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Siebentes Kapitel.

Es gibt ein ungeheures graues Haus in Berlin. Es ist ein schwerfälliger Block. Hohe Tore mit weitschwingenden Bögen. Große, gerade, viereckige Fenster mit vielen Querstäben. Drüber eine Kuppel wie die Krönung eines Doms. Innen mächtige kahle Höfe, Galerien, Balustraden. Alles grau und alles alt. Kalt und trotzig. Und ungefällig steht es da. Von welcher Seite man es betrachtet, es spricht keine Einladung aus. Und kein Sonnenschein vermag ihm das Herbe zu nehmen.

Aber das Haus hat schon die Markgrafen begleitet, als sie Kurfürsten wurden; die Kurfürsten, als sich auf ihr Haupt die Königskrone senkte; die Könige, als von ihren Insignien der Glanz des neuen Deutschen Reiches strahlte. Und in diesem Hause hat der Mann schon gewohnt, der von Brandenburgischer Seemacht träumte.

Von Jahrhundert zu Jahrhundert war es mitgegangen. Kalt und steinern.

Und heute beherbergte dieses Haus einen neuen Gast, einen Gast, der das Wahrzeichen einer neuen Zeit mit sich brachte. Nicht in den Prunkräumen. Und kein schimmernder höfischer Empfang war vorgeschrieben.

In dem großen, hochummauerten ersten Hofe hing die »Pax«. Sie hatte Fritz Rusart vor der Schloßwache abgesetzt und war dann wieder bis zur Höhe des Prinz-Heinrich-Flurs gestiegen.

Die Berliner hatten sie heranschwimmen sehen, waren ihrem Laufe mit den Blicken gefolgt und wollten nun ihren Augen nicht trauen, als sie sie hoch über dem Schlosse stillhalten und dann sinken sahen. Tiefer und immer tiefer. Langsam und lautlos. Von den Linden und der Schloßbrücke her, durch die Königsstraße, die Breite- und Brüderstraße strömten sie in dichten Scharen heran. Der Schloßplatz, die Schloßfreiheit mit dem Nationaldenkmal, der Lustgarten, drüben der Kupfergraben, sie waren in kurzer Zeit bis in die Ecken von einer sich aufgeregt drängenden Menge besetzt. Und die am nächsten am Schlosse waren, stürmten gegen die geschlossenen durchsichtigen Portale. Es war ein wütendes, wüstes Hin- und Herdrängen.

Und trotzdem niemand von den draußen Stehenden mehr etwas von der »Pax« ergattern konnte, wich und wankte die Masse nicht. Männer, wie Frauen, wie Kinder, sie harrten unentwegt aus. Erhielt doch die »Metropole der Intelligenz« den ersten offiziellen Besuch des Wunderschiffes! Und das gleich bei »Kaisers«!

Fritz Rusart wurde seinem Souverain zugeführt. Der Flügeladjutant trat zurück.

Der Kaiser ging dem Besuche entgegen. Die tiefe, ehrerbietige Verbeugung Rusarts beantwortete er durch einen kräftigen Druck der Hand.

Dann bot er ihm durch einen Wink einen Sessel an und ließ sich selbst vor seinem Arbeitstische nieder.

Mit einem Blicke hatte sich der Herrscher überzeugt, daß da vor ihm das Bild aufgelebt war, das er wohl tausendmal gesehen hatte. Und weder jenes aller Welt bekannte, noch jenes, das der Kaiser sich in der Stille selbst von dem Manne gemacht hatte, hatte gelogen. Es waren die Linien und die Züge; es war auch das Unverrückbare im Ausdrucke.

Der Kaiser hielt das Rusartsche Programm für irrig. Als er aber seinem Gegenüber in das Auge sah, empfand er, daß dieser Mann nur durch ganz außerordentliche Umstände von dem Wege abzubringen sein würde, den er sich einmal vorgezeichnet hatte.

»Präludien rauben Zeit! Deswegen will ich Sie nicht erst fragen, weshalb Sie in Hamburg meinen Ihnen angebotenen Schutz nicht angenommen haben, ihn aber doch mit seinem ganzen verhältnismäßig komplizierten Apparat sich haben entwickeln lassen –«

»Eurer Majestät kaiserlichen Schutz,« fiel Rusart ruhig ein, indem er einen Verstoß gegen die höfische Sitte beging, die eine Unterbrechung der Rede des Kaisers unter keinen Umständen gestattete, »habe ich im Gegenteil außerordentlich ausgenutzt!«

»Wie denn – –?«

»Im Rahmen meines Programms, Majestät! – Ich hatte den Schutz nicht so sehr nötig, wie das Zurückhalten jeder Belästigung. Ich kam von oben und hätte jeden Angreifer zu Boden gedrückt. Buchstäblich. Und so habe ich für meine Zwecke benutzt, was im Grunde nur Schutz der anderen war. Weil es aber nach der ganzen Abwicklung für Eure Majestät den Anschein haben konnte, als ob ich, – sei es mangels besserer Einsicht, sei es lediglich auf meine Kraft pochend – undankbar gewesen sei, so habe ich es für meine vornehmste Pflicht gehalten, Aufklärung zu geben. Und ich bin hier, Majestät, um mich zu entschuldigen und mich zu bedanken!«

»Es ist richtig: es war kein Ablauf. – Es wurde ein Aufstieg!«

»Und hätte ich Majestät gebeten, die Avisos fortzulassen und die Gründe angegeben, wäre damit zugleich mein Feld allen anderen gegenüber deutlicher markiert worden, – deutlicher, als es für diese anderen gut gewesen wäre!«

»Ihr ›Kosmopolit‹ verdolmetscht alles. Weshalb nicht diese Ihre Erklärung für einen Vorgang, der allen übrigen, die ihn kennen, unverständlich geblieben sein muß?«

Fritz Rusart schüttelte den Kopf. »Meine Entschuldigung, Majestät, gilt nur dem, der glaubte, mir helfen zu können – –«

»Zu müssen! – Herr Rusart! – zu müssen! Mir gilt der Nachweis nicht gelungen, daß Sie ohne die Maßregel ungefährdet aus Hamburg gekommen wären!«

»Ich werde ihn auch nicht führen können. Denn es liegt keine Veranlassung vor, das Experiment dieses Schutzes zu wiederholen. Alle Welt weiß, wie ich beim nächsten Male operiere.«

»Sind Sie unterrichtet, in welcher Form sich das, – nun sagen wir einmal: – das Interesse – an Ihnen und Ihrer Erfindung verdichtet hat?«

»Ja, Majestät!«

»Und Sie glauben, stärker zu sein, als alle die Ausflüsse dieses Interesses?«

»Stärker sogar als die Auswüchse dieser Interessen!«

Der Kaiser sah Rusart längere Zeit schweigend an. Zuletzt deutete er mit der Hand auf die aufgestapelten Exemplare des »Kosmopolit«. »Sie haben eine Erfindung gemacht, deren absoluten Wert wir zur Seite lassen wollen. Sprechen wir von ihrem relativen Werte; von den Maßen, in denen sie, was ist, ergänzen oder vernichten kann. – Nach den Aufsätzen, – als deren Verfasser ich Sie betrachten darf? –« Fritz Rusart verbeugte sich zustimmend. »Nach diesen Aufsätzen sind Sie der Überzeugung, daß Sie Fortschritt und Segen bringen?«

»Ja, Majestät!«

»Ich weiß nicht, ob Sie Staatslehre gehört haben. Und von dem Recht auf die Ruhe. Und von dem Verhältnisse zu Störern der Ruhe! – Aber auch ohne dieses –: der Begriff ›Konstitution‹ wird nach geltendem Brauche für eine Regierungsform angewendet. Im Grunde ist er doch die Bezeichnung für eine Lebensform. Jeder einzelne hat eine Konstitution; jede Familie, jede Gemeinde, jede Stadt, jeder Staat. – Nun – tragen wir Ihre Erfindung auf das Niveau, das ihr gebührt, so steht ihr die Konstitution der Gesamtkultur gegenüber.

»Seine eigene Lebensform ändern, ist eine Tat, die einschneidend wirkt. – Immerhin ist aktiv und passiv in einem Individuum vereinigt. Der Probierende ist Probierstein. Die Lebensform einer Familie, einer Gemeinde, – bis hinauf zu einem Staatengebilde, – ändern, läßt schon das zweite, weitaus gefährlichere Moment in die Erscheinung treten: die Gefahr, nicht abmessen zu können, wie weit und in welchem Tempo eine Änderung ertragen werden kann. Der einzelne fühlt den Schaden in sich herannahen, im weiten Verbände wird er erst offenbar, wenn er eingetreten ist.

»Nun – immer nach den Ausführungen des ›Kosmopolit‹, wollen Sie auf einer Seite stehen, alles andere auf der andern. Das steigert die Gefahr ins Ungemessene. Und entweder überschätzen Sie sich, – oder Sie unterschätzen das, was Sie einführen wollen: Ihre Erfindung!«

Fritz Rusart hatte schweigend, und ohne daß sich eine Muskel in seinem Gesichte regte, zugehört. Als er jetzt, nachdem der Kaiser zu sprechen aufgehört hatte, immer noch schwieg, lehnte sich Seine Majestät in den Sessel zurück und fragte, ihn scharf fixierend: »Oder halten Sie sich für fähig, die Folgen der Einführung genau zu kennen, sie zu leiten, sie abzumessen, in Tempo und Maß?«

»Nein!« lautete die klare Antwort. Das war aber auch das einzige Wort, das Fritz Rusart zu hören gab.

»Fast ein Diplomat der ältesten Schule!« Der Kaiser ließ die Blätter auf seinem Schreibtische durcheinandergleiten. »Es ist angezeigt, zu fragen: Was glauben Sie, welche Stellung nehme ich Ihnen gegenüber ein? – Wenn Sie lediglich vor mir stehen, um sich zu entschuldigen, eine Entschuldigung, die ich dankend annehme, so mag es wider Ihre Absicht verstoßen, über diese Entschuldigung hinauszugehen. Aber ich kann mir diese Abgrenzung nicht denken. Ich will sie mir nicht denken.

»Sie sind doch auch ein Deutscher. So besteht ein Zusammenhang, der intimer ist, als der zwischen je zwei sonst beliebigen Erdbewohnern. Und ich fühle etwas, das über das Recht hinausgeht, ich fühle die Verpflichtung, neben Sie zu treten, über Ihnen zu wachen! – Dazu ist aber, – wenn nicht nötig – so doch außerordentlich wünschenswert, daß Sie mich darüber aufklären, wie Sie sich meine Stellungnahme denken. Zu Ihrer Erfindung, zu Ihrem Vorhaben, zu der Zukunft.«

»Majestät!« Fritz Rusarts Auge verengte sich etwas. »Von den Tausenden, die mir gegenüber aktiv werden oder werden möchten, sei es in leitender, sei es in dahinterliegender verantwortlicher oder unverantwortlicher Stellung, gibt es nur einen, der mit mir in der Ansicht über die Einführung übereinstimmt. Nur einen!«

»Nun? und?«

»Das ist der deutsche Kaiser!«

Der Kaiser erhob sich. »Wie?«

Auch Fritz Rusart erhob sich. »Majestät haben die Gefahr im Grundzuge entwickelt. – Daß ich die gleiche Auffassung trage, gerade das beweist mein Verhalten von Anbeginn. Wollen Majestät sich das Bild entrollen lassen, – wie es hätte sein können – und wie zu werden ich es gezwungen habe!«

»Sprechen Sie!« antwortete der Kaiser und lehnte sich, die Arme verschränkend, mit dem Rücken an den Schreibtisch. Trotz der merkbaren Spannung war eine gewisse Reserve in dem Klange der wenigen Worte zu hören. Seine Augen ließ er während des eingehenden Vortrages auch nicht eine Sekunde von Fritz Rusarts Gesicht.

»Die Erfindung ist vorhanden!« begann dieser. Die bewußte, persönliche Note in allem, was er sagte, wurde angenehm durch die vornehme Ruhe begleitet, in der er sprach. »Und die Erfindung bedarf keiner Prüfung. Sie hat ihre Gebrauchsfähigkeit selbst bewiesen. Und von ihrer Lebensfähigkeit ist sogar jede Normalintelligenz überzeugt.

»Das letztere beides konnte nur durch die Fahrten erreicht werden. – Ich, als der Erfinder, habe es an dem Tage gewußt, an dem ich die Erfindung machte. Und am gleichen Tage hat sich mir, wie durch einen Flächenblitz erhellt, jenes Bild gezeigt, das sich zu entrollen droht, wenn die Erfindung in falsche Hände gerät.

»Zwischen Männern, die Auge in Auge miteinander sprechen, ist unter Umständen ein Beweis eine Würdelosigkeit. Und deshalb darf ich es mir versagen, jene Stelle in meinem Tagebuche hier vorzuführen, in der ich noch in der ersten Nacht, als ich mit der ›Pax‹ aufstieg, auf das schreckensvolle Trümmerfeld hinwies, das die Erfindung zu verursachen drohte und dessen Hervorrufen ich mit allen Mitteln hindern wollte.

»Ein vorhandener Erwerbstrieb hätte zweifelsohne dazu geführt, die höchste Verwertung der Sache anzustreben; und ein Standpunkt, der lediglich eine Ausschlachtung im Auge hatte, wäre bei den bald ins Ungemessene gehenden Angeboten schnell zum Ziele gelangt.

»Vergegenwärtigen sich Majestät die Faktoren, die mir sofort gegenübertraten. Die Regierungen, der Militarismus, der Handelsstand, die Hochfinanz. Es sind eigentlich zwei Abteilungen: die Hochfinanz auf der einen, die übrigen auf der andern Seite.

»Mit der Hochfinanz hätte sich überhaupt nicht verhandeln lassen können. Auch nicht von einem andern. Kaum bei hitzigstem Erwerbshunger! – Denn sie versprach nackt und schamlos, was sie nur halten konnte durch mich. Bei allen anderen waren die angebotenen Werte zur Zeit des Angebotes vorhanden. Dort nicht. Sie hätte erst die Umwälzung durchführen müssen. Der Barmittel dazu war sie sich sicher. Montecuculi hat mit seinen drei Erfordernissen des Krieges nur in Worte geprägt, was im Altertum so gut galt wie heute. Und heute nur schwerer empfunden wird. Früher konnte nur Krieg führen, wer Geld hatte, – denn selbst das Beutemachen war nur eine Entlastung, kein Löschen des Kontos; und heute, bei den ungeheuren Heeren, kann nur Krieg führen, wer Geld geliehen bekommt. – Geliehen von jenen, die hinter den Kulissen sitzen. Und hinter diesen Kulissen werden kämpfende Heere belebt oder gelähmt. Die Finanz nimmt zur Armee keine würdigere Haltung ein, – bestenfalls! – als der Pferdekundige, der sein Goldstück auf dem Rennplatze in den Totalisator steckt.

»Die Hochfinanz taxierte, kalkulierte, spekulierte; und das Angebot? – die Karte von Europa sollte zu meinen Gunsten verblüffend vereinfacht werden. Ein Angebot, das auch jeder andere abgelehnt hätte. Den einen Fall ausgenommen, daß in dem Erfinder zügellose Herrschsucht getobt hätte.

»Aber die anderen Angebote! – Alle realisierbar und, – wenn man davon absieht, daß der Wert der Erfindung überhaupt nicht abgemessen werden kann, auch sich nicht etwa ausdrücken läßt durch jenes blöde Angebot der Hochfinanz –, sie erfolgten auch in einer Höhe, die geleistet werden und befriedigen konnte. – Denn für den Begriff ›Besitz‹ gibt es Genußgrenzen.

»Aus der breiten Front, der ich gegenüberstand, sprangen die einzelnen heraus. Eure Majestät mögen erfahren, daß – keine Regierung eine Ausnahme gemacht hat. Keine! – Von Republiken, deren Etat auf der Höhe desjenigen von Berlin steht, bis zu Reichen, die in Milliarden balanzieren. Keins blieb zurück.

»Alles in allem ein Beweis, daß niemand sich der Einsicht in die Wichtigkeit der Erfindung entziehen konnte. Und ich sehe dabei von der Unzahl von Briefen ab, in denen einzelne mir praktische oder sentimentale Ratschläge geben zu müssen glaubten.

»Wenn es meine Interessen waren, die ich in den Vordergrund schob, blieb mir nur die Aufgabe zu wählen. –

»Ich greife eine der Möglichkeiten heraus. Nicht wahllos! – Und das Beispiel ist nicht typisch. Es zeigt im Gegenteil das Revolvierende ganz besonders.

»Das Inselvolk, das vor wenigen Jahren durch einen gewiß ruhmvoll überstandenen Krieg gegen ein ungleich viel größeres Reich in die Reihe der Großmächte eingerückt ist, hätte die Erfindung ausgeliefert bekommen. – Japan mit seiner Intelligenz, mit der Höhe seiner Industrie, der Tapferkeit seiner Einwohner, mit dieser Art von Fatalismus, der in der Religion liegt und in der Nation aufgehen läßt, und mit seinem Haffe gegen das Abendland! – Dieses Japan, das durch jeden Sieg eine Gefahr bildet, – es wäre in den Besitz der Erfindung gelangt. Sein Angebot stand nicht hinter dem anderer Länder zurück. Und bei gleicher Höhe der Kaufsumme hätte in dem Erfinder nur eine Herostratesnatur zu schlummern brauchen, um ihn mit brünstiger Gier darnach zu erfüllen, das vollständig auf den Kopf zu stellen, was Eure Majestät vorhin Kulturkonstitution nannten.

»Der Pflug, mit dem dann von Osten her gepflügt worden wäre, bewußt und fanatisch, politisch und in der Folge religiös, hätte jede Scholle, aber auch jede, mit seinem Eisen herumgeworfen. Ich mag Nationen nicht aufzählen; da im Laufe der Begebenheiten keine eine Ausnahme im Untergange gemacht hätte. Und ein Volk in Waffen wäre nicht wehrhafter gewesen, als jeder Nomadenstamm, der sein Heil im Grashalm und im Dattelbaum sieht.

»Auf der andern Seite: wäre diese perverse Sucht, der ewig genannte Urheber eines den ganzen Erdball umspannenden Umsturzes zu werden, nicht gewesen, – hätten durch Zufälligkeiten der Geburt begründete Antipathien gegen Fernes und Unbekanntes, gegen Ungewohntes und Unverstandenes, eine ganze Reihe von Bewerbern ausgeschaltet, – und wären für die engere Wahl nur Nationen in Betracht gekommen, die, näher dem Gesichtskreise, in ihrer Art des Vorgehens gekannt waren und deren Anrecht auf Berücksichtigung aus dem Maße hergeleitet werden konnte, in dem sie bisher für die Ausbreitung von in unseren Augen gültiger Kultur Sorge getragen hatten, – und hätte sich der Erfinder für eine der abendländischen Großmächten entschieden –, wie hätte dann das Bild ausgesehen?

»Unsere Taxe für den Wert religiöser Kultur kann nur eine subjektive sein. Objektivität steht von Religion so weit ab, wie Dogmatik von Dogma. Bei nicht fanatischen Naturen mag die subjektive Taxe zugunsten ihrer Richtigkeit durch das Maß beeinflußt werden, in dem wir den religiösen Kultus sich den ethischen Kultus erzwingen sehen, die Form des Verhältnisses zu Gott veredelnd wirken auf die Form des Verhältnisses zu den Mitmenschen. Diese Überlegung könnte vom Erfinder dem Abendlande auf das Kredit-Konto geschrieben werden. Denn neben der politischen darf die religiöse Gefahr nicht außer acht gelassen werden. Sie würde sich gleich neben ihr hochschieben. Die Türken haben vor Wien gelegen, und der Manzanares war rot von Maurenblut. Was damals mühseliger Weg war und schwerfällig, in Zukunft wäre es, auch für den fernsten Osten, nur spielende Kraft.

»Der hervorragendste Kulturträger ist England. Und nicht vielleicht zum wenigsten, weil es den Grundsatz befolgt hat: ›Von dem, was du schaffst, ist etwas mein, – was du glaubst, ist dein.‹ In England hängt sich die Religionsform nicht an die Fersen der Politik. Ein Vorzug, der den Fehler großziehen mußte, daß das Weitergreifen der politischen Tatze um so intensiver betrieben werden konnte, je weniger Empörungsherde im Rücken aufflammten, entzündet durch Glaubenszwang.

»Asien ist heute wie eine Schüssel, über deren Inhalt von Süden wie von Norden her je ein Gegner den Deckel schieben will. Der kräftigere ist England.

»Afrika weist, wo immer eine europäische Flagge weht, durchschnittlich auf fünfhundert Kilometer mindestens einmal die englische auf.

»Was die neue Erfindung für ein Volk mit dem Trieb von Hause und dem unzerreißbaren Zusammenhange mit zu Hause bedeuten würde – im Hinblick auf alle anderen –, braucht nicht gesagt zu werden. Englands Geheimnis, brutal im Knechten und voller Schonung gegen Knechte, hätte es zum Herrn über alle Staaten gemacht. Denn die Kraft zum Unterwerfen, die ihm der Besitz der Erfindung gebracht hätte, wäre seine Macht geblieben. Im Gegensatz zu allen bisherigen Gepflogenheiten wäre die neue Erfindung das erste und einzige gewesen, an dem es die Unterworfenen nicht hätte teilnehmen lassen.

»Wie vorhin die politische und religiöse, so wäre hier nur die politische Struktur verändert worden. Aber auch von Grund aus. Und das auch wieder nur durch das Zertrümmern aller übrigen Nationen.

»Man konnte, wenn man sich den Standpunkt ausgleichender Gerechtigkeit anmaßen wollte, zuletzt noch auf den Gedanken kommen, ein Gegengewicht in der Erfindung zu schaffen. Gegen das Nimmersatte Schlingen Englands eine Nation zu stärken, die, ohne bisher eine Expansiv-Politik getrieben zu haben, doch durch ihre inneren Zustände eine Bürgschaft dafür geboten hätte, daß sie die Erfindung soweit und nicht weiter politisch benutzen würde, um jene oder irgendeine andere Nation nicht übermächtig werden zu lassen. Eine unzuverlässige Kombination. In der Praxis hätte sich das Experiment ebenfalls zu nichts anderem als Kampf, Blutvergießen und Völkermord ausgewachsen.

»So blieb, was ich getan habe! – Der Weg, den ich gegangen bin, Majestät! – Niemand als einzelner, als Einzelnation, bekommt die Erfindung. Sie sollen sich einigen. Und dann ist keiner stärker. – – Ich kann warten. Und baue weiter!«

Der Kaiser richtete sich auf. Die Falte zwischen seinen Augenbrauen hatten sich vertieft. Seine Stimme klang schneidend, und die Sätze kamen nur stoßweise über die Lippen.

»Ihr Vortrag krankt an einem schweren Übel. Wie es hätte geworden sein können, – haben Sie gesagt! – Wie es ist, – auch! – Wie es sein wird – nicht! – – Diesen Teil des Vortrags werde ich halten. – Die Basis wird Ihr Programm bieten. Sie besitzen drei Schiffe?«

»Ja!«

»Und jedes einzelne einwandfrei in der Erfüllung alles dessen, was von einem lenkbaren Luftschiff gefordert werden muß?«

»Ja!«

»Keine Macht! – Nur der Keim einer Macht! – Dieser Keim kann seine Wurzeln in das bestehende Getriebe hineinschlagen, – er kann draußen bleiben! –

»Sie wollen das Erstere, – tun das Letztere.

»Man beurteilt eine Handlung nach der Absicht, in der sie vollzogen wird.

»Widerspricht die Handlung der Absicht, – dann trennt sie sich von ihr. – Und nur die Handlung steht zur Kritik –«

»Majestät! – Weil die Absicht nicht geglaubt wird?«

»Weil sie nicht wirkt! – Mit der Tatsache, daß Sie nicht in das Blachfeld hinuntersteigen, Sie als der Mann, den jeder als die Gefahr am andern ansieht, stellen Sie sich allen gegenüber. Allen!«

»Nur bis –«

Der Kaiser winkte ab. »Und mit Ihrem Anwachsen wächst diese ›Gefahr am andern‹ so lange, bis Ihre eigene Größe Sie selbst als Gefahr erscheinen läßt. Als ein neu entstehendes selbständiges, schlingendes Etwas. – Es wird sich nun –«

Fritz Rusart trat einen Schritt vor. »Majestät! Ich bin keine Gefahr! Werde niemals eine sein!«

Der Kaiser sah ihn ernst und eindringlich an. Dann schüttelte er den Kopf. »Ich könnte von Ihnen, wie auch Sie von sich, in der dritten Person sprechen. Der Erfinder ist die Gefahr. – Aber seien Sie doch stolz, daß Sie der Erfinder sind. Wären Sie es nicht, wäre es ein anderer. Wäre es nicht heute, – wäre es morgen. Eins darf nie vergessen werden« – die Stimme des Kaisers hob sich – »noch hat kein Sterblicher die Zeit am Atmen hindern können!! – Also, ob Sie die Gefahr sind oder nicht, – gehen Sie neben der Zeit her und nicht in die Zeit hinein, gelten Sie als die Gefahr.

»Nicht Ihre Sicherheit wächst mit der Zahl Ihrer Schiffe, – Ihre Unsicherheit wächst. Ich will Ihnen Frist geben: Drei Jahre! – Und eine Flotte: Hundert Schiffe! Was haben Sie erreicht? – Sprechen Sie!«

»Haben sich die anderen in der Zeit geeinigt, Majestät?«

»Nein!«

» Status quo nunc!«

»Alles wie jetzt? – Niemals! – Denn was jetzt Ausblick in die Zukunft ist, ist dann Rebellion gegen die Gegenwart. Die drei Schiffe sind Ausrufungszeichen! – In der Arbeitsleistung gegenüber der Gesamtheit gleich Null. Ihre hundert Schiffe aber können nicht Ausrufungszeichen bleiben – und sie können sich auch nicht betätigen, ohne allerorten Gesetze und Vorschriften zu verletzen, Interessen – öffentliche, wie private – zu schädigen, Widerspruch, Verfolgung und Kampf heraufzubeschwören.«

»Das alles kann vermieden werden, wenn eine internationale Konferenz –!

Der Kaiser ging erregt auf und nieder. »Ich nehme Sie ernst! – Ob es alle tun –« er zuckte mit den Schultern. »Halten Sie eine internationale Konferenz für mehr als eine Farce?«

»Majestät belieben etwas völlig auszuschalten, was unbedingt zur Konferenz führen muß! – Muß! Die Notwendigkeit für jeden einzelnen Staat, in den Mitgenuß dieser Erfindung zu kommen.«

Der Kaiser trat scharf auf ihn zu. »Hier liegt der Irrtum in Ihnen, der verhängnisvoll werden kann! Kein Staat empfindet die Notwendigkeit des Mitgenusses! Keiner!«

»Nicht?«

»Nein! Aber jeder empfindet die Notwendigkeit des Alleinbesitzes. Sie sagten vorhin, Sie wären orientiert über die Machenschaften, die gegen Sie und die beiden Neubauten in Hamburg unternommen wurden.«

»Ja, Majestät! Ausreichend!«

»Nun, – ich darf glauben, es auch gewesen zu sein. Und ich nehme trotz Ihrer gegenteiligen Auffassung für mich in Anspruch, daß Sie nur durch meine Maßnahmen in den Besitz der beiden Schiffe gekommen sind!« Der Kaiser machte eine plötzliche Wendung. »Sie halten eine Konferenz für möglich?«

»Ja, Majestät!« antwortete Fritz Rusart bestimmt.

»Gut!« Es lag etwas stechend Pointiertes in jedem Worte. – »Dann ebensogut gegen als für Sie! Ich konstruiere: gegen Sie! – Wie, wenn beschlossen würde, Sie, wo immer Sie sich mit einem Ihrer Fahrzeuge niederließen, für vogelfrei zu erklären? – als die allgemeine Gefahr?«

»Ein widernatürlicher Beschluß, Majestät!«

»Was ist widernatürlich? – Die Abwehr, selbst wenn sie kurzsichtig ist?«

»Der Beschluß würde auch nicht gehalten werden! Der Staat, in dessen Gebiet ich mich niederließe, würde gerade im Hinblicke auf die ihm bewußte, den anderen auferlegte Bedingung, mir Freistatt gewähren; hierin seinen größten Vorteil sehend. Vielleicht auch in der Überzeugung, daß jeder andere, ebenso handelnd, ebensowenig einen Beschluß ausführen würde!«

»So? – Und dann? – Und dann? – Sehen Sie, Sie schweigen! Dann würden Sie sich, den Verhältnissen das einräumend, was Sie nach Ihrem Programm verhindern wollten, diesem einen Staate ausliefern! – Und das Bild, das Sie vorhin entwickelt haben, und dem ich in jedem Pinselstriche zustimme, würde sich doch entrollen!

»Sie haben meine Sympathie! Ich bin mit Ihnen gegangen, Schritt für Schritt! Und habe Ihnen nicht nur Freiheit gelassen, ich habe auch für Ihre Freiheit gesorgt. Glauben Sie nicht, daß ich Sie längst hätte in meiner Gewalt haben können?«

Fritz Rusart lächelte kühl. »Wer weiß, ob –! Majestät! Und jetzt

»Hier sind Sie Gast!«

»Man hat mich in London gleich nach dem bekannten Vortrage fangen wollen – es waren Hetzrüden erprobter Art losgelassen, – sechs Stunden später sprach ich in Wien. Aber wenn auch! Mich haben, heißt nicht die Erfindung haben! Die ist gesichert.

»Außerdem weiß ich, daß der preußische Kriegsminister nicht abgeneigt war, mich mit seinem gesamten Artilleriepark aus der Luft herunterzuholen. Ich weiß, wo überall Artillerie in Garnison steht. Und wenn ich nicht jedem Abenteurerstückchen abhold wäre, wäre es für mich leichter gewesen, die Kanonen einer Garnison mit denen einer anderen zu vertauschen, als für ihn, auch nur eine einzige Kugel auf meiner ›Pax‹ zu plazieren.

»Aber ich darf wohl Eurer Majestät Ausspruch wiederholen: ›Noch hat kein Sterblicher die Zeit am Atmen hindern können.‹ Und selbst der lebhafteste Kriegsminister ist – sterblich!« schloß er sarkastisch.

Der Kaiser blieb ernst. »Lassen Sie uns nicht abschweifen! Sie unterschätzen die Gefahr, in der Sie schweben, weil Sie nicht zu der Auffassung kommen, daß man allerorten in Ihnen eine Gefahr sieht.

»Und Sie sind schwach! Schwach wie ein Kind gegen alles, was sich an Ihre Fersen heftet. Ein Riese werden Sie nur, wenn Sie, – aus der Welt der Intelligenz heraustretend, – sich mit einer Macht verbünden, die in der pulsierenden Welt ihre Aderschläge mittut!«

»Und es kann nach Eurer Majestät Meinung als diese Macht nichts Näheres geben – als Deutschland?«

»Nichts Näheres? Etwas anderes kann es überhaupt nicht geben! Für Sie nicht! Nicht für mich!«

Fritz Rusart sah ernst in das Gesicht seines Kaisers.

»Und der Preis?« fuhr dieser fort. »In Ihren trefflichen Ausführungen vorhin war ein Wort von wunderbarem Klange: Für den Begriff ›Besitz‹ gibt es Genußgrenzen –« Er drehte sich durch ein Geräusch bewogen um. Der Flügeladjutant stand in der Tür.

»Was ist?«

»Ein dringendes Telegramm an Majestät!«

Der Kaiser entfaltete und las. Ein schwerer Schatten flog über sein Gesicht. Er reichte das Blatt Fritz Rusart hinüber. »Ihr neustes Schiff haben Sie anscheinend schon verloren!« Rusart durchflog das Telegramm. »Der ›Robur‹ soeben von Engländern überfallen. Sind augenscheinlich Herren vom Schiff. Schwimmt in zweitausend Meter. Halberstadt – – Magdeburg. ›Pax‹ sofort hierher.« Dann folgte die Unterschrift des Chemikers.

Das Blatt zeigte ein seines Zittern in der Hand des Lesenden und trotz des Triebes zur Selbstbeherrschung sah man das tiefe Atemholen an Fritz Rusarts Brust. »Begreiflich ist es nicht – –«

»Aber mir! – Kann ich Ihnen helfen? – Überlegen Sie schnell! – Ich bin bereit! – Ist es Verrat?«

»Nein, Majestät!« Ohne Zögern kam es heraus. »Es ist ein Überfall! – Militärische Hilfe nutzt nichts in den Wolken. Ich hole mir den ›Robur‹ selbst wieder. Nun will ich's zeigen. – Vor fünfunddreißig Minuten aufgegeben! – Der ›Robur‹ hat hundert Kilometer Höchstfahrt. – Erst muß ich ihn finden. Wenn Majestät – –«

»Was?«

»Sobald der ›Gracile‹ wiederkommt, er wird sich übermorgen bei Eurer Majestät melden – ihn anzuweisen, sofort die Passagiere abzusetzen und auf viertausend Meter Höhe – bei Nacht mit vollen Lichtern – die Suche nach uns aufzunehmen. Unter ständigem Funkenspruch. Er hat in dieser Höhe fast unbeschränkte Anspruchfähigkeit. Auf der ›Pax‹ wird der Apparat auch in Tätigkeit sein. Es kann eine lange Jagd werden. Die ›Pax‹ kann noch neun Tage schwimmen!«

»Und wenn Ihr ›Robur‹ verloren ist?«

Fritz Rusart schüttelte den Kopf. »Das ist er nicht! Er geht zu ersetzen! Und sie werden keine Narren sein. Für sie ist er ein Schatz. Sie wissen nicht, daß er in zehn Tagen nur ein Gehäuse ist. Sie werden mit ihm umgehen, wie mit einem Juwel. Meine Sorge ist eine andere. Majestät geruhen, mich jetzt an die Arbeit – –«

»Aber gewiß! – Eilen Sie! – und lassen Sie mich nicht ohne Nachricht!«

»Nein, Majestät!«

Zwei Minuten später stand Fritz Rusart neben Frau Franziska an den Hebeln. Die »Pax« stieg langsam und Rusart verbeugte sich noch einmal grüßend tief vor dem Kaiser, der an einem der Fenster des Schloßhofes stand.


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