Moritz Gottlieb Saphir
Wilde Rosen
Moritz Gottlieb Saphir

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1.

        Ein Buch liegt tief begraben
      In meiner Brust, aus seinen Blättern
Da steh'n des Schicksals dunkle Gaben
      Verzeichnet, mit verzog'nen Lettern;
Des Buches Inhalt zu entfalten,
Dazu treibt mich ein höh'res Walten.

Und wie ich blätt're in den Seiten,
      Den stummen Inhalt seiner Zeilen,
Im lauten Klang der Silber-Saiten,
      Dem Licht des Tages mitzutheilen,
Entsteigen den verworr'nen Zügen
So süßer Schmerz als wild Vergnügen!

Und wie die Blätter wieder rauschen,
      Und wie sich um die Blätter schlagen,
Muß ich den Zeichen sinnend lauschen
      Von Freud' und Lust aus frühern Tagen;
Was sie in Lust und Schmerz gegeben,
Muß noch einmal ich dann erleben. 10

Doch auf dem Blatt' der jetz'gen Stunde
      Ist nur ein einzig Wort geschrieben,
Mit Blut aus meines Herzens Wunde,
      Ein einzig Wort, es heißet: lieben!
Doch dieses kleine Wörtchen eben,
Es ist ein Buch für's ganze Leben!

Und dieses Buches Geist und Wesen,
      Ist dir gewidmet, ganz dir eigen,
Willst du es auch nicht mit mir lesen,
      So wirst du doch dich lauschend neigen,
Wenn ich die Lieder will erwählen
Das Buch dir singend zu erzählen! 11


2.

        Wenn eine Perle wär' das Wort,
      Und Perlenschnur das Lied,
Dann reiht' ich Perlen immerfort,
      Und würde nimmer müd',
Und schlänge so das ganze Jahr
Die Schnüre in ihr gold'nes Haar.

Wenn Silber wär' mein Sang,
      Und Gold mein Saitenspiel,
Ich sänge fort mein Lebenlang,
      Und hätt' es nie zu viel;
Und das Geschmeid', ich hing es ihr
An Hals und Brust, zur süßen Zier.

Wenn all mein Denken wär' Gespinnst,
      D'rein sie nur webt und lebt,
Ich hätt' ein Kleid ihr zum Gewinnst
      Aus Denken schon gewebt;
Und hätte dieß Gedankenkleid
Der Holdesten zum Putz geweiht, 12

Wenn jeder Wunsch ein Engel wär',
      Und jegliches Gebet,
Ich hätte schon ein Engelheer
      Vom Himmel ihr erfleht,
Und all die Engel hielten Wacht
Bei meinem Engel Tag und Nacht. 13


3.

        Reichthum heißt nicht Gold erlangen,
      Reichthum heißt nicht Schätze graben,
Reichthum heißt als sein umfangen,
      Was wir lieb im Herzen haben.

Armuth heißt nicht Schätze missen,
      Armuth heißt nicht Gold verfehlen,
Armuth heißt: entbehren müssen,
      Was wir tief im Herzen hehlen!

Ärmer so von Tag zu Tage
      Komme ich an ihre Schwelle,
Ohne Wunsch und ohne Klage
      Sieht mich stets dieselbe Stelle;
Denn mein Reichthum ist's auf Erden:
Sie zu seh'n und – ärmer werden! 14


4.

        Lieb' hat eine treue Schwester:
Sehnsucht, die in Träumen sinnt;
Lieb' hat eine schöne Tochter:
Hoffnung, ein verklärtes Kind.

Hat am Hals der treuen Schwester
Sich die Liebe ausgeweint,
Kommt die Hoffnung mit dem Troste,
Der die Thräne mild bescheint.

Meiner Liebe ist gestorben
Hoffnung, ihr alleinzig Kind,
Und die Schwestern alle beide
Weinen, weinen sich nun blind! 15


5.

        Liebesglück hat tausend Zungen,
Liebesglück spricht immer fort,
Blatt um Blatt, zum Kranz geschlungen,
Und zum Liede Wort um Wort;
Nicht beglückter Lieb' ist's eigen,
Schweigend lieben, liebend schweigen!

Liebesglück in tausend Sprachen
Spricht mit seinem Gegenstand,
Blätter, die aus Knospen brachen,
Werden Wort in Liebeshand,
Liebesglück find't aller Orten
Treuen Dolmetsch seinen Worten!

Liebesglück kann nimmer zaudern,
Auszutönen seine Lust,
Um von seinem Glück zu plaudern,
Nimmt die Welt es an die Brust;
Nicht beglückter Lieb' ist's eigen,
Schweigend lieben, liebend schweigen.

Liebesglück, in tausend losen,
Heitern Scherzen spricht sich's aus,
Putzt mit Lichtern und mit Rosen,
Wie die Christnacht sich heraus,
Und es steh'n in seinem Solde,
Ringe, Locken, Blum' und Dolde. 16

Liebesglück zieht immer wieder
Singend vor des Liebchens Haus,
Tausend kleine nette Lieder
Flattern aus dem Herzen aus;
Nicht beglückter Lieb' ist's eigen,
Schweigend lieben, liebend schweigen!

Schweigend lieben, liebend schweigen
Stiller Mund bei stillem Schmerz!
Fremd der Lust, dem Weh zu eigen,
Lebt der todten Lieb' das Herz,
Wird, bis es in's Grab wird steigen,
Schweigend lieben, liebend schweigen. 17


6.

        Sterne steh'n in ihren Augen,
Unstern' sind sie mir allein,
Rosen blüh'n auf ihren Wangen,
Ihre Dornen nur sind mein.

Anmuth wohnt um ihre Lippe,
Unmuth hat sie nur für mich;
Liebevoll ist all ihr Wesen
Liebelos zeigt's mir nur sich! 18


7.

        Lang' hatt' ich sie nicht gesehen
Und sie fragte kalt: »warum?«
Und mir trat die Thrän' in's Auge,
Doch die Lippen blieben stumm.

Solche Antwort kann nur Liebe,
Lieb' nur sehen und versteh'n,
Drum hat sie meine Antwort
Nicht verstanden, nicht geseh'n. 19


8.

        Holde Nacht, du Mohrenfürstin,
      Hast um Hals und Haar und Wangen
Tausend Sterne, wie die Perlen,
      Und wie Diamanten hangen.

Holde Nacht, du schwarze Rose,
      Trägst auf deinen dunklen Blättern
Gleich des Glühwurms mildem Leuchten,
      Viele tausend Sternenlettern!

Holde Nacht, du Tageswitwe,
      Eingehüllt im schwarzen Schleier,
Hast als Trauerkerzen brennen,
      Sterne bei der Todtenfeier.

Glücklich dennoch, denn beim Scheiden
      Küßte Tag doch deine Lippen;
Kömmt er wieder, wirst du fliegend.
      Flüchtig seinen Kuß doch nippen. 20

Doch die Nacht in meinem Herzen,
      Wird von Sternen nicht durchglänzet,
Und kein Gestern und kein Morgen
      Hält mit Dämm'rung sie umgränzet!

Nicht Erinn'rung liegt als Gestern
      Hinter ihr mit Tagesstrahlen,
Und nicht Hoffnung kömmt als Morgen
      Eine Zukunft ihr zu malen.

Nur ihr Bild zerreißt zuweilen
      Wie ein Blitz die Nacht, die dichte,
Daß die Finsterniß, die tiefe,
      Sichtbar werde in dem Lichte! 21


9.

        Hab' mit meiner Lieb' gesprochen
      Wie mit einem zarten Kinde,
Bunte Träume, bunte Wünsche
      Gab ich ihr zum Angebinde!

Hab' mit meiner Lieb' gesprochen
      Wie mit einem theuren Kranken,
Gab ihr Hoffnung, gab ihr Tröstung,
      Gab ihr kühlende Gedanken.

Hab' mit meiner Lieb' gesprochen
      Wie mit einer armen Waise,
Sang vom Himmel und von Jenseits
      Ihr so manche zarte Weise.

Hab' mit meiner Lieb' gesprochen
      Wie mit einer Heimathslosen,
Gab die Dichtkunst ihr zur Hütte,
      Und zum Lager wilde Rosen. 22

Hab' mit meiner Lieb' gesprochen
      Wie mit meiner letzten Stunde,
Gab ihr von dem bessern Leben,
      Und vom Wiedersehen Kunde.

Hab' mit meiner Lieb' gesprochen
      Bis mir selbst die Sprache fehlte,
Die mich selbst zum Kinde, Kranken,
      Waisen, Heimathslosen zählte. 23


10.

        Im Garten, wo die Holde wohnt,
      Steh'n Blumen aller Arten,
Die Blumen alle lieben sie,
      Die Blumen aller Sorten.

Die Bäume und die Sträuche auch,
      In Gruppen und Alleen,
Sie bücken sich und neigen sich,
      Ihr liebend nachzusehen.

Und weil ich ihnen anvertraut,
      Wie sie mein Herz erwählet,
So haben von der Holden sie
      Mir Mancherlei erzählet.

– »Ich stand,« erzählte der Jasmin
      Mit seinem Blatt aus Seide,
»Ich stand wohl gestern Abend hier
      In meinem grünen Kleide; 24

Sie ging vorbei, berührte mich,
      Als ich das Aug' geschlossen,
Und ich erwacht' im weißen Kleid,
      Von Blüten übergossen.

Denn weil ein Engel mich berührt
      Als ich im Traumesbande,
Da wurde schnell mein irdisch Kleid
      Zum himmlischen Gewande!« –

– Die Nachtviole spricht: »Mein Duft
      Will bis zum Abend warten,
Da wandelt sie voll Reiz und Zier,
      Herum in diesem Garten.

Da sieht sie uns zu Tausend steh'n,
      Und weilt, uns zu betrachten,
Wir duften: »Tausend gute Nacht!«
      Und duften und verschmachten!« –

– Die Rose spricht: »Als Knospe sah
      Ich früh vom Strauch hernieder,
Doch als sie kam in meine Näh',
      Ward mir zu eng das Mieder; 25

Ich sprengte es und schwoll hervor,
      Mein Herz ihr zu enthüllen,
Und sah sie an und war beschämt –
      Und glüh' nun fort im Stillen!« –

– »Das Maaslieb spricht: »Wenn ich sie seh'
      Bin ich wie selbstvergessen,
Bei ihrem Anblick fühle ich,
      Daß Lieb' ist ungemessen.« –

– Die Glocken sagen: »Stellen wir
      Uns auf zu beiden Seiten,
Um, wenn die Holde nahe kommt,
      Sie festlich einzuläuten!« –

Von Blum' zu Blume also tönt,
      Der Sang von meiner Holden,
Es singt vom Blatt, es singt vom Kelch,
      Es singt aus allen Dolden.

Die »wilde Rose« nur allein,
      Das Kind der freien Laune,
Sie steht, von ihr nicht angeblickt,
      Ganz einsam an dem Zaune: 26

Sie wird vom Gärtner nicht gepflegt,
      Und Niemand mag sie pflücken,
So kann sie, selbst gebrochen, nicht
      Die Brust der Theuren schmücken,

D'rum senkt sie auf die Dornenbrust
      Das Haupt, das thränenschwere,
Und blutet und verblutet sich
      Im eignen Dornenmeere! 27



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