Moritz Gottlieb Saphir
Wilde Rosen
Moritz Gottlieb Saphir

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41.

        Das Schicksal ist ein Arzt,
      Ein großer Anatom,
Denn es zerschnitt mein Herz
      Im vollen Lebensstrom.

Zerschnitt es blos darum,
      Damit die Menschheit seh'
Sein allertiefstes Leid,
      Sein allertiefstes Weh,

Damit die Menschheit lern',
      Wie so ein Herz leicht bricht,
Wenn es mit Inbrunst liebt,
      Und findet Liebe nicht! 79


42.

        Da oben wandern Sterne,
      Sie wandern ohne Zaudern,
Da unten wandern Flüsse,
      Sie wandern und sie plaudern;

Dazwischen wandern Wolken,
      Sie wandern und sie klingen,
Mit ihnen wandern Vögel,
      Sie wandern und sie singen.

Die Sterne und die Flüsse,
      Wie sie so singend wandern,
Die Vögel und die Wolken,
      Sie eilen hin zu andern.

Ich aber wand're einsam,
      Und einsam ist mein Singen,
Mein Singen und mein Wandern
      Kann mich zu Niemand bringen. 80

Ich wand're und ich singe
      Allein in meiner Stube,
Ich singe und ich wand're
      Ganz einsam in die Grube 81


43.

        Um das Haupt von theuern Todten,
      Auf der schwarzbehängten Bahre,
Flechten wir die schönsten Rosen
      Um die Schläfe, in die Haare.

An die Brust, die nicht mehr athmet,
      Um die Wang', die nicht mehr glühet,
Legen wir die reichste Rose,
      Die im vollen Leben blühet. – 82

Meine Liebe ist die Todte,
      Meine Liebe ist die Leiche,
Der ich nun die letzten Rosen
      In das Grab hinunter reiche.

Lieblich liegt die schöne Leiche
      Mit geschloß'nen Hoffnungsaugen,
Die von Glück- und Liebes-Tagen
      Keinen Strahl mehr in sich saugen.

Lieblich liegt die schöne Leiche,
      Blühendschön, als ob sie schliefe,
Und es dünket mir zuweilen,
      Daß sie meinen Namen riefe.

Und ich will nun Rosen flechten,
      Um die schöne, theure Leiche,
Rosen um die Brust ihr flechten,
      Um das Haupt, das lockenreiche;

Wilde Rosen, abgebrochen
      Im gebroch'nen, wilden Herzen,
Wilde Rosen, blaß und leidend,
      Aufgeschossen unter Schmerzen; 83

Wilde Rosen, nicht verzärtelt
      Unter prunkenden Genossen,
Wilde Rosen, wild gewachsen,
      Und von Thränen nur begossen.

Will sie meiner Liebes-Leiche
      Flechten um die blassen Glieder,
Will sie legen auf die holden
      Und geschloss'nen Augenlieder;

Will sie legen auf den Busen,
      Auf das Herz, das schon erkaltet,
Will sie drücken in die Hände,
      Die im Tode sich gefaltet.

Und die Leiche, so geschmücket,
      Und bedeckt mit wilden Rosen,
Will ich herzen, will ich küssen,
      Will ich unter Thränen kosen.

Bis zu Ende ist mein Leben,
      Und zu Ende ist mein Lieben,
Und mein Herz die allerletzte
      Wilde Rose hat getrieben! 84


44.

        Grub in Sand ich ihren Namen,
      Ward verweht er bald vom Winde;
Schnitt' in Baum ich ihren Namen,
      Wuchs darüber neue Rinde.

Schrieb in Wasser ihren Namen,
      Welle litt nicht, daß er bleibe;
Schliff in's Fenster ihren Namen,
      Und ein Luftstoß brach die Scheibe.

Schnitt in's Herz mir ihren Namen,
      Wo die süßen Schläge pochen,
Und der Name wird nicht brechen
      Bis das Herz ist mit gebrochen. 85


45.

        Ein Stern war mir mein Lied
      Im Herzen aufgegangen,
Als ich zuerst sie sah,
      Von süßem Reiz umfangen.

Zur Blume ward mein Lied,
      Als ich ihr durfte nahen,
Mit seinem zarten Duft
      Die Liebste zu umfahen.

Zur Perle ward mein Lied,
      Ich durfte es in Reihen,
Zur Zier des schönen Haupt's,
      Der Anmuthsvollen weihen.

Zur Waise ward mein Lied,
      Es hatte sie verloren,
Und suchte klagend nun,
      Nur sie, die es geboren. 86

Zum Echo ward mein Lied,
      Nur ferne, und mit Beben,
Kann es den Klageton
      Der Holden wiedergeben.

Zum Seufzer ward mein Lied,
      Der sich der Brust entringet,
Und sich als Lotusblum',
      Zu seiner Liebe schwinget.

Zum Schwane wird mein Lied,
      Es schwimmt in eig'nen Thränen,
Und singt den Sterbesang
      Vom Abschied und vom Sehnen! 87


46.

        Schenkt der Himmel eine Thräne,
    Ist's, daß sie zum Heil uns werde,
Denn sie wird zum hellen Demant
    Fällt sie in den Schooß der Erde.

Denn sie wird zur hellen Perle,
    Fällt sie in des Weltmeers Schooße;
Denn sie wird zum süßen Ambra,
    Fällt sie in den Kelch der Rose,

Solche Thräne ist die Liebe,
    Die der Himmel uns geschenket,
Und sie wird zum hellen Demant,
    Wenn sie in die Brust sich senket.

Und sie wird zur schönsten Perle,
    Die der Schöpfung je entronnen,
Wenn sie fällt vom klaren Himmel,
    In das Meer der Lebenswonnen. 88

Doch sie wird zum reinsten Ambra,
    Wenn sie fällt in Dichterherzen,
Duft und Lied wird aus der Thräne,
    Duft und Lied und süße Schmerzen! 89


47.

        Zu ihren Füßen sank herab ein Blatt,
Es war vom Glanz und Schein der Sonne satt;
Zu ihren Füßen sank dahin mein Herz,
So satt von ihrem Glanz, so satt vom Schmerz.

Sie hebt das Blatt empor mit zarter Hand,
Sie legt es in ein Buch mit Blumen allerhand;
Doch nicht in's Buch, nicht in ihr Herz hinein,
Legt meine Liebe sie als Zeichen ein. 90


48.

        Heißt es leben, wenn im Herzen
      Der Geliebten man nicht lebt?
Heißt es todt sein, wenn im Herzen
      Der Geliebten man doch lebt?

Heißt es nah sein, wenn ihr Sehnen
      Fort von uns in's Weite eilt?
Heißt es fern sein, wenn ihr Sehnen
      Selbst von ferne bei uns weilt?

Eh' ich lebe solches Leben,
      Eh' ich nah' bin solcher Näh',
Bringt mir wahrlich solches Todtsein,
      Solche Ferne minder Weh! 91


49.

        Schmerzlich ist es stumm zu sitzen,
      An des Freundes Sterbebette,
Doch ein Trost ist's, wenn wir wissen,
      Was der Kranke gerne hätte.

Doch zu sitzen an dem Lager
      Eines Kind's, in stiller Kammer,
Ist ein größ'res Weh, denn sagen
      Kann es nichts von seinem Jammer.

Solch ein Kind ist meine Liebe,
      Trat erst aus des Lebens Pforte,
Ist nun krank und schmerzlich leidend,
      Doch sein Schmerz hat keine Worte! 92


50.

        Hohe Herrin, dir zu dienen
      Bin ein Knecht ich und Serviler,
Dein Leibeigner, Untergebner,
      Bin dein Sklav', dein Zitherspieler.

Holde Herrin, dir gehorchen,
      Dünkt mir süßer als Regieren,
Weil mich deiner Liebe Ketten
      Mehr als Kron' und Szepter zieren.

Schöne Herrin, dir zu folgen
      Als dein Schatten allerwegen,
Dünkt mir edler, als nach eignem,
      Freiem Willen mich bewegen.

Kluge Herrin, selbst dein Bannstrahl,
      Der mich weis't in weite Ferne,
Glänzt mir schöner als die Strahlen
      Aller andern Frauensterne. 93

Süße Herrin, auch die Sorge,
      Dein Begegnen auszuweichen,
Ist so süß in ihren Mühen,
      Daß sie nicht hat ihres Gleichen.

Einz'ge Herrin, auch dein Wille,
      Daß ich deiner soll vergessen,
Ist so heilig, daß ich suche,
      In's Gedächtniß ihn zu pressen:

Und dieweil ich Tag und Nächte
      Denke d'ran, dein nicht zu denken,
Muß ich grad, nach deinem Willen,
      Tag und Nacht nur dein gedenken! 94



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