Emilio Salgari
Der algerische Panther
Emilio Salgari

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Nächtlicher Angriff

Es war eine verwahrloste Bude, welche zu bewohnen, die Eingeborenen offenbar verschmäht hatten. Die geborstenen Wände fensterlos, überall Trümmer, zerbrochene Säulen, Reste von maurischen Bogen und zerfallene Brunnen. Vom einstigen schönen Bau war nicht viel übriggeblieben.

Der Renegat, ein schwarzbärtiger Mann, braun wie ein Araber und wild vom Aussehen, hatte den inneren Hof so gut wie möglich instandgesetzt und durch ein darübergezogenes Zeltdach vor der Sonne geschützt.

Er drückte seinem alten Bekannten lächelnd die Hand.

»Fluch Mohammed und allen seinen Nachfolgern!« Mit diesen Worten sahen sie sich in die Augen.

»Gibt es was zu tun? Umsonst kommst du doch nicht nach Algier?«

»Ich habe Schwämme und Datteln zu verkaufen!« antwortete der Seemann lachend.

»Und jemand fortzuschaffen!« fügte der Renegat hinzu. »Nimm dich in acht! Riechst du den Duft, den der Wind herträgt?«

»Ja, es riecht nicht nach Rosen und Aloe!« sagte der Seefahrer.

»Vor fünf Tagen hat man einen Christenmenschen hier in einer Ochsenhaut gekocht. Von ihm kommt der faulige Geruch. Es war ein Sizilianer, den man im Bazar überrascht hat. Er wollte einen vor sechs Monaten gefangenen aragonischen Ritter befreien!«

»Der Teufel hole alle diese Wein verachtenden Hunde! Gib uns zu essen und zu trinken, Freund, vor allem kein Wasser!«

»Ich hoffe, daß euch niemand Wein trinken sieht: Du weißt, daß du jetzt Muselmann bist und der Koran uns den Wein verbietet!«

»Nun, wenn sich Culkelubi, der geborene Muselmann, betrinkt, so kann es mir, dem geborenen Christen, doch auch nicht verboten werden, des Abends etwas benebelt zu Bett zu gehen! Was macht dieser Panther?«

»Er mißhandelt seine Sklaven und leert ganze Fässer spanischen und italienischen Weins!«

»Oh, könnte man ihn doch umbringen!« knirschte der Normanne.

»Man denkt schon daran«, bemerkte drohend der Renegat, der sich jetzt anschickte, eine Schüssel mit Hammelbraten, gesalzene Oliven, duftende Sauce und einen großen Fiasko aus der Ruine zu holen.

»Baron, nun eßt und trinkt! Hier können wir ungestört plaudern! Wenn unser Gastfreund auch, um seine Haut zu retten, den Glauben abgeschworen hat, so ist er doch ein guter Christ geblieben!«

»Würde der Mann uns nicht eine Auskunft über Zuleik verschaffen können?«

»Das ist wenig anzunehmen. Er geht nie in die Stadt, da die Mauren ihn gern necken und beschimpfen, obwohl sie wissen, daß er Mohammedaner geworden. Nur der Mirab kann uns dabei behilflich sein, und für euch wird er sich besondere Mühe geben. Habt Geduld und wartet bis zum Abend!«

»Das wird auch nicht schwer sein«, meinte Eisenkopf. »Bei einer solchen Flasche können wir's aushalten! Herrlicher Wein!«

»Spaßt nicht damit!« warnte der Seemann. »Dieser Trank könnte euch einen bösen Streich spielen!«

»Die Erinnerung an das heutige grausige Erlebnis muß ich hinunterspülen!« war die Antwort.

»Ihr werdet noch andere Dinge erleben, ehe ihr Algier verlaßt!«

Rauchend und trinkend verbrachten die Gäste den Tag in dem Hofe.

Mehrfach hatte der Normanne sich umgeschaut, ob der Beduine irgendwo versteckt sei. Aber ohne Erfolg. Er glaubte allmählich doch, sich geirrt zu haben.

Der Baron war in tiefe Traurigkeit verfallen. Trotz aller Bemühungen gelang es den andern nicht, ihn aufzuheitern.

Erst gegen 11 Uhr nachts gab der Seefahrer das Zeichen zum Aufbruch.

Die drei verabschiedeten sich von ihrem Wirte und nahmen den Weg an den Mauern und Gräben der Kasbah entlang.

Häufig schaute sich Michele um. Er hatte wohl immer noch Furcht wegen des Beduinen. Aber nirgends zeigte sich ein menschliches Wesen.

Nach etwa 200 Schritten sahen sie am Fuße der Bastion die verweste Leiche des Christen liegen, von dem der Renegat erzählt hatte.

Schaudernd eilten sie nach einem Palmenwäldchen auf der Höhe. Nachdem die drei noch einige mit Kaktushecken umzäunte Gärten durchschritten hatten, kamen sie auf einen Platz hinter der Kasbah, in dessen Mitte sich die Ruinen einer Moschee zeigten.

Etwas weiter lag, neben einer schönen, weitästigen Eiche, ein kleines, weißes Haus mit halbrunder Kuppel.

»Die Cuba des Mirab«, flüsterte der Normanne, »das Grab eines Heiligen, den die Barbaresken verehren!«

»Wird der Alte allein sein?« fragte der Baron gespannt.

»Sicher. Er erwartet uns ja!«

Nachdem sich der Schmuggler umgeschaut, ob auch niemand ihnen folge, näherte er sich der Cuba.

Auf einen leisen Pfiff öffnete sich die Tür, und der greise Derwisch erschien, mit einer Tonlampe in der Hand.

»Bist du es, Michele?«

»Ja, Herr d'Arin!«

»Still! Hier bin ich der Mirab Abd el Hadji. Wen bringst du mit?«

»Einen Edelmann und seinen Diener!«

Der Alte musterte beide mit durchdringenden Blicken. Der Eindruck schien ihn zu befriedigen.

»Tretet ein in meine ärmliche Wohnung!«

Das Innere der Cuba bildete nur einen Raum. Entsprechend den Regeln des Derwischordens, war er höchst einfach eingerichtet. Ein als Bett dienender Diwan, einige abgenutzte Teppiche, zwei Kleiderschränke, etliche Gefäße für Wasser und Lebensmittel -- das war alles.

Mit vornehmer Handbewegung bot der Mirab dem Baron einen Platz auf dem Diwan an.

»Baron Carlo di Sant' Elmo, Malteserritter!« stellte der Normanne vor.

»Ein so junger Malteser?« staunte der Alte.

»Und was für ein Held!« fuhr der Seefahrer fort. »Ich habe ihn aufgelesen, als er mit seiner Galeere gegen vier Schiffe gekämpft hatte!«

»Auch ich habe in meiner Jugend, ehe ich diesen algerischen Panthern in die Hände fiel, auf Kandia und Negroponte, unter dem ruhmreichen Banner von San Marco, gegen die Ungläubigen gefochten. Aber der Templer hat Panzer, Schwert und Galeere verloren, fiel in Sklaverei und ist der Mirab seiner Feinde geworden.«

»Um den Malteserrittern wertvollste Dienste zu leisten!« ergänzte der Normanne.

Mit einem tiefen Seufzer fuhr der Greis fort: »Und was wünscht ihr von mir, Herr Sant' Elmo? Sprecht! Was mir möglich ist, werde ich für euch tun!«

Mit kurzen Worten berichtete der Baron die Geschehnisse.

»Ich kannte den Vater der Gräfin Santafiora«, erinnerte sich der Mirab, schmerzlich bewegt, »ich kannte auch sein Schloß. Er hatte den Mut, bis nach Algier vorzudringen und die Stadt zu beschießen. Aber die Barbaresken hatten diesen Überfall bitter gerächt!«

»Habt ihr nie von Zuleik gehört, der von den Kalifen Cordovas und Granadas abstammen will?«

»Zuleik ben Abad? Das ist eine angesehene Familie, reich und mächtig. Sie hat großartige Paläste und auch Galeeren. Ich werde leicht erfahren können, wo Zuleik lebt und wo er die junge Gräfin versteckt hält!«

»Glaubt ihr, daß er die Gefangene bei sich hat?« fragte der Ritter voller Spannung.

»Die Korsaren dürften erst gestern eingetroffen sein. Die Teilung der Gefangenen kann noch nicht stattgefunden haben. Erst trifft der Bey, dann Culkelubi seine Wahl!«

»Wo werden sich die Gefangenen aufhalten?«

»Im Bagno des Bey, dem größten aller Gefängnisse. Aber bis die Wahl getroffen ist und bis es zum Verkauf der Sklaven kommt, dürften Wochen vergehen. Ist die Gräfin schön?«

»Ein entzückendes Mädchen«, meinte der Normanne und überhob damit den Baron der schmerzlichen Antwort.

»Dann wird sie sicher nicht verkauft werden«, sagte der Mirab. »Das wäre besser, da sie in diesem Falle in Algier bleibt! Aber es ist keine so leichte Aufgabe, sie aus dem Harem des Beys oder Culkelubis zu retten. Kommt morgen wieder, Baron! Dann habe ich wahrscheinlich Nachrichten. Vor allem wendet Vorsicht an! Laßt kein Wort zu irgendjemand verlauten!«

Hierauf wandte sich der Mirab zu dem Normannen: »Bist du allein wegen dieser Sache gekommen, Michele?«

»Nein, der Botschafter Spaniens bei Seiner Heiligkeit will Befreiung seines Neffen, des Marchese De Veragrua, erreichen, den ihr wohl kennt!«

»Da bist du zu spät gekommen«, versetzte der Alte. »Der Ärmste ist vor wenigen Wochen infolge der ausgestandenen Leiden gestorben. Culkelubis Sklaven halten es nicht lange aus!«

»Dann ist diese Aufgabe erledigt, und ich kann meine ganze Aufmerksamkeit der des Barons widmen!«

»Geht nun, Kinder! Es ist spät, und ich bedarf der Ruhe!«

Der Mirab führte die Gäste zur Tür, indem er allen dreien die Hand drückte.

»Wohin wenden wir uns jetzt?« fragte der Baron begierig. »Zur Feluke zurück?«

»Das wäre unklug. Man könnte uns dann für flüchtende Christen halten. Gehen wir wieder zu unserm Renegaten! Dort finden wir einen Diwan und sind sicher!«

»Und eure Leute im Schiff?«

»Die sind an meine Abwesenheit gewöhnt!«

Sie hüllten sich in ihre Mäntel, denn die Nacht war kühl, und gingen den früher gekommenen Weg zurück.

Aber der Normanne war unruhig. Immer wieder stand er still und spähte bei jedem Geräusch um sich. Er konnte nicht den Gedanken an den Beduinen bannen.

»Haltet eure Yatagan bereit!« ermahnte er seine Begleiter.»Braucht keine Feuerwaffen, wenn uns etwas zustößt! Sie machen zuviel Lärm und locken Leute herbei!«

Die drei stiegen den Hügel hinab und wollten eben zu den Ruinen einbiegen, als plötzlich mehrere vermummte Gestalten unter einer Arkade auftauchten.

»Beduinen!« rief Michele. »Sie haben uns aufgelauert!«

Da trat ihnen einer aus der Gruppe entgegen und fragte drohend: »Wohin um diese Stunde?«

»Das frage ich dich, du Hund von einem Christen!« antwortete ihm kühn der Normanne. Was suchst du hier? Offenbar willst du einem zur Flucht verhelfen!«

»Ich ein Christ!« schrie der Beduine. »Ich bin ein gläubiger Sohn der Wüste, ein frommer Mohammedaner! Ich warte auf dich!«

»Was willst du von mir?«

»Dich zum Kadi führen und feststellen, ob du wirklich ein Muselmann bist! Ich verfolge dich schon seit heute morgen, habe dich nicht aus den Augen gelassen. Was hast du beim Mirab gesucht?«

»Den Jüngling hier habe ich in den Orden aufnehmen lassen!«

»Und vielleicht auch den Dicken? Das sollst du beim Kadi beweisen!«

»Gut, wir folgen dir!« sagte der Normanne und hieb gleichzeitig mit dem Knopf des Yatagans so gewaltig auf den Kopf des Spions, daß dieser, wie vom Blitz getroffen, zu Boden stürzte.

In demselben Augenblick sprangen die Begleiter des Gefallenen brüllend auf die Christen los.

Der Baron schlug dem vordersten mit seinem Schwert die Hand ab und griff auch sofort den nächsten an. Mit den beiden andern rang der Normanne, während Eisenkopf fluchend auf den letzten eindrang.

Die Beduinen wehrten sich tapfer und zeigten sich als gewandte Fechter. Besonders geriet Eisenkopf in ernste Gefahr.

Das Gefecht wogte unentschieden eine Zeitlang hin und her, als plötzlich zwei riesige Neger in reicher Kleidung aus dem nahen Palmenwäldchen auftauchten und sich mit ihren Keulen auf die Beduinen stürzten.

In wenigen Augenblicken lagen die Leute tot am Boden.

Die Christen erwarteten, daß die Neger sich nun gegen sie wenden würden. Diese aber hingen ihre bluttriefenden Keulen an den Gürtel.

Der eine zog ein kleines, nach Ambra duftendes Billet hervor, das er mit den Worten: »Nehmt, es ist für euch bestimmt!« dem Baron überreichte.

Dann verschwanden sie eilig wieder in dem kleinen Palmenwald.

»Was bedeutet das?« fragte Sant' Elmo in höchstem Staunen.

»Warum sind uns die Neger zu Hilfe gekommen?«

»Wahrscheinlich wollten sie ihre Keulen erproben!« meinte Eisenkopf naiv.

»Schweig, Narr!« fuhr ihn der Baron an.

»Das Billet wird das Rätsel lösen!« entschied der Normanne. »Wir wollen es beim Renegaten lesen! Hier im Dunkeln ist es unmöglich!«

Und mit raschen Schritten begaben sie sich zu der Herberge, die sich auf Micheles Pfiff öffnete.


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