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Achtundzwanzigstes Kapitel.
Die Flucht der Diebe.

Dhundia, der Fakir und die »Sâpwallah« waren, nachdem sie sich des »Kohinoors« bemächtigt und den Elefanten schwer verwundet hatten, um Toby und Indri an der Verfolgung zu hindern, schleunigst durch den Hohlweg nach Süden geflohen.

Sie hatten sich auf die Pferde geschwungen, die während des Überfalls unter der Aufsicht einiger Männer im Walde versteckt standen und hofften die Grenze zu erreichen, bevor die Pässe von der Besatzung der »Hudi« geschlossen wurden.

Sie waren nur etwa zwanzig Meilen vom Senartale entfernt, dem von Barwani und dem Fakir ausgewählten Ort, um nach Gondwana hinüber zu kommen, eine Entfernung, die ihre Pferde noch vor Sonnenaufgang zurücklegen konnten.

Der berühmte Diamant war sofort in Dhundias Hände übergegangen, der jetzt das Haupt jener Bande kühner Räuber geworden war und sie auf Rechnung Parwatis besoldete, des größten Feindes des Favoriten des »Guicowar«.

Nach einem rasenden Ritte von zehn Meilen hatten die Dakoiten in einem tiefen Walde Halt gemacht, um ihren Pferden etwas Ruhe zu gönnen und sich zu beraten, wie die Wachsamkeit der » Hudi«-Besatzung zu täuschen wäre, falls sie schon Befehl erhalten hätte, Leuten den Durchgang zu verweigern, die aus dem Innern des Staates kamen.

Während sich die »Sâpwallah« mit den Pferden beschäftigten, hatten sich Dhundia, Sitama und Barwani unter einer gewaltigen Tamarinde niedergelassen, um Rat zu halten.

Eben wollten sie Befehl zum Aufbruch geben, als sie Pferdegetrampel hörten, was rasch näher kam.

»Es muß einer der Leute sein, die ich zurückgelassen habe, um den Jäger und Indri zu überwachen,« sagte Barwani.

Bald darauf tauchte ein Reiter aus einem hohen Gebüsch auf und stieß auf die Bande.

»Bist du Shung?« fragte der Riese, indem er das Gewehr auf ihn anlegte.

»Ja, ›Sahib‹,« antwortete der Angekommene, indem er das Pferd rasch herumriß.

»Was bringst du uns für Neuigkeiten?«

»Ich komme vom Hohlwege.«

»Leben sie alle noch?«

»Der weiße Jäger, Indri und der ›Kornak‹ sind nach ihrem ›Bengalow‹ aufgebrochen; die andern sind tot.«

»Und der Elefant?«

»Den haben sie getötet, um ihm den Todeskampf abzukürzen.«

»Mit dem Axthiebe, den ich ihm auf das Bein gab, hätte er sich nicht wieder aufrichten können,« sagte Barwani lachend.

»Hast du keinen Soldatentrupp gesehen?«

»Nein, aber die Reiter des Radscha können nicht weit sein. Ich habe zwei Männer nach Pannah gesandt, die sie auf die Spuren des weißen Jägers hetzen sollen.«

»Du bist ein intelligenter Mensch und sollst hundert Rupien mehr als die andern haben.«

»›Sahib‹, reiten wir ab.«

»Ich bin bereit,« antwortete Dhundia.

Mit verhängten Zügeln stürmte die ganze Bande in geschlossener Gruppe vorwärts, dem Senartale zu, was nicht weiter als sieben bis acht Meilen war.

Die Hochebene begann sanft abzufallen, zuweilen unterbrochen von tiefen Schluchten, in denen Gebirgsbäche donnerten, und Senkungen, die mit kleinen Tekbäumen dicht bestanden waren.

Einige Meilen weiter begann der Abstieg von der Hochebene so plötzlich, daß die Reiter den Galopp ihrer feurigen Pferde verlangsamen mußten.

Sie waren in der Nähe des Senartales, was nichts anderes war, als eine gewaltige Felsspalte, gebildet von Jahrhunderte alten, unaufhörlichen Wasserquellen, die sich dort, am äußersten Ende der Hochebene, einen Durchgang geöffnet hatten.

Ein einziger Weg führt vom Fürstentum Pannah nach Gondwana, eng, gewunden, beschwerlich läuft er dem Flusse entlang. Das ist der einzige Durchgang, den es auf dieser Seite gibt, denn rechts und links jenes Wasserlaufes gibt es nur gähnende, fast unersteigbare Abgründe.

Am äußersten Ende der Hochebene angekommen, waren die Reiter stehen geblieben.

Bevor sie jenen engen Durchgang wagten, wollten sie sich vergewissern, ob die Mannschaften der Festungen den Weg und die Flußufer schon besetzt hatten, um nicht Gefahr zu laufen, sich fangen zu lassen.

Barwani, Sitama und Dhundia befahlen ihren Leuten, sich in einem Platanenwäldchen zu verstecken, und rückten allein vor.

Kaum hatten sie hundert Schritte hinter sich, als ein Fluch von Barwanis Lippen kam.

»Zu spät!« rief er. »Der Weg ist versperrt.«

»Von den Soldaten des Radscha?« fragte Dhundia wütend.

»Ja, schau, ›Sahib‹.«

Aus dem Tale leuchteten zwei riesige Leuchtfeuer über die Flußufer. Verschiedene Männer mit immensen Turbans und langen Flinten, die im Feuer blinkten, schritten auf und ab.

»Die Radschaputen,« sagte Sitama. »Verdammt! … Sie sind schon benachrichtigt worden! …«

»Die Hauptsache ist getan,« sagte Dhundia, »denn der Diamant ist in unsern Händen, aber es bleibt uns noch genug zu tun übrig und gebt euch nicht gar zu großen Illusionen hin.«

»Gondwana ist nicht leicht zu erreichen, das sage ich euch.«

»Glaubst du, ›Sahib‹, daß die Grenzgarnisonen schon benachrichtigt worden sind?« fragte Sitama.

»Ich bin davon überzeugt; als wir Pannah verließen, habe ich Feuer gesehen, die mit den Bollwerken Signale wechselten.«

»Auch wir haben sie gesehen,« sagte Barwani.

»Und man antwortete auch mit der Kanone,« bemerkte Sitama.

»So kommen wir zu spät, um den Durchgang noch frei zu finden,« sagte Dhundia. »Kennt ihr das Senartal?«

»Ganz genau,« antwortete Sitama.

»Wieviel Festungen gibt es dort?«

»Vier.«

»Mit zahlreicher Besatzung?«

»Sicher, denn der Radscha mißt seinen Grenzfüsilieren große Bedeutung bei.«

Dhundia verzog das Gesicht.

»Könnte man jenes Tal nicht umgehen?« fragte er.

»Das ist unmöglich, ›Sahib‹« antwortete Barwani. »Die Hochebene fällt an allen andern Stellen 1500 Meter steil ab, kein Pferd, nicht einmal ein Mensch, könnte einen derartigen Abstieg unternehmen.«

»Man könnte nachts den Durchgang durchs Tal versuchen,« sagte Sitama.

»Und einen ganzen Tag verlieren? Glaubst du, daß Toby und Indri untätig geblieben sind? Ich hätte Furcht, wenn sie uns angreifen würden.«

»Beunruhige dich nicht ihretwegen, ›Sahib‹,« sagte Barwani. »Wahrscheinlich sind sie schon festgenommen.«

»Ich habe Leute zurückgelassen mit dem Auftrag, den Reitern des Radscha den Weg zu zeigen, wo sie die Diebe des ›Kohinoor‹ finden.«

»Da hast du eine großartige Idee gehabt,« sagte Dhundia. »Hast du deinen Leuten gesagt, uns nach dem Tale nachzukommen?«

»Ja, einige jedoch sollen Indri und dem Jäger bis zu ihrer Festnahme folgen.«

»Was wird in ihrem ›Bengalow‹ geschehen?«

»Gingen sie in das Haus des Jägers?« fragte Sitama.

»Das war ihre Absicht,« antwortete Dhundia.

»Ich vermutete es schon,« sagte Barwani, »daher beauftragte ich einen ›Sâpwallah‹, auch die Umgebung des ›Bengalow‹ zu überwachen.«

»Der Jäger wird mit seinen Gefährten schnell in die Hände des Radscha fallen.«

»Und wir entfliehen inzwischen ungestört nach Gondwana,« sagte Dhundia. »Jene Gegenden kenne ich genau und ich werde euch leicht nach Jabalpur führen, wo wir den ›Lichtberg‹ verkaufen können.«

»Woher kennst du jenes Land, ›Sahib‹?«

»Ich bin dort geboren und sollten wir auch bis in jene Berge verfolgt werden, so wüßte ich unauffindbare Verstecke und auch Männer, die uns verteidigen würden.«

»Meine Landsleute können den alten Brahmanen nicht vergessen haben, der ›Meriahs‹ Menschenopfer. opferte, um ihre Erde fruchtbar zu machen.«

»Wenn wir also Leute nötig hätten, um gegen den Jäger und die Soldaten des Radscha Front zu machen …«

»Dann würde ich unter jenen wilden Berghirten welche finden,« antwortete Dhundia.

»Ich glaubte, du wärest von Baroda, ›Sahib‹,« sagte Barwani.

»Nein, ich bin ein Gondwaneser. Genug mit dem Geschwätz; vor Sonnenaufgang brechen wir auf.«

»Unsere Pferde haben genügend geruht.«

Sie erhoben sich und schwangen sich auf ihre Pferde, ebenso alle »Sâpwallah« und Gaukler, aus der die Bande bestand.

»Was tun?« sagte Dhundia, der sich auf die Lippen biß.

»Wir kommen unmöglich hindurch,« sagte Barwani.

»Versuchen wir, den Durchgang zu erzwingen! Wir sind etwa dreißig und jene Leute höchstens fünfzehn.«

»Beim ersten Schusse würde die Besatzung der Festungen herbeieilen,« sagte Sitama.

»Und die ›Hudi‹ haben auch Kanonen,« bemerkte Barwani. »Wenn wir zum Kampfe gezwungen würden, wären wir schnell erschossen.«

»Könnten wir nicht versuchen, den Abgrund hinabzusteigen?« fragte Dhundia.

»Dazu müßten wir Seile haben und wir haben keine.«

»Aber wir können doch nicht hierbleiben.«

»Erwarten wir die Nacht,« sagte Barwani. »Lassen wir die Pferde und versuchen wir, dem Flusse zu folgen. Könnt ihr schwimmen, ›Sahib‹?«

»Ja,« antwortete Dhundia.

»Unsre Leute auch.«

»Es tut mir leid, einen Tag zu verlieren. Man kann nicht voraussagen, was in zwölf Stunden geschehen kann.«

»Suchen wir ein Versteck, was uns Sicherheit bietet.«

»Weißt du, wo eins ist?«

»Ganz in der Nähe befindet sich eine Grabstätte, eine Art Pagode, errichtet zum Andenken an eine indische Prinzessin,« sagte Sitama.

»Ich war mehrmals dort,« sagte Barwani.

»Suchen wir sie auf. Die Reiter des Radscha können bis hierher vordringen und uns verfolgen.«

»Folge mir, ›Sahib‹. Das Obdach, was ich dir anbiete, ist nicht gerade lustig, aber sicher.«

Sie kehrten zurück, stießen wieder auf ihre Leute und ritten dann nach Osten, dem Abgrund entlang, wo der Fluß rauschte, der sich gegen die Felsen brach.

Die Hochebene schien verlassen, die Reiter des Radscha waren also noch nicht bis hierher vorgedrungen. Wahrscheinlich verfolgten sie Toby und seine Gefährten in einer andern Richtung.

Der Morgen dämmerte, als der Trupp auf ein prächtiges, mit weißen Marmorkuppeln geschmücktes Gebäude stieß, was eine massige, noch sehr gut erhaltene Mauer umzingelte.

»Das ist die Grabstätte der ›Rani‹ von Bansi,« sagte Barwani. »Eine verkleinerte Nachahmung jener des Kaisers Akbar.«

Sie traten durch eine gewaltige Tür ein, indem sie den verrosteten Riegel wegschoben, stiegen ab und banden ihre Pferde an die Bäume, die das Grabmal umgaben.

Wie Barwani gesagt hatte, ähnelte dieses Gebäude, obwohl bedeutend kleiner, vollständig dem berühmten Mausoleum Akbars, was sich in der Nähe Agras erhebt, auf der Straße, die nach Delhi führt.

Es war ebenfalls quadratisch, mit weißen Marmorkuppeln, während alles andere aus rotem, gelbgesprenkeltem Marmor erbaut war.

Breite Terrassen liefen ringsum, zahlreiche Bogenfenster, reich vergoldete Skulpturen und an den Ecken elegante, kannelierte Türmchen aus rötlichem Marmor.

Das Innere des Mausoleums war vollständig rund, mit einer hohen Kuppel überdacht, die mit Gemälden bemalt und mit Mosaik ausgelegt war. In der Mitte stand ein Sarkophag aus schwarzem Marmor, gestützt auf vier Säulen, der zweifellos die Leiche der »Rani« enthielt.

»Hier werden wir sicher sein,« sagte Barwani. »Diese Grabstätte wird nur einmal jährlich besucht, also werden wir nicht gestört werden.«

»Und kann uns als Festung dienen, falls wir angegriffen werden,« bemerkte Sitama. »Es würde genügen, die Tür zu verbarrikadieren und in die Spitze zu steigen.«

Da sie die Vorräte von der Hauda Bangawadys mitgebracht hatten, frühstückten sie und suchten dann einen Ort, um auszuruhen. Einige »Sâpwallah« wurden in die Umgebung geschickt, um von den Reitern des Radscha nicht überrascht zu werden.

Der Tag verging wider ihr Erwarten ruhig, kein Radschapute hatte sich sehen lassen.

Gegen Abend kamen zwei »Sâpwallah« zurück, die mit dem Auftrag, nach Toby und Indri zu spionieren, abgesandt worden waren.

Sie brachten die Nachricht von der Festnahme des Jägers und seiner Gefährten.

»Da können wir für jetzt ruhig leben,« sagte Dhundia. »Toby und Indri werden zu tun haben, den begangenen Diebstahl von sich abzuwälzen und niemand wird glauben, daß sie ihrerseits wieder beraubt wurden.«

»Und wir erreichen inzwischen ungestört Gondwana,« sagte Sitama. »Sind die Diebe festgenommen, so zieht man die Wachen der Pässe zurück und wir ziehen ruhig als Handelsleute nach Jabalpur oder Damoh.«

»Ich würde ruhig warten, bis die Pässe frei sind.«

»Ich bin ganz deiner Ansicht,« sagte Barwani. »Hier haben wir nichts zu fürchten, während wir jetzt im Paß noch festgenommen werden könnten.«

»Wir lassen Lebensmittel suchen, oder gehen selbst in die Wälder auf die Jagd. An Hirschen fehlt es hier nicht.«

»Was meint Ihr, ›Sahib‹?«

»Gut,« antwortete Dhundia. »Wir haben keine Eile, den ›Kohinoor‹ zu verkaufen.

Wenn jedoch das Tal diese Nacht frei wird, gehen wir. Die Dschungeln und Wälder Gondwanas sind mir lieber, als die Gelände des Radscha. Dort würde ich mich sichrer fühlen.«

Er wurde jedoch in seinen Hoffnungen getäuscht, denn einige »Sâpwallah«, die man ins Tal gesandt hatte, kehrten mit der Nachricht zurück, daß die Mannschaften der beiden Festungen die Flußufer noch besetzt hielten.

Die Banditen legten sich also unter die Säulenhallen des Mausoleums, um einige Stunden zu schlafen. Außerhalb der Ringmauer hatten sie vorsichtshalber einige Wachen aufgestellt.

Die Nacht war fast vergangen, als gegen 4 Uhr Dhundia, Sitama und Barwani von einigen Flintenschüssen aus dem Schlafe gerissen wurden.

Einen Augenblick danach stürzten die Wachen herein und schrien:

»Zu den Waffen! … Die Radschaputen! …«

»Die Soldaten des Radscha!« rief Dhundia erbleichend.

»Wieviele sind es?« fragte Barwani, der viel von seiner sonstigen Ruhe verloren hatte.

»Das wissen wir nicht,« antwortete einer der »Sâpwallah«, »aber sicher sind es viele. Wir sahen zahlreiche Pferde.«

»Sind sie noch weit?« fragte Sitama.

»Kaum eine halbe Meile.«

»Fliehen wir,« sagte Dhundia.

»Fliehen! … Und wohin?« fragte Barwani.

»Hier bleiben ist besser, hier haben wir Schutz vor den Kugeln. Auf freiem Felde könnten wir nicht widerstehen.«

»Versuchen wir, den Paß zu erzwingen.«

»Dann kommen wir zwischen zwei Feuer.«

»Und wenn wir hier bleiben, verlieren wir das Leben und auch den ›Kohinoor‹. Ah! Könnte ich nach Gondwana zu meinen Landsleuten! …«

»Was wolltest du da tun, ›Sahib‹?« fragte Sitama.

»Drei- bis vierhundert Berghirten anwerben und hierher kommen.«

»Ein oder zwei Leute könnten meiner Ansicht nach unbemerkt über den Paß kommen, wenn sie etwas durchtrieben sind.«

»Willst du's versuchen, ›Sahib‹? Einige Tage werden wir Stand halten können.«

»Und der ›Kohinoor‹?«

»Den würdest du hier lassen, unter unsrer Aufsicht.«

»Um ihn dir entreißen zu lassen?«

»Hab' keine Furcht, ›Sahib‹ denn wenn es nötig wäre, würde ich mich mitsamt dem ›Lichtberg‹ begraben lassen. Du weißt, ich bin Fakir.«

»Du bist mißtrauisch,« sagte Dhundia.

»Nein, ›Sahib‹, ich bin nur vorsichtig. Du könntest vergessen, mit deinen Berghirten zurückzukehren.«

Dhundia warf einen tückischen Blick auf den Fakir.

»Werde ich noch zur Zeit kommen?« fragte er dann.

»Ich hoffe es.«

»Wenn es mir gelingt, die Grenze zu überschreiten, werde ich in spätestens fünfzehn Stunden mit meinen Berghirten hier sein.«

»Und ich lasse mich lebend begraben, damit uns der Diamant nicht genommen wird.«

»An welchem Ort? Das möchte ich vor meiner Abreise wissen.«

»Vor dem östlichen Turm, unter jener Tamarinde, die du schon gesehen hast.«

»Schwörst du mir, dich nicht fangen zu lassen?«

»Bei Siwa, meinem Beschützer.«

»Gib mir einen vertrauten Mann, der den Weg kennt.«

Sitama suchte unter den »Sâpwallah«, die eben die Tür mit gewaltigen Steinen verbarrikadierten, und kam bald darauf mit einem Gaukler zurück, so groß wie Barwani, aber beängstigend mager.

»Du führst den ›Sahib‹ über den Paß,« sagte er, indem er auf Dhundia wies. »Du hast unsre Rettung und den ›Lichtberg‹ in deiner Hand.«

»Ich werde ihn hindurchführen, ohne daß es die Festungswächter merken,« antwortete der Indier.

»Reitet fort: ich höre schon den Galopp der Radschaputen.«

»Werdet ihr bis zu meiner Rückkehr aushalten?« fragte Dhundia.

»Wir hoffen es,« antwortete Sitama.

»Und werdet den ›Kohinoor‹ nicht hergeben?«

»Er gilt mehr als unsre Freiheit.«

»Also, lebt wohl.«

Dhundia und der Gaukler sprangen auf die besten Pferde der Truppe, spornten sie an und verschwanden.

Man hörte verschiedene Schüsse, dann entfernte sich der Galopp nach dem Senartal und verstummte bald.

»Zu den Waffen!« rief Barwani, als er nichts mehr hörte. »Die Mauern sind stark, wir können lange standhalten.«

»Und Lebensmittel?« sagte Sitama.

»Wir werden unsre Pferde essen. Da sind schon die Radschaputen und bereiten sich zur Umzingelung vor.«

»Ah! … Bei hunderttausend Schlangen! …«

»Was hast du, Barwani?«

»Ich möchte schwören, daß sich unter den Radschaputen ein weißer Mann befindet.«

»Du kannst ihn unmöglich erkannt haben.«

»Ich habe auf englisch schreien hören: Feuer!«

»Ob es der weiße Jäger ist?« fragte Sitama mit halb erstickter Stimme. »Wenn er's ist, sind wir verloren!«

In jenem Augenblick zerriß eine Gewehrsalve die Finsternis und einige Kugeln pfiffen über die Mauern, unter denen sich die »Sâpwallah« und Gaukler verborgen hielten.

Barwani hatte einen Wutschrei ausgestoßen.

Im Lichte der aufblitzenden Schüsse hatte er unter den Reitern des Radscha Toby, Indri und Bhandara erkannt.

Nachdem die Radschaputen jene Ladung wahrscheinlich nur abgegeben hatten, um sich zu vergewissern, ob sich die Diebe des »Kohinoor« in der Grabstätte der »Rani« befänden, zerstreuten sie sich in der Ebene und bildeten einen weiten Kreis, so daß den Belagerten eine Flucht unmöglich wurde.

Sie hatten ihre Pferde ins hohe Gras legen lassen, um sich den Schüssen der »Sâpwallah« nicht zu sehr auszusetzen und sich dahinter versteckt, indem sie die Karabiner auf die Sättel auflegten.

Als Sitama und Barwani Toby und Indri an der Spitze jener Reiter sahen, waren sie wie vom Schlage getroffen. Wie konnten sie frei sein, während man sie in den Gefängnissen Pannahs glaubte, um unter dem Schwerte des Henkers des Radscha den Kopf zu verlieren?

Das war für die Schurken ein völliges Rätsel.

»Unmöglich kann sie der Radscha begnadigt haben!« hatte Barwani ausgerufen.

»Und doch sind jene Reiter Soldaten des Radscha,« antwortete Sitama. »Ich kenne sie zu gut, um mich zu täuschen.«

»Was wird da im ›Bengalow‹ geschehen sein?«

»Das werden wir wohl nie erfahren, denn wir kommen nicht lebend von hier. Toby und Indri werden uns nicht verschonen.«

»Davon bin ich auch überzeugt.«

»Und die Flucht wird uns nicht mehr möglich sein, Barwani.«

Ein Fluch kam von den Lippen des Riesen.

»Gefangen!« … rief er mit rauher Stimme. »Gefangen, jetzt, wo wir den ›Kohinoor‹ in unsern Händen haben! … Darein kann ich mich nicht fügen! …«

»Den ›Kohinoor‹ werden sie nicht bekommen.«

»Kommst du auf deine erste Idee zurück?«

»Ja, Barwani, ich lasse mich lebend begraben und nehme den Diamanten mit. Verschwinde ich, so werden Toby und Indri glauben, daß es mir gelungen ist, mit dem ›Lichtberg‹ zu fliehen und werden vielleicht nichts mehr gegen uns unternehmen. Du kannst ihnen dann etwas erzählen, was dir deine Phantasie eingibt.«

»Ja,« sagte der Riese, indem er wieder Mut bekam. »Wir werden sie noch an der Nase herumführen.«

»Laß das Grab herrichten,« sagte Sitama. »Die Radschaputen könnten die Grabstätte stürmen und dann würde dir die Zeit fehlen, mich zu beerdigen.«

»Wie lange wirst du's aushalten können?«

»Bis zu vierzig Tagen.«

»Bist du sicher, wieder aufzuerstehen?«

»Zweimal habe ich die Probe schon gemacht, und wie du siehst, lebe ich noch,« antwortete Sitama. »Weißt du, was du zu tun hast?«

»Ich weiß, Sitama,« sagte Barwani. »Ich habe einmal schon einem Fakir geholfen. Vorher gib mir jedoch deine letzten Befehle.«

»Du hältst dem Ansturme der Radschaputen solange Stand, wie du kannst, um auf die von Dhundia versprochenen Hilfstruppen zu warten.«

»Wird er wiederkommen?«

»Der ›Lichtberg‹ ist in unsrer Hand, ihm liegt zuviel daran, ihn nicht zu verlieren.«

»Und wenn wir gezwungen wären, vor Ankunft der Berghirten das Feld zu räumen?« fragte Barwani.

»Ich und Dhundia werden später versuchen, dich zu retten. Wenn man Millionen besitzt, ist es nicht schwer, die Gefängniswärter zu bestechen, zumal die unsern.«

»Ich vertraue dir … doch, gib acht, Sitama! … Wenn du und Dhundia uns hintergeht, so werdet ihr nirgends Ruhe haben, denn früher oder später würden uns die Dakoiten rächen.«

»Ich weiß, wie mächtig unsre Verbindung ist und weiß, wie sie die Verräter bestraft.«

»Verlieren wir keine Zeit, Barwani; laß das Grab schaufeln, während ich meine Vorbereitungen treffe.«

»Wo sollen wir dich begraben?«

»An dem Orte, den ich Dhundia bezeichnet habe. Laß mich jetzt allein und daß keiner Geräusch macht.«

Er trat in das vom Monde beleuchtete Mausoleum, der durch die breiten Fenster unter der Kuppel eindrang, riß einen schweren Teppich von der Wand, breitete ihn auf dem Boden aus und legte sich darauf.

»Jetzt reinigen wir uns den Magen und untersuchen die Elastizität der Zunge,« sagte er.

Er schnitt von seinem Turban einen Streifen feiner Leinwand, womit der rote Stoff unterlegt war, begann ihn zu kauen und schluckte ihn dann nicht ohne Anstrengung hinunter, indem er das eine Ende mit den Zähnen festhielt.

Als er glaubte, daß der Streifen bis zum Magen hinunter wäre, zog er ihn rasch zurück, um dasselbe Experiment noch dreimal zu wiederholen.

Hierauf versuchte er die Zunge in einer Weise zu biegen, daß deren Spitze die Luftröhre verstopfte. Befriedigt mit jenem Ergebnis, entkleidete er sich teilweise, legte sich auf den Rücken und hielt die Augen fest auf die Nasenspitze gerichtet, in Erwartung der magnetischen Katalepsie.

So verharrte er einige Minuten, indem er den Atem zurückhielt, bis er plötzlich hinsank.

Seine Augen waren geschlossen, seine Glieder starr.

Jeder, der ihn gesehen hätte, hätte den Fakir für tot gehalten, denn seine Brust hob sich nicht mehr, kein Hauch kam über seine Lippen.

Kaum war er zurückgefallen, als Barwani mit vier »Sâpwallah« eintrat.

Aufmerksam betrachtete er den starr gewordenen Fakir, legte ihm die Hand auf die Lippen, um sich zu versichern, daß er nicht mehr atme und stopfte ihm dann mit zwei mit Wachs eingefetteten Leinwandkügelchen sorgfältig die Nasenlöcher zu.

»So könnten wir ihn begraben,« sagte er. »Der ›Lichtberg‹ ist in seinem Gürtel versteckt.«

Er knüpfte die vier Ecken des Teppichs über Sitamas Körper zusammen und gab dann den »Sâpwallah« ein Zeichen.

Diese hoben den Fakir vorsichtig empor und trugen ihn zum östlichen Türmchen, wo unter einer großen Tamarinde ein zwei Meter tiefes Loch gegraben worden war.

Der Körper wurde hinabgelassen, mit Stoffen und Ästen bedeckt, damit die Erde nicht zu sehr drücken konnte und das Loch dann mit Grasschollen gefüllt.

Als der Boden wieder geebnet und alle Spuren sorgfältig verwischt worden waren, nahm Barwani den Karabiner von den Schultern und sagte:

»Und jetzt kämpfen wir gegen die Radschaputen.«


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