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Drittes Kapitel.
Der Fakir.

Als Indri zurückkam, war die Abendmahlzeit bereits fertig und das Zelt an einem großen Felsblock aufgeschlagen, der isoliert auf der höchsten Erhebung des Hochlandes stand.

Die Mahlzeit bestand aus einem Weizengericht, was »Niti« heißt und die Lieblingsspeise der Einwohner ist, die wegen Wassermangels keinen Reis bauen können, mit »Carri«, einem Gemisch von Fleisch, Kräutern und verschiedenen Gewürzen, Butter, Zucker und ausgezeichneten Bananen.

Wenn das Essen einfach war, so wurde es doch mit großem Luxus serviert. Denn die Teller, Bestecks und Weinkrüge, die den »Tody« enthielten, eine Flüssigkeit, die man aus einer Palmenart gewinnt, waren aus feinziseliertem Silber.

Indri und sein Gefährte sprachen der Mahlzeit tüchtig zu, dann legten sie sich dicht neben das Feuer und zündeten sich eine Zigarette aus Palmenblättern an, während der »Kornak«, der getrennt von den beiden gespeist hatte, sich mit dem Elefanten beschäftigte, der mit langen Trompetenstößen nach seiner Nation verlangte.

Jeder Indier pflegt seinen Dickhäuter auf das sorgfältigste, um ihn bei Kräften und guter Laune zu erhalten.

Die tägliche Ration dieser Kolosse besteht gewöhnlich aus zwanzig Pfund besten Mehles, was mit Wasser, einem halben Kilogramm reiner Butter, »Ghi« genannt, und einem halben Pfunde Salz vermengt wird. Meistens fügt man noch eine Portion Zucker hinzu, besonders, wenn sich die Elefanten auf dem Marsche befinden.

Außerdem verzehren sie aber in Zwischenräumen eine Unmasse Blätter und Baumrinde, mit Vorliebe indische Feigen und gewisse Sumpfkräuter, die säbellange Blätter haben und von den Botanikern » tapha elephantina« genannt werden.

Als er seine Mahlzeit verschlungen hatte, die ihm der »Kornak« in einem eisernen Behälter vorsetzte, legte sich Bangawady auf die Seite, gegen den Felsblock, während sein Wärter ihm einige Eimer voll Wasser über den Kopf goß und ihm dann Ohren, Füße und alle anderen spröden Teile mit Fett einrieb.

Indri war schweigsam geworden, auch Dhundia tat den Mund nicht auf. Beide schienen sich ernstlichen Besorgnissen hinzugeben, die vielleicht vom Zusammentreffen mit dem Dakoiten herrührten. An den Panther dachten sie wahrscheinlich gar nicht mehr, obwohl sie sich in nächster Nähe der »Kalam‹ befanden.

Als Indri seine Zigarette aufgeraucht hatte, erhob er sich und sagte:

»Weißt du, daß ich unruhig bin, Dhundia?«

»Und warum?« fragte dieser.

»Jener Dakoit gibt mir viel zu denken.«

»Ein einziger Mann!« – – –

»Und wenn er ein Spion wäre?«

»Er ist tot.«

»Das schadet nichts; seine Gefährten können den Zweck unseres Unternehmens erraten haben und glauben uns vielleicht schon im Besitze des ›Lichtbergs‹,« sagte Indri.

»Es ist ganz ausgeschlossen, daß sie das erfahren haben. Nur wir und der ›Guicowar‹ kennen den Grund dieser Reise.«

»Wenn uns jemand verraten hätte?« fragte Indri, indem er ihn fest anschaute.

»Welche Idee!« antwortete Dhundia. »Niemand hätte ein Interesse daran.«

Indri schwieg einige Augenblicke, dann sagte er:

»Bah! Morgen wird auch die Hochebene durchschritten sein und wir werden meinen Freund Toby finden.«

»Und würdest du einen Europäer mit in unser Unternehmen hineinziehen und ihm dein Geheimnis anvertrauen? Ich würde mich nicht auf ihn verlassen.«

»Toby ist mir nötig. Er ist der berühmteste Tigerjäger Nordindiens und wird uns vorzügliche Dienste leisten, den wahren Zweck unserer Reise zu verheimlichen.

Mit ihm wird der ›Menschenfresser‹ der Minen von Pannah schnell verschwinden und wir werden in Gnaden beim Sultan aufgenommen werden, ohne Verdacht zu erregen.

Übrigens kenne ich jenen berühmten Jäger zu genau, um gegen ihn Mißtrauen zu hegen und er wird mir seine Begleitung nicht abschlagen.«

»Ich glaube das Gegenteil, und außerdem wäre der ›Guicowar‹ nicht damit einverstanden.«

»Er hat mir gesagt, kein Mittel unversucht zu lassen, was zum Erfolg führen kann, und ich werde nicht zögern. Bedenke, daß mein Schicksal vom Gelingen unserer Reise abhängt.«

Ein Schatten von Traurigkeit ging über die Stirn des Indiers, während ein tiefer Seufzer seine Brust hob.

»Welch höllische Intrige,« sagte er dann mit dumpfer Stimme. »Wohlan, verlieren wir den Mut nicht und vertrauen wir auf unsern guten Stern.«

Dhundia verharrte stumm, als wenn er jene Worte gar nicht gehört hätte; doch glühte ein falscher Blick in seinen Augen.

»Schlafen wir,« versetzte Indri nach kurzer Pause. »Das Feuer und Bangawady werden genügen, um die Raubtiere fernzuhalten.«

Er kroch unter das Zelt, nahm seinen Karabiner und ein paar reich verzierte Pistolen mit, streckte sich auf die Leinwand und legte seinen Kopf auf ein prächtiges Kissen aus silberdurchwirktem, roten Samt.

Dhundia tat fast widerwillig, ohne zu sprechen, desgleichen. Er legte sich in eine Ecke des Zeltes und starrte ins Feuer, das daneben brannte.

Indri war eingeschlafen, ebenso der Elefant und der »Kornak«.

Tiefes Schweigen herrschte auf diesem Flecken der Hochebene, nur unterbrochen von den rauhen Atemzügen des Kolosses oder dem schwachen Schrei einer jener enormen Fledermäuse, die über das Lager flogen. Trotzdem hatte sich Dhundia noch nicht entschlossen, die Augen zuzutun.

Von Zeit zu Zeit erhob er sich sogar in die Knie und forschte in die Finsternis hinaus, die durch den Leuchtkreis des Feuers noch undurchdringlicher wurde.

Plötzlich fuhr er zusammen. Aus der Richtung der »Kalam« hatte er einen kaum hörbaren Pfiff gehört.

»Sitama?« fragte er sich. »Es wäre unvorsichtig, ihn bis hierher kommen zu lassen, obwohl er sich rühmt, auf einem schlafenden Hunde zu laufen, ohne ihn zu wecken.«

Bangawady könnte Alarm blasen.

Er schlich sich geräuschlos zu Indri, um sich zu überzeugen, ob er fest schlief, und verließ das Zelt, indem er den Karabiner mitnahm.

Bangawady schlief neben dem »Kornak«, ohne Zeichen von Unruhe zu geben, also konnte er auch darüber beruhigt sein.

»Alles geht glatt,« murmelte er.

Mit denkbar größter Vorsicht durchschritt er den Lichtkreis und verbarg sich, als er die »Kalam« auf etwa fünfzig Schritte erreicht hatte, hinter einem »Mindi«-Gebüsch.

Sicher wagte er sich aus Furcht vor dem zweiten Panther nicht weiter vor, und nicht etwa wegen des Mannes, der ihn erwartete.

Kurz darauf ertönte in größerer Nähe ein zweiter, schwächerer Pfiff, den man mit dem Zischen der Kobra verwechseln konnte. Dann tauchte vor dem Gebüsch, wo sich Dhundia befand, ein Mann auf.

Es war ein Indier von imposanter Statur, grausamen Gesichtszügen und tückischem Aussehen.

Er hatte lange Haare, die um den Kopf gewunden, mit einem rötlichen Schlamm bedeckt waren und eine enorme Masse bildeten. Vom Kinn fiel eine dünne Bartsträhne bis zu den Knien herab; ein Kennzeichen der Anbeter Ramas, des Schöpfergottes. Auf der Stirn trug er drei Zeichen, die mit gebranntem Kuhdünger gemacht waren, drei andere auf der Brust und auf dem rechten Arm.

Der übrige Körperteil war mit Kokosnußöl eingerieben und glänzte, als wenn er mit Glas überzogen wäre.

Außer einem aus Häuten geflochtenen Gürtel trug er keinerlei Kleidung.

»Bist du Sitama, der Fakir?« fragte Dhundia leise.

»Ja, Sahib,« (Herr) antwortete der Unbekannte. »Ich bin der Fakir und der Häuptling der Dakoiten.«

»Barma sagte es mir, bevor er starb.«

»Ist er tot?«

»Der Panther hat ihn zerrissen.«

»Das tut nichts, wir sind zahlreich,« antwortete der Dakoit gleichgültig.

»Ich kam her, um deine Befehle entgegenzunehmen, ›Sahib‹.«

»Erwartest du mich schon lange?«

»Seit drei Tagen. Was sollen wir tun? Wünschest du, daß wir deinen Gefährten töten, bevor er die Hochebene durchquert?«

»Würdest du das wagen? Indri ist ein Mann, der jetzt noch unter Brahmas Schutz steht.«

Wenn ihn seine Kaste verstößt und er ein armseliger ›Paria‹ wird, ja, dann – – –. Aber jetzt nicht, du würdest im Jenseits verflucht.«

»Ob ›Guruh‹, Brahmane oder ein einfacher ›Sudra‹ Die Sudra bilden die letzte Kaste, jene der Sklaven. Immerhin sind sie noch nicht »Paria«, denn diese gehören überhaupt zu keiner Kaste., das ist mir gleich.«

»Nein, außerdem ist der ›Lichtberg‹ noch nicht in seinem Besitz. Wem würde sein Tod also etwas nützen? Wir kämen dadurch um eine ungeheure Summe.«

»Was soll ich denn tun?«

»Uns ununterbrochen bis zu den Minen von Pannah folgen und nichts gegen uns unternehmen, bis nicht jener kolossale Diamant in unserer Hand ist.«

»Und glaubst du, ›Sahib‹, daß dies dem Ex-Favoriten des ›Guicowar‹ gelingen wird?«

»Indri wird es verstehen, sein Ziel zu erreichen. Sonst wird er ein ›Paria‹ und von der hohen Stellung in den Staub, in nichts gestürzt,« versetzte Dhundia.

»Aber nicht der ›Guicowar‹ von Baroda, sondern wir werden den ›Lichtberg‹ erhalten!«

»Ja, und außerdem eine gewaltige Geldsumme von Parvati, seinem ersten Minister.«

»Und wohin wendet ihr euch jetzt?«

»Zu Toby, dem berühmten Tigerjäger.«

»Den kenne ich; warum aber sucht ihr jenen Menschen auf?«

»Das wirst du später erfahren. Spricht man in Pannah immer noch vom ›Menschenfresser‹? – – –«

»Die Furcht vor jenem blutdürstigen Raubtiere ist so groß, daß die Bergleute ihre Arbeit eingestellt haben,« sagte der Fakir.

»Und niemand wagt, ihm die Stirn zu bieten?«

»Es hat schon zehn Jäger zerrissen, die es zu überraschen suchten, angezogen von den zehntausend Rupien, die der Radscha versprochen hat.«

»Indri und Toby werden es töten und jeder Verdacht von dem wahren Zwecke unserer Reise wird schwinden. Geh' und nimm dich vor den Raubtieren in acht, der Panther, der Barma zerriß, lebt noch.«

»Ich bin bewaffnet, und dann ist's nicht der ›Menschenfresser‹ der Minen von Pannah!«

Der Dakoit erhob sich, grüßte leicht mit der Rechten und verschwand rasch zwischen den »Kalam«.

»Das ist der rechte Mann, der im günstigen Moment nicht zögern wird,« murmelte Dhundia, während ein höhnisches Lächeln um seine Lippen zuckte.

»Indri wird den ›Lichtberg‹ verlieren und auch ›Paria‹ werden.«

Er verließ das Gebüsch und begab sich zum Lager, indem er vorsichtig Umschau hielt, aus Furcht, vom Panther überrascht zu werden, der sich bis zur Nähe des Zeltes herangewagt haben konnte.

Schon war er am Feuer vorbei, als er den rauhen Schrei der Bestie von den »Kalam« herüber hörte.

»Ob sie den Sitama verfolgt?« fragte er sich schaudernd.

Da ließ Bangawady einen lauten Trompetenstoß hören.

Dhundia beeilte, aufs höchste beunruhigt, seinen Schritt, und schaute sich furchtsam um.

Eben wollte er ins Zelt treten, als er erschrocken zurückwich. Indri war erschienen und hielt die Pistolen in der Faust.

»Woher kommst du?« fragte er den Indier.

»Ich habe einen kleinen Streifzug ums Lager herum unternommen,« antwortete Dhundia, indem er sofort seine Ruhe wieder gewann. »Ich fürchtete, der Panther könne uns belauern.«

»Schau! Du wirst mutig!« rief Indri spöttisch. »Hast du ihn wenigstens gesehen?«

»Ich habe ihn nur gehört.«

»Er ist noch zwischen den ›Kalam‹?«

»Ja, Indri.«

»Schüre das Feuer, dann treten wir wieder ins Zelt. Er wird keinen Angriff wagen.«

In jenem Augenblick hallte ein Schuß, und kurz darauf ein zweiter wieder.

»Wer kann Feuer gegeben haben!« rief Indri unruhig.

»Ob es dein Freund Toby ist?« fragte Dhundia.

»Wir sind mehr als sieben Meilen von seinem ›Bengalow‹ entfernt.«

»Du sagtest mir ja, daß er zuweilen weite Streifzüge unternimmt.«

»Es wäre mir recht, wenn ich ihn sehen könnte. Wenn er es wirklich wäre, so werden wir ihn morgen sicher treffen.«

»Lassen wir ihn jagen; er ist ein Mann, der unserer Hilfe nicht bedarf.«

Sie lauschten noch einige Minuten; als sie dann keinen weiteren Schuß hörten, traten sie in die Hütte.

Bangawady war schon wieder eingeschlummert und schlief ruhig neben dem »Kornak«.


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