Moritz Gottlieb Saphir
Wilde Rosen
Moritz Gottlieb Saphir

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91.

        Oben stand ich auf dem Berge,
      Unter mir das Thal, das kleine,
Das wie eine grüne Muschel
      Meine Perle barg, die reine.

Sah sie wandeln in dem Garten,
      Unter duftig-schwülen Bäumen,
Bald im Schatten dunkler Gänge,
      Bald in freibesonnten Räumen.

Vielmal rief ich ihren Namen,
      Doch die Lüfte, die hier wallten,
Fanden gar so süß den Namen,
      Daß sie sich den Schall behalten.

Pflückte Blätter von den Bäumen
      Und beschwerte sie mit Grüßen,
Hoffend, daß ein Zephir kräus'le
      Glücklich sie zu ihren Füßen. 161

Doch kein einz'ges von den Blättern
      Sah bei ihr ich angelangen,
Blieben hier und dort in Dornen,
      In Gesträuch und Klippen hangen.

So gelangt auch nie zur Holden
      Lied und Klage meiner Lippen,
Bleiben hängen auf dem Wege,
      An des Lebens Dornen, Klippen! 162


92.

        Habt ihr einen Baum betrachtet,
      Durch sein ganzes Sein und Leben?
Von dem ersten Keimen, Sprossen,
      Bis zu seines Gipfels Beben?

Wie er aufschlägt erst das Auge,
      Schamhaft aus der grünen Rinde;
Wie er mit den Flatterlocken
      Aufschießt gleich dem süßen Kinde?

Wie er als ein schöner Jüngling
      Ausstreckt seine jungen Glieder?
Wie er treibet duft'ge Blüten,
      Wie ein Dichterherz treibt Lieder?

Wie er dann, als Mann, von Früchten
      Alle Äste sich läßt beugen?
Menschen labt in seinem Schatten,
      Sänger birgt in seinen Zweigen? 163

Wie als Greis dann ist sein Scheitel,
      Blätterlos und ohne Säfte,
Und die Zweige niederhängen,
      Wie die Arme ohne Kräfte?

Wie, wenn auch der Stamm verdorrte,
      Doch die Wurzel frisch geblieben,
Die den Baum mit seinen Zweigen,
      Blatt und Blüten hat getrieben;

Wie sie zeugt, von euch berühret,
      Ewig noch ein frisches Leben,
Wie sie, von dem Beil getroffen,
      Frische Säfte euch wird geben? –

– Solch ein Baum ist meine Liebe,
      Die gegrünt im Hoffnungsgrunde,
Die gewachsen ist in Sonnen,
      Die geblüht in schöner Stunde;

Die gepflegt in ihren Zweigen
      Hat ein Heer von Nachtigallen,
Der nun jetzund alle Blätter,
      Alle Blüten sind entfallen; 164

Die entlaubt von jeder Hoffnung,
      Die, – vom Blitzstrahl nicht zersplittert, –
Dennoch stehet, schmucklos, leblos,
      Abgestorben und verwittert!

Doch die Wurzel dieser Liebe,
      Die so reich einst war an Schmerzen,
Lebt noch, tausendfach verschlungen,
      Ewig frisch in meinem Herzen;

Fühlet, noch so zart berühret,
      Wehmuth, Leid und Liebes-Sehnen,
Und vergießt, wenn ihr sie ritzet,
      Immer noch den Strom von Thränen! 165


93.

        Sah sie sitzen in der Oper,
      Und sie schien mir blaß und leidend,
Sinnend senkte sie das Auge,
      Meinen Anblick schmerzlich meidend.

Töne rauschten, Töne schollen,
      Und sie sangen gold'ne Lieder,
Doch aus meinem heißen Auge
      Fielen Thränen leise nieder.

Und ich mußte mir die Augen
      Mit der hohlen Hand verhüllen,
Denn ich fühlte, daß von neuem
      Sie sich stets mit Thränen füllen.

Still saß ich und unbeweglich,
      Durfte kaum das Haupt bewegen,
Denn es tropfte auf die Brüstung
      Leis' herab der Thränenregen. 166

Als die Thräne war versieget,
      Konnt' ich einmal nach ihr schauen,
Und sie hob den Wimpervorhang
      Von dem Aug', dem ätherblauen.

Als ich diesen Wimpervorhang
      In die Höh' sah langsam gehen,
War ein Trauerspiel, ein großes,
      In dem Auge ihr zu sehen. 167


94.

        Nimm mich auf, du öder Garten,
      Und ihr Bäume, ganz entblättert;
Nimm mich auf, verlass'ne Hütte,
      Und du, Laube, jetzt entgöttert!

Steht ihr sinnend, traurend, klagend,
      Weil die Holde euch verlassen?
So auch sinnend, traurend, klagend,
      Will ich schmerzlich euch umfassen!

Dieser Boden ist geheiligt,
      Und geweiht sind diese Bäume,
Denn hier lebte meine Liebe,
      Und hier weilten meine Träume.

Und hier wiegten meine Wünsche
      Alle sich in grüner Wiege,
Und hier übten meine Lieder
      Alle sich zum Sängersiege! 168

Und hier klang die Äolsharfe,
      Die ich trug im süßen Busen,
Angeweht und zart durchschüttert
      Von dem Götterhauch der Musen.

Und hier liegen auch begraben,
      In der blätterlosen Halle,
Meine Liebe, meine Träume,
      Meine Wünsche, alle, alle!

Und die Bäume und die Büsche,
      Und die Sträuche und Gestrippe,
Und der Tannen und der Erlen
      Bleiche, knöcherne Gerippe,

Stehen wie die Trauer-Urnen,
      Stehen wie die Leichensteine,
Kalt und schweigend an dem Grabe
      Wo ich heiß und innig weine!

Nur am Haus, am Teich, im Garten,
      An der Laube auf und nieder.
Wandeln wie die düstern Schatten
      Alle Geister meiner Lieder; 169

Denn sie wollen mit der Liebe
      Lautlos in das Grab nicht gehen,
Wollen um das Grab stets wandern,
      Bis die Lieb' wird auferstehen! 170


95.

        Wenn ein Baum will nicht mehr blühen,
      Wenn die Blätter von ihm scheiden,
Muß man in sein Mark ihm Wunden,
      Wunden in das Herz ihm schneiden.

Und der Baum erwacht durch Wunden
      Aus der Stumpfheit seiner Kräfte,
Und durch Schmerz ersteht er wieder
      Zu dem blühenden Geschäfte.

Weil ich ohne alle Blüten
      Stehe in des Lebens Mitte,
Schnitt das Schicksal in mein Leben
      Tiefe Wunden, tiefe Schnitte.

Darum treiben neue Blüten
      Aus dem Schmerz, dem namenlosen,
Und die Wunden sind das Blutbeet
      Aller meiner wilden Rosen! 171


96.

        Redet laut nicht, wo die Liebe
      Liegt in ihrem leisen Schlummer,
Tretet sachte auf das Grabmal,
      Wo begraben Liebeskummer!

Denn die Liebe hört im Schlafe,
      Und erwacht vom Lüftebeben,
Und die Liebe fühlt im Tode
      Jede Mahnung an ihr Leben!

Hat sie auch das Aug' geschlossen,
      Sieht sie durch die Augenlieder,
Habt ihr sie in Sarg geleget,
      Hebt sie still den Deckel wieder,

Wenn ein Ahnen, wenn ein Mahnen
      Ihrer Wonnen sie erreichet,
Wenn ein Luftbild, wenn ein Schatten
      Ihrer Schmerzen sie umschleichet. 172

Glaubte selbst, daß tief im Herzen
      Leise schliefe meine Liebe,
Ging um dieses Herz ganz sachte,
      Daß sie ungestöret bliebe.

Saß an meinem Herzen leise,
      Und bewachte ihren Schlummer,
Sprach nicht mit vergang'nen Wonnen,
      Sprach nicht mit dem jetz'gen Kummer.

Plötzlich floß ihr süßer Name
      Durch der Lüfte klare Welle,
Und erwacht war schnell die Liebe
      Und ihr Aug' war falkenhelle,

Und sie sprach mir so wie früher
      Viel von ihrem Grame wieder,
Und sie goß mir so wie früher
      In das Herz viel Klagelieder! 173


97.

        Wenn die Sonne ist am Abend
      Lächelnd sterbend hingesunken,
Sieht ihr Luna nach mit Blicken
      Die von Schmerz und Liebe trunken;

Und der Stern der Liebe funkelt
      Ihr noch nach mit reinem Glanze,
Und er harret, lieblich leuchtend,
      Bis sie kömmt im Morgenglanze.

Meine Sonne auch ging unter,
      Lächelnd noch im Abwärtssinken,
Und mein Lieben steht am Himmel,
      Ihren Abglanz noch zu trinken;

Und der Stern der ew'gen Liebe,
      Hoffnung, mit dem süßen Schimmer,
Strahlt allein an meinem Himmel,
      Harret ihres Aufgangs immer. 174


98.

        Liebe, ja, du bist die Sonne!
      Kamst mir aus dem Meer von Thränen,
Weiltest einen Tag voll Stürme,
      Und versankst in's Meer von Thränen.

Liebe, ja, du bist die Sonne!
      Wirst bedeckt so mannigfaltig,
Von Nacht und Mond und von der Erde,.
      Und von Wolken, vielgestaltig;

Dennoch strahlst du jeden Morgen
      Wie ein Held nach Siegerschlachten,
Und ich blicke auf zum Himmel,
      Um zu beten, zu betrachten! 175


99.

        Liebesschmerzen sind wie Bienen,
      Flattern summend um die Herzen,
Flattern, schweben, kommen wieder
      Mit dem Stich voll heißer Schmerzen.

Während sie so stechend flattern
      In des Herzens off'ne Zelle,
Legen sie den Liederhonig
      In des Stachels Wundenstelle. 176


100.

        Weiß denn nicht voraus die Rose,
      Schlummernd noch im Schooß der Erde,
Daß im Leben sie von Dornen
      Stachelreich empfangen werde? –

Weiß denn nicht voraus die Rose,
      Eh' sie noch der Erd' entsprossen,
Daß im Leben ihrer harren
      Reif und Nebel, Blitz und Schlossen? –

Weiß denn nicht voraus die Rose,
      Daß sie muß am Strauche sterben,
Oder daß sie rauhe Hände
      Fühllos brechen und verderben? –

Weiß denn nicht voraus die Rose,
      Die an schöner Brust uns blendet,
Daß sie wird hinweggeworfen,
      Wenn der Ball und Tanz geendet? 177

Dennoch dringt sie aus der Erde,
      Dennoch eilt sie in das Leben,
Dennoch drängt sie's, Duft und Farbe
      Allen Stürmen preis zu geben;

Dennoch schwillt's in ihren Adern,
      Und sie sprengt die Knospen-Spangen,
Dennoch aus der grünen Kammer
      Treibet sie ein süß Verlangen.

So auch weiß voraus die Liebe,
      Eh' sie treibt aus tiefem Herzen,
Daß im Leben ihrer warte
      Nur ein Dornenkranz von Schmerzen;

So auch weiß voraus die Liebe,
      Eh' den stummen Mund sie sprenget,
Daß die Zukunft voller Schlossen
      Über ihrem Haupte hänget;

So auch weiß voraus die Liebe,
      Eh' sie spricht in lauten Klagen,
Daß die Lüfte sie an Felsen
      Und an taube Ohren tragen. 178

Dennoch treibt sie aus dem Herzen
      Ihre ungetheilten Flammen,
Und sie schlagen unauslöschlich
      Über Glück und Leid zusammen;

Dennoch bricht sie aus dem Herzen,
      Ohne Zagen, ohne Zittern,
Eilt entgegen, unbeschirmet,
      All den Stürmen und Gewittern!

Dennoch hat sie ihre Kränze
      Nur der Einzigen bereitet,
Wie sie auch mit stolzem Schritte,
      Sie zertretend, d'rüberschreitet! 179



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