Moritz Gottlieb Saphir
Wilde Rosen
Moritz Gottlieb Saphir

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21.

        Wo süß're Schau'r mich überkamen,
      Wenn vor ihr selbst ich bebend stehe,
Wenn ich ihr Bild im goldnen Rahmen,
      So süß an Reizen vor mir sehe? 46

Wenn nach ihr selbst die Blicke schauen,
      Die bittgefüllten, scheuverweg'nen,
Wird nie aus ihrem Aug', dem blauen,
      Ein Blick den meinigen begegnen.

Doch süßer ist es mit dem Bilde,
      Wohin ich auch den Schritt mag wenden,
So scheint's den Blick, wie Frühling milde,
      Mir suchend freundlich nachzusenden.

D'rum hab' ich in des Sanges Golde,
      Und in des Liedes gold'nen Rahmen,
Als Bild gefaßt die einzig Holde,
      Sie eingefaßt in fremden Namen.

Damit als Bild sie milder lenke,
      Damit als Bild sie freundlich schaue,
Wenn Lied um Lied ich stets verschränke,
      Und einen Tempel ihr erbaue! 47


22.

        Der Tag verschied, die goldne Bahre
      Ward auf den Berg zu Grab getragen,
Und Nacht, die blasse Königswittib,
      Kam hinterher im Trauerwagen.

Und eingesponnen in den Fäden
      Von Dämmerlicht, saß ich im Garten,
Wo, mit gebeugtem Haupt, die Blumen
      Der dunkeln Nacht entgegen harrten.

Des Mondes sanfte Wasserblume
      Schwamm blaß im blauen Azur-Reiche,
Wie gold'ne Fischlein trieben Sterne
      Herum im klaren Äther-Teiche.

Die Blumen all gewannen Sprache,
      Ihr Knospenmund war aufgesprungen,
Die Rose mit den Purpur-Lippen,
      Die Lilie mit den Silberzungen. 48

Sie sprachen wunderbare Worte,
      Sie sangen wunderbare Lieder,
Vom Schlehdorn, den sie abgewiesen,
      Und vom verliebten blauen Flieder;

Vom Veilchen, das am hellen Tage
      Verschämt die Äuglein thät verschließen,
Damit das Blümchen dann am Abend
      Die Liebe süßer kann genießen;

Von Dornen, die man haben müßte,
      Zur Waffe, nicht um zu beleid'gen,
Denn es beständ' die Kunst der Liebe
      Nur in der Kunst: sich zu vertheid'gen.

So sangen sie gar viele Weisen,
      Und weil sie glaubten, daß ich schliefe,
Verriethen sie gar süße Laute
      Aus ihres Herzens tiefster Tiefe.

Und Ohr und Herz voll von Gesängen,
      Ging früh ich aus dem Liederthume,
Vorbei am Häuschen, wo darinnen
      Im Schlaf noch lag die schönste Blume. 49

Da flogen plötzlich alle Lieder,
      Die schönen, süßen Blumenlieder,
Sie flogen plötzlich zu der Holden,
      Sie ließen sich am Fenster nieder. –

Die Lieder bleiben, und zu gehen
      Muß ich allein mich dann entschließen,
Wenn sie das Fenster öffnet, werden
      Die süßen Lieder sie begrüßen. 50


23.

        In meinem schönen Vaterlande,
      In Ungarn, herrscht die holde Sage,
Daß jedes Sternlein einen Engel
      Von einem Mädchen in sich trage.

Und wenn von ihm sein guter Engel
      Auf Erden weinend ist gewichen,
Dann fällt herunter auch sein Sternbild,
      Und all sein Schimmer ist verblichen.

D'rum wach' ich alle laue Nächte,
      Und blick' empor zum Blatt der Sterne,
Den Stern der Einzigauserkornen,
      Den schönsten Stern erblickt' ich gerne!

Und wo ich einen Stern erblicke,
      Der so verklärt und lieblich funkelt,
Daß mit dem reinen, keuschen Lichte
      Die andern Sterne er verdunkelt, 51

Denk' ich: das ist der Stern der Holden,
      Das ist der Engel ihrer Tage,
Und ich vertrau' ihm Lieben, Hoffen,
      Erwarten, Fürchten, Wunsch und Klage!

Allnächtlich, wenn er wiederkehret,
      Läßt mich ein süßer Irrsinn denken:
Es würde nun von ihrem Sterne
      Ein Hoffnungsstrahl sich zu mir senken! 52


24.

        Geschmücket mit dem reinsten Thau
    Prangst, süße Blume, du im Blätterschooße,
Und milder Glanz entströmt aus Wies' und Au,
                        Aus dir, du junge Rose.

Mein Aug' auf deinem Blätterscharlach ruht,
    Er theilt mit meiner Hoffnung gleiche Loose,
Er wird und stirbt an einer Sonne Gluth,
                        Du schnellverwelkte Rose!

So geh' denn meiner Lebensrose zu,
    So rein und zart wie du, doch dornenlose,
An ihrer Brust legst du dein Haupt zur Ruh',
                        Du todtbeglückte Rose!

Da trinkst den Odem du aus ihrem Mund,
    Ihr Seufzer, mir versagt, er stiehlt sich leise
In deines Kelchs geheimnißvollen Grund,
                        Beneidenswerthe Rose! 53


25.

        Wie eine schöne Braut, die plötzlich
      Vor ihrer Hochzeitsnacht gestorben,
Im Sarge ruht mit allen Kränzen,
      Die sie in Wonne hat erworben;

Mit dem Geschmeid' am weißen Halse,
      Und mit den gold'nen Freuden-Spangen,
Mit der Erwartung rother Rose,
      Noch glühend auf den zarten Wangen;

So meine Hoffnung ist gestorben,
      Die Hoffnung auf die Auserwählte,
Als g'rade sie dem süßen Glauben
      Aus Gegenliebe sich vermählte.

Mit bunten Kränzen, gold'nen Spangen,
      Mit Blumen in dem langen Haare,
Zum Fest geschmücket liegt die Hoffnung
      Fast athmend noch auf ihrer Bahre! 54

Und all die tausend Liederflammen,
      Bereit zur Hochzeit anzuzünden,
Sie brennen jetzt als Leichenkerzen,
      Den Heimgang meines Glücks zu künden. 55


26.

        Von dem Zweige pflückst du Blätter,
      Als Orakel, flüsterst leise:
»Liebt mich, liebet mich vom Herzen,«
      Und so fort nach jener Weise;

Willst du denn an Blätter glauben,
      Die von blinder Kraft getrieben?
Glaube lieber diesen Blättern,
      Die mit Herzblut sind geschrieben;

Diesen Blättern, die: »vom Herzen
      Und: »mit Schmerzen« dir nur sagen,
Doch: »ein wenig, oder gar nicht
      Nimmer in dem Busen tragen.

Glaube lieber diesen Blättern,
      Die, voll zärtlichen Bestrebens,
Ich gepflückt, zu treuen Boten,
      Von dem Baume meines Lebens; 56

Diesen Blättern, die ich streue,
      Süße Herrin, dir zu Füßen –
Dich mit Liebe, dich »vom Herzen
      Dich »mit Schmerzen« zu begrüßen. 57


27.

        Bevor ich liebte war ich reich,
      Doch Liebe bracht' Bedrängniß;
Bevor ich liebte war ich frei,
      Doch Liebe bracht' Gefängniß;

Bevor ich liebte war ich stolz,
      Doch Liebe brachte Demuth:
Bevor ich liebte war ich froh,
      Doch Liebe brachte Wehmuth;

Bevor ich liebte war ich träg',
      Doch Liebe brachte Schwingen;
Bevor ich liebte war ich stumm,
      Doch Liebe brachte Singen.

Bedrängniß macht mich mild,
      Der Herrin mich zu schicken;
Gefängniß hält mich fest
      In meiner Herrin Blicken; 58

Und Demuth macht mich lieb
      In meiner Herrin Augen,
Und Wehmuth macht mich sanft,
      Der Herrin nur zu taugen;

Und Schwingen sind mein Glück,
      Sie immer zu umkreisen;
Und Singen thut mir Noth,
      In Liedern sie zu preisen;

So bringet Liebe selbst,
      Was Liebe braucht zum Lieben,
Wie kommt's, daß ich dennoch
      Bin ungeliebt geblieben?! 59


28.

        Einen Strauß wand ich früh Morgens,
      Aus den Blumen auf dem Felde,
Daß er süßen guten Morgen
      Heute noch der Theuren melde.

Wand ihn nicht aus Gartenrosen,
      Nicht aus Nelk' und Tulipanen,
Wand ihn nur aus wilden Rosen
      Und aus lustigen Cyanen.

Denn nicht kunstgezog'ne Flammen
      Sollten aus dem Strauße schlagen,
Schmucklos sollt' er Liebefühlen,
      Wahr und schmucklos wieder sagen.

Ich umschlang ihn nicht mit Bändern,
      War mit Bandgras nur umwunden,
Sollt' er doch nicht Wunsch und Hoffen,
      Sollte Sehnsucht nur bekunden. 60

Herzte dann die lieben Blümlein,
      Sprach mit ihnen leise, leise,
Küßte sie mit nassem Auge,
      Wie beim Abschied vor der Reise.

Und sie gingen zu der Holden,
      Eh' der Tag noch angeglommen,
Doch an dem ersehnten Ziele
      Sind sie niemals angekommen.

Und die Blümlein fand ich wieder,
      Abgehärmet, halbvergangen,
Lichtlos die Cyanenaugen,
      Bleich der wilden Rose Wangen!

Und das Bandgras, ganz vertrocknet
      Und verschmachtet, schien zu sagen:
»Hast der Erde uns entrissen,
      Wolltest uns in Himmel tragen,«

»Zwischen Erd' und Himmel, einsam,
      Ließ man sterbend uns vergehen,
Kannst daraus dein eig'nes Schicksal,
      Und dein Ende auch ersehen!« 61


29.

        In das große, weite Meer,
Fließen Ströme, täglich, stündlich;
Und das Meer nimmt alle auf,
Denn sein Reich ist unergründlich;

Neue Sterne schießen auf,
Viel Kometen unvergeßlich,
Und der Himmel faßt sie All',
Denn sein Plan ist unermeßlich;

Neue Pflanzen treibt Natur,
Tausend Blumen, buntgestaltig,
Und die Erd' ernährt sie All',
Denn ihr Schooß ist allgewaltig;

Neuer Lichtstrahl fällt in's Aug',
Farb' und Schimmer, nie erblassend,
Und das Aug' wird doch nicht satt,
Denn sein Kreis ist allumfassend; 62

Neue Welten schimmern auf
In dem Geiste, lichtumflossen,
Und der Geist belebt sie All',
Denn sein Hauch ist Gott entsprossen;

So strömt neue Lieb' zu Lieb'
In das Meer von meinem Triebe;
So auch tauchen Sterne auf,
An dem Himmel meiner Liebe;

So treibt neue Blumenwelt
Aus dem Grund von meinem Herzen,
So fällt neuer Lichtstrahl stets
In den Kreis von meinen Schmerzen;

So ringt sich aus meinem Geist
Welt um Welt von Liebesklagen,
Doch hat Lieb' nie Lieb' genug,
Um genug von Lieb' zu sagen. 63


30.

        Das Kind ist krank, dem Kind ist weh,
      Es thut kein Äuglein zu;
Die Mutter sitzt an seinem Bett,
      Und weint und singt dazu.

Zum Sang ist sie wohl nicht gestimmt,
      Doch singt sie Tag und Nacht,
Und singet, wenn das Kind voll Schmerz
      Die Nächte krank durchwacht.

Und weint und singt die Nacht entlang
      Mit blassem Angesicht,
Bis unter lautem Lied und Sang
      Das Aug' des Kindes bricht. –

Mein Herz ist krank, ihm ist so weh,
      Es hat nicht Rast noch Ruh,
Ich sitz' am kranken Herzen nun,
      Und wein' und sing' dazu. 64

Zum Sang bin ich wohl nicht gestimmt,
      Doch sing' ich Tag und Nacht,
Und singe, wenn mein Herz voll Weh
      Des Lebens Tag durchwacht.

Und sing' dem Herzen Lieder vor,
      Mit Gram im Angesicht,
Bis unter lautem Lied und Sang
      Das kranke Herz mir bricht. 65



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