Moritz Gottlieb Saphir
Wilde Rosen
Moritz Gottlieb Saphir

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31.

        Den Frühling sucht' ich in dem Garten,
      Der Frühling war entflogen,
Die Nachtigall sucht' ich im Laube,
      Sie war davon gezogen.

Die Blumen sucht' ich an dem Fenster,
      Die Blumen sind verschwunden,
D'rauf such' ich, Holde, dich von ferne,
      Ich hab' dich nicht gefunden! –

D'rauf sucht' ich in dem eignen Herzen,
      Da fand ich Frühling wieder;
Da fand ich alle Nachtigallen,
      Sie sangen Liebeslieder;

Da fand ich alle Blumen wieder
      In Sehnsuchtsfarben blitzen,
Da fand ich dich, o Theure, wieder
      Im tiefsten Herzen sitzen! 66


32.

        Da stehen hohe Georginen,
      Wie schlanke Mädchen aufgeschossen;
Sie wiegen ihre schönen Köpfe,
      Als wären sie noch unentschlossen.

Die weißen sanft, mit frommen Augen,
      Sie seh'n mich an mit klugen Blicken,
Wie Hertha selbst die milden Blicke
      Aus klarem Auge pflegt zu schicken.

Die rothen, wo in dunklen Blättern
      Geheime Wünsche durstend hängen,
Sie wollen mit den Gluthenlippen
      Sich aus des Kelchs Geheimniß drängen.

Und ich verweile denkend, sinnend,
      Und lausche auf die Geistersagen,
Die aus den großen, glatten Blättern
      In's aufgeschloss'ne Herz mir schlagen; 67

Viel' kleine Minnemärchen glänzen
      Auf Blätterpergament geschrieben,
Doch lesen können diese Märchen
      Diejenigen allein, die lieben.

Ich las die tausend Liebesmärchen,
      Und hab' sie treulich abgeschrieben;
Willst du sie, Holde, wieder hören,
      Und sie versteh'n, so lerne: Lieben! 68


33.

        Einen Zaubertraum hab' ich gesehen,
      Eine Wiese, grün wie Sammt und Seide,
Und inmitten meinen eig'nen Namen,
      Glänzend strahlen wie ein Goldgeschmeide.

Und von unsichtbaren Feenhänden
      Durchgewebet eine gold'ne Krone,
Arabesken, Fabelblumen,
      Runenblätter fremder Zone.

Dann in einem reinen Schneegefilde
      Einen Kranz aus Rosen, wilden,
Deinen süßen Namen sanft umschlingend,
      Wie in reichen Wappenschilden.

Zwischen diesen Wunder-Arabesken
      Blühten unsichtbare Bäume,
Zwischen diesen schönen Fabelblumen
      Flatterten verliebte Träume; 69

Zwischen diesen buntgefärbten Blättern,
      Schlugen tausend Nachtigallen,
Zwischen diesen gluthgefüllten Knospen
      Sah' ich Liebesgötter wallen;

Zwischen diesen blumenreichen Lettern,
      Wie mit gold'nem Haar gezogen,
Bauten tanzend kleine Hoffnungsengel
      Ihren reichen Farbenbogen;

Zwischen diesen wilden, wilden Rosen,
      Sah dein Antlitz so anmuthig,
Zwischen dem Gewind' aus seid'nen Dornen,
      Lag mein Herz, zerrissen, blutig.

Zaubertraum, ob Wahnbild oder Wahrheit,
      Sei mit beiden mir willkommen,
Bleibt uns doch bei jedem süßen Traume
      Traumesdeutung unbenommen. 70


34.

        Mein Herz ist eine Glocke,
      Gegossen aus gedieg'nem Blut,
Die in der finstern Wölbung
      Des schwarzbehängten Busens ruht.

Als Liebe ward geboren
      In meinem Busen, süß und bang,
Da tönte diese Glocke,
      Im hellen, feierlichen Klang.

Als ich die Liebe traute,
      Vertraute dem geliebten Bild
Da tönte diese Glocke
      So lieblich, feierlich und mild.

Als ich die Lieb' begraben,
      Gestattete zur Schmerzensruh',
Da tönte diese Glocke
      Den dumpfen Sterbeklang dazu. 71

Und seitdem tönt die Glocke
      Nur diesen Sterbeklang allein,
In früher Morgenröthe
      Und spät in Abends Dämmerschein.

So sitze ich und lausche
      Dem Sterbeklang, mit Weh' und Lust,
Der dumpfen Trauerglocke,
      In meiner ewig öden Brust;

Und immer weiter reißet
      Vom Klang die Glocke selbst entzwei,
Bald ist sie durchgerissen,
      Und Klang und Ton ist bald vorbei! 72


35.

        Es wohnen in der Rose
      Viel zärtliche Gedanken,
Die mit den vielen Dornen,
      Die sie umgeben, zanken.

Die Rose spricht mit Farben,
      Die Dornen bloß mit Spitzen,
Die bald das Herz der Rose,
      Das zarte Blatt, zerritzen.

Da sinket in die Dornen
      Die Rose matt hernieder,
Und schlingt die Dornenkrone
      Sich sterbend um die Glieder. 73


36.

        Wo über stiller Erde,
      Die Regenwolke hängt,
Da fühlt sich jede Seele
      Gar wunderlich beengt;

Wo über stiller Lippe
      Ein nasses Auge wohnt,
Da wird vom tiefen Wehe
      Kein fühlend Herz verschont;

Ich sah den Mund, den stillen,
      Das nasse Aug' der Liebe,
Ist das nicht Schmerz genug schon,
      Auf daß er ewig bliebe? 74


37.

        Wenn ich manchmal hab' getrunken
      Einen Becher Ungarwein,
Mußte stets der erste Tropfen,
      Auf ihr Wohl getrunken sein;

Jetzt trink' ich den Thränenbecher,
      Einsam still in meinem Haus,
Bring' bei jedem bittern Tropfen
      Weinend auch ihr Wohlsein aus. 75


38.

        Morgens steckt man eine Rose,
      Blühend, duftend, halbenthüllt,
An sein Herz, das, wie die Rose,
      Ist mit Glut und Thau gefüllt.

Abends wird zum Dolch die Rose,
      Nicht ein farbig Blättchen bleibt,
Blos der Stengel seine Dornen
      In den off'nen Busen treibt. –

An dem Morgen meiner Liebe
      Pflückte »wilde Rosen« ich,
Abends setzten mit den Dornen
      In mein Herz sie blutig sich.

Und in meinem Herzen lieb' ich
      Diesen wilden Dornenstrauch,
Weil ich liebte seine Rosen,
      Lieb' ich seine Dornen auch! 76


39.

        Wenn ich wollte singen,
      Wie das oft geschieht,
Sah ich ihr in's Auge,
      Und es ward ein Lied.

Wenn die Brust ich fühlte
      Von Groll und Haß geschwellt,
Da sah ich ihr in's Auge,
      Und liebte alle Welt!

Wenn ich mit mir selber
      Voll Unmuth hab' gegrollt,
Da sah ich ihr in's Auge,
      Und ward mir wieder hold!

Nun aber kann ich nimmer
      Ihr in das Auge seh'n,
Um Singen, Lieben, Glauben
      Ist's nun auch ganz gescheh'n! 77


40.

        Der Frühling flog von dannen,
      Und wie er fortgeflogen,
Hat er von meinem Busen
      Die schönste Ros' gezogen!

Nachtigall flog von dannen,
      Und wie sie fortgeflogen,
Hat sie das Lied der Liebe
      Mir aus der Brust gezogen!

Die Hoffnung flog von dannen,
      Und wie sie fortgeflogen,
Hat sie den letzten Schimmer
      Mir aus der Brust gesogen!

O Leben flieh' von dannen,
      Dein Inhalt ist verflogen,
Du hast um Rose, Lorbeer
      Und Myrthe mich betrogen! 78



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