Emilio Salgari
Der algerische Panther
Emilio Salgari

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Culkelubis Tod

Während des Tags erfolgte nichts weiteres. Im Brot, das man den Gefangenen zuwarf, war kein Zeichen.

Nach Sonnenuntergang öffnete sich die Tür, und vier mit Gewehren und Yatagan bewaffnete Janitscharen, geführt von einem neuen Wächter, erschienen.

»Macht euch fertig zum Aufbruch!«

Der Baron und Eisenkopf tauschten Blicke aus.

»Ob die Kanaillen von dem Fluchtplan Wind bekommen haben?« flüsterte Barbosa in seinem Dialekt.

Sie wurden zuerst in den Hof und von dort an das nahe gelegene Meeresufer geführt.

Vor dem Turm, in dessen Kellern sie zwei Tage geschmachtet, harrte eine mit 12 Bewaffneten bemannte Schaluppe.

»Steigt ein!« rief der Wächter. »Kettet sie fest und bedenkt, daß ihr mit dem Kopf für sie haftet. Der Kadi hat sie mir besonders an Herz gelegt!«

Vier Matrosen banden ihnen die Arme auf den Rücken und ketteten sie an eine Bank. Dann fuhr das Boot durch das Gewühl der Schiffe, welche die Bucht füllten. Der Baron zweifelte daran, daß diese Seeleute in Verbindung mit dem Mirab und der Prinzessin standen.

»Was hast du mit dem Billett getan?« fragte er den Katalanen.

»Verschluckt!«

»Sind das nicht Kriegsgaleeren, die dort am Leuchtturm liegen?« Eisenkopf ahnte nichts Gutes, und der Ritter machte sich auch schon mit dem Gedanken vertraut, nun bald in die Hände irgendeines wilden Arabers überzugehen.

Die von zwölf kräftigen Männern geruderte Schaluppe war rasch jenem Chaos von Schiffen enteilt und hatte sich nach dem östlichen Teil der Bucht gewandt, wo die hellerleuchteten Galeeren lagen.

Von der größten Galeere wurde eine Leiter herabgelassen und den Gefangenen der Befehl erteilt, hinüberzusteigen.

Oben führte man sie in eine prächtige, mit Teppichen ausgestattete Kabine, wo auf dem Diwan, seine Nargileh-Pfeife rauchend, Culkelubi saß.

»Ich freue mich, dich wiederzusehen«, rief er dem Baron spöttisch zu. »Obwohl Christ, hast du doch ein hartes Fell!«

Der Ritter antwortete nicht. Er schaute seinen Feind nur verächtlich an.

»Ich wollte dir ankündigen, daß wir den Schmuggler gefaßt haben, der dich hergebracht hat!«

Sant' Elmo konnte nur mit äußerster Anstrengung seine Ruhe bewahren. Er bangte um die Entdeckung des Normannen.

»Dein Diener hat alles gestanden. Ich hatte schon längst Verdacht auf den Mann, der sich für einen marokkanischen Kaufmann und guten Muselmann ausgab! Seine Laufbahn wird nun in einem Mörser oder vor der Mündung einer Kanone enden!«

Dann schaute er mit seinen stechenden Augen den Katalanen an: »Du, Dickbauch, wirst den verfluchten Schmuggler doch wiedererkennen, nicht wahr?«

»Wenn es der richtige sein sollte, gewiß!« stammelte der Katalane.

»Du hast dem Kadi gesagt, daß seine Feluke grün sei!«

»Es kann auch andere von derselben Farbe geben!«

»Er behauptet aber, weder dich noch deinen Ritter zu kennen! Morgen wird er aus dem Bagno hergeschafft und euch gegenübergestellt werden!«

»Und wenn es nicht derselbe ist?« fragte der Baron. »Ich würde nie dulden, daß ein Unschuldiger stirbt!«

»Dann zahlt ihr für ihn! Um so schlimmer für euch!«

Er klatschte in die Hände. Zwei Christensklaven -- die Gesichter voller Narben, Spuren von grausamen Schlägen seitens ihres Herrn -- traten ein. Sie hatten die Blicke auf den neben dem Diwan stehenden Stock gerichtet, dessen Wucht sie kannten.

»Schickt einen meiner Offiziere nach dem Gefängnis mit dem Befehl, morgen früh den Schmuggler herzubringen und eine Kanone vor der Tussuf-Moschee bereitzuhalten... Zuerst aber führt diese Leute ab, fesselt sie und laßt sie nicht aus den Augen!«

Die Sklaven schleppten die beiden Gefangenen, anscheinend brutal, in einen dunklen Schiffsraum nach unten.

Statt ihnen aber Ketten anzulegen, schleuderten sie diese unter Hohngelächter weit von sich.

»Solltet ihr uns nicht in Fesseln legen ?« fragte der Baron überrascht.

»Ist nicht mehr nötig«, entgegnete der eine in maltesischer Mundart. »Culkelubi wird binnen kurzem zur Hölle fahren! Willst du nicht die Gelegenheit benutzen...?«

Der Baron verstand ihn nicht.

»Seid ihr nicht Schmuggler?« fragte der andere der Sklaven.

»Nein, Galeerenkapitän und Malteserritter!«

»Und euer Diener?«

»Auch Christ! Und ihr?«

»Renegaten!«

Nachdem der Sprecher mit seinem Gefährten einen Blick gewechselt, fügte er leise hinzu:

»Bald wird auf der Galeere der Ruf ertönen: Culkelubi ist tot!«

»Ihr wolltet es wagen...?«

»Hört, wir sind etwa dreißig Verschwörer, Franzosen, Italiener, Flamen und Spanier, und haben beschlossen, dem elenden Schinderknecht endlich das Handwerk zu legen. Heute nacht wird er umgebracht werden! Da ihr doch Gefahr lauft, den morgigen Abend nicht mehr zu erleben, so schließt euch an! Ein Schiffskapitän kann uns auf hohem Meere nützlich sein!«

»Habt ihr auch die Schwierigkeiten bedacht und die entsetzlichen Strafen, falls es mißlingt?«

»Nichts hält uns mehr zurück«, sagte der Renegat entschlossen. »Besser mit der Waffe in der Hand zu sterben, als unter den Stockschlägen des verruchten Korsaren!«

»Sagt, stammt der Plan von einem normannischen Schmuggler oder von einem Mirab?«

»Ich kenne weder den einen, noch den andern. Warum fragt ihr?«

»Weil unsere Freunde heute nacht einen Handstreich zu unserer Befreiung planten!«

»Mir ist eine große Schaluppe aufgefallen«, meinte der zweite Renegat, »die während eures Verhörs hier in der Nähe kreuzte!«

»Wann war Culkelubis Ermordung beschlossen worden?«

»Vorige Woche, in einer geheimen Versammlung! Heute, am 10. Januar, soll die Tat ausgeführt werden...!«

»Still, die Runde kommt, um zu sehen, ob wir auch auf den Posten sind. Es wird das letztemal sein...! Legt euch schnell in die Ketten!«

Eine Laterne wurde geschwenkt. Mit dem bloßen Säbel in der Hand trat ein Matrose, gefolgt von vier Soldaten und einem Quartiermeister, an die Gefangenen heran.

Mit einem Blick auf die Gruppe, der sie spöttisch: »Gute Nacht, Hundsfotte!« zuriefen, kehrten sie wieder um.

»Die Hundsfotte werden euch bald beweisen, was sie können!« knirschte der eine Sklave.

»Culkelubi ist jetzt betrunken«, sagte der andere. »Nun sind unsere Verschwörer oben zur Tat bereit!«

»Aber wie wollt ihr, die ihr keine Waffen habt, mit der Besatzung fertig werden?« fragte der Baron, noch immer starr vor Überraschung.

»Waffen gibt es genug in Culkelubis Kabine, auch für euch, Ritter!«

»Man hörte plötzlich eilige Schritte oben an Bord und Rufe der Wachen.

Die zwei Renegaten sprangen auf und horchten.

»Es muß geschehen sein! Auf! Nach oben! Wir wollen den Berbern in den Rücken fallen!«

Der Baron und die andern ergriffen die in der Nähe liegenden Handspeichen...

In diesem Augenblick erschien ein Sklave: »Hinauf! Culkelubi ist tot! Wer hier bleibt, ist verloren!« Und alle stürzten die Treppe hinauf, blaß, in tiefer Erregung.

Im Zwischendeck vernahm man schon wildes Toben, schreckliches Geschrei: »Zu den Waffen! Zu den Waffen! Die Renegaten fliehen!«

Dann hörte man Schüsse, Schwerterklirren.

Der Kampf zwischen der Besatzung und den zwanzig Verschworenen hatte auf dem oberen Deck begonnen. Ein verzweifelter Kampf, ohne Erbarmen!

Die von den haßerfüllten Renegaten lange geplante Rache schien geglückt.

Sie war auf Kosten ihres Lebens, jenseits von Hoffnung, unternommen worden.

Lieber sterben, als sich länger peinigen lassen, war die Losung gewesen. Der Generalkapitän war im Bett von einigen Christensklaven, welche die Wachen für ganz zuverlässig gehalten hatten, im Augenblick, als er unbewacht lag, ermordet worden.

Unglücklicherweise wurden die Mörder mit ihren Genossen, als sie sich im Nebenraum der Kabine der Waffen bemächtigten, von einem Quartiermeister überrascht.

Die vier- oder fünfmal stärkere Besatzung eilte auf den Alarmruf desselben auf Deck und stürzte sich wutentbrannt auf die Verschwörer.

Diese waren gerade im Begriff, ein bereitgehaltenes Boot zur Flucht herabzulassen. Sie vermochten nur noch die großen Laternen auf der Galeere zu zerstören -- dann begann das entsetzliche Handgemenge.

Renegaten und Berber kämpften mit der Wut der Tiger in völliger Dunkelheit. Letztere schienen, trotz ihrer großen Übermacht, zu unterliegen.

Der Baron und seine Begleiter griffen die Mannschaft von hinten an. Rechts und links um sich hauend, öffnete er ihnen eine Bahn.

Er hatte das Schwert eines Gefallenen ergriffen und hieb nieder, wer sich ihm entgegenstellte. Eisenkopf, der nun verstanden hatte, daß es sich auch um seine eigene Rettung handelte, stand ihm tapfer zur Seite.

Die Soldaten, ohne Führer und überrascht von der Kraft ihrer Gegner, wichen in Verwirrung zurück.

Da aber bedrohte eine neue, schwere Gefahr die Verschwörer.

Von den andern Galeeren fielen plötzlich Schüsse, und Boote wurden ausgesetzt. Man bemühte sich von allen Seiten, dem Hauptschiff zur Hilfe zu eilen.

»In die Schaluppe!« schrie Sant' Elmo. »Wir geraten sonst zwischen zwei Feuer! Schnell! Die Hafenwache kommt!«

Alles stürzte mit den Waffen ins Boot. Die Sklaven, meistenteils verwundet, ruderten unter größter Anstrengung, um so schnell wie möglich aufs offene Meer zu gelangen.

Aber die Gefahr wurde von Augenblick zu Augenblick größer.

Überall rüstete man sich zur Jagd auf die Fliehenden. Alle Schiffe waren in Bewegung. Die außerhalb der Bucht kreuzenden empfingen Signale, so daß die Schaluppe schon draußen erwartet wurde.

Kanonenschüsse riefen sämtliche Hafenrunden herbei.

»Herr Baron«, rief der Renegat, der ihn gerettet hatte, »es wird zu spät sein für das Meer!«

»Wir müssen landen! Versuchen wir, von der Stadt aus ins Innere Algiers zu flüchten!«

Mitten durch die Schiffe flog nun die Schaluppe dem Ufer zu.

»Bückt euch, Freunde!« mahnte der Ritter. »Man schießt von allen Seiten auf uns! Gott wird uns schützen!«

»Herr«, seufzte Eisenkopf in seinem Dialekt, »ich glaube, wir haben ein schlechtes Geschäft gemacht, als wir uns mit diesen Leuten einließen! Nun werden wir bald gefangen sein!«

»Dann werden wir für eine gute Sache sterben!« war die Antwort.


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