Moritz Gottlieb Saphir
Wilde Rosen
Moritz Gottlieb Saphir

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121.

        Baum fragt nicht, ob seine Früchte
Je gewinnen Lieb und Dank!
Rose fragt nicht, ob die Bienen
Loben ihren süßen Trank,
Demant fragt nicht, ob sein Funkeln
Anerkennt die finstre Welt!

Sonne fragt nicht, ob ihr Strahlen
Wird erkannt vom Himmelszelt!
Und mein Herz mit seiner Liebe,
Und mein Lied mit seinem Sang,
Fragen keines, ob von Beiden
Eines sich ihr Herz errang. 214


122.

        Weiter geh' ich, immer weiter,
      Bin dir dennoch ewig nah,
Wo den Himmel ich erblicke,
      Da bist du auch wieder da!

Welt ist groß für and're Leute,
      Dem, der liebt, dem ist sie klein,
Denn nur da, wo seine Liebe,
      Da ist seine Welt allein! 215


123.

        Der See!
Der See!
Im Herzen steht ein See,
Und ruht der See, zur guten Stund,
Sieht man hinab bis auf den Grund,
Der See ist klar, der See ist rein,
Der Himmel scheint so hell hinein,
Und wer dem See sich anvertraut
Sein eig'nes Bildniß in ihm schaut,
Denn »Liebe« wohnt, die holde Fee,
Im See,
Im See!

Der See!
Der See!
Im Herzen steht ein See,
Und wenn der See ist sanft bewegt,
Von Wunsch und Sehnsucht angeregt,
Dann dunkelt sich die Flut gemach,
Die Wellen murmeln leise: ach! 216
Das Bild, das man den Wellen gab,
Das gleitet bebend auf und ab,
Wie hoch und tief die Well' auch geh'
Vom See,
Vom See!

Der See!
Der See!
Im Herzen steht ein See,
Und wenn ein Sturm den See zerschäumt,
Wenn jede Welle hoch sich bäumt,
Wenn wild die Flut an's Ufer schlägt,
Die todte Lieb' an's Ufer trägt,
Und aus des Herzens offnem Spalt,
Die Tiefe gähnet, öd' und kalt,
Dann wohnt der Schmerz, dann wohnt das Weh
Im See,
Im todten See! 217


124.

        Wenn du willst den Schatz der Liebe
      Heben dir zur süßen Stunde,
Mußt du schweigen, mußt die Zunge
      Fest vermauern in dem Munde!

Keine Seele darf dir helfen!
      Keine Seel' den Weg dir bahnen,
Keine Seele dich ermuntern,
      Keine Seel' den Schatz nur ahnen!

Keine Flamme darf dir leuchten,
      Als die beiden Augensterne,
Die da brennen, äthergeistig,
      Ob dem Schatz im Herzenskerne!

Darfst nicht horchen, darfst nicht lauschen,
      Wenn du hörst ein hämisch Flüstern,
Denn es hausen die Dämonen,
      Wo ein Schatz ist, bös und lüstern! 218

Wie du hörst auf fremde Worte,
      Wie ein Wort dir flieht vom Munde,
Ist der Schatz sogleich versunken,
      Und verschwunden in dem Grunde;

Und die schwarzen Erdengeister
      Schlagen auf ein Hohngelächter,
Denn es sind die bösen Geister
      Jedes Erdenschatzes Wächter! 219


125.

        Eine Götterstadt der Liebe,
      Aufgebaut von Amors Händen,
Ausgeschmückt mit Tempelhallen,
      Götterbilder an den Wänden,

Ein Pompeji voller Wunder,
      Voll von Tempeln und Altären,
Stand in meinem vollen Herzen,
      Wogend, wie ein Feld voll Aehren!

Unter ausgebrannter Lava,
      Unter Asche, fest verkittet,
Liegt sie jetzt, mit all' den Göttern
      Und den Tempeln tief verschüttet!

Und der Schmerz, der forschbegier'ge,
      Gräbt nun nach zu jeder Stunde,
Wühlet nach versunk'nen Göttern
      In dem asch'bedeckten Grunde. 220

Deckt sie auf die Arabesken,
      Mit den Blumen, mit den Kränzen,
Frischt sie auf die Wandgemälde,
      Mit den luft'gen Horentänzen,

Gräbt herum in den Ruinen,
      Nach zerstückten Götterresten,
Nach den Trümmern von Gefäßen,
      Einst bestimmt zu Götterfesten.

Schmerz ist so mein Todtengräber,
      Der, anstatt sie einzugraben,
Ist beschäftigt, all' die Bilder
      Aus dem Tode auszugraben! 221


126.

        Wilde Rose, wilde Rose,
      Du allein gebenedeite,
Du nur bist von all' den Blumen,
      Du allein die Unentweihte!

Nur durch falsche Glut getrieben,
      Sah ich alle Blumen prangen,
Sind in Falschheit auferzogen,
      Sind in Falschheit aufgegangen!

Falsche Hitze, die sie färbte,
      Falsche Farben, die sie schmücken,
Falsche Düfte, die sie buhlend
      In die gold'nen Säle schicken!

Sah sie prangen, Ros' und Nelke,
      Und die Blumen aller Sorten,
Auf den Bällen, auf den Sälen,
      Und auf allen off'nen Orten, 222

In den Haaren, an dem Busen,
      Gleißen, prunken, kokettiren,
Eine Stunde blenden, locken,
      Duft und Farbe dann verlieren!

Du nur, fromme, wilde Rose,
      Bist kein Kind der Treibhausdünste,
Und die Röthe deiner Wangen,
      Ist nicht Glut der Glashauskünste!

Weil du sittlich, rein, bescheiden,
      All' den Winter bliebst am Stengel,
Wecket dich mit süßem Kusse
      Frühling nun, der Blumenengel!

Weil du weiltest, unbetastet,
      Züchtiglich an fernen Hecken,
Kömmt der keusche Gott des Tages,
      Aus dem Schlummer dich zu wecken;

Und er gießt die reinsten Strahlen
      Dir in's Herz und auf die Wangen,
Und er schickt die reinsten Weste,
      Dich mit Grüßen zu empfangen, 223

Und er schickt die schärfsten Dornen,
      Schützend stets dich zu umschließen,
Und er läßt die schönsten Lieder
      Seiner Sänger dich genießen! 224


127.

        Als ich reis'te fort von hinnen,
      Vorwärts aus den Heimatsschranken,
Flogen rückwärts Wunsch und Sehnsucht,
      Flogen rückwärts die Gedanken.

Als ich weilte in der Fremde,
      Zogen mich zu Heimatsschranken,
Unablässig, unermüdlich,
      Wunsch und Sehnsucht und Gedanken.

Als ich sehnend wiederkehrte
      Rückwärts zu den Heimatsschranken,
Flogen vorwärts Wunsch und Sehnsucht,
      Flogen vorwärts die Gedanken!

Geht nicht von mir, Wunsch und Sehnsucht!
      Geht nicht von mir, ihr Gedanken!
Wo ihr hinwollt, wo ihr hineilt,
      Sind versperrt die Herzensschranken! 225


128.

        Keinen Frühling hatte mein Liebe,
      Keinen Lenz mit zarten Blättern,
Plötzlich kam des Sommers Schwüle,
      Ueberreich an Blitzeswettern.

Keine Herbstzeit hatte meine Hoffnung,
      Sah sie langsam nicht erblassen;
Sie begrub der Winter plötzlich
      Unter Schnee und Eisesmassen.

Liebes-Sommer nur und Hoffnungs-Winter
      Sind des Herzens Jahreszeiten,
Und ich muß durch Eis und Flammen
      Schweigend hin zum Grabe schreiten! 226


129.

        Wenn der wilden Rose Blätter
      Abgefallen und verblichen,
Steht die Hagebutte trauernd
      Um den Reiz, der ihr entwichen.

Sehnsuchtsglühend, tieferglommen,
      Dunkelflammend ist ihr Wesen,
Denn sie denkt voll Glut der Stunde,
      Wo sie Rose ist gewesen! –

Wenn der Lieb' in meinem Herzen
      Auch die Blätter sind entfallen,
Steht sie dennoch, dunkelglühend,
      In des Herzens tiefsten Hallen.

Sehnsuchtsglühend, tieferglommen,
      Dunkelflammend ist ihr Wesen,
Denn sie denkt voll Glut der Stunde,
      Wo die Blätter frisch gewesen! 227


130.

        Es glühet in dem dunkeln Laube
Vor ihrem Fenster die Citrone,
In kalten Lüften bebt und zittert
Die Tochter glühendheißer Zone.

D'rob lacht vom nächsten Rebenhügel
Die kleingekörnte, junge Traube,
»Mir ist heiß genug, die Sonne«
Spricht sie, »in meinem zarten Laube.« 228

– »Dem Staube nah,« spricht die Citrone,
»Geschaffen ird'schen Durst zu letzen,
Genügen dir auch matte Strahlen,
In Fieberglut dich zu versetzen;«

»Ich aber wohn' im höchsten Lichte;
Im klarsten Äther großgezogen,
Bedarf ich heißer Sonnenstrahlen,
Und glutdurchströmter Ätherwogen!« –

Viel laue Herzen auch gedeihen,
Im matten Strahl gleich von Opalen,
Ein Dichterherz will Azurfluten,
Und Ätherglut, und Sonnenstrahlen! – 229



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