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Dreizehntes Kapitel.
Der zweite »Menschenfresser«.

Als sie das Lager erreichten, brannte das Feuer noch um den »Ruth« herum. Die »Schikari« waren über die lange Abwesenheit der Jäger und wegen der beiden Karabinerschüsse sehr beunruhigt und hielten, mit der Flinte in der Hand, Wache.

Als sie die Jäger mit dem toten »Menschenfresser« zurückkommen sahen, waren sie außer sich vor Freude, denn jenes gefährliche Raubtier, das schon so viele Opfer gefordert hatte, wurde von allen Indiern Pannahs für unbesiegbar gehalten.

Die »Schikari« stürzten über die Bestie her und überschütteten sie mit Verwünschungen und Drohungen. Jetzt, wo sie tot war, hatten sie Mut genug, ihr gegenüberzutreten.

»Laßt sie in Frieden,« sagte Toby. »Jetzt frißt sie niemanden mehr, ihr könnt euren Mut für ein andermal aufheben. Das hat keinen Zweck, wenn ihr das Fell zerstört.«

Kaum hörten sie aber von einem andern »Menschenfresser« sprechen, so zitterten die Beine jener Helden und mit ihrem Mute war's plötzlich aus.

Es wäre unklug, den toten Tiger zu beschimpfen, während sein Gefährte noch lebte.

»Noch einer!« riefen sie erbleichend aus. »Habt ihr ihn wirklich gesehen, ›Sahib‹?«

»Mit eigenen Augen,« antwortete Toby. »Hatte keiner vermutet, daß es zwei Tiger wären?«

»Nein, ›Sahib‹,« antwortete der Anführer der »Schikari«. »Man glaubte, daß es nur einer wäre! – – –«

»Dann werden wir uns die doppelte Prämie verdienen.«

»Wollt ihr auch den andern töten?«

»Wir haben versprochen, die Minen von den ›Menschenfressern‹ zu befreien, die die Bergleute an der Arbeit hinderten, und werden Wort halten.«

»Dieser Mut!« rief einer der »Schikari«, indem er den Jäger verwundert anschaute. »Wir werden euch einen Triumpheinzug in Pannah bereiten.«

»Laßt die Triumphe und die Einzüge. Macht lieber die Betten zurecht.«

»Sie sind fertig, ›Sahib‹.«

»Im Wagen?« fragte Indri.

»Ja, ›Sahib‹.«

»Gehen wir schlafen,« sagte Toby. »Morgen sehen wir die Fallen nach und machen einen zweiten Hinterhalt zurecht.«

»Und wird uns der Gefährte des toten Tigers nicht überfallen?« fragte der »Schikari« mit unsicherer Stimme.

»Wenn du ihn siehst, nimmst du dein Gewehr und erschießt ihn,« antwortete Toby ironisch. »Ihr habt ja keine Furcht, vor kurzem sagtet ihr es noch zum toten Tiger.«

Sie stiegen in den Wagen, wo die »Schikari« kleine Matratzen ausgebreitet hatten und schliefen ein, während die Indier, noch mehr erschreckt als zuvor, die Feuer schürten, um den Gefährten des schrecklichen »Menschenfressers« fernzuhalten.

Zu ihrem Glücke wagte sich der zweite Tiger nicht hervor, so daß die Nacht ohne Alarm verging.

Nur gegen Morgen begann ein harmloses Konzert, das von einem Rudel Schakale ausgeführt wurde und mit Sonnenaufgang endete.

Als Toby und seine Gefährten aufwachten, hatten die »Schikari« dem Tiger schon sein wunderbares Fell abgezogen und über vier Bambus ausgespannt, damit es sich nicht zusammenrollen konnte.

»Prächtig,« sagte Indri. »Ich habe nie ein ähnlich schönes gesehen.«

»Es war ein Prachttier,« antwortete Toby, nicht ohne freudige Genugtuung. »Es wird sich in den Sälen des Radscha gut ausnehmen.«

»Schenken wir es ihm?«

»Zehntausend Rupien ist das Fell schon wert,« sagte der Jäger. »Er hat ein Recht darauf.«

»Wenn das andre auch so schön ist, senden wir es dem ›Guicowar‹.«

»Wir haben es noch nicht, Indri,« sagte Toby lachend.

»Du läßt dir's sicher nicht entgehen.«

»Wenn wir sein Versteck ausfindig machen könnten!«

»Würdest du ihm auflauern?«

»Ich würde mir in seiner Nähe einen Hinterhalt zurechtmachen.«

»Abermals ein Gerüst?«

»Nein, Indri; wir würden ihn in einer Vertiefung erwarten. Der Tiger wird mißtrauisch geworden sein und sich an keine Plattform mehr wagen.

Die Tiger sind schlauer, als du glaubst, und lassen sich nicht zweimal täuschen.«

»Wenn wir nun Fallen stellen würden?«

»Hm! Die ›Menschenfresser‹ sind keine Neulinge, um sich auf die Art fangen zu lassen.

Die ›Schikari‹ sagten mir, daß man drei oder vier in diesem Walde gestellt hätte, und kein Tiger ist hineingegangen.«

»Untersuchen wir sie, Toby; man kann's manchmal nicht wissen. Als der Tiger floh, kann er in eins jener Löcher gefallen sein.«

»Ja, nach dem Frühstück werden wir einen Streifzug durch den Wald unternehmen und auch nach einem geeigneten Hinterhalt sehen.«

Die »Schikari«, die vom Verwalter des Radscha mit hinreichenden Lebensmitteln versehen waren, damit den Jägern nichts fehlen sollte, bereiteten schnell das Mahl und fügten wohlriechende Bananen und vorzüglich schmeckende Ananas hinzu, die sie im Walde gepflückt hatten.

Toby und seine Gefährten, denen es nicht an Appetit fehlte, zumal bei jener frischen Luft, die auf dieser immensen Hochebene wehte, sprachen dem Frühstück tüchtig zu, was im Schatten einer majestätischen Tamarinde bereitgestellt war.

Es war zehn Uhr, als sie zu dem verabredeten Waldausfluge aufbrachen. Einer der »Schikari« hatte sich zur Begleitung angeboten, da er wußte, wo die Fallen gestellt waren.

»Ich hoffe, daß du keine Furcht haben wirst,« sagte Toby scherzend.

»Mit Euch nicht, ›Sahib‹,« antwortete der Indier. »Wenn die ›Bâg‹ sich blicken läßt, werdet Ihr sie sicher töten.«

»Ich danke dir für die gute Meinung.«

Sie befahlen den Indiern, am Lager zu bleiben und die Ochsen nicht zu weit fortzulassen. Dann brachen sie auf, mit dem Karabiner unter dem Arm.

Ihren ersten Besuch statteten sie der Lichtung ab, da sie sich vergewissern wollten, ob der Tiger zurückgekehrt sei, um die Ziege zu verschlingen, die sein Gefährte getötet hatte.

Als sie dort ankamen, waren von dem armen Tiere nur einige Knochen und Hautstücke übrig geblieben.

Toby untersuchte den Boden, um zu sehen, ob Schakalspuren zu finden waren. Das war nicht schwer festzustellen, da der Boden feucht war; aber er entdeckte keine.

»Der Tiger hat sie gefressen,« sagte er. »Jene Bestie besitzt eine unglaubliche Kühnheit. Eine andre wäre nicht wiedergekommen.«

»Wenn wir das Loch hier graben würden, könnten wir sie wiedersehen,« sagte Indri.

»Einen andern Ort ziehe ich vor,« antwortete Toby. »Auch ist diese Lichtung zu kahl.«

»Ob sich die ›Bâg‹ immer in dieser Umgebung aufhält?«

»Schon möglich, Indri.«

»Wenn wir die Flecken abklopfen würden?«

»Tagsüber läßt sie sich nicht überraschen. Diese Tiere sind zu lichtscheu, du brauchst dich jedoch nicht zu beunruhigen. Wir werden den Tiger schon töten, vielleicht eher, als du glaubst.«

Sie durchschritten die Lichtung und drangen wieder in den Wald, der immer dichter wurde.

In jener Nähe war eine Falle, die die Jäger des Radscha vor einigen Wochen gestellt hatten. Diese wollten sie aufsuchen, obwohl sie sicher waren, sie leer zu finden.

Der »Schikari«, der den Wald kannte, führte sie auf einem schmalen Pfade durch dichtes, meterhohes Gestrüpp und hielt dann vor einer Art Käfig, der halb im Grase versteckt war, was dort unglaublich hoch stand.

»Sie ist leer,« sagte er. »Ich war davon überzeugt.«

»Jene Tiger sind zu schlau, sich so fangen zu lassen,« antwortete Toby. »Das einzige ist Blei.«

Jene Falle war nicht derart, wie sie sonst bei den Indiern der Hochebenen gebräuchlich sind, die sich auf tiefe Gräben beschränken, in deren Boden sie spitze Pfähle anbringen und dann die Köcher mit schwachem Bambus und Grasschollen überdecken.

Sie war viel feiner durchdacht und in einer Weise aufgestellt, daß man den Tiger lebend fangen konnte.

Sie bestand aus einem festen Käfig aus schwerem Holz, dessen Deckel mittelst eines Seiles von einem elastischen Tamarindenaste gehalten wurde.

Darin befand sich eine Antilopenleiche, die nunmehr vollständig in Verwesung übergegangen war und am Boden, teilweise unter Baumästen versteckt, ein Spiegel.

Die Bestien, vom Fleischgeruch angezogen, gehen meistens, ohne lange zu zögern, hinein. Wenn sie dann ihr Ebenbild im Spiegel sehen, glauben sie, daß ihnen ein anderer die Beute streitig machen will, stürzen sich darauf und stoßen gegen das Seil.

Der schwere Deckel schlägt zu und sie sind gefangen.

»Ich sagte ja, daß sie zu durchtrieben sind, um sich so fangen zu lassen,« sagte Toby. »Dieser Platz jedoch scheint mir für einen Hinterhalt sehr geeignet.

Der Geruch, den das Aas ausströmt, muß die beiden Tiger öfter angezogen haben.«

»Graben wir hier das Loch?« fragte Indri.

»Ja,« antwortete Toby. »Ich sehe rundum Gebüsch, was eigens dazu gewachsen scheint, um der ›Bâg‹ als Zufluchtsstätte zu dienen.«

»Und ich vermute, daß ihr Versteck nicht weit ist, ›Sahib‹,« sagte der »Schikari«.

»Woraus schließt du das?« sagte Toby.

»Entfernt euch vom Käfig und prüft die Luft.«

»Ich rieche einen scharfen Fleischgeruch, der von jenem Aas herrührt.«

»Nein, ›Sahib‹, er kommt aus diesem Bambusdickicht da, vor uns. Auch dort befindet sich in Verwesung übergegangenes Fleisch.«

»Der ›Schikar‹ täuscht sich nicht,« sagte Indri. »Der Wind weht von dort und bringt verpestete Ausdünstungen herüber.«

»Ob es die Fraßstätte des ›Menschenfressers‹ ist?« fragte Toby.

»Dann wird dort auch das Versteck der Bestie sein,« sagte Dhundia.

»Sollen wir jenen Flecken untersuchen?« fragte Indri.

»Nein,« antwortete Toby. »Der Tiger könnte merken, daß wir seinen Schlupfwinkel entdeckt haben und davongehen, um sich einen sichereren zu suchen.

Jetzt weiß er, wessen wir fähig sind, und wird mißtrauisch geworden sein, davon bin ich überzeugt.«

»Dann bereiten wir hier den Hinterhalt vor?«

»Ja, Indri, und heute abend werden wir ihn benutzen.«

Der Buschschläger hatte eine Hacke und zwei Schaufeln mitgebracht, um das Loch an dem vom Jäger bezeichneten Orte zu graben.

Er machte sich sofort an die Arbeit und Dhundia half.

Man mußte ein zwei Meter tiefes Loch graben, was wenigstens so breit war, daß die Jäger bequem die Waffen laden und sich frei bewegen konnten, dann wurde es mit Blättern und Ästen bedeckt.

Während Toby und Indri den Flecken überwachten, da der Tiger sich möglicherweise dort befinden konnte, gruben der »Schikari« und Dhundia in weniger als zwei Stunden das Loch und stellten den Hinterhalt fertig.

Nachdem er mit Ästen und Bananenblättern bedeckt und Erde darüber gestreut war, um den Tiger besser zu täuschen, schritten sie zu den beiden Jägern.

»Fertig,« sagte Dhundia.

»Kehren wir zum Lager zurück,« antwortete Toby. »Wir dürfen die Bestie nicht stören.«

Sie durchquerten den Wald wieder, unter prächtigen Fächer-Palmen und Betelnußbäumen, mit 20 Meter langem Stamm, gekrönt mit fußlangen Blättern, und erreichten gegen Mittag das Lager, als die glühenden Sonnenstrahlen für einen längeren Marsch gefährlich werden konnten.

Im Laufe des Tages kam ein Haushofmeister des Radscha mit zehn gutbewaffneten »Schikari« und bat den weißen Jäger um Nachrichten.

Der Radscha, der erfahren hatte, daß Toby nicht in die Hauptstadt zurückgekehrt war und nicht wußte, ob er die Jagd auf die furchtbare Bestie schon begonnen hätte, hatte jenseits der Minen nach ihm suchen lassen.

Als der Haushofmeister den glücklichen Ausgang der ersten Jagd hörte, war er ganz verblüfft.

»Ah! – – – Diese Engländer! –« rief er. »Sie haben vor niemandem Angst und töten immer! – – Der Radscha wird mit diesem unerwarteten Erfolg zufrieden sein.«

»Ihr könnt ihm sogar das Fell überbringen,« sagte Toby. »Wir schenken es Seiner Hoheit.«

»Und wann werdet ihr den andern töten?«

»Heute Abend wollen wir es versuchen.«

»Keiner hat bisher vermutet, daß es zwei ›Menschenfresser‹ wären,« sagte der Haushofmeister. »Wenn es euch gelingt, auch den andern zu töten, wird der Radscha der festgesetzten Summe noch eine Prämie beigeben.«

»Und wir werden sie uns verdienen,« antwortete Toby lächelnd. »Ah! Ich vergaß, euch etwas zu fragen, was mich interessiert.«

»Was, ›Sahib‹?«

»Ist unser ›Kornak‹ zum ›Bengalow‹ zurückgekehrt?«

»Ist er nicht bei euch?« fragte der Haushofmeister erstaunt.

»Wir verließen ihn in Pannah.«

»Er ist nicht wieder gesehen worden.«

Toby und Indri schauten sich unruhig an.

»Ob er dem Fakir noch auf der Spur ist?« fragte der Jäger.

»Oder ob ihn jener geheimnisvolle Mensch, nachdem er sich verfolgt wußte, hat morden lassen? Alles ist in diesem Lande möglich, wo sich die Dakoiten umhertreiben.«

»Ich bin beunruhigt, Indri.«

»Auch ich, Toby.«

»Ich kann es nicht erwarten, nach Pannah zurückzukehren. Dieses geheimnisvolle Gemache ist mir schleierhaft.«

»Vermutest du unangenehme Überraschungen seitens meiner Feinde?«

»Ja, Indri. Parvati ist zu allem fähig und ich habe den Verdacht, daß jener Fakir eins seiner Werkzeuge ist.«

»Aber jetzt müßte er den Radscha von unseren Absichten schon in Kenntnis gesetzt haben.«

»Das ist richtig, trotzdem möchte ich hier alles erledigt haben und weg von hier sein. Indri, beeilen wir uns, ich fühle instinktmäßig, daß uns eine große Gefahr bedroht.«

»Sobald wir den Tiger erlegt haben, handeln wir sofort.«

Sie hielten den Haushofmeister und seine »Schikari« zum Abendessen zurück. Zwei Stunden vor Sonnenuntergang verabschiedeten sie ihn und übergaben ihm das Fell des ersten »Menschenfressers«.

Toby und seine Gefährten trafen ihre Vorbereitungen zur nächtlichen Jagd.

Sie luden die Karabiner von neuem, versahen sich mit Decken, um sich gegen die Feuchtigkeit der Nacht zu schützen, steckten einige Flaschen Bier zu sich und verließen, gerade als der Mond aufging, das Lager, um sich nach der Vertiefung zu begeben.

Kein »Schikari« begleitete sie, da sie jenen Leuten absolut nicht trauten. Sie hatten ihnen sogar befohlen, das Lager nicht zu verlassen, da sie allein jagen wollten.

Da sie nunmehr den Wald kannten, erreichten sie bald die kleine Lichtung und dann das gegrabene Loch, fünfzig Schritte von der Falle.

An den Stamm einer Betelnußpalme, die isoliert dreißig Meter von ihrem Hinterhalt stand, banden sie die zweite Ziege, die sie mitgebracht hatten.

»Das wäre also abermals eine Gelegenheit, um sich von jenem unersättlichen Raubtiere zermalmen zu lassen,« sagte Toby. »Ich hoffe jedoch, mich an ihm zu rächen.«

Sie legten die Decken in die Vertiefung, warfen sich darauf und rückten die Bambusschäfte und Blätter, die sie morgens geschnitten hatten, in der Weise zurecht, daß sie vollständig verdeckt waren.

»Also verschießt eure Schüsse nicht unnütz,« sagte Toby.

»Zielt ruhig und drückt nicht eher ab, bis ihr nicht sicher seid, zu treffen.

Wenn wir den Tiger fehlen, wird er nicht wieder zurückkehren und wir verlieren viele Nächte und vielleicht unnütz.

Vor allen Dingen meine ich Euch, Dhundia.«

»Ich werde nur aus nächster Nähe Feuer geben,« antwortete der Indier.

»Die Karabiner zur Hand und waffnen wir uns mit Geduld.«

Der letzte Sonnenstrahl war seit einer halben Stunde verschwunden und die Finsternis in den Büschen wurde immer dichter.

Das Schweigen begann nach und nach seine Herrschaft. Das Papageiengeschrei war verstummt, nur ein leichtes Rauschen der riesigen Bambus war zu hören, die unter einer frischen Brise schwankten, die aus den nördlichen Gebirgen kam.

Ein dünner Nebel stieg langsam auf, legte sich auf die Baumäste und verwandelte sich dann in kleine Tropfen, die mit monotonem Geräusch auf die tieferliegenden Büsche fielen.

Die drei Jäger, unbeweglich wie Statuen, das Gesicht an die Bambusäste angelehnt, die sie bedeckten, die Finger am Karabinerhahn, spähten nach dem Flecken, in dessen Mitte sie das Versteck des Raubtiers vermuteten.

Keiner flüsterte. Nur die Ziege meckerte aus Angst jämmerlich und lief um den Betelnußbaum, soweit es der Strick erlaubte.

Eine halbe Stunde war vergangen, der Mond stand schon am Himmel, als sich der Wald, der bisher verlassen und schweigsam dalag, zu beleben schien.

Mitten aus den Bambus und den Gebüschen drangen seltsame Geräusche, geheimnisvolles Rauschen, dumpfes Knurren, Flüstern, wie unterdrückte Seufzer, während undeutliche Schatten unter den Baumstämmen huschten.

»Hier, in der Umgebung, muß eine Quelle sein,« murmelte Toby. »Die Tiere gehen zur Tränke.«

Kurz vor dem Hinterhalt kam ein »Ascis« vorbei, graziöse, harmlose Tiere, die unsern Dammhirschen ähnlich sehen, mit braunem, weißgesprenkeltem Fell; ferner nahten vorsichtig, argwöhnisch und behutsam einige »Nilgo«, eine hirschähnliche Antilopenabart von gewandtem Bau, blaugrauem Mantel und zwei spitzen Hörnern auf dem Kopf.

Dann tauchte einer jener kleinen Panther auf, die die Indier »Tcite« nennen, elegante, sehr blutdürstige Tiere, die sich jedoch leicht zähmen und gut für die Jagd verwenden lassen.

Diesem folgte ein Rudel »Bighana«, eine Art Wölfe, über einen halben Meter hoch, mit rötlich braunem oder rötlich grauem Fell, mutige Tiere, die auch den Menschen angreifen, wenn sie der Hunger treibt.

Die Geräusche wurden immer lauter, immer neue Tiere drangen aus dem Dickicht, aber jenes rauhe Knurren, was die Tiger hervorbringen, wenn sie die Höhlen verlassen, hörten die Jäger noch nicht.

Vielleicht hatte das Raubtier sein Versteck noch nicht verlassen, um seine Jagdbeute zu suchen.

»Er läßt auf sich warten,« sagte Indri.

»Er wird schon kommen,« antwortete Toby. »Dieser Waldteil wird viel von Antilopen aufgesucht und der Tiger wird es nicht versäumen, sein Opfer oder vielmehr seine Opfer zu wählen, denn mit einem gibt er sich nie zufrieden.

Man könnte meinen, daß sie nur zum Zerstören geboren sind, mit ihrer blinden, unersättlichen Wut.

Wenn hier soviele Tiere sind, wird die ›Bâg‹ auch ihre Streifzüge machen.«

»Es täte mir leid, wenn sie sich nicht zeigen würde.«

»Ich sage dir, daß wir morgen unsern Triumpheinzug in Pannah machen werden.«

Abermals war eine Stunde vergeblicher Erwartung vergangen, als Toby, der die Äste ein wenig beiseite geschoben hatte, um frische Luft zu genießen, ein leises Knurren hörte, was von der Falle herüberkam.

»Achtung, Freunde,« sagte er. »Der Tiger scheint sein Versteck verlassen zu haben.«

Er hob den Kopf und schaute nach der Falle. Der Nebel hatte sich zerstreut und der Mond beleuchtete prächtig jenen Waldsaum.

Wenn sich dort ein Tier gezeigt hätte, so wäre es den Blicken des Jägers sicher nicht entgangen.

»Ich sehe ihn noch nicht, aber ich rieche ihn,« sagte Toby. »Die Luft ist von jenem Wildgeruch durchdrungen.«

»Ob er sich versteckt hat?« fragte Indri.

»Er wird auf eine Antilope lauern und sich dann zeigen.«

»Die Ziege meckert nicht mehr.«

»Sie hat das Raubtier gewittert.«

»Da! – Schaut!« rief Dhundia. »Seht ihr ihn?«

Ein Schatten hatte ein dichtes Gebüsch verlassen und schlich sich vorsichtig an den freien Platz, der die Falle umgab.

»Der Tiger,« lispelte Toby Indri ins Ohr. »Gebt noch kein Feuer! Lassen wir ihn näher kommen.«

Das Raubtier war, 140 Meter von den Jägern entfernt, stehen geblieben, sog die Luft ein und wedelte unruhig mit dem Schwanz.

Seine grüne Augen leuchteten in der Finsternis wie die einer Katze.

Einige Sekunden hielt es unter dem dichten Schatten eines Baumes inne, dann schlich es weiter und zeigte sich im Mondlicht.

Wie das erste, war es von enormem Bau, eins jener Raubtiere, die einen Ochsen oder ein Kalb meilenweit fortschleppen, um sie in Ruhe zu verschlingen, oder einen Stier mit einem einzigen Prankenschlage zu Boden strecken.

»Eine stolze Bestie!« rief Toby. »Sie ist der andern ebenbürtig.«

»Schieß, Toby,« flüsterte Indri.

»Noch nicht, ich könnte ihn nur verwunden.«

»Ich warte, bis er sich mir von vorn zeigt, dann durchbohre ich ihm das Herz.«

Plötzlich tat der Tiger einen gewaltigen Sprung und verschwand im Dickicht.

»Ob er uns gewittert hat?« fragte Indri ärgerlich.

»Wir sind unter Wind, also kann er unsere Gegenwart nicht bemerkt haben,« antwortete Toby. »Er wird sich versteckt haben, um irgendein Wild aufzulauern.«

»Ja,« bestätigte Dhundia. »Dort kommt ein Tier näher.«

In der Nähe des Gebüsches, wo der Tiger sich versteckt hatte, hörte man das Blätterwerk rauschen und dürre Äste knacken.

Eine Antilope oder ein Büffel öffnete sich den Weg zur Quelle.

Das Opfer war ein »Nilgo«. Vielleicht hatte der elegante Hirsch den vom Raubtier zurückgelassenen Geruch bemerkt, denn er blieb mit gesenktem Kopf stehen und zeigte die spitzen Hörner.

Er lauschte.

»Verloren,« murmelte Toby. »Schau Indri!«

Die »Bâg« war hervorgesprungen. Sie fiel auf den Rücken des armen Tieres, das unter dem Gewichte zusammenbrach und riß ihm mit einem Prankenschlage den Leib auf.

Sofort packte sie das noch zuckende Opfer mit den Zähnen am Halse, saugte gierig das Blut; dann, als sie ihren brennenden Durst gelöscht, grub sie das Maul in die offene Flanke und zerriß mit ihren Stahlkrallen den armen Körper in Stücke.

Toby benutzte jenen Moment, in dem der Tiger, mit dem Verschlingen der blutigen Eingeweide des »Nilgo« beschäftigt, ihn nicht sehen konnte; legte den Karabiner an, zielte unter die Schulter und gab Feuer.

Als sich der Rauch verteilt hatte, lag der Tiger neben seinem Opfer, als wenn ihn die unfehlbare Kugel des Jägers tötlich getroffen hätte.

»Er ist tot!« rief Indri, indem er aus dem Hinterhalt sprang.

»Gib acht!« sagte Toby. »Er kann noch leben!«

Der Ex-Favorit des »Guicowar«, der ihn tot glaubte, war mit dem Messer in der Faust vorgesprungen.

Er war nur wenige Schritte vom Tiger entfernt, als sich das Raubtier plötzlich auf die Hinterfüße erhob, mit den Zähnen knirschte und knurrte.

»Zurück, Indri!« schrie Toby, während er Dhundia den Karabiner entriß.

Der Indier war beiseite gesprungen. Das Messer wegwerfen, das Gewehr anlegen, war Sache eines einzigen Momentes.

Ein Schuß krachte und der Tiger, der wegen der schon empfangenen schweren Wunde den Sprung verfehlt hatte, brach mit zerschmettertem Schädel zusammen.

»Ein Kernschuß!« rief Toby, indem er herbeieilte. »Mein lieber Indri, du bist des Tigertöters würdig!«

»Und die erste Partie haben wir gewonnen, nicht wahr, Toby!« sagte der Ex-Favorit lustig. »Jetzt zur zweiten!«


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