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Viertes Kapitel.
Ein furchtbares Ringen.

Beim ersten Morgengrauen war der Elefant schon bereit, seinen Marsch durch die Hochebene von Pannah fortzusetzen. Seine Brotlaibe und ein mächtiges Bündel Laub, was ihm der »Kornak« in der Nähe der »Kalam« geschnitten hatte, war schon verschlungen und sechs Eimer Wasser geleert.

Indri und Dhundia ließen nach einem kleinen Imbiß, der aus Tee und Zwieback bestand, das Zelt abbrechen und stiegen wieder in die »Hauda«, entschlossen, einen langen Marsch zu machen und auch den zweiten Panther zu jagen.

Das Fell des ersten, das der »Kornak« schon abgezogen hatte, prangte auf dem Rücken des Dickhäuters, wie eine Drohung für anderes Raubzeug.

»Vorwärts,« befahl Indri. »Erst an Tobys ›Bengalow‹ werden wir wieder Halt machen.«

»Wenn wir dem Jäger nicht eher begegnen,« sagte Dhundia.

»Schon möglich,« versetzte Indri.

Der Elefant hatte sich in Marsch gesetzt, indem er mit seiner Gegenwart und seinen Trompetenstößen das Wild aufscheuchte, was sich in den »Kalam« versteckt hielt.

Jeden Augenblick sah man »Axis«-Rudel, graziöse, bewegliche, in Indien sehr häufige Antilopen, die blitzartig über die Ebene sprangen; oder »Nilgo«, eine Hirschart, die auch blaue Ochsen genannt werden, mit grauem Mantel, langem, pferdeähnlichem Kopf und großen, spitzen Hörnern, mit denen sie sich wütend verteidigen.

Zuweilen erhoben sich Schwärme großer Vögel fast unter den Füßen des Elefanten. Es waren Papageien der verschiedensten Art und Schwätzer, wie ihre Brüder in Amerika; oder auch Turteltäubchen, oder Feldhühner. Auch vereinzelte, prächtige Pfauen, das indische Symbol der Göttin Sarasvati, der Beschützerin der Ehe und der Geburten, weswegen sie fast heilig gehalten werden, flogen kreischend auf.

Weder Indri noch Dhundia kümmerten sich groß um jenes Wild, was ihnen doch ein vorzügliches Frühstück geliefert hätte. Ihre ganze Aufmerksamkeit war auf den zweiten Panther gerichtet, der, ihrer Ansicht nach, nicht weit sein konnte.

Von der »Hauda« herab spähten sie nach den Wipfeln der »Mindi«, Tamarinden, Platanen und Mangieren, Bäume, die man überall in jenen Gegenden trifft; aber es gelang ihnen nicht, das Raubtier zu entdecken.

Nach Durchbruch der hinderlichen »Kalam«, hatte sich der Elefant mitten in einen dichten Wald geworfen, der aus »Palas«-Gruppen bestand, prachtvolle Bäume mit knotigem Stamm und glänzenden, sammetartigen Blättern von bläulich-grüner Färbung, die gewaltige, lebhaft rote Trauben bergen, aus denen man eine Art Farbpulver gewinnt, was von den Indiern vielfach verwandt wird.

Er rückte jedoch nur zögernd vor und gab deutliche Zeichen von Unruhe, die selbst durch die sanften Worte des »Kornak« nicht verscheucht werden konnte.

Auch Indri hatte die Erregung des Dickhäuters wahrgenommen, daher sagte er zu Dhundia:

»Bangawady wittert etwas.«

»In diesem Walde wird es viel Schlangen geben,« hatte der Scheik geantwortet, ohne eine Miene zu verziehen.

Gerade in dem Augenblick blieb der Elefant plötzlich stehen und wich einige Schritte zurück.

»Herr,« sagte der »Kornak«. »Haltet die Waffen bereit.«

»Schon wieder der Panther?« fragte Indri.

»Ich rieche ihn.«

Da durchzitterte ein wilder Schrei die Luft, gefolgt von einem wütenden Zischen.

Indri und Dhundia hatten sich über die »Hauda« gebeugt und zu den Karabinern gegriffen.

Zwanzig Schritte vor ihnen, am Fuße eines »Palas«, war plötzlich der Panther aufgetaucht, vielleicht derselbe, der den Dakoiten zerrissen hatte. Aber er war nicht mehr frei.

Ein gewaltiger, enorm langer Körper hatte ihn umwickelt, indem er sich wütend schlängelte und zischte.

Es war eine getigerte Riesenschlange, ein prächtiges Tier von blaugrüner Farbe mit unregelmäßigen Ringen, fast fünf Meter lang und dick wie ein Mannesschenkel.

Das Reptil, eins der furchtbarsten dieser Gattung, hatte wahrscheinlich den Panther überrascht, während er auf der Lauer lag, um sich auf den Elefanten zu stürzen, hatte ihn mit seinen mächtigen Ringen gepackt und versuchte nun, ihm die Luft abzudrücken und die Rippen zu zermalmen.

Vielleicht hatte sie sich mit dem Schwanze an einem oberen Ast festgehalten und war auf das Raubtier gestürzt, bevor dieses ihre Gegenwart überhaupt wahrnehmen konnte.

Wie es auch sei, der Panther war gefangen und es war ihm absolut unmöglich, sich aus jenen Ringen zu befreien, die eine unglaubliche Widerstandskraft besaßen.

Der Gegner war nicht zu unterschätzen, denn diese Art Schlangen besitzen eine ganz außerordentliche Kraft. Was sie einmal gepackt haben, lassen sie nicht wieder los und zögern nicht, auch Raubtiere anzugreifen, wenn sie der Hunger quält.

Selbst schwer verwundet, lassen sie die Beute nicht, die sie umschlingen.

Man erinnert sich sogar, daß eines Tages, ebenfalls in Indien, eines jener Ungeheuer ein Kind angriff, was die Eltern, mit der Reisernte beschäftigt, allein in ihrer Hütte zurückgelassen hatten.

Als sie das Kleine schreien hörten, eilten sie herbei und fanden die Riesenschlange damit beschäftigt, wie sie es langsam, noch lebend, hinterschluckte.

Der Vater, verzweifelt, stürzte sich mit der Axt auf sie und schlug sie glatt mitten durch. Nun, könnt ihr's glauben? Obwohl die Schlange so verstümmelt war, ließ sie die Beute noch nicht locker und hielt sie solange in ihren Windungen, bis nur noch ein Klumpen Fleisches und zermalmter Knochen übrig blieb.

Der Panther, dem die Luft ausging, schlug wütend um sich und stieß ein furchtbares Geschrei hervor. Seine Stahlkrallen zerfleischten das Reptil, aber dieses löste die Ringe nicht und besudelte ihn mit Blut und dem klebrigen Geifer seiner gespalteten Zunge.

Sie zischte wütend und warf sprühende Blicke auf den Panther, wand den Schwanz und peitschte das Dickicht; hob und senkte den Kopf, indem sie ihrerseits versuchte, mit ihren langen, drüsenlosen Zähnen zu beißen, denn diese Reptile sind nicht giftig.

Weder sie noch der Panther schien die Gegenwart Bangawadys bemerkt zu haben, so rasend waren sie. Indri und seine Gefährten wohnten jenem schrecklichen Schauspiele bei, ohne zu sprechen, ohne von den Waffen Gebrauch zu machen, denn sie sahen voraus, daß keiner jener gewaltigen Feinde als Sieger hervorgehen würde.

Trotz seiner außerordentlichen Kraft, erschöpfte sich der Panther immer mehr. Er röchelte unter den Windungen, die von einem Augenblick zum andern schrecklicher wurden und seine vor Wut und Angst weit aufgerissenen Augen schienen aus den Höhlen hervorzuspringen.

Jedoch auch die Riesenschlange, obwohl sie ihre Pressungen noch fortsetzte, war nicht mehr imstande, den Ringkampf mit dem Könige der Dschungel noch lange auszuhalten.

Das Blut floß ihr aus vielen Wunden und ihre Haut, an vielen Stellen von den Krallen des Raubtiers zerrissen, hing in Fetzen herunter.

Ihr Schwanz bewegte sich nur noch zuweilen und ihr Kopf verharrte unbeweglich in der Höhe von einem halben Meter. Nur ihre Augen starrten fortgesetzt auf den Gegner, als wenn sie ihn verzaubern wollte.

Da stieß der Panther einen letzten Schrei aus, dann hörte man ein Krachen, wie von zermalmten Knochen. Die Rippen und das Rückgrat hatten endlich den gewaltigen Windungen nachgeben müssen und der Panther war tot.

Fast gleichzeitig fiel auch die Schlange, völlig verblutet, unter krampfhaften Zuckungen zu Boden, ohne jedoch die Ringe von ihrer Beute zu lösen.

»Ein magerer Sieg,« sagte Indri, indem er zuerst das Schweigen unterbrach.

»Auch mit der Schlange geht's rasch zu Ende.«

»Lassen wir sie von Bangawady zertreten,« sagte Dhundia.

»Das ist unnütz; sie bewegt sich nicht mehr. Der ›Kornak‹ mag absteigen und das Pantherfell holen. So werden wir im Triumphe in Pannah einziehen und diese beiden Felle werden unsere Tüchtigkeit und unseren Beruf bestätigen.«

Der »Kornak« ließ sich zur Erde gleiten.

Mit einem langen Messer zerschnitt er das Reptil in verschiedene Stücke, um den Panther aus den furchtbaren Windungen zu befreien; dann machte er sich ans Werk.

In einer halben Stunde hatte er das Fell abgezogen, was sofort auf dem Rücken des Elefanten angebracht wurde, damit es in der Sonne trocknen konnte.

Bangawady hatte sich, nach jenem kurzen Aufenthalte, den er dazu ausnützte, um die nächsten Bäume zu plündern, eiligst in Marsch gesetzt, um die verlorene Zeit wieder einzuholen.

Der Wald, der nicht sehr dicht war, gestattete ihm, ein rasches Tempo einzuhalten. Versperrte ihm eine niedrige Baumkrone den Weg, so schob er sie mit dem Rüssel beiseite, hingen einige Äste so tief, daß sie Indri oder Dhundia im Wege waren, so beeilte er sich, sie abzubrechen.

Fand er Fruchtbäume, so pflückte er, ohne langsamer zu schreiten, die Bananen und Manghen und reichte sie geschickt dem »Kornak«, der sie für das Frühstück aufhob.

Die wirkliche Hochebene erreichten sie gegen zehn Uhr. Der Dickhäuter konnte also schneller vorwärts schreiten, da er nicht mehr zu steigen brauchte.

Eine gewaltige Ebene streckte sich vor den Reisenden aus, im Hintergrunde prächtiges Gebirge; die ersten Ausläufer der großen Hochebene Zentralindiens und der Ghati, die terrassenförmig in gewaltigen Linien ansteigen.

Düstre, dunkelgrüne Wälder bedeckten überall die steilen Abschüsse, die Schluchten und enormen Spalten des tiefen Keyntales, oder zogen sich auf der wundervollen Kajrahaebene hin.

Es waren Platanen, kleine »Tek«, riesige »Mhowah«, Tannen, »Sâl«, großblättrige Bananen und Gummibäume.

Den Tälern entlang, am Rande der Schluchten, tauchten, halb unter Bäumen versteckt, kleine Hütten und »Hudi« auf, kleine Bergfestungen, die als Raststätte und Lager dienen und meistens am Eingange der Engpässe stehen.

Die Hochebene selbst schien jedoch öde, wenigstens da, wo der Elefant lief. Man sah nichts, als Affentrupps, die von den Indiern »Manga« genannt werden. Sie sind einen halben Meter hoch, haben einen sehr langen Schwanz, schmächtigen Körper und eingesunkenes Gesicht. Ihr Fell ist auf dem Kopfe, wo es eine Art Mütze bildet, grünlichgrau, rotbraun auf den Schultern, weiß am Leibe und schwarz auf Händen und Ohren.

Es sind die frechsten und bösartigsten Affen, die man sich denken kann und setzen die Geduld der Ackerbauer auf harte Probe, indem sie die Pflanzungen und Felder plündern.

Trotzdem werden sie aber von den Indiern heilig gehalten und genießen vollständige Straflosigkeit.

Ihre Kühnheit geht so weit, daß sie selbst in die Wohnungen eindringen und unter den Augen der Eigentümer alles stehlen, die sie nicht zu verjagen wagen! – – –

Nachdem Bangawady etwa sechs Meilen zurückgelegt hatte, machte er gegen Mittag unter einem Dschakierenwalde Halt, Bäume, die gelbliche, wohlriechende Früchte hervorbringen, die zwanzig Pfund wiegen und nicht an den Ästen hängen, sondern aus dem Stamme herauskommen.

Auf zweihundert Meter Entfernung, am Ufer eines kleinen Weihers, erhob sich ein elegantes, einstöckiges Haus aus Holz, mit einem pyramidenförmigen Dache, auf dem eine kleine, englische Fahne flatterte.

Ringsum ging, von Holzsäulen gestützt, eine Galerie; die »Varanga«, die mit Kokosmatten behangen war. Zu beiden Seiten der Wohnung streckten sich geräumige Stallungen aus, die von einem Gitter umgeben waren.

Ein Panther- und zwei »Ascis«-Felle hingen von der »Varanga« herab; man erkannte sofort, daß hier ein Jäger wohnte.

»Wir sind am Ziele,« sagte Indri. »Wird Toby zu Haus sein, oder die Spuren irgend eines Raubtieres verfolgen?«

Der Elefant stieß einen Trompetenstoß aus, dem sofort das Gebell verschiedener Hunde antwortete.

»Steigen wir ab,« sagte Indri. »Wenn die Hunde da sind, wird auch Toby hier sein.«

Er warf die Strickleiter und glitt auf die Erde, hinter ihm Dhundia.

In jenem Augenblick hatte sich die Tür des »Bengalow« geöffnet, und ein in weiße Leinwand gekleideter Mann, mit einem großen Strohhut auf dem Kopfe, war auf der Stufe erschienen, indem er ausrief:

»Wen sehe ich da! – – – Indri! – – –«

Jener Mann war ein Europäer von etwa vierzig Jahren, äußerst kräftig und über mittelgroß.

Seine Haut war fast bronzefarben; Haare und Bart jedoch noch blond, ohne einen Silberfaden.

Seine blauen Augen, die sich auf den Indier richteten, drückten die lebhafteste Verwunderung aus.

»Indri! – – –« wiederholte er.

»Jawohl, ich bin's, Toby,« antwortete der Indier, indem er ihm eiligst entgegenschritt und die Hand ausstreckte. »Du hast sicher meinen Besuch nicht erwartet.«

»Auf Ehre, nein. Ich glaubte dich in Baroda, bei deinem mächtigen Herrn, damit beschäftigt, irgend so einen ungeheuerlichen Kampf zwischen Tiger und Elefanten zu veranstalten. Da muß etwas Ernstes dahinterstecken, jene Hochebene zu ersteigen, auf der sich selbst die besten Dickhäuter die Beine brechen.«

»Ja, die Sache ist wirklich ernst,« antwortete Indri mit einem Seufzer.

Der Europäer schaute ihn unruhig an.

»Welches Mißgeschick kann den Favoriten des ›Guicowar‹, des geachtetsten Kriegers von Baroda, betroffen haben?« fragte er.

»Du sollst es später erfahren, Freund; hier ist kein geeigneter Ort, um davon zu reden.«

»Bei allen Göttern Indiens, du hast recht. Treten wir in den ›Bengalow‹, wo uns das Frühstück erwartet und – – – – Wer ist jener Indier, der dir folgt?« fragte er, indem er stehen blieb.

»Ein Mann, den mir der ›Guicowar‹ mitgegeben hat.«

»Freund oder Feind?«

»Lies in seiner Seele, wenn du es vermagst.«

»Sein Gesicht will mir nicht allzu sehr gefallen.«

»Empfange ihn als Freund,« murmelte Indri.

»Wie du willst: treten wir ein.«


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