Moritz Gottlieb Saphir
Wilde Rosen
Moritz Gottlieb Saphir

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61.

        Lieb' hat eine wilde Tochter,
      Selbstgezeugt und selbstgeboren,
Selbstgesäugt und großgezogen,
      Sich zur Kränkung selbstbeschworen.

Lieb' hat eine wilde Tochter
      Die ihr folgt auf jedem Schritte,
Die in Dornensaat verwandelt
      Ihrer Mutter Blumentritte.

Lieb' hat eine wilde Tochter,
      Wehe wen sie hält umfangen,
Eifersucht, mit Geierkrallen.
      Eifersucht mit Natterzangen!

Gift wird ihm aus Wein und Schlummer,
      Und sein Zucker schmeckt ihm sauer,
Seine Erde hat nicht Blumen,
      Und sein Himmel ist kein blauer! 110

Seine Nacht hat keine Sterne,
      Und kein Frühroth seine Tage,
Seine Thränen keine Kühlung,
      Keinen Anklang seine Klage,

Seine Ruhe kein' Erquickung,
      Keine Täuschung seine Träume,
Seine Hoffnung, seine Wünsche
      Keine hellen Purpursäume.

An der Kette, auf der Lauer
      Lebt er ewig, unter Zittern,
Rüttelt ewig an den Worten,
      Küssen, Schwüren, wie an Gittern!

Lieb' hat eine wilde Tochter!
      Wer der Mutter sich ergeben,
Der verschreibt auch ihrer Tochter
      Schlaf und Traum und Blut und Leben! 111


62.

        Ein Rosenblatt und eine Thräne,
      Die sanft dem Aug' entglitt,
Gab Gott der stummen Liebe
      Und sagte: »sprich damit!«

Da nahm die Rosenblätter
      Für Sich beglückte Lieb',
Der unbeglückten Liebe
      Nichts als die Thräne blieb.

D'rum spricht sie nur in Thränen
      Was sie so denkt und meint,
D'rum hab' ich ganze Bücher
      Im Stillen schon geweint! 112


63.

        Lustig nennen sie mein Wesen,
      Weil ich bunte Dinge schreibe.
Der Humor in meinem Herzen
      Ist nur eine bunte Scheibe.

Nach hinaus schaut es ganz helle
      In des Lichtes bunten Farben,
Und es flattert durch einander
      In dem Spiel der lust'gen Farben.

Doch hinein schaut durch die Scheibe,
      In des Herzens öde Hallen,
Da ist's öd' und todt und finster,
      Und der Altar ist zerfallen. 113


64.

        Wenn ein Bildniß von der Mauer
      Ohne Anlaß fällt zur Erde,
Geht die Sage, daß sein Urbild
      Schnell darauf auch sterben werde.

Weil mein Bildniß dem Gedächtniß
      Der Geliebten ist entfallen,
Hoff' ich, daß sein traurig Urbild
      Bald auch wird zu Grabe wallen. 114


65.

        Eine Aloe am Ufer
      Hat die Knospen ausgestreckt,
Wie ein großer Kandelaber
      Der die Lichter aufgesteckt.

Große weiße Blumen dringen
      Aus dem grünen Knospensprung,
Leuchten wie die Zauberflammen
      Magisch durch die Dämmerung.

Wenn uns diese seltne Pflanze
      Duft und Licht auf einmal bot,
Endet sich ihr schönes Leben,
      Ihre Blüte ist ihr Tod!

Ihres Lebens schönste Stunde
      Nahet mit dem Tod heran,
Und sie zündet ihre Blüten
      Nur an ihrem Grabe an. 115

So auch treibt mein Herz nur sterbend
      Lieder voll von Licht und Duft,
Die dann als geweihte Kerzen
      Brennen an der Liebe Gruft! 116


66.

        Eine Blume steht hoch oben
      Auf dem steilen Felsenrücken,
Und mich faßt ein innig Sehnen,
      Diese Blume mir zu pflücken: –

– »Schöne Blume, lichtumflossen,
      Steig' von deiner Burg hernieder!
In dem Thale ruft die Liebe,
      In dem Thale rufen Lieder.

Holde Blume, laß den Äther,
      Einsam ist's in hohen Zonen;
Menschen wollen unter Blumen,
      Blumen unter Menschen wohnen!

Süße Blume, komm' herunter,
      Deine Reize laß' dir deuten,
Und vergönn' mir deiner Blätter
      Süßes Räthsel auszubeuten.« – 117

– »Theurer Sänger, kann nicht kommen,
      Kann mein Haupt nur still dir neigen,
Denn ein Fels hält mich gefangen
      In den tiefsten Wurzelzweigen.

Theurer Sänger, kann nicht kommen,
      Licht und Duft kann ich nur senden,
Freier Bote ist der Äther
      Über Berg und Felsenwänden.

Theurer Sänger, kann nicht kommen,
      Doch mit Denken an dir hangen,
Denn mein Herz schwebt hoch im Freien,
      Wie mein Fuß auch ist gefangen!« –

Und die Blume bleibt verwaiset
      Einsam auf dem Felsen stehen,
Und der Sänger bleibt im Thale,
      Unverwandt empor zu sehen.

Bis die Blume ist verblichen,
      Bis die Blätter ihr entfallen,
Bis sie auf das Grab des Sängers,
      Felsentfesselt, niederwallen. 118


67.

        Frost ist gar ein lieber Gärtner,
      Freundliches hat er im Sinn',
Zaubert Blumen mir allnächtlich
      An die Fensterscheiben hin!

Traum ist gar ein süßer Gärtner,
      Der es herzlich mit mir meint,
Weil mit meines Daseins Blume
      Jede Nacht er mir erscheint!

Doch mit erstem Morgenstrahle
      Lassen beide ihren Ort,
Von den Fenstern, von den Augen
      Nehmen sie die Rosen fort!

Ach, die Blume, die ich träume,
      Ist ja Blume selbst aus Eis,
Eis'ger Frost hält sie gefesselt,
      Und mein Herz ist liebeheiß! 119

Und die Blumen an dem Fenster
      Hat Natur ja nur geträumt,
Als sie schlafend daran dachte,
      Daß der Frühling lange säumt! 120


68.

        Ein Buch ist jedes Mädchenherz
      Mit gar geweihten Lettern,
Die meisten Männer lesen's nicht,
      Sie wollen bloß d'rin blättern.

Sie schlagen wie der Wirbelwind
      Die Blätter um in Reihe,
Verstehen nicht ein Sprüchlein d'rin,
      Nicht einen Vers voll Weihe.

Ich aber hab' ihr Herzensbuch
      Mit Andacht ganz durchlesen,
Und bin nach jedem neuen Blatt
      Noch zärtlicher gewesen.

Da schlägt das Schicksal mir das Buch
      Urplötzlich aus den Händen, –
Was weiter kommt, das muß ich nun
      Aus dem Gedächtniß enden! 121


69.

        Im gefärbten, bunten Glase
      Steht der Strauß verblichen da,
Der mit seinen schönsten Farben
      Unlängst noch die Holde sah.

In dem finstern, dunklen Herzen
      Steht noch frisch die Rose da,
Die ich schmerzlich schon seit langen,
      Langen Monden nicht mehr sah.

Täglich wird mit frischem Wasser
      Wohl das bunte Glas gefüllt,
Täglich wird mit frischen Thränen
      Auch benetzt das Herzensbild.

Doch die Blumen, sie verwelken,
      Nur das Bild bleibt ewig hell,
Weil der Thräne Wunderwasser
      Ist geschöpft vom Lebensquell! 122


70.

        Klagend, weinend saß ich einsam
      An des alten Jahres Bahre,
Klagend, weinend, sitz' ich einsam
      An der Wieg' vom neuen Jahre.

Und das alte Jahr hat keine
      Meiner Schmerzen mitgenommen,
Mit dem neuen doch sind neue,
      Neue Schmerzen mitgekommen.

Dank' euch vielmal, alte Schmerzen!
      Dank' euch vielmal auch, ihr neuen!
Daß ihr bliebet, daß ihr kamet,
      Soll euch wahrlich nicht gereuen!

Will euch pflegen, will euch warten,
      Wie der Orient die Gäste;
Mit euch theilen und euch geben,
      Was ich hab', das Allerbeste! 123

Will euch waschen, will euch baden
      Mit den Thränen, die mich letzen,
Will am Morgen und am Abend
      Euch mein Herz zur Speise setzen!

Will mit Sang den Tisch euch würzen,
      Ganz nach morgenländ'scher Weise,
Will die Laute klagend spielen,
      Daß euch munde jene Speise.

Eßt euch satt, ihr neuen Schmerzen,
      Eßt euch satt nur auch ihr alten,
Weil nur Schmerzen treu mir blieben,
      Will ich treu an Schmerzen halten! 124



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