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Fünftes Kapitel.

Mein Weg führte mich im vergangenen Sommer über Brüssel. Ich besuchte meinen Freund Samuel. Und fand bei ihm einige Briefe, die Aménard an Bord des »Gracile« während der Probefahrt an ihn geschrieben hatte. Für mich eine wichtige Sache, denn ich war verpflichtet, selbst die Probefahrt zu beschreiben. Ich lasse die Briefe mit Samuels Erlaubnis hier folgen. Den Aménard habe ich nicht erst gefragt. Der hätte Geld verlangt. Es ist für mich eine außerordentliche Abkürzung meiner großen Arbeit. Ich betone jedoch, daß ich jede Verantwortung für Aménards Auslassungen ablehne. Und jedem, der dieses Exemplar von Arroganz und Verschrobenheit schon bisher nicht leiden mochte, empfehle ich, seine Ergüsse schlankweg zu überschlagen. Man kann sich stellenweise an dem Kerl nur ärgern, so recht hat er.

D. B.

* * *

In der Luft,
an Bord des »Gracile«.

Lieber Samuel!

Ich habe es versprochen. Und Du kannst nicht sagen, daß ich nicht immer gehalten habe, wenn ich etwas versprochen habe. Damals mit der Firma Couvrier war es etwas anderes. Die bot anderthalb Prozent mehr. Du hast es nachher auch eingesehen. Ich will nicht aufwärmen alte Sachen. Ich will erzählen neue.

Ich sitze hier in einer Kabuse, wie wir es nennen. Sie nennen es Kabine. Es hat gegeben viele Überraschungen. Wir fliegen, ich weiß es nicht genau, es wird alle Stunde ausgerufen, tausend oder mehr Meter hoch in der Luft. Manchmal auch bloß hundert. Wenn Du aufsteigst, ist es, als wenn die Gurgel plumpst auf den Magen und quetscht ihn; und wenn man fällt, steigt der Magen in den Schlund. Ich mußte an Dich denken. Für Dich ist es nichts. – Es sind an Bord einige Frauen. Aber verheiratet. Und außerdem sind sie zahm. So haben sie keine Bedeutung. Nur, daß es angenehm ist, wenn überhaupt welche da sind. Wenn sie sich auch nicht kümmern um einen. Man kann doch sitzen daneben. Und ist es schon eine Sache für das Gefühl. Wo Du doch weißt, wie ich bin. Und ich Dir schon immer gesagt habe, Du bist ein Narr.

Und sind da auch einige Männer, welche haben keine Uniform. Und auch der junge Baron. Vom Palais. Du weißt. Welcher macht Gedichte. Nun schreibt er für Zeitungen. Was wird hoch bezahlt. Weil es noch nie Dagewesenes ist, die Fahrt in der Luft. Er gibt nichts auf Geld. Und sagt, die Beschäftigung damit ist gemein. Man muß Nachsicht haben mit einem Dichter. Ich soll in die Hand nehmen die geschäftlichen Abrechnungen. Ich will es tun. Ihm zu Gefallen. Weil er sonst ist ein vornehmer Mensch. Und hält für unpassend, nachzurechnen, wenn einer vorrechnet. Was sie Takt nennen. Aber er ist mir auch zu Dank verpflichtet. Ich hab' ihm gegeben Unterricht im Leben. Und in der Aufklärung über die Zeit. Und hab' ihm erzählt von meinen Erfahrungen. Davon schreibe ich Dir im andern Briefe. Der James hat erklärt, daß wir würden in Alexandria und in Port Said und in Jerusalem und in Konstantinopel expedieren können. Mit der Post. Jeder, was er hätte geschrieben.

Jetzt muß ich sprechen in der Reihenfolge. Also. Es sind alles andere Offiziers. Feines Tuch und bunt. Und Silber und Gold. Gestickt. Und kannst Du sehen Orden und Sterne. Nicht Blech und Glas. Wie Du es bist gewöhnt aus dem Maskenball. Wo Du damals hast bezahlt dreiundzwanzig Franks. Und hast nichts gehabt davon. Was ich ihr gleich angesehen hab'. Sondern wie ich es gewöhnt bin von der Gesellschaft, in die ich gekommen bin zu lernen mich zu bewegen. Was ich jetzt kann. Gold und Silber. Und Brillanten! – was soll ich sagen – Brillanten, welche bestehen vor jedem Pfandleiher.

Und sind alle von Adel. Einer oder der andere hat drei oder vier Namen. Nicht, daß er heute einen braucht und morgen den andern! – Du hast eben gedacht an Steckbriefe. Samuel, Du kennst nicht, wie es ist in der vornehmen Gesellschaft. Sie haben immer alle viele Namen. Von den Gütern, welche gehören irgendeinem andern. Was sie nennen Linie. Aber es ist noch etwas anderes: Sie haben alle große Nasen. Wie kannst Du es wissen, da Du nicht gelernt hast, Dich zu kümmern um die Gesichter. Eine große Nase ist im Leben, was der Goldstrich ist auf dem Probierstein. Es ist immer ein untrügliches Zeichen von Adel, wenn einer hat eine große Nase. Samuel, weine, Du hast keine. Es tut mir leid, aber ich muß es sagen: Es ist immer gewesen ein großer Unterschied zwischen uns.

Außer, daß sich die Herren Offiziers um die Fahrt kümmern, wobei sie sind sehr aufmerksam und machen viele Notizen und gucken durch kurze und lange Gläser, bin ich auch schon oft gewesen ein Gegenstand anständigen Interesses für sie. Noch ist es ein Unterschied! – Wenn sie kommen zu sprechen zu mir, zieht sich ein jeder von den Herren Offiziers an die Handschuhe. Weil ich zwar gehöre zu der Gesellschaft. Aber sie haben etwas, was sie Einführung nennen. Und das bin ich noch nicht. So ist es noch ein Abstand. Aber wenn ich erst habe einen Orden oder mehrere, und die werde ich bekommen, das sagt auch der James, der mich eingeweiht hat – ist es kein Abstand mehr und gehör' ich zur Zunft. –

Ich habe es schon weg: es gehört zum guten Ton, daß man ist adlig. Wenn der Moses jetzt lebte, würde er bekommen den Adel. Wo doch jeder kennt seine Verdienste. Und würde er heißen Freiherr Moses von Sinai. Oder auch Baron von Moses zu Sinai. Das gibt es auch. Ich bin gekommen auf den Sinai, weil wir wollen hinfahren nach dem Sinai. Wovon ich Dir schreiben werde. Aber es ist notwendig, daß ich anfange von vorn, wie es gewesen ist. Und Du sollst nicht machen, wie ich Dich damals getroffen habe, daß Du sitzt allein im Kontor und liest und brennen alle Gasflammen. Spesen müssen immer klein sein. Und werde ich es auch nicht haben wollen anders, wenn ich bin adlig. Denn das ist auch ein Zeichen vom Adel, daß er nichts zu tun haben will mit Spesen. Was soll ich sagen! – Es ist wieder der Unterschied zwischen mir und Dir.

Wir haben erlebt zwei große Enttäuschungen. Es ist nicht mitgefahren der Herr Rusart. Worauf gewartet hat alle Welt. Und es ist zu spät gekommen die Brigitte. Was sehr verkehrt war für mich. Es war am Harz und zum späten Abend. Der junge Baron würde sagen: Die Sonne war gegangen unter, und der Mond war gegangen auf. Und der Himmel ist geworden wieder bunter. Weil gegangen sind die Stern' auf ihren Lauf.

Es ist leicht zu dichten. Deswegen tun es so viele. Aber wenn eine Emission ist, wird nicht gezeichnet und steht alles unter pari. Was nichts macht. Aber bleibt auch alles unter pari. Wer nichts hat zuzusetzen, soll nicht machen Gedichte. So kann ich mich aussöhnen mit dem jungen Baron. Weil er ist reich. Aber ich denke, ich errette ihn auch noch davon; wo er doch hat Momente, wo er ist normal.

Wir stiegen auf im Harz. Ich hatte viele Mühe mitzukommen. Der James wollte nicht. Weil er nicht mithaben wollte den Dritten. Wegen der Brigitte! – Wenn Du hast aufgepaßt, wirst Du noch wissen, was ich Dir gesagt habe. Es gibt zwei Dritte. Wenn eine Sache ist faul und man will vermeiden die Aussprache, ist angenehm der Dritte; und wenn eine Sache ist faul, und man will haben die Aussprache, ist lästig der Dritte. – Und ich wollte mit, Samuel! – ich wollte sein der Dritte. – Gerade! Nun ist es nichts für uns beide. Aber es sind nur zwei Tage. Und ich nehme die Fährte wieder auf. Ich habe noch etwas anderes entdeckt. Du bist neugierig, Samuel! Aber ich sage es nicht. Es ist ein Zeichen von Bildung, daß man bleibt in der Reihenfolge. Und nicht kraus! – Die Gedanken sind nicht, wie wenn man wühlt in gebrannten Locken oder im Tüll, wie sie ihn haben vor der Brust.

Ein Offizier von der ›Pax‹ ist hier Kapitän. Es ist keine Frage, der Kubus ist eine wunderschöne Erfindung. Wenn Du in der Bahn sitzt, auch im Luxuszug, in welchem Du nie sitzt, sieht es aus wie ein Fliegen. Und ist doch nur ein Kleben. Aber in dem Kubus! – Man kann nur sagen, man ist wirklich frei! – Wer will Dir präsentieren einen Wechsel! Und was heißt Ultimo!

Schattenseiten gibt's auch. Wenn was fällt in den Kubus, mußt Du's buchen auf Verlustkonto. Die Zigarrenspitze war alt, und der Herr Offizier von Österreich hat mir gegeben eine neue. Ich will sehen, was ich das nächste Mal verliere. Es ist reif der Federhalter, welchen Du mir geschenkt hast und wo ist die Tinte nicht innen, sondern ein Fleck in der Weste.

Der James macht die Honneurs. Und ich habe ganz verloren das Gefühl, daß er mal war ein Angestellter in unserm Geschäft. Er ist für mich ein Graf. Man muß sich an ihn halten. Er wird so viele Orden kriegen, hat er selbst zu mir gesagt, daß er sich einen Mann halten wird, welcher sie sich anstecken muß und hinter ihm hergehen. – Was das Feinste ist! – Ich werde es auch so machen. Ich werde tragen lassen die Orden von anderen. Es wird etwas kosten. Aber man weiß ja, der Adel hat Obligationen. So kommt's wieder raus.

Der James ist eben bei mir gewesen. Du weißt, ich habe ein Mißtrauen gegen ihn, weil er damals gewesen ist moralisch. Und habe mir vorgenommen, daß ich mich will vorsehen. Was ich auch durchführe. Nicht wie Du, daß ich mich einschläfern lasse, wenn er ist freundlich und zieht einen breiten Mund. Nein! dann ist es doppelt, daß ich aufpasse. Als er mich sitzen sieht und ich schriftstellere – denn das ist der Ausdruck, wenn ein Mann von Bildung schreibt und welcher sich kann bewegen – kommt er zu mir und hat ein Gesicht, wie Dein Laubfrosch, wenn auf dem Rand kriecht eine Fliege. Und fragt, ob er lesen darf, was ich geschriftstellert habe, – er interessierte sich für die Fortschritte, welche ich mach'.

Und wie ich will zudecken die Schrift, muß er gesehen haben den Namen Brigitte. – Er macht ein fremdes Auge und sagt, er wüßte nicht, was ich zu schreiben hätte über Fräulein Mendelssohn. Samuel, lach'! Ist es nicht komisch? – Ich nenn' sie Brigitte und er sagt »Fräulein Mendelssohn«. – Wo ich doch weiß Bescheid! – Es war gut, daß er gewünscht wurde von einem der Herren Offiziers. Welche überhaupt immer sind da, wenn was in Not ist. Wenn einer wird lästig, wenn eine Sache fällt in den Kubus und wenn einer ist in Gefahr. Was ich Dir noch erzählen werde. – Der James war wütend. – Was soll ich sagen! – Der James war sogar giftig. Und wenn Du diese Briefe nicht bekommst, wirst Du wissen, wer sie hat.

Es war ein großes Gewühl. Der »Gracile« ist groß. Aber es lief alles durcheinander, weil jeder wollte alles sehen. Bis der James Ordnung machte. Und es wurden Barrieren errichtet. Wo die Leute sind, wo die Gäste sind, wo der Kapitän ist, und wo der Vortrag ist. Und es wurde Ordnung. Du mußt aufschlagen den Atlas, Samuel, wenn Du willst mitfliegen. Ich kenne die Orte nicht, und wenn sie genannt wurden, habe ich sie vergessen. Aber das schönste ist das Gebirge. Wenn Du hast ein großes Brot und Du weißt, daß der Bäcker quer und drüberlang hat gemacht große Schnitte, daß es Luft hat und sich ausbreiten kann von innen, wo es doch heiß ist und gärt, und Du denkst, wie der Gott unserer Väter hat gebacken die Erde, daß er gemacht hat viele Schnitte, kreuz und quer, daß die Ränder der Schnitte gehen durcheinander und haben sich gehoben und gewölbt und sind hart geworden und haben Sprünge bekommen und Spitzen: so sieht ein Gebirge aus. – Und wenn Du liest in den Büchern, daß die Erde kalt wird und immer kälter, ist es auch wie beim Brot. Wenn es rausgenommen wird aus dem Ofen, kannst Du beobachten, wenn es kalt wird, wird es kleiner und wird enger und knistert. Beides, das Backen mit den Querschnitten und das Kaltwerden, ist die Theorie. Und wenn ein Erdbeben kommt, ist es die Praxis. Nur wissen nicht die Gelehrten, wenn es knistert, ob es ist, weil die Erde noch ist im Backofen oder weil sie schon raus ist. Worum sich nicht kümmert die Praxis.

Und dann kommt das Wasser. Samuel, denke an Dein Waschbecken! – Nicht, wie es ist mittags oder abends; sondern früh, wenn Du kommst. Du kannst sehen auf den Grund. Auf das Porzellan. – Oder Deins ist von Steingut. Durch das Wasser durch. – So kannst Du auch sehen in die Flüsse, in die Teiche, in die Seen. Ob es auch so sein wird beim Meere, – sie sagen »Ja!«, aber ich will nur schreiben, was ich selbst weiß. Und sind wir noch nicht im großen Meer.

Ich bin gerufen worden. Und so war ich draußen. Und bin jetzt wieder hier. Und schriftstellere weiter. Es war zu sehen der Orientexpreßzug. Ich habe gefragt. Wir sind hoch dreitausend achthundert Meter. Über der ungarischen Tiefebene und haben unter uns den Plattensee. Welcher ist lang achtzig Kilometer und breit zehn Kilometer. Du siehst, ich paß auf, wenn gehalten wird ein Vortrag. – Und sieht aus der See klar und tiefgrün. Und wie er liegt in der weiten streifigen Steppe, ist es, als wenn Du den schönsten Smaragd legst auf ein Tigerfell und scheint die Sonne auf beides. Es ist herrlich.

Aber mit dem Orient-Expreß ist es lachbar. Wenn Du hockst in der Laube und stierst auf den Weg, in welchem liegt der feine Kies, und kommt ein kleiner Käfer aus dem Grase und will auf die andere Seite, und Du läßt ihn, – nicht, daß Du anfängst zu spielen mit Deinem Stocke, – so ist es auch anzusehen mit dem Eisenbahnzug. Welcher ist doch der schnellste da unten. Es ist nicht anders, er kriecht. – Wir haben gesehen Wien und haben gesehen Budapest. Und sehen im Osten das ganze Siebenbürgen und die Bukowina, und sind die Herren Offiziers von Österreich sehr lebhaft zu erzählen. Wo es doch ihre Heimat ist. Und sind in Siebenbürgen die Weiber sehr schön, stechen aber die Männer viel herum mit ihren Messern. Was für mich ist eine Störung in der Harmonie.

Ich habe nicht geglaubt, daß es Farben gibt, wie man sie findet bei den Malern auf den Bildern. Aber, beim Gott unserer Väter! – Samuel, es gibt sie. Daß man kann anfangen zu weinen! – So schön! Ein Blau in den Bergen, wenn sie sind weitab, wie ich es nie geglaubt habe. Und ein Grün! – Die schönsten Edelsteine sind nicht so voll Feuer und auch nicht so weich, wie es ist die Natur, wenn Du fährst im Kubus.

Ich habe gesehen Felsen, nackte Felsen. Samuel, es hat mich gerührt. Weil ich war in der Erinnerung. Ich habe einmal gesehen eine Kreolin. Jung und nackt. Ganz nackt. Und in der Farbe zwischen gebrannter Erde und Elfenbein. Es war beim Photographen. Und hat er haben wollen einen Farbeneffekt. Wir sind gegangen in die Dunkelkammer und hat er angesteckt die rote Lampe. Und wie der rote Schein lief über das Elfenbein und legte sich an das blauschwarze Haar, – es war ein Ton, wie im Traum, in der schönsten Musik. Daß man sie nicht anfaßte und staunte und war gerührt. So, Samuel, habe ich hier gesehen ganze Strecken von Felsen, glatt und zerklüftet. Und wo war eine Falte, ging der rote Schimmer von dem Elfenbein über in Blau. In tiefes Blau, wo das Tal war am tiefsten, oder die Schlucht. Und war es an manchen Stellen wie ein Schleier vom Azur.

Und der James sagte, – Du weißt, er ist nicht gefestet im Glauben unserer Väter und ist schon abgefaßt geworden, wie er ist gegangen in Christenkirchen – der James sagte, wenn man sieht in die Natur und der Gott hat einem gegeben zu sehen, – dann ist es nichts anderes, als wenn man steht in der Kirche, oder kniet; und scheint die Sonne durch die bunten Fenster, und spielt die Orgel. Und wenn sie verhallt, fangen sie an zu singen in schweren Tönen das » Miserere«. Was heißt »Erbarme dich!« Weil sich der Mensch fühlt elend, wenn es um ihn herum ist zu schön.

Ich muß es sagen, der James ist ein mehrfacher Mensch. Wenn er redet und hält den Vortrag, ist es ein Ernst bei ihm, wie beim Professor, wenn er spricht vom Katheder. Und was er weiß! – Alle sagen, er ist ein außerordentlich gebildeter Mensch. Spricht er doch nicht bloß über den Kubus. Er spricht über alles. Über die Völker, über die Sitten, über die Maschinen im Luftschiff; über das Recht, zu sein, wo man will; über die Weltgeschichte, wie sie gewesen ist; und wie sie sein wird im Hinblicke auf den Kubus. Und drängen sich alle zu ihm. Und hat jeder Hochachtung.

Wir fahren nach Südwesten. Daß wir stehen über Triest, wo abfällt das Gebirge in die blaue Adria. Und sehen Venedig. Wonach ich mich schon immer gesehnt habe. Und fahren entlang über Italien; bis wo wir wollen Halt machen über dem Vesuv. Daß er genau unter uns liegt. Der James hat gesagt zu mir, daß es muß ein eigenes Gefühl sein, von oben zu spucken in den Vesuv. Also werde ich spucken in den Vesuv. – – In den Feuerkessel, welcher hat verbrannt Städte und Dörfer und hat eingesargt in Asche Tausende von Menschen, welche waren gesund und froh; und hat sie gestört in ihren Geschäften. – Und wie ich ihm erzählte, ich will es tun und will spucken, sagt er »Es ist unanständig! –« sag' ich »Ich will es heimlich tun«, sagt er »Dann ist es nicht unanständig!« – Was man sich merken muß für den späteren Adel. – Aber hat der James etwas anderes dagegen: Es hat keinen Zweck. Es würde zerstäuben in der Luft und käme nicht an unten. Wie in Rußland. Wenn der Zar gäbe zehntausend Rubel für die Armen, wäre es zu weit. Weil er ist zu hoch. Und zerstäubte unterwegs.

Der James weiß überall Bescheid. Und er ist ein geistreicher Mensch. Und es ist schon ein Zeichen von Bildung und Klugheit, Samuel, wenn man überhaupt merkt, daß der andere ist geistreich. Viele Menschen sind so dumm, daß sie nicht merken, daß der neben ihnen ist klug. Es soll kein Vorwurf sein, Samuel! – Aber es ist so.

Paß auf die Geschäften! Es grüßt Dich

Dein Léon Aménard.

* * *

In der Luft,
an Bord des »Gracile«.

Lieber Samuel!

Es ist nur, weil man braucht eine Überschrift für einen Brief. – Ich schreibe gar nicht an Dich. Ich meine, ich habe gar nicht das Gefühl. Ich bin gewachsen. Ich schreibe an alle, welche ich gekannt habe, welche ich kenne und welche ich kennen werde. Der Gott meiner Väter lasse die Zahl groß sein! – Wenn Du steigst auf einen Turm, Samuel, wird der Horizont größer. Steigst Du auf einen Berg, wird er noch größer. Steigst Du in den Kubus, wird er am größten. Je weiter der Horizont wird, um so größer wird der, der steigt; und wird um so kleiner alles andere, Samuel. Alles! Du auch. Wenn ich in den Kubus sehe, und wir sind über den Wolken, wie sie klein und flockig schimmern am Sommerhimmel, und der James sagt, von unten kann man uns nicht sehen, so hoch sind wir, – sage ich, wo ist der Samuel! – Der James sagt, das Kleinste, was man sich denken kann, ist ein Punkt. Wenn ich überblicke alles, und liegt tief unter mir, wo man früher hat gesteckt mitten drin; und es schimmert herüber Europa, es schimmert herüber Afrika, es schimmert herüber Asien; – Du tust mir leid, Samuel; – wie ist die Welt groß. Und was ist der Mensch?

Ich habe die Vorträge gehört. Ich bin anders wie die anderen. Sie sind aufgestiegen. Und war der erste Aufstieg, und daß man lenken konnte, wohin man wollte, rechts oder links, rauf oder runter, ist für sie die Hauptsache. Nachher haben sie nur genossen die Aussicht. Heute war sie so; morgen war sie anders. Aber eine Höhe war es immer und ein Abgrund. Und die Aussichten, wie wenn Du gehst in der Bildergalerie von einem Saal in den andern. Bloß schöner. – – Ich habe mehr gelernt. Und Sachen, welche waren interessant. Und welche andere vielleicht vergessen, weil es nicht auszunutzen ist und ist vielleicht nur schön, wenn man es behält im Gehirn. Daß man es weiß und hat mehr Bildung.

So gibt es zwei Sachen, welche überraschen und welche ich nicht geglaubt habe, je zu sehen. Erstens, Samuel, Du meinst, wenn Du steigst auf einen Tisch, ist der Fußboden tiefer unter Dir. Es ist richtig, Samuel. Weil Du bist im Zimmer. Aber stehst Du in der Heide, ist das Gras auch unter Dir. Und wenn Du dann siehst in die Weite, wirst Du beobachten, daß das Gras steigt je weiter Du siehst, bis es, wo Du nicht mehr weiter sehen kannst, was man Horizont nennt, hoch ist wie Deine Augen. Du mußt versuchen, Samuel, nachzudenken. Ich will nicht fürchten, daß Dir die alte Mérincourt wieder vorgesetzt hat zu Mittag Fische. Von welchen Du nicht aufhören kannst zu essen, bis sie sind alle. Steigst Du auf einen Turm, – es ist immer gleich, wo Du angefangen hast zu steigen, da bleibt es unter Dir. Aber der Horizont steigt auch. Nun denke, Du steigst in den Kubus. So meinst Du, es ist unter Dir ein Teller, und Du schwebst über dem Teller, und wo der Rand ist, wo die alte Mérincourt immer mit dem Daumen faßt in die Suppe, ist der Horizont. Und darüber hinaus kannst Du nicht sehen, da geht es nach unten – – siehst Du, Samuel, das ist alles falsch. – Du schwebst über keinem Teller, Du schwebst über einer Mulde, welche rund ist wie ein Kreis; über einer Schale, genau über der Mitte, und die Ränder von der Schale gehen hoch, im Bogen; bis sie sind hoch wie Deine Augen. Und siehst Du hinunter, ist es nichts anderes, als sieht man von oben in eine ungeheure Fruchtschale. Die Erde ist rund nach außen. Aber wo man über ihr steht im Kubus, hat sie eine große Beule nach innen. Und schiebt sich die Beule gleichmäßig fort, wie man weiterschwimmt am Himmel, daß immer die tiefste Stelle ist unter einem. Und wenn Du fährst nach Osten, will ich sagen, klettert im Osten immer Neues auf den Schalenrand und steht hoch und schiebt sich langsam zur Tiefe in die Mulde, unter Dir durch, und steigt dann hoch nach dem Westen und verschwindet über den andern Rand.

Es ist aber nur scheinbar. Und, sagt der James, man heißt es auch nur den scheinbaren Horizont. Wovon ich gehört habe genug. Es ist mir aber jetzt erst geworden klar. Er hat auch vorgetragen über den wahren Horizont. Was Du aber nicht begreifen kannst. Weil er die Erde zerschneiden muß. Was er auch nicht kann. Und niemand. So hat es keinen Zweck, davon zu schreiben. –

Wenn Du hängst über dem Gebirge oder auch über der Steppe, und ist der Horizont hoch bis an Dein Gesicht, kannst Du meinen, es mag sein da hinten ein neues Gebirge, welches ist so hoch, – aber bei dem Meere, und wenn Du nichts siehst als Wasser, kannst du es nicht meinen –: wir sind gewesen hoch, zwischen Brindisi, es ist in Italien, und Kreta, es ist eine Insel – und es hat seltsam ausgesehen und wunderlich, sind die Schiffe immer hineingefahren in die Mulde bergab und heraus bergauf.

Und nun wirst Du wissen, daß es nur kommt, weil am Horizont alles scheint hoch. Und ist es für einen Denkenden, wenn er weiß von den Verhältnissen, wie sie sind unter den Menschen, nichts Neues. Nur daß man es noch nicht wußte vom Kubus. Du kannst treffen im Leben viele Leute, oder Du wirst sie nicht treffen, weil Du nicht weißt, daß sie's sind – man kann treffen viele Leute, welche hoch stehen und sehen alles unter sich, und welche meinen, es ist auch alles tief unter ihnen, und welche bloß ganz weit von sich sehen, daß es da ist eben so hoch; und wenn sie sich bewegen dorthin immer in der gleichen Höhe, weicht es weg und sinkt nach unten, so daß sie nicht anders können als glauben, sie sind die höchsten. Und ist ein Abstand zwischen ihnen und allem Geschaffenen. Welches kommt, weil sie nicht in die Tiefe steigen. Wovon sie belehrt würden.

Und gibt es noch eins, was ist ebenso interessant und viel wichtiger. Wenn Du Geld verleihst, Samuel, und sind normale Verhältnisse, welche man allerdings, Gott sei Dank, antrifft selten, nimmst Du sechs Prozent. Weshalb nimmst Du sechs Prozent, Samuel? – Du wirst sagen, weil sind sechs Prozent das, was Du kannst nehmen, ohne daß Du kommst ins Kittchen. – Es ist eine Antwort, Samuel; aber eine Erklärung ist es nicht. Eine Erklärung muß immer haben etwas Wissenschaftliches. – Und diese Erklärung liegt in der Wissenschaft. Und es kann nur geben diese Erklärung, wer sich beschäftigt mit den Wissenschaften. Daher weißt Du es nicht. Und daher weiß ich es. Die sechs Prozent liegen in der Natur. Wie man sonst sagt, wenn einer lügt, er hat es gegriffen aus der Luft, so ist hier die schöne Ausnahme. Es kommen die sechs Prozent aus der Luft. Du meinst, Du kannst nur sehen, bis wohin reichen die Augen! – In dem natürlichen Kubus ist es anders. Was liegt hinter dem Schalenrand, müßte sein unsichtbar. Samuel, die Natur gibt zu, – sechs Prozent. Es kommt, wenn die Lichtstrahlen sich brechen. Und am Rand vom Kubus brechen sie sich immer. Wenn Du nach der Berechnung von der Höhe, wo Du bist, und daß die Erde krumm ist, müßtest sehen hundert Kilometer im Kreise, und Du mißt ab auf der Karte – und der James hat alle Karten und hat es nachgewiesen – kannst Du noch sehen Stellen und Orte, welche sind hundertundsechs Kilometer weg von Dir. Die Lichtstrahlen, welche sich brechen, heben das hoch, was eben ist hinter dem Schalenrand.

So kannst Du davon sprechen als gebildeter Mann, wenn einer sagt, sechs Prozent sind ihm zu viel. Aber Du wirst Dich nicht ausdrücken können. – Und vielleicht kommt noch ein Fall, wo es gibt eine Provision in der Natur. Noch ist es nicht gewesen. Aber es wäre eine schöne Sache. Wo es doch gäbe einen gewissen Anstrich. Außer den Prozenten.

Wir haben gesehen Venedig. Und Rom. Und die Kampagna und Tivoli. Welches ist ein Lustschloß und alt. Und haben gestanden über dem Vesuv. Wir sind gewesen die ersten. Die ersten seit Erschaffung der Welt. Man muß sich ein Bild machen, daß ein denkender Mensch ist stolz und ist froh und erschauert. Alles zu gleicher Zeit. Wo man hängt hoch über dem Schlund zu der fürchterlichsten Glut. Und sie waren andächtig, als wir heranzogen. Aber es ist gekommen anders. Wir sind gefahren in Höhe von tausend Meter über dem Vesuv. Und mit langsamer Fahrt. Und hat alles über Bord gesehen. Wir kamen von Capua. Und sahen rechts unten Neapel und die Insel Ischia und Capri, wo ist die blaue Grotte. Und vor uns stieg auf der Vesuv. Aber alles tief unter uns. Und wie wir sind neugierig und begierig und wollten sehen in das Loch in der Erde, daß wir sehen Flammen und kochenden Schaum, fährt uns ein Schreck in die Glieder, daß selbst die Herren Offiziers wurden bleich und kriegten große Augen, daß viel Weißes zu sehen war – denn genau, wie wir waren über dem Schlund mit dem Schacht in die ewige Verbrennis, da fing der »Gracile« an zu sinken, was sage ich, er fiel. Und eine Hitze war es, daß man meinte, die Haare würden versengt. Und die Augenwimpern kraus. Und der Herr Kapitän und der James waren allein, welche blieben kalt. Der Herr Kapitän hatte ein Gesicht, welches sich nicht rührte. Und der James hatte ein Grinsen. Nicht für alle. Aber kenn' ich doch seine Augen. Er grinst hinter der Haut.

Was zusammenhängt mit der Beschaffenheit von dem Luftschiff. Nicht das Grinsen. Sondern das Sinken. Wo die Lust ist heiß, ist sie dünn und leicht. Und der »Gracile« ist eingestimmt auf die Luft. Wenn mit einem Male die Lust ist dünner, fällt er. Aber sie haben die Mittel dagegen. Und wollte der James feststellen, wie hoch ginge die Hitzesäule, hat er gesagt. Und wie breit sie ist. Wir sind viermal gefahren über den Vesuv. Und hat er gemacht eine Tabelle. Der Kapitän, welcher ist ein Mann, welcher nie lacht und nie antwortet, hat ständig gehabt die Hand an den Hebeln. Bis oben eine Säule in der Hitze, wie über dem Glühstrumpf, und ganz oben geht sie auseinander, wie an der Decke. Ist hier aber keine Decke. Zweitausend siebenhundert Meter über dem Krater steigt noch das Thermometer, wenn Du kommst von der Seite. Ich bin froh, daß die Tabellen fertig sind. Es war ängstlich. Einige Frauen waren noch weiß, als wir schon waren über Brindisi. Aber der James sagt, manchmal ist gar keine Hitzesäule. Soll er aussuchen, wann es ist!

Die Tabellen mit den Photographien bekommen die wissenschaftlichen Anstalten. – Und hat mir der James versprochen, daß kommen auf die Tabellen für die Wissenschaft die Namen von allen, welche haben teilgenommen an der Fahrt. Auch meiner. Habe ich gesagt, er soll lassen drucken Léon d'Aménard. Wo es doch egal ist, ob früher oder später. Ist herausgekommen wieder der Charakter, von welchem ich Dir gesagt habe, er ist gefährlich. Er ist geworden moralisch und hat hin und her gedreht den Kopf. Und hat ausgesehen, wie auf dem Bilde der Fuchs, wenn er grinst. Vielleicht kann ich rankommen an den Drucker.

Wir werden gerufen. Und höre ich auf zu schriftstellern. Und ist es der junge Baron, welcher mir mitteilt, wir gehen auf die höchste Höhe, in welche steigen kann der »Gracile«. Und der James hat verkündet, es gibt eine dreifache Aussicht. Und soll jeder mitbringen den Pelz. Was häßlich ist an den Frauen. Sieht man doch nichts von der Figur. Es wird besser werden, wenn wir sind über Afrika und gehen tief. Der Gott unserer Väter schütze Dich. Und ist heute der Zwanzigste. Und will ich hoffen, daß Du dabei stehst, wenn der Mann kommt von der Gesellschaft, aufzuschreiben an den Gasuhren, wieviel verbraucht hat die Firma.

Auf Wiedersehen Dein

Léon d'Aménard.

* * *

In der Luft,
an Bord des »Gracile«.

Lieber Samuel!

Einen Kopf hat jeder. Aber nicht Gedanken. Daher gibt es Gänse. Und daher gibt es Genies. Und ist die Vergleichung die beste Übung des Gehirns. Wer welches hat.

Es ist ein eigentümliches Gefühl, Samuel, wenn Du hast in der Hand einen Wechsel auf ein großes Haus. Du stehst mit einem Fuß drin in dem Vermögen von dem großen Haus. Es ist ein schönes Gefühl. Es ist am Fremden. Du bist ein Mitbesitzer. Aber es muß sein ein großes Haus. Sonst ist das Gefühl anders. Wenn Du nicht weißt, ob.

Wenn Du stehst an dem Fenster von einem Haus und guckst hinein durch das Fenster von dem andern Haus in das Innere. Daß Du siehst die Bedienten und zählst die Teppiche. Was gut ist und notwendig zum Taxieren.

Was ist es alles gegen die Stelle im Kubus, wo Du hinuntersiehst auf drei Erdteile! Wir haben gehängt hoch am Himmel. Im Süden von Kreta, welches auch heißt Kandia, und haben gesehen Kap Matapan, die letzte Spitze von den Griechen, wo man sich nicht einlassen soll auf Papiere, und wo sie die Korinthen lassen verfaulen, damit der Rest wird teuer, und haben gesehen das Taurusgebirge, welches gehört zu Asien, und haben gesehen die lybische Wüste, einen dämmrigen Streifen, welcher liegt in Afrika, und neben dem liegt nach Morgen zu Alexandria. Alles haben wir gesehen zu gleicher Zeit. Und mußt Du denken, wie ist es klein, wonach der Mensch strebt! Wirst Du staunen, wenn Du nicht bist eingeschlafen. Worüber ich würde staunen. Nimmst Du ein Ei, so hat es ein Inneres und eine Schale. Und weißt Du, ist die Schale dünn. Sehr dünn. Es sind die Vergleichungen, an welchen man lernt, weil man das eine kennt. Du das Ei. Ist die Schale von der Erde viel dünner als die Schale vom Ei. In der Vergleichung. Nun kommt, was ich gesagt habe, daß es klein ist, wonach der Mensch strebt: Steigst Du so hoch im Kubus, wie es nur auszuhalten ist, bist Du noch lange nicht so weit weg von der Erde, als die schwache Erdschale ist dick. Kann ich anderes sagen als: wie ist die Welt groß, und was ist der Mensch! – Und wenn einer lacht über eine Mücke, ist es ein Mann ohne Wissenschaft.

Und wie wir hingen hoch oben mit der unendlichen Aussicht, haben sich alle Herren Offiziers lobend darüber ausgesprochen, daß kein Schiff sich da unten kann bewegen, ohne daß man es sieht. Was wichtig ist für ihr Geschäft. – In der großen See ist es, wie sie sagen. Man kann hineinsehen. Aber wir waren auf über fünftausend Meter. Und kann man im großen Überblick da unten unter dem Wasser nichts mehr unterscheiden. Sagt der James, weil die Schatten fehlen. Und nicken die Herren Offiziers dazu. Aber mit dem Rohr Kleinigkeiten. Da wird es sehr deutlich. Ich habe mir alles notiert. Und will herausgeben ein Buch. Und werde zeigen dem jungen Baron, daß Dichten ist nichts gegen die Wissenschaft.

Zwischen mir und dem jungen Baron ist es geplatzt. Es ist unangenehm und eine üble Erfahrung. Er sagt, er ist lyrisch. Ich sage, er ist moralisch. Der James hat nur den einen Fehler, aber dieser dichtet noch außerdem. Hatte ich vorher angeknüpft für ihn die Verbindungen mit den großen Zeitungen und war es alles glatt gegangen, wie es gehen muß, wenn ein Mann rote ich nimmt eine Sache in die Hand, und hatte er sich gefreut. Aber nun, wo er es hat, ist es nichts. Was die Menschen verschieden beurteilen. Der eine sagt, es ist ein Streben, der andere, es ist eine Unzufriedenheit.

Kommt er an in meiner Kabuse, und wie man spricht von den Aussichten in seinem Schriftstellergeschäft, winselt er, daß er nichts kann werden mit seinen Gedichten! Worunter ist auch »An die Entschwundene«, und habe ich doch ein Verdienst, daß ich habe niemals gelacht, so lang er dabei war, sondern ihn getröstet, kommt er zu klagen und schimpft, daß gleich genommen werden Sachen vom Luftschiff, aber nicht Sachen, welche sprechen von Seele und von Gemüt, und sagt, es ist eine Falschheit, und wird die Welt roh, – Samuel – frage ich ihn, was der Endzweck ist, wenn er arbeitet, sieht er mich an und sagt: »Ich schreibe aus einem Grunde und nicht zu einem Zwecke!«, und es klang wegwerfend und vornehm. Sage ich »Setzen Sie sich, Herr Baron! – Weil wir sind Freunde, will ich es Ihnen sagen, und will Ihnen beweisen, daß Sie so nichts werden!«

»Beweis?« sagte er, mit einem Tone, welcher beleidigend war. Aber ich wollte nicht, daß ein Krach käme mit einem Adeligen. Und ich war überlegen. Du kennst mich! Samuel, gibt es einen Beweis, welcher mir schwer fällt? Also bin ich ruhig im Blut.

»Sagen Sie, Herr Baron, wann ist eine Gesellschaft, ob sein oder nicht sein, – wann ist das höchste Aufsehen in dieser Gesellschaft?«

»Wann?« sieht er mich an und hat nachdenkende Augen, die werden immer dummer.

»Sie werden meinen, wann setzt die Musik ein, oder wann ist der Haupttusch, daß alle schreien, und die Gläser klingen, oder wann tritt auf der gemietete Heldentenor, daß er die Pastete absingt und den Rheinwein – nein, Herr Baron, so ist es nicht. Der höchste Moment ist, wenn einer rausfliegt aus dem Saal, runter über die Treppe, raus auf die Straße –«

»Bitte!« sagt er. Mit einer Handbewegung, wie ich sie gesehen habe einmal bei Maurice Israel, als ihm angeboten wurde eine vierte Hypothek.

»Weshalb sagen Sie ›bitte‹? – Sie sind in einem Kreis; in einer Gesellschaft. Es ist doch sehr einfach, – und Sie müssen schreiben, daß Sie fliegen hinaus, wegen was Sie schreiben; – oder, ich will nicht sagen, – Sie können auch gleich schreiben unanständig!«

Der Herr Baron riß auf seine Augen.

»Wenn Sie wollen Rat haben,« – sag' ich, »ist es billig, daß Sie gestatten zu fragen. Können Sie werden Pastor oder Lehrer?«

»Nein! – nicht mehr!«

»Schade! – Da ist es der schönste Effekt. Und werden Sie reißend gelesen. Es sind viele für die Aufklärung der Jugend und gegen die Religion! – Was beides zusammenhängen soll!«

»Das ist ja Narrheit!«

»Stimmt! – Sehen Sie, Sie kommen schon aufs Richtige!« –

»Aufs Richtige?« sagt er.

»Nun, ist die Welt ein Narrenhaus, muß man auch sein närrisch. Je mehr, je mehr Chance. Ich hätte nicht geglaubt, daß Sie würden sein so schnell verständig, wo Sie eigentlich gemacht haben einen andern Eindruck. – Aber ein Sekretär bei einer Gesandtschaft – das sind Sie doch?«

»Ja!«

»Nun – ist er nicht auch Beamter?«

»Freilich!« –

»Ist es Ihre Rettung! – Gibt es ein sehr gutes Mittel, zu bekommen einen Namen als Schriftsteller. – Sie müssen schreiben sozialdemokratisch.«

»Bitte!« sagt er wieder und steht auf.

»Wie heißt bitte! – Nicht mit einem Male. Das tut man nur, wenn ist eine Revolution und fliegt eine Regierung. So für den einzelnen muß man es vorsichtig machen. Homöopathisch. Sie schreiben heute einen Ton. Und morgen einen Ton. Auch mal zwei Töne! Sie können sich ruhig setzen wieder hin! – Nun, wenn Sie nicht wollen, nicht. – Also, und wenn Sie geschrieben haben mehrfach, dann schreiben Sie das große Bekenntnis mit einem Ruck. Den ganzen Senf. Sie können ihn auch abschreiben. Irgendwo. Es ist immer dasselbe. Es kommt nur darauf an, wer schreibt. Und ein Sekretär von einer Gesandtschaft. – Den haben sie noch nicht. Das wird ziehen. – Wissen Sie, die Art ist deswegen: Wenn Sie loslassen den ersten Ton, wird man oben aufmerksam und unten aufmerksam. Beide werden sein unsicher. Kommt der zweite Ton, wird sich verstärken die Sache: mehr Mißtrauen oben, noch aufmerksamer unten. Und so – wie die beiden Eimer, welche vorbeigehen beieinander im Brunnen, – wann kommt der große Schlag, ist das Mißtrauen zu Ende. Sie fliegen oben raus und unten rein. – Wenn Sie zu früh schreiben den großen Senf, ist es verkehrt, weil man unten ist noch nicht sicher. Und Sie fliegen doch raus. – Die Sozialdemokratie ist reich. Und wie die Reichen ist sie mißtrauisch. Auch im Geschäft! Weil fressen zu viele an der Krippe! – Es ist auch Konkurrenz. – Aber allerdings – ein Sekretär bei einer Gesandtschaft – –«

Samuel! – Es ist nicht leicht über den Herrn Baron zu schriftstellern. Worte habe ich genug. Aber sie sollen sein, daß Du sie verstehst. Es ist nichts anderes zu sagen, daß, als ich gesprochen habe von seiner Chance, hat er gemacht Konkurs mit seinem Gehirn. Der Gott meiner Väter soll mich bewahren. Daniel, wie er ist gewesen in der Löwengrube, kann nicht gehabt haben so viel Angst wie ich, als der Herr Baron tobte. Und ich habe gemeint, es ist ein Zeichen von Adel, daß einer ist ruhig. Aber sind sie auch nur Menschen. Der eine wird wild, wenn sinken seine Papiere, der andere, wenn sinken seine Begriffe. Und ist das eine reell, das andere Luft.

Der Kubus hat etwas Unangenehmes. Wenn man aus dem Weg gehen will, kann man es nicht. Und der James ist sehr teilnahmsvoll und lächelt. Er hat eine Niedertracht in den Augen. Es ist gut, daß kommen fortwährend neue Sachen. Wir sinken hinunter. Schräg nach Alexandria zu. Und sollen zwei Mann aussteigen und die Post besorgen. Und ich sehe viel über Bord. In einer halben Stunde sind wir in Afrika und werden den Nil sehen. Am Delta. Und nilauf, wo sie geknechtet haben unsere Väter. Dann soll es gehen nach dem Kanal und über den Kanal nach dem Sinai. Nach der Stätte, wo man Ehrfurcht hat. Jeder. Und gibt es keine Barone und keine Dichter, keine Sozialdemokraten. Es gibt dort nur die Erinnerung.

Ich sehe Alexandria. Viele schneeweiße Blöcke, welche blenden gegen das Grün vom Delta, gegen das Gelb, welches ist die verschwimmende Wüste, und gegen das blaue Meer. Und nahm ich das Glas und konnte ich sehen, wie alles auf die Dächer stieg und die Hände an die Stirn hielt, um die Sonnenstrahlen abzublenden, und staunt alles nach uns, die wir am Himmel fliegen. Weiße, wallende Gewänder tragen sie. Und ist ein Glanz über allem. Und der Nil glitzert. – Und der Baron hat mich gebracht um die Stimmung. Wir haben Aufenthalt eine halbe Stunde und sollen ankern im Garten vom Konsul. Bis die beiden Leute wieder eingestiegen sind. – Wenn es nicht wäre um die Wissenschaft, würde ich bei dieser Reise, solange sie dauert, aufgeben das Schriftstellern. Und ich bin neugierig, wer dem Baron nachher abwickeln wird die Geschäften. Ich nicht.

Dein Leon d'Aménard.

* * *

Gegeben in der Luft,
an Bord des »Gracile«.

Lieber Samuel!

So ist es das Feinste. Und steht es auch am Anfang, wenn die schriftstellern, welche tragen die Kronen: Gegeben im Schloß – –!

Lieber Samuel! – Geh in den Pavillon, welcher draußen steht auf dem Turm von Belvedère, hinter der Rue Mazarine. Wo Du findest die großen farbigen Scheiben. Und stell Dich auf mit dem Gesicht nach der untergehenden Sonne. Wenn die Strahlen schießen platt entlang auf der Erde, ist das Auge geblendet. Von der Natur. Daß das Grün von den Bäumen und das Rot von den Dächern und das Blau vom Himmel ist schweflig. Und lauft ineinander. Aber daß man noch eben kann unterscheiden. Siehst Du aber dann durch die gelbe Glasscheibe, so verschwimmt sogar alles, was vorher noch hatte einen Rand oder eine Linie, und ist nichts als ein großes dunstiges Meer. Und ist das Bild, als wäre über den ganzen Horizont gezogen ein Schwamm, wie ihn die Maler haben zum Verwaschen von Farben und er wäre getränkt in flüssiges Gold. Man muß schließen die Lider. Das Auge tut einem weh.

Was Du da siehst in der Rue Mazarine, Samuel, mit künstlichem Glas, haben wir gesehen viel feuriger in dem weiten Kubus, wie er scheint endlos, weil der Horizont ist ein Flimmern. Sie haben keine Dämmerung. Wenn die Sonne ist hinter dem Rand, ist es Nacht. Aber nicht schwarz. So soll es sein unten. Aber nicht für uns oben. Es war alles rund herum blau. Vom Blau, wie es leuchtet, – bis zum tiefsten Ton, der wie Sammet ist.

Wir hingen hundertfünfzig Meter über dem Nildelta. Die vielen Kanäle hellblau, das Land tiefe Schatten. Und die Häuser, welche gebaut sind wie Blöcke, dazwischen, wie wenn einer gläserne blaue Würfel streut über eine Sammetdecke. – Und einer rief: »Wäre doch ein Pinsel hier, das zu malen.« Und ich dachte an Dich, daß ich Pinsel gesagt habe zu Dir. Und habe es Dir abgebeten. Und wie ich nachgedacht habe, habe ich es dem Pinsel abgebeten.

Und dann kam das andere, das Große. Was nur der Kubus schenken kann den Menschen. Und nur das Schiff in der Luft. Wir haben gesehen die Sonne aufgehen im Westen. Am Abend. Der James sagte, er wollte den Gästen des »Gracile« verschaffen ein Schauspiel. Und eine seltene Erinnerung. Und er gab die Befehle. Wir schossen heraus aus der Tiefe, in der wir schwammen. Hoch und immer höher. Schnell und immer schneller. Wir rissen die Pelze an uns, weil es nicht kälter sein kann am Nordpol, wo das Eis ist ewig. Es war sehr plötzlich. Und sind wir durchgestiegen durch eine Schicht, daß wir sammeln konnten die gefrorenen Kristalle von unsern Kleidern. Fünftausend Meter. Das sind 17 000 Fuß und sagte der James, das müßte sein, sonst sänke das Licht wieder weg. Und so stiegen wir in den Tag. Wir sahen die Sonne wieder. Schon versunken für alles unten, ging sie wieder auf für uns. Zum zweiten Male am selben Tag

Als sie ein volles Lichtmeer schüttete über den Horizont, habe ich denken müssen, wie gewesen ist das Chaos und wie der Gott unserer Väter hat erhoben den Arm und hat gesagt: »Es werde Licht!«. Und es ward Licht.

Hier auch. Wir haben erlebt eine Schöpfung. Dunst und schwimmende Nebel. Tiefblaue Nacht im Osten, und im Norden und im Süden der Übergang. Daß Du nicht weißt, ist der Himmel ein einziger großer Smaragd, und weißt auch nicht, wo es anfängt im Azur zu schimmern, daß alles aussieht wie eine gläserne Decke. Es sind alle Farben. Weich und tief. Aber nichts, gar nichts, was Du sehen kannst, daß Du es mit den Augen greifst. Es schwimmt alles. – Und dann im Westen das flüssige Feuer. Das Licht, das nichts hat zu bescheinen. Das in die Luft glüht und in den Dunst und in den Äther. Das überall hin leuchtet. Und Du kannst nichts sehen, was es beleuchtet. Denn es ist nichts da. Du hängst im Nichts. Im Chaos. Und alles ist unendlich. Und wo Du sonst Dich niedergelegt hast, daß Du wolltest ruhen, oder wo Dein Fuß aufgetreten war, daß Du auf Steinen gingst, – es ist vergessen. Und es war so schön, daß ich im Widerschein von der Glut gesehen habe, wie manches Auge hatte einen nassen Schleier, daß es glitzerte unter den Wimpern.

Und wie wir gesehen haben den zweiten Sonnenaufgang, so sollten wir auch sehen den zweiten Untergang. Du meinst, es ist schön, Samuel! – Nein! Samuel, es ist ein Irrtum! Es ist schrecklich und es macht frieren. Die Frauen schnürten sich den Pelz an die Schultern und schauerten. »Es ist erdrückend!« sagten sie und traten vom Bordrand und hielten das Gesicht gegen die Hände.

Nicht eine Minute ist vorher gewesen und ist auch keine nachher gekommen, wo man aus sich wankende Knie hatte und wußte doch, daß nirgends eine Gefahr war, – und wo man sich fühlte haltlos, als ob man in einem unendlichen Sturz wäre, und hatte doch den festen Boden von dem Schiff unter den Füßen. Das war, wie die Sonne wieder versunken ist. Wo war vorher die Unendlichkeit, war jetzt eine Leere. Es sind zwei Begriffe, ganz verschieden für das Gefühl. Wer nicht gewesen ist hoch im Kubus, wenn die Helle eben gestorben ist, – er soll nicht sagen, was eine Leere ist. Die einzige Rettung sind die Sterne. Die siehst Du immer. Und sie leuchten auf. Weil keine Wolken da sind. Und nicht einmal ein Schleier, wie ihn der Nebel zieht. Wie ein Sinkender greift nach irgend etwas, so greifen die Augen nach den Sternen. Daß sie haben einen Punkt zum Klammern.

Wir gingen zu Tal, wie sich ausdrückt der James. Und sanken. Und es ist das erste Mal gewesen, daß jeder ersehnt hat, daß wir schnell unten ankamen. Wie in der Wüste einer schmachtet nach Wasser, so schrie es in uns nach einem Baum, einem Haus, nach einem Stein.

Und es wurde erfüllt. Wir ankerten. Es wundert Dich, daß man findet bei Nacht jede Stelle. Wo Du doch weißt, daß man hoch oben im Kubus in der Finsternis nichts sieht von der Erde und dem Meer. Aber es ist einfach: Sie sinken. Dann leuchten sie mit den großen Scheinwerfern. Und suchen. Und haben Karten. Wir haben gesehen drohende Fäuste, und was wir nicht verstanden haben, waren Flüche. Oder auch Gebete des Staunens. Sie schlafen unten auf den Dächern. Auch die Frauen. Es gehört zur Wissenschaft von den Völkern. Deshalb habe ich mir alles angesehen. Genau. Als mit einem Male das Licht von oben kam, daß wir sie deutlich sehen konnten und sie gestört wurden, starrten sie nach oben und legten die Decken auf. Die Männer über die Frauen, weil sie Gesetze haben über ihr Gesicht, daß es kein Fremder sieht. Ich habe nichts dagegen gehabt. Denn die Frauen waren alt. Und es war eine Enttäuschung durch das Glas.

Der Konsul ist gekommen an Bord. Und es gab eine Gesellschaft. Und viele Reden. Darnach hat er uns eingeladen. Aber es war gegen das Programm. Was sollen wir im eingeschlossenen Hause beim Konsul? Unsere Fahrt ist für die Öffentlichkeit.

Samuel! – Wenn der Rothschild reist, guckt alles hin. Und wenn ein Gekrönter reist, ist es nicht anders. – Aber was ist es gegen uns!! – Wo der Rothschild reist, sind bei den anderen gemischt die Gefühle. Jeder rennt hin und steht stundenlang. Und sie machen einen Unterschied: sie denken an den Mann und sie denken an das Geld. Viel fressender Neid. Und wo sie sind am neidischsten, zeigen sie am meisten die Verachtung. Um nicht erkannt zu werden. Und sagen: »Der Jude!« und schreiben Bettelbriefe mit Schmeicheln. Und wenn die Kronen fahren, ist es eine Masse. Kein Neid! Kann man doch zur Krone nicht kommen, wie der Rothschild zum Geld, so meinen sie – aber viel Knechte und viel eingezwängte Ordnung und ein großes Gitter, wovon die Stäbe heißen Konstabler.

Nun – Samuel – bei uns! Wenn wir stehen an Bord und schwimmen über die Länder und sehen nach denen unten. – Nichts als Bewunderung und Staunen und Stillstehen – und wenn man es hören könnte so weit; ein großes Herzklopfen: daß wir eine neue Zukunft zeigen und tragen sie daher. Es ist die Wissenschaft, welche macht einen Triumphzug.

Wir zogen über das Nildelta. In langsamem Fluge. Wir sahen Rosette und Damiette. Immer über Seen und vorgelagertem Land. Und auf der andern Seite das große Meer. Und als der Himmel anfing zu schimmern, weil die Sonne war unten herumgegangen, hingen wir über Port Said. Der Lesseps war ein großer Mann. Wenn er auch nicht verstanden hat das Geschäft an seinem Geschäft. Der Rusart ist größer. Ein Weg, eine Straße, ein Tunnel, noch so kunstvoll und bequem und sicher, – sind ein Zwang! Wo ist ein Weg in der Luft? – Nirgends! – Überall Freiheit! Und wenn sie gebaut haben hundert Luftschiffe oder tausend oder noch mehr, – jeder Weg ist frei!

Der Baron macht sich wieder heran an mich. Ich werde nicht so sein, daß ich ihn wegschicke. Aber die Erinnerung an gestern ist wie ein Knoten in der Schnur. Er spricht von Ismailia und Kairo, was wir nachher sehen werden im Westen, und vom Nildamm und den Pyramiden. Er weiß von Ramses und von Napoleon. Und ich spreche von Kleopatra und von Eugenie. Auch von Isis und Osiris. Daß er immer merkt, wen er vor sich hat. Und er hat die Uarda gelesen, welche geschrieben hat der Ebers. Aber wo er so dicht ist beim Schriftstellern, vom Dichten spricht er nicht. Auch seine Berichte sind weggegangen in Alexandria und Port Said.

Diese Briefe, die ich an Dich schriftstellere, mußt Du aufheben. Sie werden ein großes Kapital werden. Vielleicht erst in Jahren. Eine Seltenheit. Und die Couverts mußt Du auch aufheben. Wegen der Poststempel.

Wir hatten eine Unterredung. Ich und der Herr Baron und der James. Es ist gewesen mein Gedanke. Der James hat gemacht einen groben Fehler. Der James hätte mitnehmen müssen einen Postbeamten oder zwei. Und Stempel. Und überall in der Luft abstempeln lassen. Die Höhe und den Ort, über dem man ist. Was ein Geschäft. Samuel! und neue Marken! – Der eine Rothschild hat bezahlt 20 000 Francs für eine Marke! Was hätte er gegeben für die erste Marke vom ersten Luftschiff! – Man mußte sie an sich selbst schicken. Und den Preis schrauben. Je länger man sie hielt, je höher. – Aber es läßt sich nachholen. Der James war Feuer für den Gedanken. Und ich habe gefordert, daß ich die Postagentur bekomme. Ich will sorgen für genug Beamte. Und Marken drucken lassen und Stempel machen. Dreht er sich weg und sagt: »Entweder Adel oder Geschäft! Darüber müssen Sie sich entscheiden!« – Ich habe mich entschieden. Ich will beides haben. Wer ist der James? – Er kann mir verschaffen den Adel; er kann mich nicht hindern am Geschäft! – Werde ich ihm sagen: »Ich will haben den Adel!« Wo ist der Abstand? – Der Adel macht Geschäfte, und welche gute Geschäfte machen, werden geadelt.

Am Horizont steigt auf der Sinai. Wir sehen hier schimmern den Golf von Suez, und schimmert weit drüben der Golf von Akaba. Der James hält mir ein Privatum oder Privatimum oder ich glaube, das Wort ist länger: Ich soll mir ausziehen die Schuhe, wenn ich etwas hielte vom alten Moses! – Hörst Du ihn laufen, Samuel? – Als die zehn Gebote kamen und der Busch brannte?

Und doch – Samuel! – es ist die Macht der Religion. Ich denke nach, und es ist viel mehr wie nachdenken, – Du hast keine Gefühle, Du bist nicht tief. Deswegen wirst Du mich nicht verstehen; aber ich schriftstellere auch nicht an Dich; – so sage ich, es ist viel mehr wie nachdenken: man hat das Gehirn im Herzen. Wie ich unten langsam nach Süden aufsteigen sehe das steinige Land vom Sinai, – wie einen Tisch, welchen Du schief aufstellst, daß der Regen abläuft – habe ich mich nicht enthalten können; ich habe nichts tun können gegen die Stimme in mir, welche sagte: Hier bist Du gewesen! Hier hast Du gehungert und gedurstet. Und der Dein Führer war, er ist hinaufgestiegen, daß sich ihm zeigte der alleinige Gott. Wenn sagt der James, ich soll ausziehen die Schuhe, hat er Spott. Und ich sage, ich ziehe mehr aus: alle die Gewohnheit, die gekommen ist durch das Volk, unter dem man lebt; – alles, was die Notwendigkeit ist, daß man das Leben erhält, – was die Begierde ist, daß man das Leben schön macht, – alles ziehe ich aus. Und wenn es auch keiner sieht, so bin ich doch nackend. Und stehe da, daß ich die Ellenbogen halte am Leib und kann die Knie nicht auseinanderkriegen. Denn es ist eine Ehrfurcht. Und ein Hoffen. Und mehr als ein Hoffen. Es ist eine Sicherheit! Weil es ist ein Beweis. Alle sind entschwunden. Die Assyrer und die Babylonier. Wo sind die Phönizier? Die Semiramis, wo lebt sie! – Und die Königin von Saba! In der Erinnerung! Und ihr Volk? Vermodert mit ihr. Wo sind die Nachkommen, daß sie Geltung haben und können sprechen und nachweisen, daß sie das Gericht der Zeit überstanden haben? – Und der geknechtet hat unsere Väter im Egypterland, daß sie mußten Frondienste tun und schwitzen und krankes Mark bekommen, und ließ sich von ihnen einen Haus bauen für die Ewigkeit und für seinen Leichnam? – Wo ist er! – Was ist ewig, Samuel? Das sagt Dir die Wissenschaft, die Erkenntnis und die Erinnerung: ewig ist, was sich selbst erneuert! Wie lange dauert ewig? – Es gibt eine Antwort. Sie ist nicht richtig. Aber sie gibt ein Bild, wovor krumm stehen muß ein Denkender. Es ist ein Diamant, groß wie ein Berg und liegt er im Sagenlande. Und kommt alle tausend Jahr ein Vogel und wetzt den Schnabel an dem Diamantberg, welcher ist so groß, daß der Vogel ist müde, wenn er um ihn herumfliegt. Und wenn der kleine Vogel abgewetzt hat den ganzen Berg aus hartem Diamant, Samuel, ist vorbei von der Ewigkeit eine Sekunde. Hörst Du? – Alle tausend Jahre kommt er und wetzt einmal – und wenn verschwunden ist der Berg, – war es eine Sekunde!

So sage ich, eine Pyramide ist nichts Ewiges. Sie ist so groß, so hoch, so breit, so fest. Ein für alle Male. Und sofort an dem Tage, wie sie fertig war, fing die Zeit an zu fressen. Du kannst heute schon sehen, wie sie mit den Zähnen entlang geschabt hat. Es wird der Morgen kommen, wo die Sonne auf geht zwischen Mesopotamien und dem Indierland und werden die Strahlen schießen hin über Egypten. Und wo sie früher prallten auf die kantigen Pyramiden, daß sie halten mußten, und war dahinter ein Schatten, der fiel in das Land und in die Wüste, werden sie nun nichts mehr finden, was sie hindert. Die Pyramiden werden keine Schatten mehr werfen. –

Und wo ist der Ramses? Wo sind alle aus dem Geschlechte der Rampsiniden? – Geh hin, Samuel, und nimm einen Franc, aber nicht aus der Geschäftskasse, und steig bei der place de l'art die breiten Stufen hinauf. Und geh durch die Säle, wo stehen lauter weiße Figuren. Und geh durch und geh hinten hinunter! Wieder die Stufen. Es sieht kalt aus, weil alles ist weiß. Und wenn Du stehst in der Ecke, wirst Du sehen eine Inschrift. Und lies und sieh! Und staune! – Du kannst auch lachen und froh sein. Denn Du bist einer, wie ich einer bin. Nicht durch die Wissenschaft und die Bildung, welche Du nicht hast, – sondern durch die Geburt.

Vor dem Du stehst, den haben sie geholt aus seiner Pyramide. Er war ein Herrscher. Und ließ sich anbeten. Und wenn er vorbeigetragen wurde in seiner Sänfte, fielen sie in den Gräben, welche waren neben der Straße, in die Knie und drückten das Gesicht in den Staub, weil keiner sehen durfte in das Antlitz des Herrschers. –

Samuel! – Er wurde eine Ware. Und sie haben ihn gekauft. Und stellen ihn aus und zeigen ihn gegen Geld. Damit das Anlagekapital wieder herauskommt. Und wenn ihn viele sehen wollen, wie ganze Schulen, was bedeutet eine sichere Einnahme, ist es billiger. Er ist nicht mehr der König, der Pharao; er ist nicht mehr der Mensch. Er ist ein Betrug! Für einen Franc. Denn für den Franc mußt Du liefern noch Deine Kenntnisse und Deine Einbildung. Wenn sie ihn ausbündeln von dem vielen Tuche, ist es nichts als Staub. Staub, wie er wird gefegt im Zimmer, Staub, wie er fliegt aus dem Vesuv! – Frage ich, wo ist der Pharao und wo wird sein sein Haus! Wo sind die Völker, die er regiert hat? – Nicht die Menschen, Samuel! Es vergeht der Mensch. Er ist eine Blüte an einem Baum. Aber wo sind die Völker? die Bäume? – – Der Titus hat zerstört Jerusalem, wie die Christen rechnen, siebzig Jahre nach dem abtrünnigen Juden aus Nazareth. – Wo ist der Titus? – Er hat nicht geschont das Kind in der Mutter. Der Titus war eine Blüte! Wo ist aber der Baum, daß man erkennt, daß das Volk lebt? – Dahin! Samuel! Gerichtet! Sind auch keine Griechen mehr! Und wo sind die Perser? – Wo ist Cyrus, welchem die Tomyris den Kopf hat abgeschnitten, als er tot war, und hat ihn gesteckt in einen Schlauch voll Blut, daß er sich endlich sollte satt trinken. – Du kannst sehen, wohin Du willst: Die Menschen sind in den Generationen wie die Blüten im Jahr. Daß sie schwinden, macht nichts; aber es sind auch die Bäume abgefault! – – Nur wir, Samuel, wir sind! Es reicht der Baum unseres Volkes mit vielem Geäst in alle Völker. Sie mögen werden, wir sind drin! – Sie mögen vergehen, wir bleiben! – Und wenn sich entwickeln neue – uns finden sie vor! – So sind wir die Auserwählten.

Es gibt eine Gewalt, die ein Recht hat an die Rache und an den Hohn. Und wenn Du hast das Gefühl dafür – was ich nicht glaube, denn Dir ist am liebsten der Lehnstuhl und davor die Bank für die Füße und dazu die Bilder, welche nur gezeigt werden sicheren Kunden – dann sollst Du gehen herum im Museum von dem Ramses weg, der sich zeigen muß für einen Franc, und siehst Dir mehr an und alles an und verringerst so den Anteil am Entree für den Ramses, den Peiniger unserer Väter, den Schuft, daß Du ihn zwingst sich sehen zu lassen für wert weniger als einen Cent.

Er, der Herr ist gewesen über uns und hat uns peitschen lassen, der muß sich sehen lassen in die stumpfen Augen und auf die morsche Haut und muß stillhalten, – alles für weit weniger als einen Cent. – – Wer ist der Herr? – Wer ist der Stärkere? – Wer hat gesiegt? – Wer lebt?

Hier ist die Landschaft nicht schön! Keine blauen Berge; keine Wälder, die in den Kronen haben ein feines Zittern, wenn der Wind streicht; und keine Seen, daß sie verstreut liegen wie Edelsteine. Nur Felsen und Klüfte! Und starr! – Es könnte ein Sturm kommen und wäre seine ganze Wut ein Pfeifen und Heulen, womit er fegt über Ecken und Kanten; über Hochland und durch Schluchten. Wie ein Riese liegt auf einem Pfühl, so liegt der Sinai auf der Erde. Er ist stolz und häßlich, kalt und trotzig, – aber er hat etwas, was nicht hat die schönste Landschaft, die bunteste Aussicht: er hat, wie er ist so nackt und kahl, ohne Schmuck, etwas Erhabenes, was weckt die Erinnerung. Bei den anderen siehst Du! Hier denkst Du!

Wie einer, der Wache hält und sieht Dich ständig mit Augen an und rührt sich sonst nicht. Du gehst auf einen andern Fleck, daß Du willst entrinnen den Augen und guckst wieder hin, und seine Augen sind wieder auf Dir. Er kann gut sehen. Die Luft hier ist so klar, daß die kleinsten Spitzen und Kanten da unten erkennbar sind. Kein Staub, kein Dunst. Es sah neben mir eine Dame über Bord. »Interessant, – sehr interessant! wie rein das Felsenfeld! – Und dieser Gigant, wie liegt er da – als wenn die Erde keinen Dunstkreis hätte! – Wie ein Block im Äther!« – Und der auf der andern Seite von ihr, »aber eine trostlose Landschaft! – Immerhin – interessant genug, um eine Photographie zu kaufen. Die Aufnahmen sind schon erfolgt!«

Samuel! – Sie sind zwei Blüten. Und sie haben keinen Zusammenhang mit dem Baum, von dem die große Wurzel liegt hier unten. –

In wohlwollender Zuneigung

Dein Léon d'Aménard.

Die Briefe hebst Du alle auf. Ganz sorgsam und geheim. Aber diesen Zettel sollst Du vernichten I Zerreißen sofort, denn er ist nur für Dich, während sind die Briefe für die Öffentlichkeit und die Wissenschaft. Also: mußt Du es langsam vorbereiten. Wenn Du gehst unter die Leute, mußt Du sprechen hier und da von mir, und daß ich mitfahre und schriftstellere. Nicht auffallend, aber sehr oft. Du kannst auch vorläufig noch sprechen und sagen: »Mein Kompagnon«, oder »Der Herr d'Aménard, was ist mein Kompagnon«, und nichts sagen, daß es ist eigentlich durch Vermittelung eines gewesenen Angestellten, daß ich mitfahre. Wenn Du triffst den Herrn Baudin, welcher mäkelt in Häusern, sprichst Du auch zu ihm. Er hat eine Hochachtung vor mir. Er ist ein kluger Mensch. Und wie ich ihn kenne, ist es eine Schmeichelei für ihn, wenn einer spricht mit ihm von mir und er kann sagen: »Ich weiß, ich weiß! – ich kenne ihn! – und ich habe es immer gewußt I« Und binde Dir einen reinen Kragen um, oder wenn nicht, daß Du einen Radiergummi nimmst, mußt Du vorher reiben mit dem Gummi auf einem Stück Papier, welches ist sauber. Laß Dir eins geben. Geht sonst weg der Fleck auf dem Kragen, ist aber 'rum ein Kranz. – – Ich werde es mir überlegen. Vielleicht trete ich aus der Firma aus. Vielleicht auch nicht. Vielleicht will ich nur sein stiller Teilhaber. Es verträgt sich nicht, wenn ich will mich widmen der Wissenschaft und der Schriftstellerei. Gegen den Adel macht es nichts. Darüber sollst Du noch schweigen. Wenn Du sprichst von mir, daß es unter die Leute kommt, kannst Du vorläufig noch sagen: Mein Kompagnon«.

Léon.

* * *

Gegeben in der Luft,
an Bord des »Gracile«.

Lieber Samuel!

Es gibt etwas, das einen Menschen vollständig umwandelt. Das ist ein großes Unglück. Aber ein Unglück, welches ihn wühlt um und um. Von innen nach außen. Nicht, daß er nicht wieder froh werden kann und lachen. Nein! – das kann er wieder. – Aber wenn er auch wieder lacht und froh ist, es ist ein Ernst im Lachen. Weil er weiß, daß alles ist wie der Hauch. Sein Unglück hat gemacht, daß er ist innen auf einen Berg geklettert. Wenn ich denke, daß ich habe oft geballt mit der Faust, wenn ich mich erinnerte, daß meine nackten Fußsohlen rot sind gewesen in der Schule von dem roten Ziegelstein, auf welchem ich sie gewetzt habe, daß sie warm würden, – muß ich schütteln den Kopf. Es war nicht wert, die Faust zu ballen. Aber ich war zu klein. Nicht im Körper. Im Horizont. Da sind wir! Samuel – es gibt neben dem Unglück noch etwas, was umwandelt den Mann. – Es ist der Horizont!

Wir haben hoch über Jerusalem gestanden. Die anderen haben gehabt die Gesichter, wie man sie sieht an denen, welche im Raritäten – Kabinett staunen. Ich habe gegrüßt, was ich schon lange kannte. Und habe es nie gesehen.

Sind mir aber die Gedanken gekommen. Wenn man will einen Menschen – ich will nicht sagen: bessern – aber ihn trösten, wenn er arbeitet und schuftet im Kleinen und quält sich nach dem nächsten, was auch klein ist, muß man ihn nehmen in den Kubus. Recht hoch! Daß verschwindet das Exemplar. Und daß eine Stadt, und ist es auch die größte, nur ein Punkt ist. Er muß die Länder sehen, und von den Völkern muß man ihm sprechen. Ein Mann wie ich, welcher es weiß und den Blick hat. Und er sieht hinunter. Und sagt sich: Da unten ist Palästina. Ein Land, eine Fläche und Gebirge und Tiefen. Erde und Wasser. Auch Menschen. Die sieht man nicht. Die sind am kleinsten. Und die Flecke sind Städte. So ist es überall. Dort liegt Syrien. Und was drüben hoch kommt, nennt sich Kurdistan, und jenseits liegt Armenien. Und wenn wir hoch oben im Äther weiterziehen, Klein-Asien mit Smyrna und die Türkei und das Marmara-Meer und das Schwarze Meer. Und kommt Österreich und Galizien. Und Deutschland. Und Frankreich. Und der Ozean. Und das bißchen Erdrinde ist eingeteilt. Diesseits des Wassers und jenseits.

Wie wir es jetzt sehen und lernen es. Der eine vom Lehrer. Der andere heimlich zu Haus, daß er nicht zurücksteht vor dem, von welchem der Vater Geld gehabt hat. – Und es hat keinen Sinn, Samuel! Vor hundert Jahren haben sie es anders gelernt. Und nach hundert Jahren werden sie wieder anders lernen. Und wenn auch die Menschen Ruhe geben würden, was sie nicht tun, weil sie noch keinen hohen Horizont haben, dann gibt nicht einmal die Erde Ruhe. Wenn sie gähnen muß und will gebildet erscheinen, daß sie nicht den Mund auftut dabei, verzieht sie die Muskeln um die Backenknochen und genügt es. Zur Veränderung. Denk' an San Francisco. Oder sie atmet auf und hustet. Herculanum und Pompeji. Und der Mont Pelée.

Es gibt ein Wort, das sie sagen, wenn sie die Scham haben und wollen nicht sagen »Ewig« –, sie sagen: So lange der Wind weht und der Hahn kräht! Im stillen meinen sie, es ist so gut wie ewig. Wie oft wag es gesagt sein!

Samuel! – Bist Du hoch oben im Kubus und Du siehst eine Grenze, – gibt es nur zweierlei, – Du lachst oder wenn Du hast innen den großen Horizont: es tut Dir leid. Um den Glauben an die Grenze! – Was ist eine Grenze! Nehmen wir ein Kleines: bloß Europa. Wie viele haben gezeichnet in der Karte von Europa! Du kannst Cäsar nehmen oder Tacitus. Oder den großen Karl. Die Hunnen. Oder Napoleon. Ich denke mir den Napoleon, wenn er lebte, und ich könnte ihn mitnehmen und er sähe über Bord und wir führen über das Feld seiner Geschichte. Von den Pyramiden über Alexandria nach Paris. Über Berlin nach Tilsit. Wir sähen Elba liegen. Und über eine Weile würden die Kuppeln von Moskau von unten glänzen wie hundert Funken. Und er sähe Leipzig und die drei Gestalten, vor welchen er lahm wurde. Und wenn ihm das ins Gehirn kriechen würde, und er würde den Kopf schütteln und sagen: »Wozu! – Wozu ist es gewesen!« – und in die Kabuse gehen und nachdenken. Und ich würde ihn wieder herausholen und würde nichts sagen! Kein Wort! Und ihn an Bord ziehen. Und mit dem Finger nach unten zeigen. Und tief unten würde St. Helena liegen, die Gefangenenzelle im Wasser.

Samuel! Er würde nicht sehen die Insel, darauf das Haus und die Bäume, darum das Meer, – er würde nur sehen den Block, an welchen er angeschmiedet war. Er, der gegangen ist mit blutigen Sohlen durch die Zimmer von Europa. Und hat die Möbel umstellen lassen. Und wo ihm eine Wand nicht paßte, hat er sie niederreißen lassen, und wo ihm eine Stube zu groß war, hat er sie geteilt. Und die da gewohnt haben, haben sich hinstellen müssen auf die Korridore, wenn er schritt auf den Läufern. Und mußten welche ausziehen und verloren den letzten Posten, weil er haben wollte, daß der eine gute Freund oder der andere eine Stube bekam oder einen Saal.

Und weil zuletzt zu viele gewesen sind, die er in den Flur gedrängt hatte und auf die Treppen, auch welche ganz ohne Obdach, haben sich die Bewohner zusammengetan und sind über ihn gekommen, wie die Philister über Simson. In beiden Fällen ist es ein Weib gewesen. Die Delila dort, die Fortuna hier. Sie sind untreu gewesen. So war seine Macht dahin. Denn es war nicht der Gedanke, welcher bleibt, oder die Kraft, welche aus dem Boden kommt, – es war das Glück. Und als er stand nackt, stießen sie ihn in das Gefängnis. Und hatten noch Angst vor seinem Glück. Weit weg mit ihm!! Und schielten immer hinüber und horchten. Kein Palais, kein Haus, kein Zimmer: – für den, der er war, eine Zelle. Es war gleich. Es hätte ein Reich sein können oder ein Turm mit Ratten: sein Blut wurde krank, und sein Mark verzehrte sich, weil es der Zwang war, der von den anderen kam.

Die Menschen sagen, er war groß. Ich habe es auch immer gesagt. Jetzt weiß ich es anders. Man kann nur groß sein, wenn man hat den Horizont. Und der Napoleon, den nur gerettet hat die Zivilisation, daß nicht eine Tomyris seinen Kopf steckte in einen Schlauch voll Blut, der würde jetzt sagen, – wenn er neben mir stände und sähe das Bild da unten ganz anders, wie er es hat gemalt: »Wozu! – Wozu!?« Und würde wissen, daß er die Menschheit nicht hat vorwärts gebracht. Was jeder soll. Im Kleinen und im Großen, wo er nur kann. Sondern war eine Peitsche und ein Hemmschuh. Heute wüßte er es! – Weil er bekäme den Horizont. Den Horizont, Samuel! Und diesen kann nur geben der Kubus! – Das Luftschiff.

Wenn tausend Jahre werden vorüber sein, wird es heißen in den Schulen: »Es gab die Napoleoniden!« Den ersten nannten sie damals den Großen. Weil sie in der Niederung waren, und er hat Europa gebracht ins Zittern. Wo war der letzte? – Es war auch ein Zittern. Das hat er gehabt. Jung. Und starb unter den Speeren von Wilden. Der eine hat in die Kultur getragen ein Zittern, in den andern hat getragen die Unkultur das Zittern. Das ist eine Lehre. Und daß man weitab steht, gibt den Horizont. Es war die ganze Herrlichkeit vom Aufflammen bis zum Verglühen ein Jahrhundert. Ein elendes. Es sind viel, hundert Jahre. Für einen aber, der einen Horizont hat, ein Atemzug.

Und ich sage weiter, Samuel, der Kubus ist nicht das letzte, er ist der Anfang vom Horizont. Wenn man könnte kommen auf die anderen Erden, daß man unsere nur sähe als einen Punkt und hat noch erborgtes Licht, – wer dann daran dächte, daß er irgend etwas getan hat zum Schmerz für einen andern, oder etwas genommen und hatte es nicht bekommen können, ohne daß der andere weinte, – er würde ein Gesicht haben mit Zerren in den Muskeln, die Mundwinkel nach dem Kinn, die Augenbrauen zusammen und die Augen naß. Es würde bittere Scham sein, daß er so klein war. Wie man an Kindern sieht, daß sie kämpfen um einen Marmelstein. Hofft aber, daß sie größer werden und geben nichts auf einen Marmelstein. So muß man auch hoffen bei denen, welche groß genannt werden, daß sie immer größer werden, immer höher. Im Horizont. Daß sie, um was sie auch kämpfen möchten, einsehen, es sind nur Marmelsteine.

Wenn überall und für jeden ist der Horizont so hoch, daß alles sind Marmelsteine, – ist es der Friede. Der Friede, nicht, weil sie nichts kriegen können, sondern weil sie nichts haben wollen. Es spricht auch immer der James vom Frieden, der nun kommen kann. Er betont es in seinen Vorträgen. Aber sein Horizont ist noch nicht hoch genug. Er meint, es wird Friede sein, weil sie nicht werden Krieg führen können. So ist es nicht die Gesinnung, sondern die Schwäche. –

Von Zeit zu Zeit gehe ich hinaus. Wir sehen ein Bild unter uns, das ist wunderbar. Wir sind hoch am Himmel. Und tief unter uns wälzen sich große Wolken. Mit weiten Lücken. Wir stehen gegen den Wind. Die Fahrt beträgt nur 46 Kilometer in der Stunde. Aber ein Heulen und Pfeifen vom Wind ist es, – toller, als führen wir 120 Kilometer.

Der James hält im Salon den Vortrag. Er spricht von Kraftverlust. Und von der Eile, wenn sie notwendig sein sollte. Wenn wir müßten zu einem Ziele fahren mit hundert Kilometern und hätten gegen uns einen Wind von sechzig, wäre es Torheit, dort zu fahren. Man geht in die andere Region. Und er will vormachen das Experiment. Und alles zeigen an den Apparaten. So gehen alle mit. Und er zeigt, wie viel Wind wir haben, wie viel Kraft wir brauchen und rechnet vor, wie schnell wir führen ohne Wind. Alles an Instrumenten und springenden Zahlen. – Und dann steigen wir. Wir gingen auf 2000 Meter; war der Wind ebenso stark; auf 2300 Meter, – noch; auf 2500 Meter, – auch noch; bis wir kamen auf 2580 Meter. Es war wunderbar. – »Wenn Sie, bitte, hinaustreten wollen!« Samuel, man steckte sich an eine Zigarre, und das Streichholz flackerte nicht. Der Wind war so schnell wie wir und mit uns. Nicht mehr gegen uns, wie vorher. Und rechnete der James wieder vor. Es war wie sechzehn zu achtundzwanzig. Mit derselben Kraft, mit der wir sechzehn fuhren, fahren wir jetzt achtundzwanzig. Er macht aber besonders darauf aufmerksam, daß die Luftströmung, wie schlimm sie auch sei, nie ein Hindernis wäre, nur ein Hemmnis. Durch könne man stets.

Er gab das Signal für volle Fahrt. Und es wurde überall lebendig. Weil die Wolken sich verzogen hatten und hatte sich die Landschaft tief unten wieder ausgebreitet. Sie standen mit Rohren da und sahen hinunter. In das Balkangebirge. Und weiter zur Donau mit dem Eisernen Tor. Und immer weiter. Und in fliegender Jagd. Die Schatten der Berge unten fielen nach Osten. Aber noch kurz. Weil es war eben nach Mittag. Eine Stunde. Noch eine.

Der eine Herr Offizier beugte sich zum andern und wies mit dem Finger nach unten. Und wurde lebhaft und sagte, das müßte eine größere Übung sein. Denn das da, was in versteckter Stellung lagerte hinter dem Abhange, und was sich augenscheinlich eben anschickte zum Marschieren, sei ein ganzes Regiment. Und da hinten die Artillerie – und die Kavallerie. –

Er richtete sich hoch und ging zu James, und weil ich immer zufällig steh', wo einer sagt was Interessantes, hör' ich auch, wie er sagt: »Mein Herr –« sagt er, »unter uns findet eine militärische Übung in größeren Verbänden statt. Sollte es sich vielleicht vereinigen lassen mit dem Programm, daß wir langsam fahren und näher gehen, zu beobachten?«

Drückt der James seine Bereitwilligkeit aus und daß es ihm ein Vergnügen ist und gibt die Befehle.

Und da habe ich beobachtet. Samuel! Denn ein Mensch wie ich, Samuel, der sieht nicht. Der beobachtet. Sehen tut alles, was Augen hat. Beobachten tut, wer Gehirn hat.

Es wird immer gesagt von unsern Leuten vom Geschäft, wenn sie sind in Gesellschaft, sie sind dumm, sie sind stumm, sie sind einseitig, sie können nicht sprechen von anderen Sachen. Aber wenn einer steckt die Daumen in die Westentaschen und sagt »Drei dreiviertel Prozent« – ist gebrochen der Bann, ist lebendig die Zunge, ist in Schwung das Gehirn.

Samuel! – Es soll keiner mehr schimpfen aufs Geschäft. Und nicht auf die Leute vom Geschäft. Die Herren Offiziers – fein waren sie, – es ist wahr! – und sie haben auch geführt eine Unterhaltung. Auch mit mir. Aber, – was soll ich sagen, Samuel – es war die Feinheit, daß es überhaupt angemessen war, sich zu unterhalten. Aber auch nicht mit Innerlichkeit. Die Innerlichkeit war nicht da. Nur die Erziehung und die Verbeugung und die Handschuhe.

Aber jetzt! – Samuel! – Jetzt hat einer unter ihnen gesagt »Drei dreiviertel Prozent!« – Und sind alle lebendig. Springlebendig! – Ich steh im Hintergrund. Ich sehe sie und kann auch sehen nach unten. Es ist gut, daß ich verstehe Deutsch und Französisch und auch Englisch; wenn ich es auch nicht kann sprechen. Wie ich da stand, Samuel, war es ebensogut wie an Börsenpfeiler 29.

»Er spekuliert falsch!« sagte der eine.

»Ja! – so kommt er nicht ran – –«

»Nein! – der Weg ist besetzt – –«

»Was für einen herrlichen Einblick man hier oben hat!«

»Sieht er denn da nicht den Feind?«

Samuel, sie haben ihre Ausdrücke. Er meint den Konkurrenten.

»Er kann ihn ja nicht sehen! Sehen Sie, Herr Kamerad – den Bergkegel links von der Truppe mit der starken Bewaldung?«

»Ja – und?«

»Der Schatten dieses Hügels geht über den ganzen Talgrund und an der andern Seite wieder hoch – bis dahin, wo das geklafterte Holz steht. Folglich ist der Kegel so hoch, daß er jeden Ausblick hindert –«

»Ja! – Ja! – Es ist aber doch infam! – Das ansehen zu müssen. Das ganze Regiment geht in die Suppe!«

Samuel, er meint die Liquidation.

»Und ganz ohne Deckung – –«

Samuel, das ist die Rückversicherung! – Ist'n Geschäftsmann, – man muß den Kopf schütteln!

»Nun, das wird eine saubere Kritik werden!«

Es ist die Bilanze, Samuel! –

»Teufel! Diesem Herrn Obersten kann man nur empfehlen, sich einen Zylinderhut anzuschaffen –«

Hörst Du ihn, Samuel? – Er ist ein Makler.

»Aber der andere! – hat blitzsauber operiert. – Der markierte Feind! – Von langher. Sehen Sie drüben, alles schon durch Postenketten gesichert. Sehen Sie nur da hinten! Bis dahin! Nein, sogar da drüben auch noch! – Es war ja gar nicht zu machen! Auch wenn er viel geschickter operiert hätte. Er konnte seine Truppen nicht ranbringen!« –

Samuel! – daß es auch Termingeschäfte gibt bei den Herren Offiziers, das habe ich nicht gewußt!

Man sieht, wie unten sich hier die Leute zusammenziehen und wie sie dort auseinandermarschieren. Ein Bild alles voll großer Lebhaftigkeit. Und bunt. Die Kavallerie mit den Säbeln, welche, wenn sie fliegen, immer blitzen, jagt über die Felder und werden Fahnen hochgehalten, und sieht man sie durch das Rohr, wie sie flattern im Winde.

Der James läßt den »Gracile« sinken. Auf fünfhundert Meter. Fünfhundert Meter, Samuel, ist etwas, da brauchst Du kein Glas. Wir hören Musik. Und Signale. Es ist ein großes Heerlager. Und Zelte. Es geht wie ein Befehl durch die da unten. Mit einem Ruck sehen sie alle nach uns. Sie wissen, was es ist mit uns. Aber sie sehen uns zum ersten Male. Und winken und rufen und schreien. Wir hören ein Brausen.

Und kannte der eine Herr Offizier sein Regiment wieder, in dem er angestellt war als Junker, wie er eintrat ins Geschäft, und er erzählte und grüßte nach unten.

Und nun ging eine große Unterhaltung los. Wie alles mit einem Schlage anders werden müßte. Wie kein Schleichen mehr nutzte und kein Kriechen. Wie überflüssig die Leute wären, die jetzt den Dienst für die Aufklärung machten. Und wäre doch zur Zeit eben so wichtig, wie die Masse, die dahinter stände. Der James trat dazwischen, gerade als einer sagte: – »Den Aufklärungsdienst würde versehen das Luftschiff und würde alles übermitteln.« Der James hatte ein verbindliches Gesicht. Wie eine Balletratte, welche kann grinsen zwei Stunden und hat schon zwei Stunden Schmerzen in den Zehen. Ich weiß es, er hatte den Hohn hinter der Haut. Er sagte, es wäre nicht nötig, aufzuklären und nicht nötig, zu übermitteln. Das Luftschiff ginge mit Schrapnels und Granaten über das Regiment und ließe sie fallen. Der Schluß, der Zusammenbruch des Regiments wie jeder Armee, ergäbe sich von selbst.

Was wir Bankerott nennen.

Und sie sinnen. Man kann in den Gesichtern sehen, wie es arbeitet im Gehirn. Und ist ihnen doch nichts Neues! – Der James aber ist gegangen in die Instrumentenkabuse und hat die Bilder geholt, welche sind ausgenommen während der zwei Stunden, wo wir haben beobachtet das militärische Geschäft. Und befiehlt einen Karton und den Draht. Und hinunterzugehen auf fünfzig Meter. Dicht neben das Zelt mit der Flagge, mit dem Adler und dem großen Wagen und läßt den Karton sinken. Es ist eine große Stille. Wie wenn einer wird ausgeläutet, bricht aber nachher ein fürchterlicher Lärm los. So hier auch. Sie rufen und winken und schreien. Und bei uns auch. Und ist es ein Wedeln mit Tüchern. Auch von unten. Es sind da auch Damen. Und feine Equipagen. Eine große Unruhe, unten und oben.

Und man spricht zu James. Mehrere. Auch Damen. Er soll hinunter mit dem »Gracile«, – aber das Kommando ist schon gegeben. Wir steigen. Es werden die Leute kleiner, die Zelte wie Spielzeug; Reihen Kanonen wie stumpfe Striche auf farbigem Grund.

Und der James sagt, daß er es bedauerte, – wer ihn kennt, Samuel! – daß es aber nicht ginge, weil die Internationalität seiner geehrten Gäste gestatte keinen direkten Verkehr mit einer einzelnen Nation! Und es scheint, sie sind so dumm, das einzusehen.

So geht es jetzt nach Haus. Ich sage mit Fritz Rusart, von welchem der James York ja doch nur ist der Phonograph, das Problem ist gelöst. Und kann gemacht werden das Geschäft. Und das andere Geschäft, das militärische, was blutig war und hat Trauer gebracht, es ist perdu.

Lieber Samuel! – Wir sind auf dem Heimweg. Es klettern am Horizont hoch die Sudeten. Wir fahren über Schlesien, welches gewesen ist die Perle in Österreichs Krone und welches der alte Fritz reklamiert hat. Weil er eine Fusion haben wollte mit dem übrigen, was er hatte. Wo er satt war den Zank mit den Unterröcken. – Und dann über das Elbsandsteingebirge zurück. Nach dem Harze. Ich sage »Auf Wiedersehen!« wenn ich auch noch nicht weiß, wann! Muß ich doch auf die Spur! Vergiß nicht, was wichtig ist. Es wird jetzt zum Abschied kommen das große Diner. Es wird eine Wehmut sein, aber auch ein großer Ruhm. Und erhebend. Vielleicht rede ich

Dein Léon d'Aménard.

 

Lieber Samuel!

Tränenkrug – ist es eine Beleidigung? Aber was weißt Du, ob eine Sache eine Beleidigung ist! Der James ist gekommen zu mir, sehr ernst. Er hat gelesen den letzten Brief. Ich habe ihn liegen lassen, mit Absicht. Und so habe ich geglaubt, er hätte eine große Hochachtung. Bis er redete. »Den Mansch von Napoleon habe ich gelesen,« hat er gesagt, »Sie Tränenkrug der Weltgeschichte! Denken Sie 'mal nach. Wenn Napoleon das lenkbare Luftschiff gehabt hätte. Freuen Sie sich, daß die korsische Plage eingesargt ist. Mit dem Luftschiff in den Tatzen hätte der Mann die Welt geknechtet. Und Elba und St. Helena, die Flecke hätten Sie ausradieren müssen. Aber los hätten wir ihn doch werden können: über Ihr Ragoût vom Horizont hätte er sich totgelacht.«

Ich werde mich erkundigen, ob Tränenkrug eine Beleidigung ist. Und ist es eine, werde ich blamieren den James durch Schriftstellern. Was ich jetzt kann.

Diesen Zettel verbrennst Du. Und steckst ihn nicht so in den Ofen, weil Du zu faul bist. Wie damals den Brief von der Margot, daß ihn die andere wieder aus den Stücken zusammensetzen konnte. Und konntest Du zwei Tage nicht ins Geschäft. Und ein Vierteljahr nicht zum Photographen.

Dein Léon.


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