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Vom ästhetischen Wesen der Baukunst

Wenn man von Payerbach im Raxgebiet auf der Landstrasse den Semmering erreichen will, muss man den Ort Gloggnitz durchfahren. Auf einem bewaldeten Hügel steht das Kloster Gloggnitz. Beim Verlassen des Ortes wird dem sich Rückwendenden ein prachtvoller Anblick: breit liegt die weisse Front des mächtigen Gebäudes, mit vielen gleichförmigen Fenstern, die grüne Laden haben, grüssend, vor dem sich entfernenden Betrachter, dem, wie er höher und weiter gelangt, das ruhige Haus immer heimlicher und fremder zugleich an den grünen Baumhintergrund der Berge sich fügt: keine Störung des frischen Naturbildes, eine Vertiefung nur seiner beruhigenden und erheiternden Wirkung.

Das Haus ist auf das einfachste gestaltet: eine klare Stirn, ein mit gemütlichen Luken freundlich sie krönendes Dach, das voll zur Darstellung gelangt, ein kuppeliger Turm, der gelassen emporsteigt, das Ganze auf sanfter, aber beherrschender Anhöhe, weithin sichtbar. Und solcher Bauten, Kirchen und Schlösser aus dem 18. Jahrhundert gibt es eine grosse Zahl im Alpenland. Ob vielen derer, die sie mit bewusster und unbewusster Wollust im Reisen beschauen, deutlich geworden ist, dass diese schlichten Gebäude, die es an Lieblichkeit, Grösse und Nachhaltigkeit des Eindrucks mit der unsterblichen Natur aufnehmen, das Wesen der schönen Baukunst in einfachen Noten verkünden: Masse und Perspektive? Man kann ruhig sagen: alles, was in unsern deutschen Ländern aus jener Zeit stammt an Architektur, vom fürstlichen Palais der Grossstadt angefangen bis hinab zum behäbigen Bauernhof, ist trefflich, und fast alles, was unsre Epoche, das eiserne Jahrhundert hervorgebracht hat (von der jüngsten – freilich noch sehr schwankenden – Renaissance abgesehen), ist schlecht.

Man geht heute – und damit sei denn wohlwollend »gestern« gemeint – beim Bauen nicht von ästhetischen, sondern von rein utilitaristisch-rationalistischen Grundsätzen aus (und klebt das »Schöne« als ein nicht wohl zu Entbehrendes voll Missverstand und ohne Überzeugung schmählich zum Schlusse darauf). Man reisst heute (und »heute« mehr als gestern und morgen mehr als heute!) voll Dünkels das Erbe an prächtigen alten Gebäuden nieder und setzt wahrhaft Furchtbares im Namen der Zivilisation an seine Stelle. Man zerstört den unwillkürlichen Rhythmus der alten Strassen und bahnt der Willkür im Namen des Verkehrs die wimmelnd-öden Gassen der Bewegungsfreiheit. Nicht vom Standpunkt der Pietät und der Historie soll hier diesem grauenhaften Unfug, der wie eine Seuche alle leider »massgebenden Kreise« erfasst hat, widersprochen werden, einzig von dem der baulichen Gesetzmässigkeit.

Denn alle Kunst hat ihre aus ihrem Wesen fliessenden Gesetze. Das Wesen der Baukunst aber ist Überwindung einerseits des Raumes durch die Harmonie der räumlichen Verhältnisse, Überwindung der Schwere anderseits durch die Ordnung der Bestandteile. Alles Bedeutende – und das Kleinste kann es verhältnismässig sein – bestätigt sich durch Einheit und innere Wahrheit. Unsere neueren Bauten sind durchaus verworren und lügenhaft. Unsere neuen Städte sind scheusslich im Ganzen: ein zusammenhängendes Stückwerk, und greulich im Einzelnen: engherzige »Tendenz« (Barnutzen) verschränkt sich der Afterprunksucht des Emporkömmlings.

Waren jene guten alten Gebäude Zeichen und Zeugen einer grosslinigen Kultur (auch die sichere Gesellschaftsordnung der Vergangenheit ist Kultur gewesen: gewordener Ausdruck der Verhältnisse), sind unsre schlechten neuen Verräter unsrer zerbrochenen Zivilisation, dieses Trödellagers, dieses Trümmerhaufens von zwecklosem Detail.

Jene zwiefache Überwindung, die ich das Wesen der Baukunst genannt habe, setzt sich in eine fortlaufende Gleichung zum essentiellen Gehalt aller Künste. Sie (wie die Welt, soweit sie der Mensch nicht schändet) sind, philosophisch betrachtet, Probleme der Form. Die Form ist das Ewige, das Sich-in-sich-selbst-Erhaltende. Aber nur solche Form heisst mit Fug so, die restlos aus ihren Faktoren sich ergibt. Keine stumpfe Scheidung zwischen »Inhalt« und »Form«. Im Symbol der Kugel drückt sich das Prinzip der sich selbst erzeugenden Einheit aus (der Mittelpunkt enthält sie).

Die Raumkunst aber lebt, wie die Musik in den Intervallen, wie die Wortkunst in der Gewichtsverteilung der Worte, die Malerei in der Beziehung der Farben, im Verhältnis der Glieder zum Ganzen. Sie ist tot, wenn dieses Verhältnis nicht von sich selbst überzeugt. Alle unsre schlechten Gebäude widerlegen sich selbst: man muss zu unwesenhaften Zweckbegriffen (ausserhalb der Asthetik der Architektur) flüchten, will man sie – nicht verzeihen, nur überhaupt als Existenzen konstatieren.

Masse und Perspektive sind die Massstäbe, die Krücken zu einer Erkenntnis, die viel »tiefer als im Zweck«, die im metaphysischen Bedürfnis des Menschen begründet ist. Beide, Masse und Perspektive (Distanz), vereinzeln und vergesellschaften zugleich das Gebäude. Trägt es ihnen Rechnung, dann darf es sich unbefangen mitten in die Natur stellen, wie mein liebes altes Kloster von Gloggnitz.


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