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Zur Ästhetik der Ausstellungen

In Begleitung aus der Provinz zugereister Verwandten hab ich neulich eine Mode-Ausstellung besucht. Der Eindruck war überwältigend. Was da zu den versöhnlich stimmenden Weisen der obligaten Musikkapelle hinter Glas und unverglast den erst bestürzten, dann lächelnden Augen sich bot, war eine wahre Orgie der Geschmacklosigkeit. Vereinzeltes Treffliche konnte nicht aufkommen, unterlag der Wucht der Masse.

Ausstellungen überhaupt sind eine als ästhetischer Gesamteindruck peinliche Sache. Ausstellungen aber von Modeartikeln, Gegenständen der Bekleidung, der Ausstattung, des täglichen kleinen und grossen Luxus sind unbedingt hässlich, weil diesen Dingen in unsrer Zeit der Zusammenhang fehlt, weil das, was Mode heisst, nicht Stil ist. Und nur Stil, so disparat das Einzelne zum Einzelnen sich theoretisch auch verhalten möge, nur Stil schafft unbefangen Zusammenhänge. Wenn wir heut eine auch nicht von den feinsten Händen gerüstete Ausstellung historischer Gegenstände des täglichen Lebens besuchen, fühlen wir uns von der Einheitlichkeit des Abgeschlossenen harmonisch berührt. Aber eine Versammlung des Zufälligen, des vom Einzelnen willkürlich Erzeugten kann nicht anders als übel wirken. Wenn man in einem Glaskasten auf plüschverhängtem Sockel um die Büste eines Monarchen Halskragen oder Handschuhe oder Schirmgriffe oder Straussfedern gruppiert sieht, so ist das ästhetisch ein Unfug greulichster Art. Und hunderte solcher Glaskasten von den verschiedensten Gestalten ergeben eine um nichts imponierendere Versammlung.

Ich kann mir ganz gut vorstellen, dass hunderttausend Badeschwämme oder hunderttausend weisse Handschuhe, zu Haufen getürmt oder sonstwie gestapelt, angenehm dekorativ, ja mächtig wirken müssten. Aber 50 Paar Handschuhe auf der einen Seite und die Ausrüstungsgegenstände des Touristen in »malerischer« Gruppe (womöglich mit Panoramahintergrund!) gegenüber sind zusammen eine Geschmacklosigkeit.

Man merkt die »springenden Punkte.« Es ist zu unterscheiden zwischen dem »an sich« geschmacklosen Darstellungsmittel – die »so mit Recht« beliebten »Tableaus« der Schneider und Schneiderinnen: diese läppischen Panoptikumszenen! – und dem was in einer gewissen Anordnung und Zusammenfügung erst geschmacklos wirkt; ferner dem auf geschmacklose Weise hergestellten Gegenstand und dem geschmacklosen »Ding an sich« (so z. B. sind ein Gummizugschuh, eine »fertige« Krawatte, ein Zelluloidkragen, ein Kragenschoner mit Druckknopf etc. etc. »an sich« geschmacklose Dinge, gegen die man mit Hohn ankämpfen, die man mit Wut austilgen, nicht ausstellen sollte!).

Ausstellungen überhaupt sind, wie alles Demonstrative, eigentlich eine Geschmacklosigkeit. Ausstellungen – abgesehen von historischen – können nur durch Anordnung der auszustellenden Gegenstände nach ästhetischen Gesichtspunkten erträglich werden (Analogon: das ästhetische Schaufenster). In unsern Ausstellungen unterliegt das Streben nach Gesamteindruck – bleibe hier dahingestellt, ob seine Arrangeure, die Kommission, den richtigen als Ziel erfassen – dem Einzelstreben der undisziplinierten und geschmacklosen Aussteller-Individuen. Mit der Tradition des Ausstellungswesens (Tableaus, Gruppen, Embleme, Allegorien) ist zu brechen (da denn Ausstellungen überhaupt sein müssen; die Gründe sind rein geschäftlicher Natur). Die Jury – zusammengesetzt aus ästhetisch massgebenden Faktoren – müsste auf das strengste die Auswahl treffen.

Heute sieht die Sache so aus: jede Firma wird zugelassen. Ausstellungen dienen ja dem Angebot. Es will sich begreiflicherweise jeder bei solcher Gelegenheit zeigen. Der Inhaber oder seine Angestellten besorgen das Arrangement ihres Pavillons, ihres Standplatzes. Das Ergebnis ist entsetzlich. Ist das ein Wunder? Ferner: es wird zu Ausstellungszwecken produziert. Also Demonstrationsobjekte schnödester Natur. Und das Gesamtbild? Hier eine Modistin aus der Vorstadt mit den Ausgeburten ihrer ehrgeizgekitzelten Phantasie, dort ein Massenerzeuger von Surrogatware, der mit der Devise: »Jedem etwas« seinen Kram auslegt. Ein greller Farben- und Formenlärm auf engem Raum, dazu die bloss nach Utilitätsgründen verteilte Beleuchtung, wilde »Dekoration« und das Promenadekonzert nebst angehängtem Büfettsalon. Ein Kapitel »Kultur«.


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