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Sechstes Kapitel
Der Fuchs im Wahnsinn

Heute war Mino, der Fuchs, wieder einmal ganz irrsinnig.

In seinem kleinen, niedrigen Käfig sauste er wie der Teufel umher. Hinein in den künstlichen Bau, der aus Sandstein für ihn errichtet war. Heraus in den runden, vergitterten Raum, dessen betonierter Boden eine Abflußrinne hatte. Heraus und herein. Hin und her.

Überall Stein, Eisengitter und Beton.

Es machte ihn rasend.

Wie er diese Fälschung eines Fuchsbaues haßte! So oft er darin verschwand, überfiel ihn die Erinnerung an sein eigenes Haus, das er sich einst selbst gebaut und gegraben hatte. Ja, das war anders, das war herrlich warm und weich in die Waldhügelerde gesenkt. Innen und außen voll beweglichen Lebens, voll von Keimen und Werden. Da hatte es Wurzelfasern gegeben und Würmer und Käfer. Während der Bauarbeit sogar Mäuse. Und ein Geruch war da. Innen und außen. Die Witterung tausendfältiger Beute. Hundertfältiger Gefahr. Die Witterung von Frau und Kindern, wohlvertraut und zärtlich geliebt.

So oft Mino vom Sturz dieses Erinnerns überfallen wurde, stieg eine blinde Wut in ihm auf, geriet ins Kochen, ins Toben und raubte ihm alle Vernunft.

Oft lag er in der kalten, steinern gefühllosen Höhle, biß in die Wände, wälzte sich verzweifelt und schlug mit allen dreien um sich.

Denn er hatte nur drei ganze, vollständige Beine.

Das vierte Bein hatte ihm ein Tellereisen weggeschnappt. Es war der linke Vorderlauf. Daran fehlte nun die Pfote und ein Stück vom Unterschenkel.

Der Jäger fand ihn gefangen, das vom Eisen festgehaltene und zerschlagene Bein fast durchbissen. Mino lag ganz ermattet flach am Boden. Er war beinahe ohnmächtig vom Schmerz, vom Blutverlust, vom Sturm der Erregtheit und der Verzweiflung.

Aber als ihm der Sack übergeworfen wurde, hatte er doch alle seine Kräfte zusammengenommen und wie rasend gegen die schwarze, erstickende Hülle gebissen, gekratzt, getobt. Ein Glück, daß es seine letzten Kräfte waren. Der Jäger dachte schon daran, ihn zu erschlagen.

War es wirklich ein Glück, daß Mino die Besinnung verlor? Beim Erwachen trug er eine schwere Kette um den Hals, an der seine Zähne vergeblich und schmerzhaft sich erprobten. Dann wurde er, als die Fußwunde sich geschlossen hatte, hierher gebracht.

Nun saß er schon drei lange Jahre da, in diesem Käfig. Aber er hatte sich immer noch nicht gewöhnt. Er konnte sich noch immer nicht beruhigen. Ohne Aufhören sann er darüber nach, wie er es möglich machen werde, zu entwischen. Unaufhörlich arbeitete er daran, sich zu befreien.

Gewiß, er lag oft ganze Tage ausgestreckt und schlief. Dann war er aber müde von all den ungeheuren Anstrengungen, von all der quälenden Sehnsucht.

Oder er saß ganz still auf den Hinterkeulen, oder er saß wie ein Hund aufrecht auf Brust und Bauch, blinzelte vor sich hin.

Dann dachte er über seine Flucht nach.

Er schmiedete Pläne. Die Erde wollte er aufwühlen, wollte eine Röhre graben, die ihn hinausführte in den Wald. Ob der Wald fern sei oder nah, grübelte er und mußte heimlich lachen. Fern oder nah, er wird ihn schon finden. Das war leicht, wie er meinte. Erst nur draußen sein!

Aber seine eifrig, fiebrig suchende Nase fand die Erde nirgendwo. Hier in seinem Käfig war überall nur der steinharte Beton. Der schmerzte schon die Zehen, die immerfort drauftraten. Der widerstand dem scharfen Gebiß, das wütend dagegen schlug.

Von siedender Ungeduld erhitzt, bekam Mino dann seine Wahnsinnsanfälle. Dabei blieb ihm freilich ein Restchen Vernunft. Doch das war zu gering, war zu schwach, um die Ausbrüche zu hindern, wurde von ihnen betaumelt und mit fortgeschleift. Ungeduld tobte in Mino, zornige Verzweiflung, Sehnsucht nach dem Tod, die brennend wehtat. Tobte, tobte.

Er rannte sich drinnen, in der verhaßten Höhle, den Schädel gegen die Wände. Dazu durchflackerte ihn ein winziger Glaube, er werde mit der Wucht seiner Raserei das Gewölbe sprengen. Nebenher zuckte der andere, mutlose Glaube, er werde sich den Schädel zerschmettern und alles werde ein Ende haben.

Betäubt, umnebelten Auges, lief er heraus, fegte in engen, immer engeren Kreisen den Raum des Käfigs ab, bis er, schwindlig geworden, niederstürzte. Dieses Gefühl von Schwindligsein glitt wie Befreiung durch sein Hirn. Die Welt, so weit er sie sehen konnte, drehte sich. Das Gitter, das ihn gefangen hielt, drehte sich und wurde im tollen Tanz schattenhaft blaß. Der Boden unter Minos Füßen bewegte sich drehend. Es schien, als sei die starre Festigkeit des Betons erweicht und im Schwinden begriffen.

So half dieses Toben doch, alles zu verändern. Es war das einzige Mittel, das half.

Freilich, die Täuschung währte kaum länger als zwei, drei Sekunden. Dann umhegte ihn sein Kerker wieder so fest und bewegungslos wie immer.

In Mino dämmerte die Meinung, er habe nicht genug getobt.

Wütend fiel er das Gitter an, biß in das kühle Eisen, preßte die Nase, die Pfoten zwischen die Stäbe, daß ihm Blut aus Lefzen, Zahnfleisch und Fell tropfte.

Da hatte er die Erde dicht vor sich. Jenseits des Gitters lag die Erde, nackt, geschürft von vielen Menschenfüßen, weich, mit feinem Kies bestreut, die Erde, nach der er gierig war. Ganz nah und nie erreichbar.

Unglücklich hob Mino die wundgestoßene Nase. Holte Witterung. Wundersame Verheißungen trug ihm die Luft her, um ihn zu höhnen, um ihn zu martern. Da war der würzige Duft von Fasanen, der lockende von Hasen, der scharfe Geruch großer Raubtiere, die der Fuchs frei glaubte und in Genüssen schwelgend. Da kam verwandte Witterung von Wölfen, von anderen Füchsen und stachelte Minos Verlangen nach Kameraden, nach Gefährtinnen ins Ungemessene. Oh, wie viel, wie unendlich viel versäumte er.

Mino schleuderte sich mit Heftigkeit vom Gitter weg, zu neuem Rundtanzrasen.

Eine Witterung, dumpf, säuerlich, wohlbekannt, drang auf ihn ein und zwang ihn stillzustehen.

Da, kaum eine Pfotenlänge entfernt, saß Vasta, die Maus.

In der Rinne draußen saß sie, in dem kleinen Loch, das die Rinne im Boden verschwinden ließ.

Sie saß, ohne sich zu regen, während ihre dunkeln Stecknadelkopfaugen den Fuchs beobachteten.

Mino schlich heran, wie einer auf der Mäusejagd. Die Beine halb eingeknickt und doch ganz straff, ganz sprungbereit federnd, den Kopf geduckt und vorgestreckt. Die Rute bebte und bewegte sich leise, als wolle sie wedeln.

Er streckte die gesunde Pfote durch das Gitter und schlug nach Vasta, ohne sie zu erreichen. Entmutigt stand er auf hohen Beinen, ließ die Rute schlaff herabhängen und sah harmlos aus.

»Komm her zu mir,« begann er sanft, »komm doch näher.«

Vasta blieb reglos sitzen. Sie schwieg.

»Komm herein,« lockte der Fuchs, »geschwind, komm herein.«

»Ich werde mich hüten«, sagte Vasta ruhig.

Mino drängte: »Aber ich muß Wichtiges mit dir besprechen.«

»Das kannst du ebenso gut, wenn ich hier sitze,« entgegnete Vasta; »rede ... ich höre.«

»Du traust mir nicht?« fragte der Fuchs unschuldig.

Die Maus erhob sich, hielt ihre beiden Vorderpfoten zur feinen, spitzen Schnauze: »Ich will leben bleiben«, kicherte sie.

Da brach aus Mino die helle Wut hervor.

»Laß mich heraus von da!« Er knirschte. »Auch ich will leben! Auch ich! Dahier krepiere ich vor Jammer! Laß mich heraus! Es ist genug! Genug! Verstehst du? Genug! Laß mich heraus!«

siehe Bildunterschrift

»Dahier krepier ich vor Jammer!«

Vasta zuckte zurück in das dunkle Loch, vor dem sie hockte. »Ich?« sprach sie erstaunt. »Ich?!«

»Ja, du!« Der Fuchs schäumte. »Ja, du! Du rachsüchtige Bestie! Du grausame Kanaille! Du elendes, infames Luder! Du! Leugne nicht! Du!«

Vasta saß kerzengerade in den Hinterbeinen, die Vorderpfoten verblüfft erhoben.

Der Fuchs zitterte am ganzen Körper, seine Augen hatten sich zu einem bösen Schielen verkrampft. »Du warst es, du und deine Sippe! Du hast mir dieses Ungeheuer geschickt, das mich dahier festgehalten hat mit seinem gewaltigen Maul!« Er hob den Pfotenstumpf und meinte das Tellereisen. »Der ganze Wald steckt voll von dir und deinesgleichen. Und ihr alle seid meine Feinde!«

Vasta lachte: »Wir ... deine Feinde? Wir ... die deinigen?!«

»Ja,« schnaubte Mino, »ihr seid klein, aber klug und gefährlich! Zu spät seh' ich's nun ein, zu spät, wie gefährlich ihr seid.«

»Du irrst dich, Mino«, sagte Vasta. Doch sie sagte es kaum hörbar, denn sie war stolz, weil der Fuchs sie für mächtig hielt. Jetzt richtete sie sich wieder auf und jetzt fiel sie ihm dreist ins Wort: »Gibst du zu, daß dir recht geschieht?«

Mino sackte zusammen, milde, demütig. »Alles gebe ich zu,« winselte er, »alles, was du willst, alles, alles. Hab' Erbarmen, hab' Mitleid mit mir. Du bist glücklich, du bist selig, du bist frei. Du weißt gar nicht, wie glücklich, wie reich du bist. Du kannst hingehen, wohin du willst, du kannst laufen, so weit du Lust hast. Oh, du Glückliche. Sei gnädig zu mir, sei barmherzig. Laß mich heraus! Ich schwöre dir, ich werde nie einen von deiner Sippe fangen, nie, nie. Ich schwöre!« Er war ganz berauscht vor eifriger Bitte und glühender Hoffnung; er übersteigerte seine Versprechungen. »Ich schwöre für mich und alle meine Brüder, alle meine Schwestern, nie, nie mehr soll einer von uns euch weh tun. Wir werden Freunde sein, gute Freunde. Nur diesmal laß mich los! Ich schwöre ...«

Er hielt inne und sah gespannt zur leeren Rinne hinaus.

Vasta war verschwunden.

Von ferne scholl ein Freudenschrei herüber, dem wildes Jauchzen folgte. Das war ein Hund, nein, Mino erkannte es deutlich: das war ein Wolf.

Mino stellte die Ohren hoch und lauschte.

Es gab auch Freude hier im Umkreis, es gab Verwandte, die laut jubelten.

Nur er allein litt, nur er allein, meinte Mino.

Ermattet legte er sich flach zu Boden, horchte trübselig und verbittert weiter. Das Jubeln klang leiser, wurde augenblicksweise erneut laut und stürmisch und schwieg zuletzt.

Mino drückte den Kopf zwischen die Pfoten und schloß die Augen.

Sein Anfall war vorbei.


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