Moritz Gottlieb Saphir
Wilde Rosen
Moritz Gottlieb Saphir

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131.

        Nacht ist duftschwül angebrochen,
      Zauberisch, mit blassen Wangen,
Eingehüllt im Silberschleier,
      Und geschmückt mit Sternenspangen.

Stolz, mit dunkelgrünen Kronen,
      Stehen Bäume in der Runde,
Sprechen heimlich viel von Liebe,
      Von der Dichtkunst gold'ner Kunde.

Blumen stehen wie die Kinder
      Ihnen lauschend still zu Füßen,
Zweige neigen sich zuweilen,
      Sie zu küssen, sie zu grüßen.

Und ich sitze in der Mitte,
      Zwischen Träumen, zwischen Wachen,
Höre Trauerlieder weinen,
      Höre Brautgesänge lachen. 230

Denn verzaubert ist der Garten,
      In den Blättern wohnen Feen,
Lieder wohnen in den Blumen,
      Märchen wohnen in den Seen.

Doch ein Wunder, schön und reizend,
      Wohnt im weißen Hause drinnen,
Ueber dieses Wunder muß ich
      Ewig denken, dichten, sinnen. 231


132.

        Nur die Wolken, die ganz niedrig,
      Wandern schnelle und vergehen;
Doch je höher schwebt die Wolke,
      Desto länger bleibt sie stehen! –

Nur die niedern Erdenschmerzen
      Ziehen fort nach kurzer Dauer;
Ewig schwebt an uns'rem Himmel
      Höchster Schmerz und höchste Trauer! 232


133.

        Auf saphirner, blauer Woge
      Schifft der Schwan des Mondes sachte,
Sanft erröthet dann die Wolke,
      Denkend, daß er übernachte.

Doch der Schwan muß weiter ziehen,
      Und mit schmerzlichem Behagen
Weicht die Wolke still zur Seite,
      Und vergeht in leisen Klagen.

Und dem Monde stets zur Seite,
      Der die Ruhe nimmer findet,
Schifft die blasse Liebeswolke,
      Bis er westwärts ganz verschwindet.

Dann ergießt sie ihre Thränen,
      Auf die dunkle Erdenaue,
Daß der Tag, der Thränenspötter,
      Ihr verweintes Aug' nicht schaue. 233


134.

        Nennet nur nicht Frühling
      Dieses schöne Angesicht;
Ist nicht Liebe in dem Herzen,
      Ist im Antlitz Frühling nicht!

Nennt ihr Sterne diese Augen,
      Diesen blauen Lichtkrystall?
Ohne Liebe sind es Steine,
      Seelenloser Aetherball!

Nennt ihr Rosen diese Wangen,
      Diesen zarten Blumenkreis?
Ohne Liebe sind's Tapeten,
      Schön gestickt mit Roth und Weiß!

Nennt ihr Anmuth dieses Lächeln,
      Dieser Lippen Wunderspiel?
Ohne Liebe ist's Mechanik,
      Todter Linien leeres Spiel! 234

Nennt ihr Wohllaut diese Worte,
      Dieser Töne Zauberlust?
Ohne Liebe ist's ein Echo
      Aus der hohlen Felsenbrust!

Wo nicht Lieb' ist, ist nicht Frühling,
      Schönheit nicht und Seele nicht,
Körper ist es, Bein und Adern,
      Hand und Fuß und Angesicht,

Augenapfel, Augenlieder,
      Ohne Lust und ohne Schmerz,
Doch im Bildniß wohnt kein Leben
      Und im Busen liegt kein Herz! 235


135.

        Wenn der Hammer auf der Glocke
      Ruhet noch vom schweren Schlage,
Tönt nur dumpf die Schwergetroff'ne,
      Tönt nur dumpf die tiefe Klage.

Später erst, nachdem der Hammer
      Von der Glocke sich erhoben,
Sendet sie die weichsten Klänge
      In die Lüfte und nach oben.

Wenn der Schlag vom Weh der Liebe
      Frisch noch liegt auf unserm Herzen,
Tönen dumpf und stumpf nach innen
      Seine Klagen, seine Schmerzen.

Spät erst, wenn des bittern Schlages
      Schwerer Fall das Herz gelichtet,
Tönt es aus die Schmerzenslieder,
      Frühern Leiden spät gedichtet! 236


136.

        Eine Blume sah ich blühen,
Küßte sie und brach sie nicht;
Sprach: »Ade, du süße Blume!«
Und verhüllte mein Gesicht.

Kam am andern Morgen wieder,
Und die Blume war verblüht,
Schmetterling hat sie getödtet,
Ihr die Äuglein ausgeglüht.

»Schmetterling, du bunter Bursche,
Suchst von gestern deine Braut?
Ueber Nacht ist sie gestorben,
Ohne Klage, ohne Laut.«

Und die Blume sah ich liegen,
Küßte sie und brach sie nicht,
Sprach: »Ade, du bitt're Blume!«
Und verhüllte ihr Gesicht. 237


137.

        Tausend Sterne hat der Himmel,
Schenk', o Himmel! mir nur Einen,
Daß ich ihn auf ihrem Pfade,
Lichtverbreitend, lasse scheinen!

Tausend Engel wohnen d'roben,
Einen einz'gen hätt' ich gerne,
Daß er wache ihr zur Seite,
Wenn ich selber ihr bin ferne.

Tausend Becher hat die Lethe,
Einen wünscht' ich nur, bescheiden,
Ihn der Holden darzureichen,
Wenn sie denkt vergang'ner Leiden.

Tausend Sprachen spricht die Liebe,
Wenn ich doch nur eine wüßte,
Die so innig, die so wonnig,
Daß ihr Herz sie rühren müßte! 238

Tausend Grabplätz' hat die Erde,
Könnt' ich einen nur erwerben,
Jene kleine Spanne Erde,
Ihr zu Füßen d'rauf zu sterben! 239


138.

        Herzen haben gutes Wetter,
Herzen haben böses Wetter,
Wolken, Sonnenschein und Regen,
Stürme, Blitze, Donnerwetter.

Herzen haben Schauer, Hagel,
Wolkenbrüche und so weiter,
Und magnet'sche Kraft darinnen
Als bewährte Wetterleiter.

Herzen haben Wetterwinkel,
Wieg' und Kessel wilder Triebe,
Dieses böse Wetterwinkel
Ist: die Liebe, böse Liebe! 240


139.

        Kopf und Herz sind Glock' und Weiser,
In dem Werk der Menschen-Uhr,
Geht das Herz auch immer leiser,
Tönt der Kopf geschwinder nur!

Und vom Kopf tönt's laut wie Glocken:
»Meiner Liebe bin ich frei!«
Wie der Herzschlag auch in Stocken
Und in Schmerz gerathen sei.

Hab' nach langen, langen Tagen,
Gestern plötzlich sie erblickt,
Und mein Herz fing an zu schlagen,
Und zu pochen wie zerstückt; 241

Ist's nun wahr, was du gesprochen?
Fragt das Herz zum Kopf hinauf,
Ich regier', und d'rauf zu pochen
Hör ich liebend niemals auf! 242


140.

        Blumen blühen, wachsen, sprießen
Auf der freien Sonnenflur,
Wie sie öffnen sich und schließen,
Werden sie zur »Blumenuhr

Meine Blumenuhr hienieden
Ist ihr Herz nur ganz allein,
Was für Stunde mir beschieden
Zeiget diese Uhr, so klein.

Wenn es offen mich begrüßet,
Zeigt's die schönste Stunde hier,
Wenn's die Blätter grausam schließet,
Schlägt die letzte Stunde mir! 243


141.

        Eine weiße, eine rothe
      Rosenknospe prangten Beide,
Eng gebettet in ein Sträußchen,
      Auf dem Ball, an ihrem Kleide,

Neigten an den holden Busen
      Süß verschämt das Haupt hernieder,
Hörten, was ihr Herz gesprochen,
      Und erzählten mir es wieder.

Weiße Knosp' mit Silberzungen
      Sagte mir, wie sie gesehen,
In dem unschuldvollen Herzen,
      Selber sich als Abbild stehen.

Rothe Knosp' mit Purpurlippen
      Sagte mir, wie sie vernommen
An den hohen Herzensschlägen,
      Daß in Lieb' sie sei entglommen. 244

Und Reseda, die inmitten
      Beider Knospen war gegeben,
Sagte mir, wie still in Sehnsucht
      Stillem Gram sie sei ergeben! 245

 


 


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