Städte zu verheeren droht, Einhalt zu tun: »Bleibt stehen und seht euch um!«. Zweitens: die Erhaltung, die Rettung des gediegenen Bestandes. Liesse sich der »historischen« Denkmälern zugewandte Konservierungseifer nicht ausdehnen? Ist ein schönes, in edlen Akkordverhältnissen gebautes Bürgerhaus nicht auch ein würdiges Objekt des einsichtigen Konservativismus?

Und eine Anmerkung: Ist die Verbreiterung unsrer Strassen, der gerühmte »Strassenzug«, denn eine so um jeden Preis zu verteidigende Errungenschaft? Luft und Licht. Eine verlockende Devise. Wird man sie aber in den Strassen der Stadt suchen? Ist dieses zehnfach gefälschte Licht, ist dieser verpestete Atem der Grossstadt ein Gut, dem man die architektonische Schönheit, Labsal der Sinne, unbedingt opfern muss? Und haben wir Mitteleuropäer, deren sozialer Mittelschicht – von den Enterbten zu geschweigen – das Badezimmer noch immer ein Luxusraum, das Klosett ein notwendiges Übel dünken, ein Recht der Betonung von hygienischen Faktoren, die betont werden, wie von den Mandarinen Goethe betont wird, wenn Julius Wolf gemeint ist?


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