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Die Nacht versank. Der junge Tag brach an. Die »Pax« stieg aus der Niederung, in der die Morgendämmerung in seinen silbernen Tönen ihre Farben zog.
Sie stieg langsam. Ganz langsam. Die Bäume versanken, dann die Häuser; und dann die Kirchtürme der verstreut liegenden Dörfer. Hier und da schwirrte noch eine jubilierende Lerche. Auch sie versank. Der Blick wurde immer weiter und immer freier. Die Morgensonnenstrahlen spielten grüßend um den stählernen Leib. Und als die »Pax« den frischen Höhenwinden ihre Brust bot und sich gegen den Luftstrom legte, entfaltete sie einen Schmuck, den sie noch nie getragen: weithin in die Lande sichtbar flatterte an ihrem Heck die schwarz-weiß-rote Flagge.
Und wie sie langsam zur Höhe gestiegen war, so schwamm sie jetzt in derselben feierlichen Ruhe dahin.
Über die Altmark hinein ins Brandenburgische.
Das Havelland mit seinen klaren, blauen Seen wurde abgelöst durch die schimmernden Wasserflächen, in deren Mitte die Sommerresidenz der Preußenkönige lag. In dem reizvollen Panorama tauchte ein Schloß nach dem andern auf. Dort lag das Marmorpalais, dort das Stadtschloß, dort das neue Palais. Rechts unten der mit sattem Grün umkleidete Pfingstberg, – dahinten die Pfaueninsel; dann kamen die Jagdschlösser, Paulsborn, Glinicke, in Laub versteckt, wie ängstlich verborgene Juwele. – Und am Horizont stieg massig und breit das hunderttürmige Berlin auf. –
Fritz Rusart stand über Bord gelehnt. – Nie hatte ihn eine optische Täuschung so gefangen genommen. Unentwegt in die Tiefe schauend, hatte er zuletzt das sichere Gefühl, als ob sein eigener Standpunkt ein unverrückbar fester wäre, und als ob Mutter Erde sich besonders gut darin tun wollte, heute einen Teil ihrer Herrlichkeiten bei ihm vorübergleiten zu lassen. Ihm war, als stünde er still, und dort unten schwebte Bild an Bild vorbei. Er hatte aber übersichtige Augen. Wie durch die feinen Stickereien eines durchsichtigen Vorhanges sah er durch die Bilder hindurch und in die Vergangenheit hinein. In die Vergangenheit, die er mit schweren Schmerzen begraben hatte.
Er hatte einen stolzen, klugen Geist untergehen, einen treuen Mann zusammenbrechen sehen. Und er erinnerte sich des Ausspruches, den Attila zu Frau Franziska getan hatte: »Wie immer mein Ende sein wird, – Ritter werde ich immer geblieben sein!«
Er hatte alles erfahren, alles verstanden und alles gebilligt.
Und in zwei Tagen sollte der Letzte derer von Schwind auf dem Stammsitze seiner Väter zur Ruhe gebettet werden. Neben ihm das Weib seiner Liebe.
Er fuhr sich mit der Hand über die Augen und richtete sich auf. »Ich hatt' einen Kameraden, – – als wär's ein Stück von mir!« – – –
Berlin rollte heran.
In seiner Mitte wieder der steinerne Koloß, der ihn schon gestern auf Stunden beherbergt hatte. Der Zukunft das, was ihr nun gebührte; und alles, was er noch zu geben hatte! Der deutsche Kaiser hatte recht behalten. Und jenes Häuflein patriotischer Gegner war nur ein Symbol gewesen. So mochte die Macht in die Faust nehmen, was Vorsicht und behütende Liebe ihr nicht hatten anvertrauen wollen. –
Die Schloßwache trat ins Gewehr. Der Kaiser hatte es so befohlen. Und die »Pax« senkte sich langsam in den Hof. Die Meldung von ihrer Ankunft war schon einige Minuten vorher erfolgt. Als Seine Majestät die deutsche Flagge sah, zog ein frohes Leuchten über das ernste Gesicht.
Rusart trat ein. Der Kaiser begrüßte ihn.
»Majestät haben durch das Telegramm über alles Vorgefallene und den Zusammenhang schon Aufklärung erhalten. Mir bleibt nur mein Bekenntnis übrig. Eure Majestät haben recht gehabt: der einzelne, der nur auf sich gestellt ist, vermag die Gesamtheit nicht zu zwingen. Auch nicht zu ihrem Besten. – Und die Liebe ist ein Traum, wo es um die Macht geht. – – Auch die Liebe für alle Menschen. – Ich habe sie gehabt. Und mein Wunsch, mein Gebet für die Zukunft kann nur sein, daß der fernere Weg rein bleibt von Fluch und Tränen, wie mein Streben rein war von Selbstsucht.
»Zu Eurer Majestät starken Händen übergebe ich meinem Vaterlande von heute ab das, was mir nicht Lebenswerk werden konnte.«