Moritz Gottlieb Saphir
Wilde Rosen
Moritz Gottlieb Saphir

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71.

        Wenn ich dir in's klare Auge
      Manchmal sinnend, sehnend seh',
Finde ich darin geschrieben
      Einen Liebesbrief voll Weh!

Wenn ich deine Lilienwange
      Geistigblaß und leidend seh',
Seh' ich in den Lilien schlafen
      Ein geduldig, heilig Weh!

Wenn ich dann dein schmerzlich Lächeln
      Um den Mund, den holden, seh',
Seh' ich d'rin ein Liebesmärchen
      Voller Leid und voller Weh!

Wenn ich dann in's Herz, das reine,
      In das klare Herz dir seh',
Seh' ich d'rin die Weberschiffchen,
      Die stets weben dir dieß Weh'! 125

Wenn ich dann voll Schmerz mir selber
      In das Herz, das wunde, seh',
Find' ich Brief und Märchen wieder,
      Und dich selbst und all dein Weh! 126


72.

        Wilde Rosen stehen enge,
      Dichtgedrängt in meinem Herzen,
Wohl gepflegt vom heißen Boden,
      Frisch getränkt vom Thau der Schmerzen.

Wilde Rosen dir entgegen
      Blühen, glühen und vergehen;
Milde Lieder dir entgegen
      Klingen, singen und verwehen.

Meine Lieder, meine Rosen,
      Wenn du sie gehört, gesehen,
Wollen beide gar nichts Andres,
      Als verklingen, als vergehen! 127


73.

        Ein Meer kenn' ich, ein uferloses,
      Nicht Klippen hat's, nicht Felsenriffe,
Zum Ruh'bett werden seine Wogen,
      Und sicher trägt's Millionen Schiffe.

Der Himmel ist's, Millionen Sterne
      Sind wie die Schiffe d'rin erschienen,
Und um die Schiffe zieh'n Trabanten,
      Gleich hellen, singenden Delphinen.

Und abwärts, an des Meeres Saume,
      Da steigt an jedem Abend, prächtig,
Des Mondes Leuchtthurm aus den Fluten,
      Und flammet warnend da allnächtig.

Und über dieses Meer zu flüchten,
      Gibt Glaub' und Hoffnung sich're Kähne
Sie spannen auf die weißen Segel,
      Und ziehen hin wie fromme Schwäne. 128

O Liebe komm! die Kähne winken,
      Sie tragen gern' betrübte Seelen;
Das Meer ist klar! die Fluten lächeln!
      Der Leuchtthurm läßt den Weg nicht fehlen!

In diesen Kähnen laß' uns wohnen,
      Auf dieses Meer laß' uns vertrauen,
Wir wollen glauben, wollen hoffen,
      Bis wir durch's Meer das Jenseits schauen! 129


74.

        In dem Berge kochen Flammen,
      Glut in seinem Eingeweide,
Außen scheint er fröhlich, lachend,
      Angethan mit grünem Kleide,

Glühend gährt's in seinem Innern,
      Mark und Knochen zu verglasen,
Außen sprießen tausend Blumen
      In dem Schmelz vom frischen Rasen.

Wird das Feuer dann so mächtig,
      Daß es ausbricht hell in Flammen,
Sammeln sich zum schönen Schauspiel
      Tausend Menschen bald zusammen;

Denken nicht an all die Qualen
      Die der Berg in sich empfindet,
Wie er unter Stöhnen, Ächzen,
      Unter Schmerz und Brand sich windet. 130

Und vom Nervensaft des Lebens,
      Von dem Mark der Eingeweide,
Aus der Lava, machen tändelnd
      Sie sich köstliches Geschmeide. –

– In mir wühlen ew'ge Flammen,
      In mir sieden rothe Quellen,
Außen beut mein buntes Leben
      Manche lustig schöne Stellen.

Wird die Glut mir gar zu mächtig
      Schlägt sie aus mit wildem Tosen,
Brechen wild die rothen Flammen
      Sprühend aus in wilden Rosen.

Und der Leser pflückt die Rosen,
      Freu't sich ihres Farbenspieles,
Ihrer Blätter zarten Glätte,
      Und des schlankgebauten Stieles,

Denkt nicht, daß die Rosen alle
      Sind gefärbt im Blut vom Herzen,
Daß ihr Duft ist nur ein Seufzer,
      Ausgepreßt von ew'gen Schmerzen. 131


75.

        Die Sonne steigt von ihrem blauen Throne,
      In's ferne Weltmeer kühlend sich zu baden,
Auf grünen Bergen hat der gold'nen Krone
      Sie, wie auf sammtnen Kissen, sich entladen;
Von Berg zu Berg' zieht sie die Purpurschleppe
Voll Glut hinab die große Hügeltreppe. –

Die Rose aber, voll vom Liebesdrange,
      Nach ihrer Tagesfürstin still gewendet,
Fühlt nichts von ihrem stillen Niedergange,
      Nicht daß ihr Tag- und Liebes-Traum sich endet;
Dieweil in ihrem offnen Kelch noch immer
Der Abglanz ruht von ihrer Sonne Schimmer!

So will mein Herz es nimmer sich gestehen,
      Daß meine Sonn' vom Himmel ist gesunken,
Es fühlt den Strahl noch leuchtend in sich stehen,
      Den es aus ihrem Antlitz hat getrunken;
Es steht die Nacht hindurch im Dämmerschauer,
Und träumt im Dunklen von des Tages Dauer! 132


76.

        Eifersüchtig, eifersüchtig
      Ist das braune Weib: die Nacht,
Weil der Tag, ihr Ehegatte,
      Von ihr ging in seiner Pracht.

Eifersüchtig, eifersüchtig
      Ist das braune Weib, die Nacht,
Darum sind die tausend Flammen
      Ihr im Busen angefacht.

Eifersüchtig, eifersüchtig
      Ist das braune Weib, die Nacht,
Darum hält mit tausend Augen
      Sie um Erd' und Himmel Wacht!

Eifersüchtig, eifersüchtig
      Ist die Liebe, wie die Nacht,
Schlaflos, ruhlos, wie die Mutter
      Die ein krankes Kind bewacht. 133

Eifersüchtig, eifersüchtig
      Ist die Liebe, wie die Nacht,
Hat im Busen tausend Flammen,
      Glühend, zehrend angefacht.

Eifersüchtig, eifersüchtig
      Ist die Liebe, wie die Nacht,
Ihre tausend Augen halten
      Über Erd' und Himmel Wacht.

Eifersüchtig, eifersüchtig
      Ist die Liebe, wie die Nacht,
Darum geht sie lauschend, spähend,
      Eingehüllt in Trauertracht! 134


77.

        In die Erd' kann ich nicht steigen,
      Um zu holen gold'ne Stangen,
In das Meer kann ich nicht tauchen,
      Edle Perlen zu erlangen.

Doch in's Herz der Auserkornen
      Stieg ich, wie ein Bergmann, nieder,
Holte mir den Schatz, den gold'nen,
      Singend meine Bergmanns-Lieder!

Doch ich tauchte in die Augen,
      In die blauen, sinnig tiefen,
Um die Perlen mir zu holen,
      Die am klaren Boden schliefen.

Goldesgräber, Perlenfischer,
      Und doch dürftig ohne gleichen.
Bei dem Golde, bei den Perlen,
      Muß ich darben und erbleichen! 135


78.

        Frühling kommt, mit gold'nen Strahlen
      Klopft er an die Bäume an,
Und es wird dem Strahlen-Jüngling
      Blatt und Blüte aufgethan.

Frühling kommt, mit gold'nen Strahlen
      Klopft er an der Berge Thür,
Berg und Fels erschließt die Thüren,
      Quell und Bergstrom stürzt herfür.

Frühling kommt, mit gold'nen Strahlen
      Klopft er an die Herzen fein,
Und die Herzen alle jubeln,
      Rufen jauchzend: »nur herein!«

Frühling kommt, mit gold'nen Strahlen
      Klopft er an mein trauernd Herz,
Doch mein Herz, es sagt dem Frühling:
      »Wandle, Frühling, weiterwärts!« 136

Einen Frühling sah ich blühen,
      Der so hold zur Erde sank,
Daß mein Herz aus jedem Gräschen
      Nektar und auch Lethe trank.

Einen Frühling sah ich blühen,
      Jedes Blümchen ein Gedicht,
Jedes Rosenblatt ein Spiegel
      Von der Holden Angesicht!

Einen Frühling sah ich blühen,
      Jeder Kelch war ein Pokal,
Jede Blume eine Vase,
      Und der Liebe Opferschal';

Jedes Gras ein sel'ger Trinker,
      Süß das Haupt vom Thau beschwert,
Jeder Strauch ein Minnesänger,
      Jedes Blatt ein Opferherd!

Jener Frühling ist verschwunden;
      Und mit jenem Frühling schwand
Auch der schöne Liebesfrühling
      Der in meinem Herzen stand. 137

Viele Frühling' werden kommen
      Für die ewige Natur,
Doch die Liebe und die Herzen
      Haben einen Frühling nur!

Einen Frühling hat die Liebe,
      Einen Frühling hat das Herz,
Darum sagt mein Herz dem Frühling:
      »Wandle, Frühling, weiterwärts!« 138


79.

        Viel Gedanken steh'n verworren,
      Dicht in mir, gleich einer Wildniß,
Bauen sich zum dunklen Tempel
      Um ihr heilig Götterbildniß!

Jeder Zweig von den Gedanken,
      Jedes Blatt an diesen Zweigen
Sich dem süßen Götter-Bildniß
      In gewohnter Demuth neigen.

Leises Rauschen, leises Flüstern
      Geht durch die Gedanken-Bäume,
Lieder sind's begrab'ner Tage,
      Lieder sind's begrab'ner Träume.

Nie durch die Gedanken-Wildniß
      Fällt in mich ein Strahl der Sonne,
All mein Licht empfang' ich einzig
      Von dem Antlitz der Madonne! 139

Täglich werden die Gedanken
      Immer dichter, immer wilder;
Täglich wird das Götter-Bildniß
      Immer sanfter, immer milder!

Täglich werden meine Klagen
      Immer lauter, schmerzensreicher;
Täglich macht des Bildes Zauber
      Meine Lieder wehmuthsreicher.

Und so lieg' ich vor dem Bilde,
      In der Wildniß von Gedanken,
Knieend, seufzend, betend, weinend,
      Ohne Weichen, ohne Wanken. 140


80.

        Viele wandeln breite Straßen
      Durch die Liebe, durch das Leben,
Zwischen freundlichen Alleen,
      Weg und Pfad sind glatt und eben;

Berge sinken, Steine weichen,
      Strom und Abgrund haben Brücken,
Und das Ziel, es scheint sich selber
      Ihnen fröhlich nah' zu rücken. –

Mir nur sind im Leben, Liebe,
      Angewiesen rauhe Stege,
Keine Hand, die nur ein Steinchen
      Räumt von meiner Pilgerwege!

Einsam, dunkel, steinbesäet
      Führt mein Weg mich durch das Leben,
Windet sich durch Nessel-Saaten,
      Nicht ein Blümchen wächst daneben! 141

So auch geht mein Pfad der Liebe
      Zwischen Dornen, zwischen Nesseln,
Lichtlos geh' ich, ohne Führer,
      Nach mir schleppend schwere Fesseln!

Dennoch dring' ich qualvoll, rastlos,
      Über Stein und Fels und Moose,
Denn es blühet zwischen Dornen
      Eine holde wilde Rose;

Eine Rose, wunderlieblich,
      Wie der Mond in Sommernächten,
Rings umzäunt von rauhen Hecken,
      Die mit Stacheln sie umflechten.

Und ich sinke, herzzerissen,
      Blutend bei der Rose nieder,
Hauche durch die Rosenblätter
      Sehnend aus die letzten Lieder.

Wilde Rose neigt sich nieder,
      Mit dem Haupt, dem sehnsuchtsblassen,
Denn die Rosen wollen lieben
      Wenn die Dornen wollen hassen! 142

Wilde Rose neigt sich nieder,
      Auf mich fällt der Thau vom Blatte,
Und ich sterb' im süßen Wissen,
      Daß sie Thränen für mich hatte! 143



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