Emilio Salgari
Der algerische Panther
Emilio Salgari

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Die Verfolgung

Die »Sirene« war eins der größten und besten Schiffe, die zu jener Zeit das Mittelmeer befuhren. Sie hatte ein hohes, reichverziertes Vorderteil mit einem Aufbau für Angriffszwecke. Das Hinterteil mit dem Steuer war noch höher und trug an beiden Seiten riesige Laternen. Das Mittelschiff war so stark wie möglich gegen Feinde befestigt. Die Masten trugen unten große, leicht bewegliche Rutensegel und oben viereckige Rohre. Aus dem Zwischendeck steckten die Kanonen ihre Rohre.

Die Besatzung, ohne Ahnung vom Schicksal des Schlosses, war im Begriff, vor Anker zu gehen, als der Baron und sein Begleiter am Ufer erschienen. »Laßt ein Boot herab und bleibt unter Segel!« rief er.

So sonderbar der Besatzung auch der Befehl des Kapitäns erschien, wurde er sogleich befolgt. Die Schaluppe kam eilig ans Ufer. Die Besatzung erkannte nun erst mit Entsetzen die Lage.

Der Vizekommandant eilte erschreckt auf den Baron zu: »Ritter, was ist geschehen?«

»Ihr seid zwei Stunden zu spät gekommen«, erwiderte dieser düster. »Da seht ihr das Werk der Korsaren!«

»Sie haben das Schloß gestürmt?«

»Und alle Verteidiger umgebracht!«

»Auch unsere Leute?«

»Wir beide sind die einzig Überlebenden.«

»Und die Gräfin Santafiora?«

»Gefangen. Wenn ihr keine Furcht kennt, Le Tenant, dann machen wir uns sofort an die Verfolgung der Räuber!«

Sie fuhren zur Galeere zurück. Unterwegs berichtete der Ritter von seinen Erlebnissen.

»Was mich besonders beunruhigt«, sagte er traurig, »das ist die Leidenschaft, die dieser Zuleik für die Gräfin gefaßt hat. Ehe er sie herausgibt, wäre er imstande, sie zu töten!«

»Ihr wißt nicht, auf welchem Schiff er sich befindet, Eisenkopf?«

»Es war unmöglich, das zu beobachten. Die Räuber gingen zu eilig an Bord.«

»Und vier Galeeren waren es?«

»Ohne die Feluke.«

»Eine bedenkliche Übermacht, Ritter. Wollen wir nicht erst Hilfe von Cagliari holen?«

»Damit würden wir Zeit verlieren, ohne die Sicherheit, Hilfe zu erhalten. Ich will lieber allein mein Glück versuchen. Gott wird helfen.«

»Vielleicht treffen wir einige unserer im Mittelmeer kreuzenden Schiffe!«

»Wolle Gott das fügen!« seufzte Eisenkopf.

Die Galeere war erreicht. Ihre Besatzung befand sich in höchster Aufregung. Man hatte die Verwüstung des Schlosses gesehen. Die Leute fragten sich, durch welches Wunder der Baron und sein Begleiter dem Tode entronnen waren.

Kaum an Bord, trat ersterer in ihre Mitte und rief: »Wer Furcht vor dem Tode hat, kann an Land gehen. Ich ermächtige ihn dazu!«

Keiner rührte sich.

»Wir müssen einen verzweifelten Kampf bestehen«, fuhr er fort, »bei dem wir vielleicht zugrundegehen. Einer gegen fünf. Wer auf Gott und sein Schwert vertraut, der folge mir! Es handelt sich darum, die Herrin des Schlosses mit ihren Frauen, wie die ganze Bevölkerung der Insel zu befreien. Alle sind auf die nach Afrika segelnden Galeeren geschafft worden.«

Von allen Seiten rief man: »Krieg gegen die Räuber! Wir folgen unserm tapfern Kapitän!«

»Dann hoch die Flaggen und heran die Waffen und gegen den Feind!«

Kaum hatte der Baron diesen Ruf getan, sank er zusammen. Ermattung, Überanstrengung, Hunger und Aufregung hatten ihn niedergestreckt. Er wurde in seine Kabine getragen, wohin ihm Eisenkopf traurig folgte.

Während man sich um ihn bemühte, rüstete Le Tenant die Galeere zum Kampf und setzte sie in volle Fahrt. Nach allen Seiten wurde der Horizont abgesucht, um den Feind zu entdecken.

Inzwischen war Sant' Elmo wieder zum Bewußtsein gekommen. Seine erste Frage war, ob die Feinde in Sicht seien und ob seine Waffen bereit lägen.

»Noch haben wir sie nicht entdeckt; vielleicht nahmen sie den Kurs auf Tunis! Aber wir werden sie schon finden!« tröstete Le Tenant.

»Es kommt mir alles wie ein Traum vor«, seufzte der Ritter. »So nahe dem Glück, muß mir die Braut geraubt werden! Wie hat Zuleik es nur verstanden, seine Leidenschaft zu verheimlichen, sich nie mit einem Worte zu verraten!«

»Der Tiorkaspieler hat die Korsaren gerufen?«

»Alles spricht dafür!«

»Um die Gräfin zu entführen?«

»Ja, er behauptet, Fürst zu sein, Abkömmling der Kalifen von Cordova und Granada.«

»Und ist vier Jahre lang im Schloß geblieben? Dann muß er seinen Landsleuten durch irgendeinen Renegaten Kunde gegeben haben. Ich hätte nie geglaubt, daß der Schuft in Algerien so großen Einfluß besäße!«

»Und ich hätte nie in ihm einen so tapferen und geschickten Krieger vermutet«, sagte Sant' Elmo. »Es wird nicht leicht sein, ihm seine kostbare Beute wieder abzujagen. Aber ich unternehme es, und wenn ich mein ganzes Vermögen dafür opfern müßte!«

»Mich werdet ihr stets an eurer Seite finden, Ritter. Sollten wir die Korsaren nicht mehr auf dem Meere erreichen, so werden wir den Orden, werden Venedig und Genua anrufen und dazu bewegen, die Macht der Barbaresken, dieser Schmach Europas, endlich zu brechen!«

»Mir wäre lieber, wir träfen sie auf hoher See. In Algerien könnte die Gräfin für mich verloren sein.«

In diesem Moment rief es vom Ausguck: »Segel in Sicht!«

Mit einem Freudenschrei sprang der Baron von seinem Lager auf und griff zum Schwert.

»Kommt, Le Tenant!«

Beide eilten nach oben, wo lebhafte Bewegung herrschte. Im Südwesten zeigten sich auf dem blauen Meere einige weiße Punkte.

»Es sind die Korsaren!« schrie der Ritter. »Seht da ganz hinten die Feluke!«

»Seid ihr auch sicher? Können es nicht harmlose Handelsschiffe sein?«

»Nein, nein, ich irre mich nicht. Seht nur, sie wechseln den Kurs nach dem näheren Tunis! In wenig Stunden haben wir sie erreicht, und dann wehe dir, Zuleik! Le Tenant, wir wollen das hinterste Schiff angreifen und nehmen, ehe die anderen zu Hilfe eilen können!«

»Die Feluke soll die erste Breitseite bekommen!«

Mit allen Segeln jagte die »Sirene« jetzt hinter den Galeeren her, um ihnen den Weg nach dem stark befestigten Tunis zu verlegen.

Auch bei den Feinden bemerkte man die Vorbereitungen zum Kampf. Alles wimmelte von Bewaffneten. Offenbar wollten sie, mit ihren vielen Gefangenen an Bord, ein Gefecht vermeiden. Sie hatten früher mit der »Sirene« schon mehrfach Kämpfe zu bestehen gehabt. So setzten sie denn alle nur möglichen Segel auf.

Als die Feinde aber immer näher rückten, änderten sie plötzlich ihre Taktik. Während die eine Galeere weiter nach Süden segelte, zogen die andern nun einen Teil der Segel ein und wandten sich.

»Was soll das heißen?« rief Le Tenant. »Wollen sie uns etwa erwarten?«

»Schurken!« schrie der Baron. »Sie decken die Flucht Zuleiks und stellen sich in Schlachtordnung. Die Gräfin wird auf dem fliehenden Schiffe sein!«

»Stören wir die anderen nicht! Da wir schneller sind, wollen wir dem fliehenden Schiffe folgen!«

Der Baron ergriff das Sprachrohr. »Fertig zum Feuern!«


 << zurück weiter >>