Emilio Salgari
Der algerische Panther
Emilio Salgari

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Die Verfolgung des Normannen

Während der Ritter und Eisenkopf nacheinander den Falknern in die Hände fielen, hatte der schlaue Normanne die Kabylen auf seine Spur gelockt, in der Hoffnung, so seinen Begleiter retten zu können und vor allem seine eigene Haut in Sicherheit zu bringen.

Er wußte, daß weder er, noch seine mutigen Seeleute auf der Feluke auf Gnade rechnen könnten, wenn sie in der Gewalt der Mauren wären.

Trotzdem sein Pferd erschöpft war, zwang er es doch, noch einmal den Galopp aufzunehmen. Um den Blicken der Falkner zu entgehen, jagte er in einen dichten Eichenwald, wohin ihn die Kabylen verfolgten. Er hatte einen Plan gefaßt, um sich von ihnen zu befreien.

Während das Pferd schnaufend zwischen den Baumstämmen dahineilte, entdeckte er eine hohe Eiche, deren einer starker Ast etwa 4 Meter über den Boden ragte. Schnell schwang er sich stehend auf den Sattel und von dort auf den Baum, in dessen dichter Krone er sich verbarg. Zuvor hatte er die Muskete weggeworfen und nur Pistolen und Yatagan in seinem Gürtel behalten.

Das von seiner Last befreite Roß jagte durch den Wald weiter. Noch hörte man seinen Galopp, als die Kabylen wie Sturmwind heransausten.

Da sie die List nicht bemerkt hatten, setzten sie die Verfolgung fort.

Der Normanne suchte sich nun eine bequeme Stelle auf dem Baume, band sich dort fest und ruhte aus. Obwohl die Kabylen jetzt verschwunden waren, wagte er es doch noch nicht, sein Versteck aufzugeben, so begierig er auch war, das Schicksal seines Gefährten festzustellen.

Das war ein gut gelungener Streich, dachte er.

Wenn die Wilden das reiterlose Pferd finden, werden sie glauben, daß ich mir den Schädel an einem Baum eingerannt habe und nicht weiter nach mir suchen.

Da aber Michele auch besorgt war, daß die Falkner auf seiner Spur sein könnten, so blieb er noch weiter in seinem Versteck. Verzehrt von Ungeduld, wollte er mehrmals abspringen, doch trieben ihn immer wieder irgendwelche Geräusche zurück. Bald war es ein knackender Zweig, bald eine flüchtige Gazelle.

Endlich kam der Abend, ohne daß von den Kabylen oder Mauren sich jemand gezeigt hätte. Nun glitt er zur Erde, lud für alle Fälle seine Pistolen und machte sich auf den Weg zu dem Hügel, wo er den Baron verlassen.

Die Dunkelheit war so stark, daß er fortwährend an die Baumstämme anstieß. Er hatte sich nicht nur vor menschlichen Feinden, sondern auch vor wilden Tieren in acht zu nehmen. Nicht selten schreckten ihn Laute.

Schon hatte er eine beträchtliche Strecke seines beschwerlichen Wegs zurückgelegt, als er hinter sich Schritte zu vernehmen glaubte.

Er drückte sich an eine Eiche, den Yatagan in der Faust, kühn entschlossen, die Ursache des verdächtigen Geräusches festzustellen.

Schon fürchtete er, daß ihm jemand gefolgt wäre.

Plötzlich hörte das Geräusch auf. Aber Michele lauschte weiter, und ein leichtes Rascheln welker Blätter zeigt ihm, daß er sich nicht getäuscht.

Da bemerkte er zwei leuchtende Punkte auf ihn gerichtet...

Ein Löwe würde brüllen, es muß ein Panther sein, dachte der mutige Abenteurer. Dumm, daß ich meine Muskete weggeworfen haben!

Aber das Tier beeilte sich nicht mit dem Angriff. So entschloß sich der Normanne, seinen Weg mit gespannter Pistole fortzusetzen. Nach 10 Minuten hatte er die brennenden Augen aus dem Gesicht verloren.

Er beschleunigte nun soviel wie möglich seinen Schritt und sah schon das Ende des Waldes vor sich, als plötzlich eine schwere Last sich auf ihn stürzte und ihn zu Boden warf.

Zum Glück hatte er die Geistesgegenwart gehabt, sein Gesicht beim Fallen dem Angreifer zuzuwenden. Nun stieß er mit voller Kraft seinen Yatagan nach dem Panther, der auf ihm lag.

Dieser hatte den Stoß wohl nicht erwartet, denn er ließ ab, sprang mit einem Riesensatz auf einen nahen Baumast und von dort mit einem andern Satz in die Blätterkrone, wo er wütend wie eine Katze fauchte. Da das Raubtier den Angriff nicht sofort wiederholte, konnte ihm Michele entfliehen. Er eilte, so rasch er konnte, zum Waldesrand. Hier war die Stelle, wo er sich von dem Ritter getrennt hatte.

Eine weiße Masse lag am Boden, um welche sieben bis acht kleinen Wölfen gleichende Tiere strichen, die ab und zu monotone, klägliche Laute ausstießen. Bei seinem Kommen stoben sie auseinander.

Schakale und ein totes Pferd! Man hat hier gekämpft!

Er beugte sich nieder, um den Erdboden zu untersuchen und fand eine der langen, maurischen Pistolen, Stoffetzen und einige Tropfen geronnenen Blutes.

Ist der Baron gefallen?

Der Normanne wollte weiter forschen, da hörte er aus dem Walde in ziemlicher Nähe zwei Schüsse.

Im Glauben, daß sie ihm gegolten, wollte er auf den Gipfel des Hügels flüchteten, aber da vernahm er eine klägliche Stimme:

»Ibrahim. Zu Hilfe!«

Der Panther, dem ich entronnen, wird ein anderes Opfer angegriffen haben, dachte sich Michele.

Und ohne Zaudern eilte er zum Walde zurück, von wo ein zweiter Hilfeschrei, noch ängstlicher, erscholl: »Ibrahim! Ibrahim!«

In wenigen Sätzen war er am Ziel und hatte ein schauerliches Bild vor sich.

Ein Mann, anscheinend ein Kabyle, lag am Boden, über ihm ein Panther. Der Mann verteidigte sich verzweifelt und schrie.

Als der Normanne erschien, wandte sich das Raubtier gegen ihn. Aber ein Schuß in den Rachen, und ein Hieb, der ihm den Kopf spaltete, trafen den Panther. Noch versuchte er, sich im Grase wälzend, um sich zu schlagen und den Unglücklichen zu verletzen, da machte ihm ein erneuter Yataganhieb des Seemanns den Garaus. Jetzt erschien ein zweiter Mann aus dem Walde, eine lange Büchse in der Hand. Mit dem Ausdruck höchsten Schreckens und Entsetzens stürzte er sich auf den am Boden Liegenden: »Achmed! Achmed!«

»Ihr kommt etwas zu spät, Freundchen«, sagte der Normanne. »Die Sache ist schon erledigt!«

Der Ankömmling war ein junger Kabyle, schön gewachsen, mit bronzefarbiger Haut und regelmäßigen Zügen. Seine Kleidung bestand aus einem einfachen Stück groben Stoffs, das die Hüften umgürtete. Seine muskulösen Arme schmückten Ketten aus geflochtenen Gräsern, wie sie noch heute von den Bewohnern dieser Gegend getragen werden.

»Du hast meinen Bruder gerettet«, rief er, »ich werde dir ewig dankbar sein!«

Der Seemann beugte sich über den Verwundeten. Letzterer suchte sich zu erheben. Er war gänzlich mit Blut bedeckt, das aus zwei großen Wunden an den Schultern floß. Das Raubtier hatte mit seinen Krallen darin gewühlt. Glücklicherweise war der Kopf unverletzt geblieben.

Der Verwundete, ein ebenso starker, junger Mann wie sein Bruder, ließ keinen Klageton hören. Er streckte seinem Retter die Hand hin: »Ich schulde dir mein Leben! Wenn du je einen Freund brauchst, so erinnere dich an Achmed Zin!«

Ibrahim hatte sein eigenes Gewand ausgezogen und es in eine nahe Quelle getaucht. Damit wusch er dem Bruder die Wunden aus.

»Bist du imstande zu gehen«, fragte er ihn, »unser Duar liegt ja nicht weit von hier!«

»Ich helfe dir gern«, sagte der Normanne, »ich suchte gerade eine Unterkunft für diese Nacht!«

»Mein Zelt ist dein Zelt, meine Schafe und Kamele sind die deinen! Wir sind glücklich, dich beherbergen zu können, tapferer Mann!«

»Wo befindet sich eure Ansiedlung?«

»Dort, hinter jenem Wald von Feigenbäumen und Eichen, kaum 500 Schritte von hier!«

Michele riß ein Stück von seinem Mantel ab, um die Wunden, so gut es ging, zu verbinden und das wieder von neuem stark rinnende Blut zu stillen. Dann nahm er den jungen Kabylen auf den Arm und folgte dem schon vorauseilenden Ibrahim.

Der Duar war bald erreicht. Wie alle seiner Art bestand er aus zwei Zelten, die aus grobem, braunem Stoff gebildet und von einer Hecke aus Rohr und Aloegesträuch umschlossen waren.

Zahlreiche Hammel und einige Kamele ruhten in der Umzäunung nebeneinander, unter dem Schutze großer Hunde und eines Negers.

Der Verwundete wurde auf ein Lager von Fellen gelegt und jetzt regelrecht verbunden.

Dann führte Ibrahim den Normannen ins Freie. »Du bist mein Gast. Was ist dein Befehl?«

»Ich bitte nur um etwas Essen und eine Matte, um mich für ein paar Stunden niederzulegen, denn ich bin hungrig und müde!«

»Du wirst alles nach deinem Wunsche haben. Du bist mehr als mein Bruder!«

Während er, mit Hilfe des Negers, das Abendessen bereitete, beschaute sich der Normanne aufmerksam die Gegend. Der Hügel, wo der Kampf zwischen dem Baron und den Mauren stattgefunden hatte, lag so nahe, daß die Kabylen alles Vorgegangene gesehen haben mußten.

»Komm«, sagte jetzt Ibrahim, »ich biete dir das Beste an, was in meinem Zelte ist!«

Auf einer mit frischen Blättern bedeckten Matte stand ein gebratenes Ziegenlamm mit gebackenen Mehlkügelchen und köstlichen Datteln.

Der Normanne nahm erst einen Schluck Kamelmilch, mit Wasser gemischt, und sprach dann -- zur Freude seines Wirts -- tüchtig dem Braten zu.

»Du bist fremd hier?« fragte der Hirte, nachdem sein Gast gesättigt war.

»Ich bin aus Tunis«, antwortete dieser, »und mein Schiff liegt zur Zeit vor Algier!«

»So wirst du uns bald wieder verlassen?«

»In vier oder fünf Stunden, wenn ich ein Maultier oder ein Pferd bekommen könnte!«

»Alles, was ich besitze, ist dein. Such dir unter meinen Tieren eins aus!«

»Danke. Du bist großmütig!«

»Es ist meine Pflicht, alle deine Wünsche zu erfüllen. Wir haben den Panther, der stets unsere Herden angriff, seit einem Monat gesucht. Du hast uns also einen doppelten Dienst erwiesen. Und du? Was tatest du im Walde?«

»Ich hatte mich beim Suchen einer von den Falken geblendeten Gazelle verirrt!«

»Dann gehörst du also zu den Mauren, die gestern hier jagten? Warst du auch bei dem Streit?«

»Nicht daß ich wüßte!«

»Man hat doch einen jungen Araber auf weißem Rosse gefesselt abgeführt?«

»Bist du sicher, daß er nicht umgebracht wurde?«

»Ganz sicher. Ich stand hinter einem Felsen versteckt und sah ihn später noch einmal, von den Falknern umgeben!«

»Nun, morgen werde ich Näheres darüber erfahren«, schloß der Normanne das Gespräch. »Jetzt werde ich bis Mitternacht ruhen!«


Der Neger hatte im zweiten Zelte das Lager aus Schaffellen und Teppichen zurechtgemacht.

Michele schlief sofort ein, während der Kabyle und sein schwarzer Diener ein Feuer anzündeten und bei dem Vieh Wache hielten.

Um die angegebene Stunde weckte Ibrahim den Seemann. »Bruder, es ist Zeit! Ein flinkes Maultier steht gesattelt auf der Wiese, ich hoffe aber, dich bald wieder zu sehen!«

»Dank dir und Achmed! Ich werde mich stets erinnern, daß ich hier zwei Brüder habe!«

»Mögen Gott und der Prophet dich schützen!«

Im Galopp eilte das Maultier über die schweigende Ebene der Stadt zu.

»Jetzt zum Mirab«, murmelte der Normanne. »Er wird Rat wissen!«


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