Moritz Gottlieb Saphir
Wilde Rosen
Moritz Gottlieb Saphir

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81.

        Frühling kommt, der holde Jüngling!
      Kommt mit seinem Zauberstabe,
Bringet Jedem eine Blume,
      Bringet Jedem eine Gabe.

Bringet Jedem eine Blüte,
      Bringet Jedem eine Wonne,
Diesem einen Theil des Lichtes,
      Jenem eine ganze Sonne!

Mir nur bringt der böse Frühling
      Keine Blumen, keine Blüten,
Keine Strahlen, keine Sonnen,
      Gar nichts bringt er mir zu bieten.

Doch die Rose, die im Winter,
      Ich von Nahem konnte schauen,
Führt der Frühling fort von hinnen,
      Führt sie fort in ferne Auen. 144

Nur der Winter ist mein Frühling,
      Weil er meine Rose bringet,
Und der Frühling ist mein Winter,
      Weil er mir die Ros' entringet.

Holder Winter! gold'ner Jüngling!
      Lieder sing' ich dir zum Ruhme!
Komm', du süßer Sonnenjüngling!
      Komme mit der schönsten Blume!

Und ich wandle dir entgegen,
      Mit dem Klang von Feierglocken,
Denn du bringst die wilde Rose
      Im Gefolg' der weißen Flocken! 145


82.

        »Wilde Rose, süße Freundin,
Siehst du Abends, hoch im Blauen,
Gold'ne Lettern niederschauen,
Und den Brief, den reich besternten?
Briefe sind's des Weitentfernten!« –

          – »Trauter Freund, du Rosengärtner,
          Siehst du nicht auf Blumenblättern
          Zartverzog'ne Farbenlettern,
          Und die Schrift, so klar und sinnig?
          Briefe sind's von mir, ganz innig.« –

»Schöne Rose, reizumflossen,
Hörst du nicht in Morgenröthen
Nachtigallen schmerzlich flöten
Durch die grünen Blätterwände?
Grüße sind's, die ich dir sende.« –

          – »Trauter Freund, du Fernverbannter,
          Hörst du's Abends leise rauschen, 146
          Wenn die Lüfte alle lauschen,
          Und in Blüten still sich freuen?
          Grüße sind's des Vielgetreuen.« –

»Holde Rose, leidensreiche,
Fühlst du nicht ein Ahnen, leise,
Wenn der Schwan die Todtenkreise
Singend durch die Wellen ziehet?
Sterbelied ist's, das zu dir fliehet!« –

          – »Trauter Freund, du Todessänger,
          Fühlst du dich nicht wehbefangen,
          Weht um deine nassen Wangen
          Oft ein Hauch wie Geisterschauer?
          Ist mein Sterbegeist voll Trauer!« – 147


83.

        Wie an Blumen Schmetterlinge
      Schlafend hängen nach dem Regen,
Duftbetäubt, gewittertrunken,
      Träumen, und sich nicht bewegen;

So auch hingen lang die Lieder
      Träumend mir am vollen Herzen,
Duftbetäubt von süßer Liebe,
      Lebensmüd' von bittern Schmerzen.

Nun mein Herz ist neu ergriffen,
      Nun mein Herz ist neu erschüttert,
Nun mein Herz ist neu durchstürmet,
      Daß sein Kelch erbebt und zittert;

Sind erwacht die tausend Wünsche
      Und die Lieder aus den Träumen,
Und sie flattern durch die Lüfte,
      Kreise ziehend in den Räumen. 148

Tragen auf dem Fittig wieder
      Gold'nen Schmelz von Liebeswähnen,
Tragen wieder auf dem Fittig
      Eine gold'ne Welt in Thränen. 149


84.

        »In Wüstenei ein Steinbild einsam steht,
      Gefesselt, eingeschnürt die starren Glieder,
Doch, wenn der erste Lichtstrahl es berührt,
      Da tönt es aus die allerschönsten Lieder; 150
Und wenn der Lichtstrahl wieder untergeht,
      Da tönt das Steinbild lieblich klingend wieder;
Mag seine Sonne kommen oder scheiden,
Sein Mund erschließet sich zum Lied bei Beiden.

Ein Steinbild steh' ich in der Wüstenei,
      Und theilnamlos an allen Freudendingen,
Da stieg die Lebenssonne mir empor,
      Im Herzen fühlte ich ein süßes Klingen;
Nun sank die Lebenssonne mir herab,
      Und Klagelieder sich der Brust entringen:
Mag meine Sonne kommen oder gehen,
Fühl' ich im Herzen Lieder auferstehen. 151


85.

        Frühling kam, und wilde Rosen
      Wandelten auf grünen Wegen,
Frühling kam, und wilde Rosen
      Schossen fragend mir entgegen,

Neckten mich mit grünen Fingern,
      Neckten mich mit rothen Lippen,
Steckten wie die Wurzelmännchen
      Ihren Kopf aus Strauch und Klippen.

Sah'n mich an mit klugen Augen,
      Und begehrten Wort und Rede,
Und die Dörnchen alle zupften
      Mich am Wege, wie zur Fehde: –

– »Hat in deinen off'nen Busen
      Sich kein Frühling denn ergossen?
Sind in deinem Herzensgarten
      Wilde Rosen nicht gesprossen?« – 152

– »Wilde Rosen, eurem Herzen,
      Kommt ein neuer Frühling immer,
Neuer Thau von Wolken-Lippen,
      Und vom Himmel neuer Schimmer;

Aber mir kam dieser Frühling
      Ohne Thau und ohne Schimmer,
Darum bracht' er wilde Dornen,
      Aber wilde Rosen nimmer!« 153


86.

        Abends stand ich wie ein Steinbild,
      Eingeschnürt in Dämmerungen,
Die der Abend und die Bäume
      Schleierhaft um mich geschlungen.

Sah die Holde, in dem Garten,
      Sich zu Blumen lieblich neigen,
Und wie Gold in Jaspisblättern
      Flog ihr Haar in grünen Zweigen.

Und sie schwebte leicht vorüber,
      Ahnte nimmer meine Nähe,
Und mir schien's im Abenddunkel
      Als ob Morgenroth ich sähe.

Bei dem Licht der kleinen Lampe
      Konnt' ich dann in's Zimmer sehen,
Sah sie in das Zimmer treten,
      Sah sie hin und wieder gehen. 154

Sich vom Boden aufwärts ringend,
      Legten ihre grünen Hände,
Bäumchen, die am Hause standen
      An die lichten Fensterwände.

Um das Fenster schwebten Blumen,
      Gleich wie Lieder ohne Worte,
Wie die Geister meiner Lieder
      Festgebannt am Liebesorte.

Und so stand ich, zwischen Träumen,
      Zwischen Sinnen schmerzlich ringend,
Bis der Morgen war erschienen,
      Seine frischen Rosen bringend.

Dann trat ich mit süßer Sehnsucht
      Aus der baumumhüllten Tiefe,
Pflückte von erwachten Zweigen
      Eine Handvoll grüner Briefe,

Warf sie an das Fenster, wo sie
      Beim Erwachen sie wird sehen; –
Doch sie wird sie nicht begreifen,
      Doch sie wird sie nicht verstehen! – 155


87.

        In dem Teiche wachsen Blumen,
      Silbern wie verwunsch'ne Schwäne,
Schwimmen mit dem blassen Antlitz
      Sehnsuchtsvoll um Schifferkähne.

Wurzeln nicht im festen Boden,
      Wurzeln bloß in feuchten Wellen,
Wie sie auch das Haupt, das klare,
      Gerne zu dem Strand gesellen.

Und so sollst du meine Lieder
      Nur als Wasserblumen wähnen,
Weil sie leben nur in Zähren,
      Weil sie wurzeln nur in Thränen! 156


88.

        Dornenwunden, spricht die Sage,
      Die man von der Ros' empfangen,
Schmerzen, bluten nur so lange,
      Bis die Sonn' ist untergangen.

Meines Lebens einz'ge Sonne
      Ist für mich in Nacht entschwunden,
Dennoch bluten, brennen, schmerzen
      Immer meine Dornenwunden! 157


89.

        Wer den Blitzstein bei sich führet,
      Heißt es in den Wundersagen, –
Den schon einst der Blitz geschleudert,
      Wird vom Blitz nicht mehr erschlagen;

Er darf wandern unter Wettern,
      Unter tausend wilden Blitzen,
Keiner wird ein Haar ihm sengen,
      Keiner wird die Haut ihm ritzen.

Weil ich trage stets im Herzen
      Jenen Blitz, der mich getroffen
Aus dem Himmel ihrer Augen,
      Darf ich wohl dasselbe hoffen:

Ich darf wandeln unter Blitzen,
      Die aus tausend Augen fallen
Keiner wird in's Herz mir schlagen
      Von den tausend Blitzen allen! 158


90.

        Poesie sucht' ich im Leben,
      Leben gab davon nicht Kunde;
Poesie sucht' ich in Büchern,
      Blätter waren's, leer im Grunde;

Poesie sucht' ich in Sternen,
      Fand nichts als vergold'te Lettern;
Poesie sucht' ich in Blumen,
      Sah von Prosa sie entblättern.

Poesie sucht' ich im Sange
      Tiefbetrübter Philomele,
Hörte nichts als die Register
      Einer Orgel in der Kehle.

Plötzlich kam aus dunklen Tannen
      Mir ein Frauenbild entgegen,
Wie ein Morgentraum, der lebend
      Wandelt über Blütenregen; 159

Und so ist sie mir erschienen:
      Poesie mit Zauberschwingen;
Poesie ist nur im Lieben,
      Und nur Lieben lehrt uns Singen! 160



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