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Siebenundzwanzigstes Kapitel.
Die Hochherzigkeit eines Fürsten.

Sieben Stunden waren seit dem Wegritt der beiden Radschaputen verflossen, sieben Stunden fortwährender Unruhe für Toby und Indri, die zur Untätigkeit gezwungen waren, während Dhundia und der Fakir vielleicht die Grenze überschritten, als man eine Stunde nach Sonnenuntergang in der Ferne Trompetengeschmetter hörte.

Immer vom Offizier gefolgt, hatten sie sich beeilt, auf die Veranda zu steigen, von wo man ein großes Stück der immensen Hochebene überschauen konnte.

Im Norden erschienen zahlreiche leuchtende Punkte zwischen den hohen Gräsern und Büschen der Ebene und man konnte unbestimmt eine dunkle Masse erkennen, die zusehends größer wurde.

»Wer ist das?« fragte Toby. »Einfache Soldaten sicher nicht, denn die reisen nie mit Fackeln.«

»Es muß irgend eine hohe Persönlichkeit sein,« antwortete der Offizier. »Ob der Radscha seinen Minister hersendet?«

»Wir werden ihm einen seiner hohen Stellung würdigen Empfang bereiten,« sagte Toby etwas ironisch.

Der Offizier rief zwei Reiter, die unter der Veranda wachten und befahl ihnen, auszukundschaften, wer jener Trupp sei, der eben eine tiefe Schlucht durchquerte.

»Was fürchtet Ihr? Irgend eine Überraschung?« fragte Toby.

»Es könnten die Dakoiten sein, die Euch beraubt haben.«

»Wären sie es doch wirklich! … Leider werden sie jetzt aber schon über alle Berge sein.«

»Und dann,« sagte Indri, »warum sollten sie hierher kommen? Sie haben alle Ursache, sich möglichst fern zu halten.«

»Ja, denn ich würde nicht zögern, sie zu bekämpfen.«

»Und ich würde Euch helfen,« antwortete der Offizier.

Nach einer Viertelstunde tauchte der Trupp wieder auf der Hochebene auf und galoppierte zum »Bengalow«.

Er bestand aus etwa 20 Reitern und vier »Mussalki«, die mit Fackeln versehen waren, um den Weg zu erleuchten. Alle waren gut bewaffnet, deutlich sah man Gewehre und Lanzen glitzern.

Die beiden vom Offizier gesandten Radschaputen hatten sie erreicht und kehrten eben, laut schreiend, in gestrecktem Galopp zurück.

»Sahib,« sagte einer von beiden, indem er sein schäumendes Roß anhielt, »bereitet Euch vor, den Radscha zu empfangen.«

Toby und Indri waren zusammengefahren.

»Der Radscha! …« rief der Jäger, indem er bleich wurde. »Zum Teufel! … welches Gewitter soll da losbrechen?«

»Toby, unser Kopf ist in Gefahr,« sagte Indri.

»Versuchen wir, ihn zu retten. Empfangen wir Seine Hoheit und erweisen wir ihm die Ehren des Hauses.«

Er stieg in den Saal im Erdgeschoß und ließ zwei silberne Armleuchter anzünden, die nur für große Festlichkeiten bestimmt waren, und seine Diener, mit Fackeln in der Hand, an der Treppe aufstellen.

Der Radscha betrat in jenem Moment mit seiner Bedeckung, die aus prächtigen, wahrhaft riesigen Radschaputen bestand, den Hof.

Toby stand aufrecht auf der ersten Stufe und erwartete ihn, mit dem Hute in der Hand, zwanglos, bescheiden und ruhig, wie ein Mann, der seiner Sache sicher ist.

Der Radscha stieg vom Pferd und warf einen Blick umher. Als er Toby sah, ging er ihm entgegen und sagte etwas spöttisch:

»Es freut mich wirklich, Euch wiederzusehen, Meister Toby Randal. Vielleicht habt Ihr mich nicht erwartet, wie?«

»Ich glaubte nicht, die Ehre zu haben, Seine Hoheit, den Radscha von Pannah hier empfangen zu dürfen.«

»Den Ex-Besitzer des ›Lichtbergs‹, den Ihr mir so schlau entwendet habt,« sagte der Fürst lächelnd.

»Er scheint mir gar nicht so zornig zu sein,« dachte er. »Gutes Zeichen.« Dann fuhr er mit erhobener Stimme fort:

»Erlaubt Ihr, Hoheit, daß Euer Gefangener Euch Gastfreundschaft in seinem bescheidenen Hause anbietet?«

»Ein Anerbieten, was ich nicht abschlage, Master Randal, besonders nach einem so langen Ritte.«

»Dann wird mir Seine Hoheit erlauben, voranzuschreiten.«

»Meister Toby, ich bewundre Euren Geist,« sagte der Radscha, immer in liebenswürdigem Tone. »Ah! … Diese Europäer!«

Er folgte dem Jäger in den Saal im Erdgeschoß und setzte sich bequem auf einen elastischen Polsterstuhl, der ihm angeboten wurde.

Toby war aufrecht vor ihm stehen geblieben, während sich Indri und Bhandara in den Ecken des Zimmers hielten.

»Setzt Euch, Meister Randal,« sagte der Radscha »und antwortet mir vor allem auf eine Frage.«

»Ich stehe zu Eurer Verfügung, Hoheit.«

»Seid Ihr sehr reich?«

»Ich! … Nein, Hoheit!« antwortete der frühere Unteroffizier, verblüfft über jene unerwartete Frage.

»Und doch habt Ihr mir einen Cheque auf drei Millionen zurückgelassen, während der ›Lichtberg‹ nur auf zwei geschätzt wird.«

»Ich habe den Cheque nicht unterzeichnet, Hoheit.«

»Ich sah auch einen andern Namen darunter: Indri Sagar.«

»Ex-Minister und Ex-Favorit des ›Guicowar‹ von Baroda,« sagte Toby, indem er Indri vorstellte, der sich vor dem Radscha verbeugte.

Dieser war aufgestanden, indem er ihn verwundert und gleichzeitig neugierig anschaute.

»Dann also habt Ihr mir den Diamanten genommen, oder vielmehr abgekauft, im Auftrage des ›Guicowar‹.«

»Nein, Hoheit, aus eignem Antriebe,« antwortete Indri. »Ich brauchte ihn, um die Ehre zu wahren.«

»Drückt Euch deutlicher aus.«

»Das ist eine etwas lange Geschichte, Hoheit.«

»Ich habe absolut keine Eile, nach Pannah zurückzukehren. Erst möchte ich wissen, ob Euch der ›Kohinoor‹ wirklich geraubt worden ist.«

»Jawohl, Hoheit,« sagten Toby und Indri wie aus einem Munde.

»Laßt die Diebe vorläufig laufen. Ich habe derartige Vorkehrungen getroffen, daß sie die Grenze meines Staates nicht übertreten können, ohne entdeckt zu werden.«

»Sie sind gewandt und kühn, Hoheit,« sagte Toby.

»Ich möchte sehen, wie sie Gondwana oder Holkar erreichen wollten. Auch die nördlichen Grenzen sind von zahlreichen Reitertrupps bewacht.«

Während die Diener Bier, Wein, Pfeifen und Zigarren brachten, begann Indri sein Unglück zu erzählen, ohne etwas wegzulassen. Der Radscha interessierte sich derart dafür, daß er, um keine Silbe zu verlieren, öfter sogar die Manilla ausgehen ließ, die ihm Toby angeboten hatte.

Als Indri mit seinem Bericht zu Ende war, verharrte der Fürst einige Sekunden schweigsam, dann streckte er dem Ex-Favoriten des »Guicowar« plötzlich die Hand entgegen und sagte:

»Ich verzeihe Euch den schlechten Streich, den Ihr mir gespielt habt, um Euch des ›Kohinoors‹ zu bemächtigen. Ich kam in der Absicht hierher, mich für den häßlichen Moment zu rächen, den ich um Euretwillen habe durchmachen müssen; aber jetzt ist mein Zorn verraucht.

Mit den Mutigen, die meine Minen von den beiden ›Menschenfressern‹ befreit haben, die meine Untertanen verschlangen und derentwegen sich meine Diamantrente verringerte; mit Euch, die Ihr mir mehr für den ›Kohinoor‹ gezahlt habt, als er wert ist, während Ihr meine Schätze noch hättet plündern können, muß man großmütig sein.

Der ›Kohinoor‹ ist Euer und ich werde Euch helfen, ihn wieder zu erlangen.«

siehe Bildunterschrift

– Ah! Danke, Hoheit! – rief Indri, indem er sich dem Fürsten zu Füssen warf.

»Ah! Danke, Hoheit!« rief Indri, indem er dem Fürsten zu Füßen fiel. »Ihr gebt mir das Mittel, meine Feinde zu besiegen und meine Ehre zu retten, die mir kostbarer als mein Leben ist.«

»Jetzt werde ich kein elender ›Paria‹ mehr werden.«

Der Radscha klatschte in die Hände.

»Wieviel Leute hast du?« fragte er den Offizier, der die Radschaputen kommandierte, die vor dem »Bengalow« Wache standen.

»Dreißig, Hoheit.«

»Ausgewählte Leute?«

»Und tapfer.«

»Werden die Euch zur Verfolgung der Diebe genügen?« fragte er, indem er sich an Toby und Indri wandte.

»Ja, Hoheit,« antworteten sie.

»Ich stelle sie zu Eurer Verfügung und wünsche Euch recht viel Glück, den ›Kohinoor‹ wieder zu erlangen.«

»Hoheit,« sagte Indri. »Auf welche Weise kann ich Eure Hochherzigkeit vergelten?«

»Auf welche Weise?« sagte der Radscha, indem er sich lachend erhob. »Indem Ihr die Prämie annehmt, die ich für die Jäger der beiden ›Menschenfresser‹ ausgesetzt habe.«

»Wir haben sie verweigert.«

»Bei Siwa! Man schlägt doch zwanzigtausend Rupien nicht ab!«

»Hoheit,« sagte Toby. »Es waren nur zehntausend! …«

»Für einen Tiger, aber nicht für zwei. Schweigt, Meister Toby, und steckt die Prämie ein. Ich habe ebenfalls ein gutes Geschäft gemacht.«

»Meine Herren, es würde mich freuen, euch mit dem ›Kohinoor‹ in Pannah wiederzusehen.«

»Wir versprechen es Euch, Hoheit.«

Der Radscha leerte sein Glas, drückte Toby und Indri die Hand, schritt in den Hof und bestieg sein Pferd.

»Viel Glück,« sagte er, »und wenn ihr mehr Leute nötig habt, so vergeßt nicht, daß ich noch sechstausend Radschaputen habe.«

Er grüßte mit der Hand und ritt mit seiner ganzen Bedeckung ab, indem er Toby und Indri verblüfft über jene unverhoffte Hochherzigkeit zurückließ.

»Nun, Indri?« fragte der Jäger lachend.

»Ich hatte nicht geglaubt, soviel Glück zu haben!« rief der Ex-Favorit des »Guicowar«, indem er sich dem früheren Unteroffizier in die Arme warf. »Und das verdanke ich dir, nur dir, mein treuer Freund.«

»Auf zur Jagd, Indri. Jenem elenden Dhundia, der uns so geschickt betrogen hat, ziehen wir das Fell über die Ohren, ebenso jenem Hund von einem Fakir. Dann soll auch Parwati Blut schwitzen.«

»Ja, alle werden den Verrat büßen,« sagte Indri mit zitternder Stimme. »Der ›Guicowar‹ wird mir Gerechtigkeit widerfahren lassen.«

Zehn Minuten danach galoppierten sie durch die dunkle Ebene, hinter ihnen der Offizier mit seinen dreißig Radschaputen.


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