Moritz Gottlieb Saphir
Wilde Rosen
Moritz Gottlieb Saphir

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51.

        Ich pflückte ein Vergißmeinnicht
      Für sie, am schmalen Wiesenrand,
Doch als ich vor der Holden stand,
      Vergaß ich das Vergißmeinnicht!

Das Blümchen sprach: »erinn're dich,
      Wozu du liebend mich gepflückt!« –
Ich aber schwieg und stand entzückt,
      Vergaß Vergißmeinnicht und mich! 95


52.

        Unter herbstlich stillen Wolken
      Ziehen stille Nachtigallen,
Ziehen hin zu schönern Zonen,
      Wo die Lüfte milder wallen;

Doch in jenen schönern Zonen
      Denken sie an Heimathsblüten,
Und sie können in der Fremde
      Weder singen, weder brüten.

Unter gold'nen Frühlingswolken
      Kehren wieder Nachtigallen,
Und aus ihren kleinen Kehlen
      Tausend zarte Lieder schallen.

Unter meines Lebens Wolken
      Zogen meine Nachtigallen
Fort aus meinem Liebesfrühling,
      Mit den jungen Liedern allen; 96

Würden sie auch suchend ziehen
      Zu den allerschönsten Frauen,
Würden sie doch so nicht singen,
      Nicht in's Herz sich Heimat bauen;

Denn sie sind gewohnt zu nisten
      Nur in ihrer Schönheitsblume,
Denn sie sind gewohnt zu singen
      Nur allein zu ihrem Ruhme.

Kehren gold'ne Frühlings-Wolken
      Meiner Liebe einstens wieder,
Kommen auch die Nachtigallen,
      Und die hellen Siegeslieder! 97


53.

        Hütet euch, die junge Knospe
      Mit den Nägeln auszukratzen,
Und das Blatt heraus zu zerren,
      Eh' die Rose sie macht platzen.

Hütet euch, das Herz der Liebsten
      Zu bestürmen, zu bedrängen,
Eh' die Fülle ihrer Liebe
      Selber macht die Knospe sprengen.

Hütet euch, des Mundes Knospe
      Um die Blume anzusprechen,
Eh' sie selbst, in süßer Fülle,
      Strebt im Kusse aufzubrechen.

Hütet euch, ihr scheues Schweigen
      Allzufrühe zu erschließen,
Eh' vom seligen Geständniß
      Herz und Lippen überfließen. 98


54.

        Das Glas, aus dem dein Wohl ich hab' getrunken,
      Hab' ich zerbrochen dann auf immer;
Geweihet war's, und einer andern Lippe
      Spend' einen Tropfen Wein es nimmer;

Mein Herz, aus dem du Liebe hast getrunken,
      Hast du gebrochen auch auf immer,
Gebrochen bleib's, und einer andern Seele
      Spend' einen Tropfen Lieb' es nimmer! 99


55.

        Gibt es einen echten Maler,
      Der nicht liebt das All der Farben,
Rothe, grüne, weiße Blätter,
      Blaue Blümchen unter Garben? –

Gibt es einen echten Sänger,
      Der nicht liebt das All der Klänge,
Schilfgeflüster, Glockentöne,
      Und die tausend Waldgesänge? –

Gibt es einen echten Bergmann,
      Der nicht liebt das All der Erze,
Gold und Taubstein, Licht und Schwaden,
      Und der Gnomen düst're Scherze? –

Gibt es einen echten Menschen,
      Der nicht liebt das All der Kinder,
Ihr Erstaunen und ihr Lallen,
      Und ihr süß Geschwätz nicht minder? 100

Gibt es eine echte Liebe,
      Die nicht liebt das All vom Lieben,
Liebeleid und Liebewonnen,
      Und der Liebe böse Sieben? –

Gibt es eine echte Liebe,
      Die nicht liebt das All im Herzen,
Hoffen, Wähnen, Wünschen, Fürchten,
      Und das reiche Nest der Schmerzen? –

Weil ich liebe so mein Lieben,
      Weil ich liebe meine Schmerzen,
Weiß ich's, daß die echte Liebe
      Wohnt in meinem reichen Herzen. 101


56.

        Wem die Kugel sitzt im Körper,
      Der wird nimmermehr gesunden,
Schien es uns auch, als ob heilten
      Und vernarbten seine Wunden.

Bei dem kleinsten trüben Wölkchen
      Fühlt er seine Schmerzen wieder;
Bei der allerg'ringsten Mahnung
      Zieht ein Weh durch seine Glieder.

Wem der Pfeil im Busen sitzet,
      Jener Pfeil mit gift'gen Spitzen,
Jener Pfeil mit Widerhaken,
      Die im Herz des Herzens sitzen;

Jener Pfeil mit Flammenzacken,
      Jener Pfeil so blank gegliedert,
Jener Pfeil der heißen Liebe,
      Unverstanden, unerwiedert: 102

Wer wie Gras nach Thau und Regen,
      Nach der Einzigen geschmachtet,
Und bleibt dennoch ungeliebet,
      Unbeweinet, unbeachtet;

Wer so wie ein Regentropfen
      Einsam fällt aus seinem Himmel,
Wird gestürzt zur düstern Erde
      Aus dem vollen Lichtgewimmel;

Der wird nimmermehr gesunden,
      Der bleibt krank und wund für immer,
Wird zuweilen Lind'rung finden,
      Doch genesen wird er nimmer!

Ewig wird ein bitt'res Mahnen
      Seine Freuden selbst begleiten,
Wird selbst seinen schönsten Stunden
      Wie ein Geist zur Seite schreiten;

Selbst wenn er im Drang nach Liebe
      An ein Herz sich einst wird neigen,
Wird der Schmerz, der ewig wache,
      Frisch aus seinem Herzen steigen! 103


57.

        Wenn ein Mädchen noch so heimlich
      In dem Busen trägt ein Veilchen,
Es verräth sich doch den Leuten,
      Weil es aushaucht duft'ge Theilchen.

Solch ein Veilchen ist die Liebe,
      Tief versteckt in Busens Sehnen,
Sie verräth sich doch den Leuten,
      Weil sie ausströmt stille Thränen,

Solch ein Veilchen ist die Wehmuth,
      Tief versteckt im Sänger-Herzen,
Sie verräth sich doch den Leuten,
      Weil sie austönt ew'ge Schmerzen! 104


58.

        Rose wünscht ihr Knospenleben
      Noch einmal zurück zu träumen,
Und die Frucht, sie denkt sich gerne
      Noch als Blüte an den Bäumen.

Perle selber, die so prächtig
      Schlummert in den Muschelhallen,
Sieht sich gern als Tropfen Thaues,
      Wie vom Himmel sie gefallen.

Liebe auch, die off'ne Rose,
      Träumt zurück ihr Knospenleben,
Wie sie zagte, wie sie wagte,
      Wie sie aufbrach nur mit Beben.

Liebe auch, die Frucht des Herzens,
      Denket an ihr Blütenwesen,
Wie so duftig, wie so zaghaft,
      Wie so zitternd es gewesen. 105

Liebe auch, des Busens Perle,
      Sieht als Thräne sich noch gerne,
Wie sie fiel mir in die Seele
      Aus dem holden Augensterne! 106


59.

        Wenn man den Magnet belastet
      In dem magischen Geschäfte,
Ziehen stärker seine Pole,
      Steigen höher seine Kräfte.

Wenn die Liebe wird belastet
      Vom Geschick, mit Schmerz und Thränen,
Wird erhöhet nur ihr Lieben,
      Wird gesteigert nur ihr Sehnen! 107


60.

        Hätt' ein Bildniß ich der Holden,
      Nur den Schatten ihrer Züge,
Hieße ich den tiefen Jammer,
      Selbst mich täuschend, gerne Lüge!

Hätte ich aus ihrem Haare,
      Eine Locke, eine kleine,
Dünkt' ich mich in meinem Schmerze,
      Nicht so einsam und alleine!

Hätte ich von ihrer Arbeit
      Nur das kleinste Angedenken,
Würde das doch süße Labung
      In das öde Herz mir senken.

Hätte ich von ihren Händen
      Eine Silbe nur geschrieben,
Wäre sie als Schmerzgefährte
      In dem Elend mir geblieben. 108

Hätte sie in einem Buche
      Nur ein Blättchen je vergessen,
Würde ich in stillen Stunden
      Süßen Balsam aus ihm pressen!

Weil sie aber nichts von Allem,
      Nichts von Allem mir gegeben,
Muß mein Lieben und mein Leiden
      Einzig vom Gedächtniß leben! 109



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