Emilio Salgari
Der algerische Panther
Emilio Salgari

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Die Schnellsegler

Während die Überlebenden -- kaum die Hälfte der Besatzung -- die Verwundeten vom Verdeck und aus den Batterien schafften, hatte Le Tenant den Mastkorb erklettert, um nach den sich nähernden Segeln auszuschauen.

Ein Blick zeigte ihm, daß es sich weder um sardinische Kriegsschiffe, noch um Malteser Galeeren, sondern nur um zwei kleine Fahrzeuge handelte, die für die Verfolgung der Feinde nicht in Frage kamen.

Der Ritter, der Le Tenant gefolgt war und dieselbe Beobachtung gemacht hatte, war verzweifelt.

»Baron«, suchte ihn der Freund zu trösten, »Ihr seid Soldat und dürft den Mut nicht sinken lassen. Wenn auch heute das Glück auf Seiten der Ungläubigen war, kann es sich doch in kurzem wieder wenden und uns die Befreiung der Gräfin ermöglichen!«

»Besser, eine Kugel hätte mich getroffen!« stöhnte Sant' Elmo.

»Und wer würde dann Donna Ida zu retten versuchen?«

Der Ritter fragte, da ihm ein plötzlicher Gedanke kam: »Wofür haltet ihr die nahenden Schiffe?«

»Für Feluken!«

»Vielleicht sind es Schmuggler, Handelsschiffe wären bei dem Kanonendonner sicher geflüchtet!«

»Und wenn das der Fall wäre?«

»Dann würde ich euch das Kommando der schwer beschädigten »Sirene« überlassen und selber versuchen, Afrika mit den Feluken zu erreichen. Ich kann nicht Wochen verstreichen lassen bei der entsetzlichen Vorstellung, meine Braut als Sklavin in Algier zu wissen!«

»Baron, ich warne euch vor diesem Unternehmen. Bedenkt, welchen Gefahren ihr euch aussetzt! Es kennen euch zu viele in Algier, und Zuleik wird wachsam sein!«

»Mein Entschluß steht fest. Die ›Sirene‹ ist nur noch ein Wrack. Ihr könnt die Überlebenden unserer Mannschaft nach Sardinien zurückführen, und mich werden die Feluken gegen entsprechende Vergütung nach Algier mitnehmen!«

»Dann nehmt wenigstens, wenn ihr nicht zurückzuhalten seid, einige entschlossene Männer mit!«

»Mir genügt Eisenkopf. Ich gehe nicht dorthin, um zu kämpfen, nur die Gräfin zu entführen. Gebt den Feluken das Signal!«

Diese, die das Malteserbanner schon erkannt hatten, kamen schnell heran. Sie mochten kaum 40 Tonnen groß sein, waren niedrig gebaut, trugen aber sehr viel Segel, die auch bei schwachem Winde gingen, und hatten zahlreiche Besatzung nebst zwei Kanonen an Bord.

Es waren kleine, eigens für schnelle Fahrt gebaute Schiffe, die in jener Zeit den von den Barbaresken gefangenen Christen oft wertvolle Dienste leisteten.

Bemannt mit äußerst furchtlosen Leuten, wagten sie sich in die Häfen der Mauren und benutzten dort jede Gelegenheit, um den Christensklaven zur Flucht zu verhelfen.

Sie taten das wahrscheinlich weniger aus Menschlichkeit -- es befanden sich unter ihnen sogar mohammedanische Renegaten -- sondern mehr in der Hoffnung auf gute Belohnung durch die Familie der Befreiten.

In maurischer Tracht, unter dem Namen tunesischer oder algerischer Kaufleute, sehr geschickt in der Handhabung der Segel, wie der Waffen, wagten sie sich bei Nacht in jene Häfen, wo sie Vertrauensmänner hatten.

Der Tod bedrohte sie täglich. Einmal gefangen, durften sie seitens der Barbaresken auf Gnade nicht hoffen. Nicht selten wurden sie in solchem Fall lebend verbrannt oder gespießt. Glücklich diejenigen, die einfach nur in ungelöschten Kalk geworfen und dann geköpft wurden!

Die beiden Feluken legten sich an der Galeere fest.

Eine mächtige Gestalt, braun wie ein Afrikaner, mit langem, schwarzem Bart stieg die herabgelassene Strickleiter empor. Der Mann war in türkischer Kleidung mit weiten, braunen, am Knie befestigten Pluderhosen und hellblauem Rock mit roter Wollbinde.

»Hier hat wohl ein schwerer Kampf stattgefunden!« rief er in schlechtem Italienisch, auf der Brücke stehend und die Toten überschauend, die noch nicht ins Meer geworfen waren. »Seid ihr der Kapitän?« fragte er den Baron, seinen roten Fez lüftend.»Da kann man euch Glück wünschen, daß ihr dem Angriff jener vier Galeeren standgehalten habt! Schade, daß wir zu spät gekommen sind, um euch beizustehen!«

»Ihr seid Schmuggler?«

»Ja, Kapitän.«

»Von Cagliari!«

»Habt ihr vom Angriff der Korsaren auf San Pietro gehört?«

»Wir erfuhren durch Schiffe aus Antioco, daß die Ungläubigen das Schloß des Grafen von Santafiora bombardiert hätten.«

»Weiß man auch, daß die Gräfin geraubt ist?«

»Ja, ganz Cagliari beweint das Schicksal der edlen Dame.«

»Wo wollt ihr jetzt hin?«

»Ich will einen Handstreich in Algier und mein Gefährte einen solchen in Tunis versuchen. Der Sohn eines spanischen Gesandten soll befreit werden. Die Sache ist gefährlich, aber die versprochene Belohnung so hoch, daß ich mich, wenn alles glückt, zur Ruhe setzen und in der Normandie mein Feld bebauen könnte!«

»Ah, ihr seid kein Italiener?« fragte Le Tenant.

»Für die Leute im Mittelmeer, die mich als Seemann kennen, bin ich der Normanne, bei den Ungläubigen heiße ich Ben Kadek und bei meinen Landsleuten Jean Barthel.«

»Sagt, möchtet ihr 50 000 Scudi verdienen, ohne eure andern Pläne zu stören?« fragte der Baron.

Der Mann machte einen Luftsprung. »Für solche Summe will ich die Kasbah von Algier und das Haus Culkelubis anzünden! Mit der Kanaille habe ich übrigens noch eine Rechnung zu begleichen, die mir schwer auf der Seele liegt!«

»Das alles verlange ich nicht«, warf der Baron lächelnd ein. »Ihr sollt mich und meine Gefährten mit nach Algier nehmen und wenn nötig, mir dort Hilfe leisten!«

»Wollt ihr dort jemand befreien?«

»Die Gräfin von Santafiora.«

»Ich dachte es mir schon. Nun, ich, mein Schiff und meine Leute stehen euch ganz zur Verfügung. Wir haben hilfreiche Freunde drüben. Nur müßt ihr euch vollständig auf mich verlassen und mir versprechen, vorsichtig zu sein!«

»Ich werde tun, was ihr verlangt! -- Le Tenant, zahlt doch die 50000 Scudi aus meiner Schiffskasse!«

»Vor der Hand laßt sie lieber auf eurer Galeere!« sagte der Normanne. »Wenn das Unternehmen geglückt ist, laßt sie mir durch den Großmeister eures Ordens auszahlen!«

»Wie ihr wollt!«

»Gebt mir nur zehn Minuten Zeit, um eine Kabine für euch vorzubereiten! Euer Name, Herr?«

»Baron Carlo di Sant' Elmo!«

»Wahrhaftig«, rief der Schiffer, mit einem bewundernden Blick zu ihm aufsehend. »Man kennt euch ja im ganzen Mittelmeer und fürchtet euch in Afrika. So jung und schon so berühmt! Es gereicht mir zur hohen Ehre, euch zu dienen!«

»Schnell, macht meine Kabine fertig!« rief er seinen Leuten zu, zur Treppe eilend.

»Wo ist Eisenkopf?« fragte der Ritter seine Umgebung.

»Was wollt ihr mit dem?« meinte Le Tenant. »Er wird euch nur hinderlich sein!«

»Aber er ist eine treue Seele. Er wird mich, trotz seiner Angst vor den Ungläubigen, nicht verlassen!«

Jedoch Eisenkopf war nirgends zu finden.

Erst nach längerem Suchen entdeckte man ihn schlafend im Schiffsraum zu Seiten seiner mächtigen Keule.

»Verzeiht«, rief er, »daß ich ein paar Minuten eingenickt war! Der lange Kampf hat mich ermüdet. Was für ein Gemetzel! Die Weltgeschichte wird davon erzählen!«

»Allerdings habt ihr nicht wenig dazu beigetragen, die »Sirene« zu retten«, lächelte Le Tenant spöttisch, »aber in Algerien werdet ihr bald mehr Gelegenheit zu Heldentaten finden!«

»In Algerien!« rief der Sproß der Barbosa entsetzt aus.

»Ja, wir reisen mit den Schmugglern, um Donna Ida zu befreien!«

Eisenkopf fiel beinahe um. »Herr, ihr geht in den Tod! Ich darf das nicht gestatten, ich war von eurem Vater beauftragt worden, über euch zu wachen!«

»Du wirst mir folgen«, sagte der Ritter trocken. »Hast du Furcht?«

»Ich, ein Barbosa! Ihr konntet mir diese Beleidigung ersparen! Ich habe weder vor den Barbaresken, noch vor Culkelubi Angst!«

»So steige in die Feluke!«

Während der Unglückliche in das kleine Schiff kletterte, empfahl Le Tenant dem Baron nochmals äußerste Vorsicht.

»Sorgt vor allem dafür, daß man euch nicht erkennt, wenn ihr die Gräfin rettet! Wie gern würde ich eure Gefahren teilen! Sagt mir wenigstens, wo ich euch, wenn alles gut geht, erwarten soll!«

»Auf den Balearen-Inseln, wo ich Schutz suchen will, wenn mein Unternehmen geglückt ist! Aber zuerst bringt mir diese Braven, die uns auf der ›Sirene‹ noch geblieben sind, in Sicherheit!«

»Ich werde an der spanischen Küste kreuzen und im geeigneten Augenblick nach Algier segeln. Wer weiß, ob ich euch dort nicht helfen kann!«

»Mit Gott, Le Tenant! Sterbe ich, so vergeßt Donna Ida nicht!«

»Ich schwöre es. Selbst wenn es mein Leben kostete, werde ich versuchen, sie zu befreien oder den Großmeister unseres Ordens dafür zu gewinnen!«

Die beiden Freunde umarmten sich in tiefer Bewegung.

»Beeilt euch«, rief der Normanne, schon ungeduldig, »sonst können wir Algier nicht vor den Galeeren erreichen! Wir haben keine Zeit zu verlieren!«

Die zwölf Mann der Besatzung -- alles Leute mit herkulischen Formen und kühnem Aussehen, zusammengekommen aus allen Häfen des Mittelmeers -- hatten schon die beiden großen Rutensegel aufgezogen.

Sant' Elmo winkte den letzten Gruß. »Auf Wiedersehn, meine treuen Gefährten! Hoffentlich kommt die Zeit, wo ich euch zu neuen Siegen führen werde!«

Im nächsten Augenblick nahmen die beiden Feluken den Kurs nach Südwest.

Der Normanne suchte den Horizont ab, um die Korsaren zu erspähen.

»Sie können bei dem guten Winde einen schönen Vorsprung haben«, murmelte er vor sich hin. »Morgen abend werden sie, wenn nichts Ungewöhnliches eintritt, in Algier sein, aber wir auch!«

Er näherte sich dem Baron, der sich auf eins der Fässer auf Deck niedergelassen hatte, während Eisenkopf in gedrückter Stimmung an der Schiffswand kauerte. »Ihr müßt todmüde sein nach dem Kampfe, Herr, und solltet euch ausruhen! Zurzeit droht keine Gefahr, Afrika ist noch fern!«

»Ich fühle mich wie zerschlagen!«

»Kein Wunder! Man hat mir in Cagliari erzählt, daß ihr das Schloß mit verteidigt habt. Zwei Schlachten in 24 Stunden wären selbst für einen Giganten zu viel!«

Der Baron lächelte wehmütig, ohne zu antworten.

»Verdammte Hunde«, fuhr der Schiffer fort, »sich bis nach Sardinien zu wagen! Die Kerle haben Mut und spotten sogar des Papstes und der christlichen Könige! Wann wird man sich endlich bei uns zu einem guten Schlage gegen sie aufraffen? Wenn Karl Martel noch lebte, der die spanischen Mauren bei Poitiers schlug, würden sie nicht so frech geworden sein!«

»Welchen Kurs nehmt ihr?« fragte der Ritter nach einigem Schweigen.

»Ich versuche, den Mauren in geziemender Entfernung zu folgen!«

»Ist euer Schiff schnell?«

»Es schwimmt wie ein Delphin, und keins im Mittelmeer ist ihm an Schnelligkeit gewachsen.«

»Sagt, hält man euch in Afrika für einen Algerier?« forschte Sant' Elmo.

»Nein, für einen Tunesen, und noch nie hat man in Algier Verdacht auf mich gehabt. Ich bin mit meinem ›Soliman‹ dort bekannt als ehrlicher Händler von Datteln und gesalzenen Fischen. Ihr seht mein Schiff damit beladen!«

»Möge auch diesmal alles gut gehen!«

»Vor allem ist äußerste Vorsicht geboten, Herr Baron. Ihr müßt euch als Maure verkleiden! -- Einem meiner Freunde, einem braven Seemann aus Mallorca, der fast noch besser arabisch sprach als ich, passierte bei meiner letzten Reise eine böse Sache. Er wurde von einem Janitscharen erkannt, der früher zu ihm Beziehungen hatte, verhaftet und als Schmuggler am Tor Bab-el-Ned lebendig verbrannt.«

»Haltet ihr die Rettung der Gräfin Santafiora für möglich?«

»Im ganzen ist es leichter, einen Mann zu befreien, selbst wenn er sich in einem Bagno in Ketten befindet. Es ist mir gelungen, schon vierzehn Personen aus der Sklaverei zu retten. Bei einer Frau liegt die Schwierigkeit darin, daß man in den Harem ihres Besitzers dringen muß, der Tag und Nacht von Eunuchen bewacht wird. Und dennoch habe ich einmal eine vornehme Sizilianerin aus dem Serail von Ali Manu, eines Galeerenkommandanten des Beys von Algerien, gerettet.«

»Das war gewiß keine kleine Sache!«

»Vor allem gehört kaltes Blut und Geduld dazu. Nur keine Überstürzung! Erst müssen wir auch den Harem auskundschaften, in den die Gräfin gebracht wird! Laßt mir nur freie Hand!«

»Ich folge euch blindlings!«

»Aber erst ruht euch aus, Herr Baron! Euer Diener schnarcht schon lange. Ich kann euch zwar nur eine ganz kleine Kabine und kein allzu breites Bett bieten...!«

»Ich bin Seemann... Dank euch für alles!«


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