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Vierunddreißigstes Kapitel.
Der Kopf des Fakirs.

Der Wald wurde immer dichter, doch war deutlich zu erkennen, daß die Gegend vor Jahrhunderten bewohnt gewesen sein mußte, daß ein Dorf oder eine kleine Stadt dort gestanden hatte, denn je weiter die Flüchtlinge vordrangen, je mehr fanden sie Skulpturenstücke und verfallene Säulen, die die Pflanzen noch nicht wieder überwuchert hatten.

Es ist nichts Seltenes in Indien, auch mitten in den dichtesten Dschungeln, die jetzt Schlupfwinkel für Schlangen, Tiger und Panther geworden sind, Überbleibsel von Städten zu finden, die vielleicht vor Tausenden von Jahren verschwunden sind.

Wenn es der Reisende oder Jäger am wenigsten erwartet, befindet er sich vor verfallenen Palästen, eines Tages Residenz prachtliebender Radscha, oder Moscheen, oder Pagoden, jetzt Ruinen, begraben unter dichtem Gestrüpp.

Die Vegetation in jenen Sonnenländern ist außerdem so mächtig, daß ein verlassenes Dörfchen nach einem Jahre schon vollständig unkenntlich wird. Bäume und Büsche vermehren sich mit unglaublicher Schnelligkeit und verwischen jede Spur.

Der »Kornak«, mit dem Walde vertraut, den er schon wer weiß wie oft durchstreift hatte, folgte einer, den andern unsichtbaren Fährte, ohne je im Zweifel zu sein, obwohl er keinen Kompaß besaß.

Er vertraute seinem Instinkte als Waldmensch und war sicher, nicht irre zu gehen.

Der Elefant folgte ihnen immer, indem er einen richtigen Pfad durch die abertausend Pflanzen bahnte und rechts und links junge Bäume, Schlingpflanzen, Wurzeln und Bambus niederschlug.

»Schade, daß er uns nicht vorangeht,« sagte Toby. »Dann würde er uns wenigstens den Marsch erleichtern.« So öffnet er aber jenen Gaunern den Weg, die Sitama begleiten.«

Nach einer halben Stunde blieb der »Kornak« vor einer kleinen Lichtung stehen, in deren Mitte sich eine riesenhafte, kuppelförmige Pagode erhob, mit prächtigen Treppen, Marmorbogen, breiten Fenstern und einer Unmenge Statuen, die die zahlreichen Schöpfungen Wischnus darstellten.

Die ganze Ringmauer war, außer einem kleinen Stück, gänzlich zerfallen und lag am Boden, von Pflanzen überwuchert. Die Kuppel hatte aber dem Zahne der Zeit auf wunderbare Weise widerstanden und ihre Mauern zeigten keine Risse.

»Was meint ihr dazu?« fragte der »Kornak« Toby und Indri, die jenes prächtige Gebäude bewunderten, was vor etwa viertausend Jahren errichtet sein mußte.

»Wunderbar,« sagte der Ex-Sergeant. »Das ist eine richtige Festung, die uns einen vorzüglichen Schlupfwinkel bietet.«

»Wird der Elefant hinein können?« fragte Indri.

»Eine Treppe schreckt ihn nicht zurück, er wird mir folgen,« antwortete der »Kornak«.

»Schauen wir unsre Festung an,« sagte Toby.

Sie stiegen die sehr breite Haupttreppe hinauf und traten in den Tempel, der der Sasaruadi, der Gemahlin Brahmas, geweiht zu sein schien, denn über der Tür befand sich eine Figur jener Göttin, dargestellt von einem Weibe, die in der einen Hand ein Buch, in der andern ein »Kineri«, eine primitive Leier, hielt.

Die Pagode war riesig groß, rechtwinklig, aber völlig leer. Nur an den Wänden befanden sich einige Brahma-Reliefs in verschiedenen Stellungen, aber alle zerborsten von der Zeit und Feuchtigkeit.

Die Mauern waren stark, noch in bestem Zustande, fähig, auch einer Kanone standzuhalten; nur ein Teil der gewaltigen Kuppel war eingestürzt und die Trümmer davon lagen in einer Ecke aufgehäuft.

Auch die mit Siwa, Wischnu und Brahma geschmückte Bronzetür war so fest, daß sie jedem Mauerbrecher widerstehen mußte.

»Das ist ein unerwartetes Glück für uns,« sagte Toby. »Hier können wir den Angriffen Sitamas und seiner Bande lange Trotz bieten.«

»Es sind keine Schießscharten da, um Feuer zu geben,« bemerkte Indri.

»Wir werden auf der Kuppel Platz nehmen,« antwortete der Ex-Sergeant. »Ich sehe da eine Treppe, die uns den Aufstieg gestatten wird.«

»Dieser Überblick!«

»Ich wäre ja auch General geworden, wenn ich nicht Abschied vom Heere genommen hätte. Du sagtest es doch.«

»Und was für ein General!«

»Ja, ohne jene verwünschten Tiger, die meine Frau zerrissen haben,« sagte Toby seufzend, mit trauriger Stimme. »Wohlan, denken wir nicht ans Vergangene.«

»Ruhe! …«

»Was hast du gehört, Indri?«

»Der Elefant trompetete gerade so, als wenn er eine Gefahr wittere.«

»Ob Sitamas Leute schon angekommen sind?«

Er wollte eben an die Tür springen, als er Sihor eintreten sah.

Der Dickhäuter hatte, da er den »Kornak« nicht mehr sah, die Stufen erstiegen, die auch für ein Tier jenes Umfanges bequem zu betreten waren und zeigte sich sehr unruhig.

Er schnaubte, wandte sich öfter nach der Tür um, bewegte die Ohren und brummte leise.

»Sahib,« sagte der »Kornak«, indem er zu Toby trat. »Sihor hat etwas gesehen oder irgend ein Geräusch gehört.«

»Schließt die Tür!« kommandierte Toby mit donnernder Stimme.

»Und du, Indri, folgst mir mit Bhandara auf die Kuppel.«

»Und Sadras?«

»Mag mit dem ›Kornak‹ zusammen Dhundia bewachen. Ah!«

»Was willst du noch, Toby?«

Der Ex-Sergeant rief den Knaben.

»Mein braver Sadras,« sagte er zu ihm, »es könnte möglich sein, daß wir getötet werden, denn man weiß nie, was in einem Gefecht geschehen kann. Schwöre mir, Dhundia zu erschießen, wenn du uns fallen siehst.«

»Ich verspreche es Euch,« antwortete der kleine Indier mit fester Stimme.

»Dann fliehst du, wenn es dir möglich ist, mit dem ›Lichtberg‹ nach Pannah und berichtest dem Radscha, was aus uns geworden ist. Er wird wenigstens daran denken, uns zu rächen.«

»Ja, ›Sahib‹; Sadras ist klein und kann den Blicken der Dakoiten und Sitamas entgehen.«

»Wir verlassen uns auf dich.«

»Ich werde mein Wort halten oder mich töten lassen.«

»Und jetzt, Indri, Verderben jenen Schurken,« sagte Toby. »Wir werden ihnen zeigen, daß der Ex-Sergeant der ›Sipai‹ und der Ex-Favorit des ›Guicowar‹ keine Furcht, haben.«

»Zu uns, Bhandara! Bring soviel Munition, wie du kannst.«

Sie schlossen die Bronzetür, ließen den Elefanten sich davor legen und sprangen die Wendeltreppe hinauf, die bis zur Spitze führte.

Dort öffnete sich ein kreisrundes Loch, was zu einer kleinen Terrasse führte, die mit einer steinernen Brustwehr versehen war, stark genug, um die Kugeln der Angreifer aufzuhalten.

»Von hier aus können wir nach allen Richtungen Feuer geben, ohne uns den Schüssen der Dakoiten auszusetzen,« sagte Toby.

»Und beherrschen die ganze Umgebung der Pagode,« bemerkte Indri. »Sie werden eine harte Nuß zu knacken finden.«

»Und wir geben ihnen einen Denkzettel, den sie nicht wieder vergessen werden, mein Freund! Ah! Ihr wollt den ›Lichtberg‹! Statt des Diamanten werden wir euch Blei geben, was durchlöchert und mordet, meine lieben Gauner.«

»Bis jetzt sieht man sie zwar noch nicht.«

»Ihr täuscht Euch, Herr,« sagte Bhandara, der seit einigen Sekunden eine dichte Bananengruppe musterte, die der Treppe gegenüberstand.

»Ich bemerkte eben unter jenem Blätterwerke das Blitzen eines Flintenlaufs oder einer Säbelklinge. In kurzem werden sie sich zeigen und ich bitte Euch, Euch nicht über die Brüstung zu erheben.«

»Ob nur die Vorhut angekommen ist?« fragte Toby.

»Wahrscheinlich,« antwortete Indri. »Das Gros wird sich noch auf dem Marsche befinden.«

»Wer Sitama sieht, feuert auf ihn. Ist der Anführer tot, so ziehen sich die andern vielleicht zurück.«

»Mein erster Schuß soll jenem Schurken gelten,« sagte Indri.

»Wenn er sich zeigen wird. Er weiß, daß wir sichre Schützen sind und wird sich wohl versteckt halten,« bemerkte Bhandara. »Er wird seine Banditen zum Angriff antreiben und sich nicht eher zeigen, als bis ihm der Sieg sicher ist.«

»Ja, jetzt sehe ich sie,« sagte Toby. »Auch ich bemerkte eben ein Flintenleuchten unter jenem Banangebüsch.«

»Suchen wir die Vorhut zu vertreiben, bevor die andern kommen.«

Er wollte eben den Karabiner anlegen, als vier Blitze unter jenem Flecken aufleuchteten. Toby und seine Gefährten hatten kaum Zeit, sich hinter die Brüstung zu werfen.

Die Kugeln waren über ihre Köpfe gepfiffen und eine hatte den oberen Rand der Brüstung gestreift.

»Holla!« rief Toby mit ruhiger Stimme. »Jene Schurken zielen nicht schlecht! Wir treffen aber besser.«

»Indri, willst du den Anfang machen? Ich sehe dort einen jener Banditen im Gestrüpp umherschleichen, um …«

Seine Stimme wurde von einem betäubenden Lärme erstickt, der unverhofft aus den Gebüschen kam, die die Pagode umgaben.

Splitternackte Männer brachen aus den Gebüschen, indem sie drohend ihre Flinten und Säbel in der Luft schwenkten.

Es waren wenigstens hundert. Sie gebärdeten sich, als wenn sie verrückt geworden wären, brüllten wie Dämonen und sprangen wie wütende Tiger durcheinander.

Wie zügellose Pferde rasten sie schreiend um die alte Pagode und verschwanden dann wieder in den Gebüschen, bevor Toby, Indri und Bhandara, verblüfft über jene unerwartete Unterbrechung, daran dachten, sie mit einer Salve zu begrüßen.

»Wo kann Sitama soviel Leute gefunden haben?« fragte sich Toby verstimmt. »Und dann, sind das Menschen oder Dämonen?«

»Und werden wir ihnen widerstehen können?« fragte sich Indri erregt.

»Die Tür ist fest und die Wände sind enorm,« sagte Bhandara.

»Ja, aber ich beginne an unserm Siege zu zweifeln,« antwortete Toby. »Hundert Männer! Und wer weiß, ob es alle sind, die wir gesehen haben.«

»Und mit Gewehren bewaffnet,« sagte Indri.

»Und wir sind nur fünf, darunter ein Knabe! Bah! Wenn wir sterben müssen, so wollen wir wenigstens viele niederschießen, bevor wir fallen!«

»Bhandara, rufe auch den ›Kornak‹. Das ist doch eine Flinte mehr.«

»Und Dhundia?« fragte Indri.

»Sadras wird als Wache genügen. Er hat zwei Pistolen und wird nicht zögern, sie auf den Verräter abzufeuern.«

In jenem Momente erscholl eine mächtige Stimme, die sie sofort erkannten, unter jenem Bananenflecken:

»Der weiße Jäger und der Favorit des ›Guicowar‹ mögen mich anhören.«

»Sitama!« riefen der Ex-Sergeant und Indri wütend wie aus einem Munde.

»Habt ihr mich gehört?« schrie der Fakir.

»Sprich,« sagte Toby, der sich schußfertig machte.

»Wollt ihr Frieden oder Krieg?«

»Was wünschst du für den Frieden?«

»Den ›Lichtberg‹ und Dhundias Freiheit,« antwortete der Fakir.

»Komm und hole dir beides, wenn du den Mut dazu hast,« sagte Toby ironisch.

»Ihr nehmt diese Bedingung also nicht an?«

»Nein, solange wir die Hoffnung haben, deinen Kopf mit einer Kugel zu sprengen und die Erde von einem Elenden deiner Sorte zu reinigen.«

»Ich habe hundert Männer.«

»Und wir haben fünfhundert Patronen.«

»Ihr wollt also den Krieg? Gut!« schrie der Fakir mit drohender Stimme.

Es entstand ein kurzes Schweigen, dann stürzten plötzlich alle hundert Dämonen zum zweiten Male aus den Büschen, indem sie wie Raubtiere heulten, sich um die Pagode herum verteilten und ein Höllenfeuer auf die Kuppelspitze eröffneten.

Indri, Toby, Bhandara und der »Kornak« der zu ihnen gestoßen war, lagen auf den Knien hinter der Brüstung, entschlossen, das Leben teuer zu verkaufen und soviel Leute wie möglich zu erschießen.

»Du lädst unsre Waffen wieder,« sagte Toby zum »Kornak«. »Hast du die Reservekarabiner mitgebracht?«

»Ja, ›Sahib‹.«

»Also Feuer nach Willkür und gebt acht, den Kopf nicht zu zeigen, denn es hagelt furchtbar.«

Die Indier setzten ihr Feuer fort und sprangen nach rechts und links, um kein Ziel zu bieten, indem sie sich mit furchtbarem Gebrüll ermutigten.

Toby und Indri begannen bald kräftig zu antworten, von Bhandara tüchtig unterstützt, ein nicht zu verachtender Schütze, da er in früheren Zeiten ein guter Jäger gewesen war. An den ersten Schüssen erkannten die Angreifer sofort, mit welch furchtbaren Gegnern sie es zu tun hatten.

Toby und Indri verbrauchten ihre Munition nicht unnütz. Jeder Flintenschuß bedeutete den Tod eines Gegners.

Doch konnten sie nicht gar zu schnell feuern, denn auch die Kugeln der Belagerer erreichten die Spitze der Kuppel, zersplitterten die Brüstung und pfiffen oft dicht an den Köpfen der Verteidiger vorbei.

Nach zehn Minuten lag etwa ein Dutzend Indier am Boden und andere, mehr oder weniger verwundet, schleppten sich ins Gebüsch, lange Blutstreifen zurücklassend.

Aber Sitama zeigte sich nicht. Von Zeit zu Zeit hörte man seine Stimme aus dem Bananengebüsch, aber er hielt sich hinter einem dicken Stamme immer sorgfältig versteckt.

Toby hatte öfter mitten in jenen Flecken Feuer gegeben, in der Hoffnung, ihn zu treffen, aber immer vergebens.

Jene Gewehrsalve dauerte ununterbrochen und immer wütender zwanzig Minuten, dann begannen die Indier zu wanken und zogen sich unter die Bäume zurück. Die großen Verluste hatten ihren Mut abgekühlt.

Trotzdem wollten sie noch einen letzten Versuch machen, indem sie hofften, die Verteidiger im Rücken anzugreifen.

Fünfzehn bis zwanzig der Kühnsten hoben einen enormen Tekbaumstamm auf, der aus Altersschwäche oder vom Blitze getroffen, gefallen war und stürmten zur Treppe, in der Absicht, die Bronzetür zu stürmen und niederzureißen.

»Feuer auf jene!« schrie Toby, der sie bemerkt hatte.

Ohne auf die Kugeln zu achten, erhoben sich Indri und Bhandara und zielten auf jene Gruppe.

Zwei Männer fielen, dann abermals drei, aber die Indier setzten ihren Lauf fort, erstiegen die Treppe und rannten mit derartigem Gekrache gegen die Tür, daß die ganze Kuppel zitterte, als wenn sie ein Erdbeben erschüttert hätte.

Im Innern der Pagode hörte man einen furchtbaren Trompetenstoß: es war Sihor, bis aufs äußerste gereizt.

Die Tür, von dem gewaltigen Stoße zersplittert, war auf den Elefanten gefallen.

Dieser hatte sich, blind vor Zorn, erhoben. Als er die Indier sah, die eben ins Innere der Pagode brechen wollten, stürzte er sich mitten unter sie und fegte sie mit Rüsselschlägen fort.

Furchtbare Schreie mischten sich in das Trompeten des Dickhäuters, dann warfen sich einige Leute blindlings die Treppe hinunter und retteten sich in den Wald.

»Bravo, Sihor!« rief Toby. »Da haben wir einen Freund, auf den ich nicht rechnete!«

»Aber die Tür ist zertrümmert,« sagte Indri.

»Sihor wird den Eingang verteidigen.«

»Und wenn sie ihn töten! Und Dhundia ist unten mit dem kleinen Sadras!«

»Donnerwetter! Den Verräter hatte ich vergessen! Bhandara, ›Kornak‹, schnell, steigt hinunter und bringt ihn hierher.«

Die beiden Indier sprangen die Treppe hinunter, während Toby und Indri gegen die Angreifer, die sich zu zeigen wagten, weiter feuerten.

Keine Minute war vergangen, als die beiden Diener Dhundia geschleift brachten. Sadras war ihnen gefolgt, indem er die beiden von Toby erhaltenen Pistolen in der Faust hielt.

»Ist die Tür eingestürzt?« fragte Indri.

»Ja,« antwortete Bhandara.

»Und der Elefant?«

»Versperrt den Eingang.«

»Wird er standhalten können?«

»Ich glaube, er hat schon ein halbes Dutzend Männer erschlagen, Herr. Die andern wollen sicher keine Bekanntschaft mit seinem Rüssel machen.«

»Hm!« sagte Toby kopfschüttelnd. »Sie werden ein Mittel finden, ihn zu entfernen: ihr werdet sehen.«

Die Dakoiten hatten sich wieder versammelt, kamen hervor und begannen ihr Feuer von neuem. Sie setzten sich jedoch dem Kugelregen nicht mehr so aus, wie früher, denn sie kannten jetzt die Unfehlbarkeit Tobys und des Ex-Favoriten.

Sie benutzten Gebüsche und Trümmer, um sich gedeckt zu halten.

Baumstämme rollten sie vor und suchten unter deren Deckung die Treppe zu erreichen.

»Ich sehe voraus, daß sie in die Pagode gelangen werden,« sagte Toby ein wenig entmutigt. »Bhandara, hast du auch die Kiste mit herauf gebracht, die den Diamanten und die Rupien enthält?«

»Ja, ›Sahib‹.«

»Dann mögen sie ruhig kommen. Ah! Was sagte ich euch?«

Die Indier, die die Baumstämme rollten, hatten die Treppe erreicht und begannen brennende Baumwollenklumpen gegen die Tür zu werfen, um den Elefanten zu entfernen.

Sihor trompetete immer furchtbarer, ohne zu wagen, die Angreifer abzuwehren. Er zog sich sogar vor jenem Feuerregen zurück, um einen andern Ausgang zu suchen.

Toby und seine Gefährten konzentrierten ihre Schüsse auf jene Menschen, die die Treppe stürmten, aber mit kargem Erfolg, da die Baumstämme sie deckten. Außerdem durften sie sich nicht über die Brüstung biegen, denn die andern beschossen fortwährend die Spitze der Terrasse.

Plötzlich zitterte die Kuppel zum zweiten Male. Unten, in der Pagode, hatte man einen betäubenden Krach gehört.

»Bhandara!« rief Toby. »Was ist da in die Luft gegangen?«

»Der Elefant hat die Tür zertrümmert, die sich am andern Ende der Pagode befand,« antwortete der »Kornak«.

»Und flieht?«

»Er ist schon davon, ›Sahib‹.«

»Jetzt ist der furchtbare Moment gekommen! Mein lieber Indri, uns bleibt nur der Tod!«

»Ich bin bereit,« antwortete der Ex-Favorit mit ruhiger Stimme. »Lieber im Kampfe sterben, als als Paria leben.«

Als die Dakoiten den Elefanten fliehen sahen, hatten sie sich in die Pagode gestürzt, indem sie diesen ersten Sieg mit ohrenzerreißendem Lärme begrüßten.

Toby trat an die runde Öffnung und feuerte mitten in die brüllende Bande, einen Mann zu Boden streckend.

Zehn Schüsse antworteten.

»Es geht zu Ende,« murmelte er, indem er rasch zurücksprang. »In fünf Minuten werden sie auch auf der Terrasse sein.«

»Ah! Ihr wollt Dhundia!« rief er plötzlich mit grausamer Stimme. »Den werdet ihr tot finden!«

Er entriß Sadras eine Pistole und lud sie rasch.

»Was tust du?« fragte Indri.

»Ich töte jenen Schuft, der die Hauptursache deines Unglücks ist.«

»Tu, was du glaubst.«

Eben wollte sich Toby auf den Verräter stürzen, als mitten aus den Gebüschen Trompetengeschmetter drang.

»Sie blasen zum Sturm!« rief Indri, indem er ihm den Arm hielt.

»Die Trompeten der Radschaputen!« schrie der »Kornak« freudestrahlend. »Wir sind gerettet! …«

Unter die Trompetentöne mischten sich Karabinerschüsse und Pferdegewieher. Ein großer Reitertrupp schien wie ein Orkan durch den Wald zu stürmen.

Die Dakoiten, erstaunt, erschrocken, hatten das Feuer eingestellt und schauten unter die Bäume. Auch jene, die schon in der Pagode waren, schossen nicht mehr, sondern flohen kopfüber die Stufen hinunter.

Schreckensschreie kamen von allen Seiten.

»Die Radschaputen von Pannah! Flieht!« Zu spät. Eine prächtige Reiterschwadron, mit wehenden Umhängen und bunten Turbans bricht mit verhängtem Zügel in die Lichtung und säbelt die Dakoiten nieder, die nicht mehr an Widerstand denken.

Eine andre Schwadron sprengt von der andern Seite heran, nimmt die Flüchtlinge in die Mitte und schießt sie nieder.

»Bravo, Radschaputen!« schreit Toby. »Nieder, ohne Mitleid! Es lebe der Radscha von Pannah!«

Als der Offizier der zweiten Schwadron jene Rufe hört, hebt er den Kopf und grüßt Toby mit dem Säbel. Dann springt er zur Erde, nimmt ein bluttriefendes Bündel vom Sattel und eilt zur Pagode.

»Hast du ihn wieder erkannt, Indri?« fragte der Jäger.

»Ja, es ist der Offizier, der uns durch das westliche Tor führte, im Glauben, uns die Leiche des Fakirs zu zeigen.«

»Ja, Indri, er ist's!«

Der kommandierende Radschapute schwingt sich leicht die innere Pagodentreppe empor und erreicht die Terrasse.

Er öffnet das Bündel, zieht einen frisch abgeschlagenen Kopf hervor, zeigt ihn Toby und Indri und sagt mit einem grausamen Lächeln:

»Jetzt werdet Ihr mir nicht mehr sagen, daß dieser nicht Sitamas Kopf wäre. Schaut ihn an! …«

»Der Fakir!« riefen der Jäger und der Ex-Favorit, indem sie schaudernd zurückwichen.

»Ich überraschte ihn gerade in dem Moment, als er fliehen wollte und enthauptete ihn mit einem kräftigen Säbelhiebe.«

»Wer hat Euch denn benachrichtigt, daß jene Banditen uns in dieser Pagode belagerten?« fragte Indri.

»Die Festungswachen hatten die Dakoiten die Berge hinabsteigen und den Fluß entlang schleichen sehen.«

»Sie setzten uns davon in Kenntnis, während wir die Hochebene durchforschten. Also eilten wir herbei, da wir vermuteten, sie würden Euch verfolgen, um Euch den ›Kohinoor‹ wieder abzujagen. Wie Ihr seht, ›Sahib‹, hatten wir uns nicht getäuscht.«

Dann packte er den blutigen Kopf des Fakirs, warf ihn von der Kuppel herunter und sagte:

»Hinweg! Ein Begräbnis hast du nicht verdient!«


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