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Siebzehntes Kapitel
Hochmut gegen Hochmut

Im Affenhaus war verwirrtes und verwirrendes Leben.

Den Morgen über lagen, saßen und hockten die vielen Inwohner leidlich ruhig beisammen. Die Meerkatzen marschierten, kletterten und sprangen mit Gelassenheit umher, verhielten sich zuweilen lange und emsig bei irgend einem Pavian oder Lemuren, um ihm gewissenhaft das Fell zu durchsuchen.

Die Jüngeren turnten ein bißchen zu ihrem Privatvergnügen und blieben meist unbehelligt.

In seiner Ecke, ganz hoch oben, saß der geduldige Budeng, kraute sorgenvoll den buschigen Schädel. Er war ängstlich, weil man ihn noch in Ruhe ließ, weil er noch nicht wußte, was für Quälereien ihm verhängt sein würden. Nur das eine wußte er, es wird Quälereien geben. Und er konnte sich ihrer nie erwehren.

Ein winziger Makake fuhr herum, als sei das ganze Affenhaus sein Eigentum. Das erlaubte er sich nur in den Morgenstunden.

Ab und zu haschte freilich einer von den Alten böse nach dem Halbwuchs. Doch dann entwischte ihm der kleine Makake mit entrüstetem Gezeter. Aber das erstickte gleichsam in der allgemeinen Ruhe.

Gegen Mittag stellten sich die ersten Besucher ein. Kinder, Frauen, Mädchen, Jungen, Männer.

Die Affen rückten näher zusammen. Sie kritisierten.

»Neugierig sind die da draußen«, murrte eine Meerkatze.

siehe Bildunterschrift

Die Affen erklären: »Die da draußen stehen tief unter uns!«

»Aber Macht haben sie, diese Geschöpfe, Macht!« pfiff ein Weißbartaffe.

Ein Pavian grollte dazwischen: »Dumm sind sie ... jämmerlich dumm!«

Er weckte allgemeine, begeisterte Zustimmung.

Von rechts und links, von oben und unten kamen Rufe des Einverständnisses.

»Was haben sie denn dahier? Jeden Tag dasselbe, jeden Tag ... und stehen doch jeden Tag da draußen und glotzen herein ... blödsinnig!«

»Aber es sind doch jeden Tag andere, die ...«

»Alles eins ... dumm bleibt dumm!«

»Albern!«

»Widerlich blöd!«

Ein kleiner Mandrill fuhr mit hysterischem Ausbruch in die Debatte. Seine Wangen, wie Fruchtspalten, waren hellblau bis zu den zornigen Augen aufgebaut, seine Schnauze, ganz rosenrot, stieß bissig vor: »Wer hat behauptet, daß sie Macht besitzen?« Er drehte sich wild nach allen Seiten: »Wer?«

»Können sie springen?« fragte er, »können sie am Gitter hochklettern? He?«

Die anderen jubelten.

Ein Makake meldete sich: »Hat man schon gesehen, daß sie einander das Fell durchsuchen?«

»Was müssen die für Ungeziefer an sich tragen«, kicherte ein Nasenaffe.

Seine Gefährtin kreischte: »Sie haben ja gar kein Fell!«

»Ganz nackt sind sie! Ganz nackt!« höhnte der Nasenaffe.

Der winzige Makake wies mit der Hand hinaus zur Menge: »Das alles kann man ihnen vom Körper schälen,« lachte er, »und dann sind sie so nackicht weiß, wie im Gesicht ... ekelhaft!«

»Ekelhaft!« klang es in der Runde.

Der Pavian erklärte würdevoll: »Sie stehen tief unter uns, diese wilden, grausamen Bestien! Tief unter uns!«

Ein alter zausiger Affe sagte, hustend: »Ich bin lange mit so einem Kerl herumgewandert. Er hat mir genau die gleichen Kleider übergestreift, wie er sie trug, genau die gleichen Kleider. Was für Unsinn hab' ich treiben müssen! Und wie niederträchtig hat er mich geprügelt!« Der Affe hustete.

»Warum hast du ihn nicht gebissen?« fragte der Mandrill aufgeregt.

»Oh, ich hab' ihn oft gebissen, sehr oft,« entgegnete der Hustende, »aber ...«

»Aber,« ergänzte der Nasenaffe, »sie sind stärker als wir ...«

»Unsinn,« schrien einige, »Unsinn!«

»Zu uns gehören die stärksten Wesen, die es gibt«, sagte der Pavian. »Denkt nur an Yppa! Sie werden uns niemals gleich sein, sie können es nicht! Und sie haben keine Ahnung, wie schwer es für uns vollkommene und überlegene Geschöpfe ist, ihren Anblick auszuhalten. Wir sind der Inbegriff des Schönen und Klugen, dagegen sie die Unfertigen, die Halbfertigen.«

Der Mandrill grunzte erbittert auf: »Wir alle zusammen würden mit ihnen bald fertig sein!«

»Sie sind tückisch in ihrer Ohnmacht,« spottete der Weißbart, »sie haben Angst vor uns, nichts als tödliche Angst ... deshalb sperren sie uns ein!«

»Ja, deshalb!«

»Sehr richtig!«

Schüchtern bemerkte der Budeng: »Doch sie geben uns Leckerbissen.«

Sofort fielen ein paar Gefährten über ihn her, rissen ihn beim Schopf, schlugen und zwickten und zerrten ihn. Er duldete eine Weile die Mißhandlung, vollständig willenlos und ergeben. Dann flüchtete er hoch hinauf und hockte, verprügelt, auf einem Brettchen. Der Arme, er hatte von den Leckerbissen, die er dankbar erwähnte, kaum jemals etwas erhascht.

»Ich komme aus einem Land,« schrie der Inder, »aus einem Land, da sind wir die Herren! Wir!«

»Hörst du?« riefen alle dem Budeng zu.

»Dort«, schrie der Inder, »herrscht Ordnung! Das nackte, haarlose Gesindel dient uns! Uns! Wir dürfen uns alles erlauben! Keines von diesen niedrigen Geschöpfen wagt es, uns zu stören!«

Der Weißbart ergriff ihn an der Schulter: »Wieso ...?« lächelte er. »Warum bist du dann hier?«

Entrüstet zuckte der Inder weg: »Alberne Frage!«

Mit beiden Händen schlug der Weißbart auf ihn ein. »Tropf!« schrie er wütend. »Prahler! Großmaul!«

Der andere wehrte sich, fletschte die Zähne, sauste durch das ganze große Haus davon, blickte scharf, doch kaum merklich zurück, ob er verfolgt werde, und ließ sich dann ganz harmlos, als sei nichts geschehen, neben einer Meerkatze nieder. Sogleich beschäftigte er sich voll sachlichen Eifers mit ihrem Fell.

Inzwischen hatte der Weißbart eine ernst beisammenhockende Gruppe gefunden, gesellte sich zu ihr, um die Geschichten des indischen Lemuren als Lügen zu erzählen.

Alle unterhielten sich köstlich. Sie beschlossen, den Inder vorzunehmen und ihn zu zausen. Aber ein anderer Inder, der dazugekommen war, hielt sie auf. »Das sind keine Lügen!« ereiferte er sich. »Das ist richtig!«

»Was ist richtig?« kreischten ihm die anderen ins Gesicht. »Was?«

Der indische Lemur krähte vor Inbrunst der Überzeugung: »Daß dort die Welt gerecht verteilt ist! Daß dort wir die Sieger bleiben! Das ist die Wahrheit! Daß dort wir angebetet werden, wie's uns gebührt! Daß keiner von dem nackten Geschmeiß uns anzurühren wagt!«

Auch ihn packte jetzt der Weißbart an der Schulter: »Wie konnten dann die Nackten euch hierherbringen?«

Wütend antwortete der Inder: »Das waren Nackte aus einem andern Land!«

Und als der Kreis höhnisch lachte, gurgelte er, vor Zorn fast erstickend: »Sie haben uns heimlich, listig, tückisch gefangen!«

»Lügner!« fauchte der Weißbart.

»Schwätzer! Prahler! Mauldrescher!« schimpften die andern und fielen über ihn her.

Allein der Inder kämpfte wie ein Teufel. Da mußten sie von ihm ablassen.

Die draußen versammelte Menge stand gleich einer lebendigen, dicken Mauer. Sie begleitete den Zwist, den sie sah, mit Johlen, mit Angstrufen, mit hell jauchzendem Kinderlachen.

»Das ist ein Streithansl«, sagte ein alter Mann und deutete auf den Weißbart.

»Alle Affen sind zanksüchtig«, warf ein junger Mensch mit strengem Brauenrunzeln ein.

»Mein Gott,« ließ eine behäbig runde Frau sich vernehmen, »mein Gott, ganz wie die Menschen. Bei uns gibt's auch immerfort nur Zank und Streit.«

»Bei Ihnen vielleicht«, knurrte sie ein strammer Herr an, dem ein Monokel im Auge blitzte.

Die runde Frau warf ihm einen beleidigten Blick zu, dann entwand sie sich dem Gedränge und murmelte: »Ich stell' mich nicht her mit dem ..., vielleicht ist er gar ein Offizier in Zivil oder ein Baron.«

Der Monokelherr grollte ihr nach: »Unerhört ... uns mit Affen zu vergleichen.«

Er weckte kein Echo. Nur ein ältliches Mädchen sagte vor sich hin: »Mich macht der Anblick von Affen immer traurig ...«

»Warum denn?« wollte ein junger schüchterner Mann wissen.

»Nun, sie sind immer krank«, erklärte das Mädchen.

»Krank?« brummte ein düsterer Athlet. »Das sind lauter Sterbende.«

Der Monokelherr lachte ironisch: »Na, habe selten so muntere Sterbende gesehen.«

»Morituri«, wollte der Schüchterne vermitteln.

Aber der Monokelherr klappte einfach drauf: »Quatsch!«

Das ältliche Mädchen klagte: »Diese Menschenähnlichkeit ist schrecklich.«

»Schrecklich ... allerdings!« stimmte der düstere Athlet zu. Niemand wußte, wie er das meine.

»Diese Ähnlichkeit quält und beschämt«, äußerte das ältliche Mädchen.

»Ganz richtig ... von Ihrem Standpunkt aus«, schnarrte der Monokelherr und schmunzelte leise.

»Sie sind so hilflos,« vermittelte der Schüchterne wieder, »so arm und hilflos sind sie und da wirkt dann eben das Zerrbild des Menschen noch grausamer ...«

»Jawohl!« Der Monokelherr machte ein Gesicht, als habe ihn jemand beschimpft. »Jawohl ... es ist ein etwas dreister Scherz der Natur.«

Er machte brüsk kehrtum und ging davon.

Die Kinder stimmten ein helles Freudengeschrei an. Denn der winzige Makake gebärdete sich wie toll.

Irgend jemand hatte ihm einen kleinen, runden Handspiegel gereicht.

Das winzige Äffchen erblickte sich darin, geriet in höchstes Erstaunen, wußte nicht, daß ihm sein eigenes Gesicht entgegenschaute, spähte über den Spiegelrand, um den neuen Gefährten zu suchen, guckte wieder in den Spiegel und war außer sich. Das Äffchen begriff nicht das geringste. Ein Wunder geschah ihm. Es sah sich an, griff dabei tastend hinter den Spiegel. Immer aufs neue paff, beglückt und vollkommen närrisch.

Gelächter von allen Seiten. Kinder und Erwachsene belustigten sich an dem drolligen Schauspiel.

Die Affen wurden aufmerksam und näherten sich dem Winzigen.

Paviane warfen Bananen weg, an denen sie sich gelabt hatten, Meerkatzen ließen halbe Orangen fallen, Makaken, Rollschwanzaffen, Weißbärte, indische Lemuren, alle schmissen achtlos Kuchen, Obst, Zucker beiseite und strömten zu dieser Ecke unten, wo das Winzige gesessen hatte.

Es war beim ersten Herannahen der Großen wie der Blitz hoch hinaufgeklettert, kauerte ganz oben, unterm Dach, und hielt unruhig hastigen Ausblick nach Rettung.

Nun begann die wilde Jagd.

Ein Pavian hatte den Winzigen ausfindig gemacht und stürzte förmlich, von Baum zu Baum, von Ast zu Ast, hinunter. Alle andern Affen folgten ihm in rasender Eile.

Der Winzige war noch einmal zur Höhe emporgeflogen, als trügen ihn Schwingen. Knapp hinter ihm die Verfolger. Noch einmal gelang es ihm, in Hetzfahrt den Boden zu erreichen. Aber die andern hatten sich geteilt, er wurde umzingelt und ihm blieb keine Möglichkeit, zu entkommen.

Mit inständig flehender Gebärde hob er die dünnen Arme. In seinen Händchen leuchtete der Spiegel.

Er quiekte, pfiff und kreischte um Gnade.

Er wagte sogar, seinen Schatz zu verteidigen.

Er biß um sich, kratzte, schlug. Er war ein Held.

Vergebens. Sein heldenhaftes, ohnmächtiges Ringen dauerte kaum zwei Sekunden.

Sie packten ihn an den vier armseligen Händchen und es schien, er werde in Stücke gefetzt. Sie ohrfeigten ihn, daß ihm die Funken aus den Augen spritzten.

Ein Pavian bemächtigte sich des Spiegelchens und entwich damit.

Im Nu vergaßen die andern den Winzigen, der zerschunden, außer sich vor Verzweiflung langsam das Gitter erkletterte, jammernd, schimpfend.

Alle setzten dem Pavian nach. Aber der war nicht so leicht zu überwältigen.

Er hatte in der Mitte des Käfigs, in halber Höhe auf einem Schwebebrett Platz genommen. Dort war er nur von wenigen zu erreichen. Dort schaute er in den Spiegel, und wenn sein Erstaunen auch nicht so heftig gestikulierte, wie das des winzigen Makaken, so gab er sich dem Rätselhaften doch derart intensiv hin, daß er die turnerische Gewagtheit nicht wahrnahm, mit der ihn fünf oder sechs starke Affen beschlichen.

Sofort entwickelte sich eine Balgerei, der Pavian suchte zu flüchten und auch er hielt jetzt den kleinen runden Spiegel an sein Herz gepreßt.

Hinunter und hinauf tollte die Bande.

Kleinere Affen ließen von der Sache ab, vergaßen das Ganze anscheinend sofort und wendeten sich andern Vergnügungen oder Streitigkeiten zu.

Indessen hatte sich der Mandrill dem Pavian entgegengestellt, hielt ihn an und entriß ihm ohne Kampf den Spiegel.

Lautlos, voll bissiger Würde saß der Mandrill ganz vorn am Gitter. Seinen finsteren Augen, seinem farbigen Antlitz ließ sich kein Eindruck abmerken. Nur der zanksüchtig gehobenen Lippe sah man es an, wie sehr ihn sein eigenes Abbild reizte und wie ungeduldig er sich bemühte, das Geheimnis des blinkenden Sternes in seiner Hand zu ergründen.

Niemand im Käfig wagte es, ihm die Beute abzujagen.

Die Affen dachten bald nicht mehr an diesen flachen Glitzerstein, den sie eben noch so heiß begehrt hatten.

Nur hin und wieder schleuderte einer, der dort vorbeikam, neidisch furchtsame Blicke auf den Mandrill.

Der ließ plötzlich den Spiegel fallen, stand auf und kletterte irgendwohin, vielleicht um nachzudenken.

Drei, vier Paviane sprangen gleich herzu, ein paar Meerkatzen eilten heran, alle wollten nun das wieder erreichbare Spielzeug haben. Während der Rauferei, die sich entwickelte, brach der Spiegel in Scherben, er zerfiel ihnen unter den gierigen Händen in winzige Splitter. Nun war es aus mit dem Wunder. Nun war ihnen der Spiegel weder Geheimnis mehr noch Rätsel. Sie griffen nach den kleinen Splittern, berochen sie, versuchten, ob sie eßbar seien, und ließen sie, ein jeder mit derselben Geste vollständiger Gleichgültigkeit, fallen.

Von den vielen Klapptüren, die in den inneren Winterkäfig führten, wurde eine gehoben und schlug mit lautem Donner wieder zu.

Der uralte Pavian Muffo erschien. Mächtig hing ihm die Zottelmähne um Schultern, Rücken und Brust. Wie das Kennzeichen großer Würde hüllte sie ihn feierlich ein. Sein Antlitz war ernst nachdenklich und hatte etwas Monumentales, als sei es in dunkler Bronze gegossen. Er war der Herrscher hier im Affenhaus, pflegte keine Gemeinschaft und litt keinen Widerspruch. Man gewann seine Gunst für ungewisse Zeit, ohne zu wissen, wodurch. Man verlor sie wieder, fiel plötzlich in Ungnade, ohne zu ahnen, warum. Niemand wagte es, sich gegen ihn aufzulehnen, niemand erlaubte sich eine Vertraulichkeit.

Langsam, mit verschlossenen, von Wissen erfüllten Mienen durchwanderte er den Käfig und allen Affen schien es, er bringe eine wichtige Entscheidung.

Es wurde stiller ringsumher. Sie fürchteten alle seine Weisheit, seine Stärke und seine grausamen Launen.

Muffo fand auf seinem Weg die kleinen Splitter des zerbrochenen Spiegels, nahm sie auf, betrachtete sie, wie man längst Gekanntes betrachtet, und warf jeden weg, mit einer Gebärde, die sehr viel überlegene Verachtung ausdrückte.

Dann setzte er sich ganz vorne auf den Steinrand des Bodens, lehnte sich fest an das Gitter, so daß die Leute draußen nur seinen breiten betreßten Rücken zu sehen bekamen.

Das Gesicht seinem Volk zugewendet, fing er zu sprechen an: »Da! Wieder ein Gaukelwerk, um uns zu foppen und um unseren lebhaften Sinn mit törichtem Spielzeug zu beruhigen ...« Er hielt ein Splitterchen des Spiegels zwischen den Fingerspitzen und streute es gleichgültig in den Sand. »Die Nackten haben Angst vor uns!« rief er düster grollend.

»Sie werden uns anbeten müssen!« schrie der Inder ekstatisch.

»Schweig!« fletschte Muffo bissig.

Der Inder verstummte erschrocken.

Nach einer Weile sprach Muffo: »Die Nackten, sie sind mit ihrem Witz bald am Ende.« Er atmete tief. »Der Tag wird kommen!«

Alle Affen waren begeistert.


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