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Vierzehntes Kapitel.

Es war kurz vor dem heiligen Christfest. Der Schnee fiel in großen Flocken und lag auf den Dächern und in den Straßen. Vor den verschlossenen Thüren der beiden Häuslein im Rosengarten standen die Eigentümer; sie waren soeben aus dem Gefängnis entlassen und freuten sich der Freiheit und der reinen Winterluft.

»Ja, so muß es sein,« hob Meister Andreas an, »das eigene Haus ist einem verschlossen; wer mag den Schlüssel haben? Hinrich, dies heißt in Wahrheit Fremdling sein.

Doch was machen wir?«

Indem nahten sich eilige Schritte, und als der Schneider sich umsah, gewahrte er Junker Raimar. »Ei, Gott grüß' Euch! Könnt Ihr uns nicht Aufschluß geben, wer unsers Hauses Schlüssel hat?«

»Das kann ich wohl, hier sind beide; ich habe sie an mich genommen, als ich erfuhr, Ihr wärt im Gefängnis. Die Frau Mutter meinte, es wäre gut so, und ich habe jeden Abend und jeden Morgen nach Euren Tauben gesehen, Meister Andreas; sie sollten keine Not leiden.«

»Wie danke ich Euch!« rief der Schneider; »Hinrich, was habe ich immer gesagt? Der Mensch sorgt unnötigerweise. Haben sie mir nicht allzeit im Sinne gelegen, da wir eingekerkert waren? Wollt Ihr jetzt auf den Taubenschlag, Junker? Ja, die Tauben, die Tauben! Sie sind doch eine wunderbare Schöpfung Gottes.«

Er war dem Junker vorangeeilt, jetzt öffnete er die Luke und blickte hinaus. »Die Tauben sind bei diesem Schneegestöber sicher alle im Schlage,« äußerte er, »aber wißt, nach diesem Augenblicke habe ich Verlangen gehabt; es ist eine sonderliche Erquickung für mich, die Welt von der Luke aus anzusehen.«

Raimar stand jetzt neben ihm und sagte mitleidig: »Ich habe oft Euer gedacht, Meister.«

»Vielen Dank, Junker, aber redet nicht so bedauerlich; uns ist im Kerker große Gnade widerfahren. Wir waren mit dem lutherschen Prediger Johann Ossenbrügge in einem Gewahrsam, und die Herrlichkeit der neuen Lehre ist uns leuchtend aufgegangen. Er sitzt schon zwei Jahre im Gefängnis und wer weiß, wie lange ein ehrsamer Rat ihn noch festhält.«

»Wer ist der Ossenbrügge?« fragte Raimar verwundert.

»Kommt in die Stube, so erzähle ich's Euch,« entgegnete Meister Andreas und machte die Luke zu.

Unten brannte schon ein Feuer im Kamin, und Hinrich Malenbeke hatte den Kessel über das Feuer gehängt. »Wohl gethan, Meister,« lobte er; »Junker, Ihr müßt unser Gast sein, heute wird noch nicht gearbeitet; ich erzähle Euch von der letzten Zeit.« Er zog zwei Schemel an das Feuer und streckte die alten Glieder. Da fing der Kanarienvogel an zu singen. Andreas sah den Junker liebreich an und sagte: »Auch den habt Ihr gepflegt.«

Raimar nickte, und der Meister fuhr fort: »Also nach dem Ossenbrügge fragt Ihr, der ist anno 1525 aus Stade hierher gekommen; hat bei den Bürgern Hausandachten gehalten und ist deswegen von dem ehrsamen Rat in strenge Haft genommen; er sitzt seither im Kerker, obgleich er nichts gethan hat, was unrichtig sei, und ist dabei ohne Bitterkeit und Groll. Es ist ihm eine Ehre, um des Evangelii willen zu leiden. Das aber habe ich mir gelobt, ich mache die Bürger aufrührig, daß sie seine Freilassung fordern. Man muß Mut beweisen in dieser unserer Zeit.«

Als Hinrich Malenbeke die heiße Suppe auf den Tisch stellte, setzte sich Raimar zu ihnen und erhielt seinen Holznapf voll. »Es ist Karstens Napf,« flüsterte der Altflicker wehmütig, und der Junker reichte ihm schweigend die Hand.

Andreas hielt Wort. Wo sich Gelegenheit gab, sparte er seine Worte nicht, und bald war hier und da ein solches Gemurmel unter den Bürgern über des Rats Gewaltthat, daß Meister Andreas am Abend des Neujahrstages 1528 zu Hinrich Malenbeke sagte: »Ein wenig Sauerteig durchsäuert den ganzen Teig; so ist es mit meinem schwachen Gezeter wegen des Ossenbrügge gegangen; es haben sich jetzt viele für ihn erhoben. Man muß nur nicht müde werden.«

An einem der nächsten Abende saß der Schneider mit dem Freunde vor dem glimmenden Feuer. Die Dämmerstunde war ihnen lieber wie sonst, sie hatten vieles zu besprechen. Als sie gerade einmal wieder bei dem Ossenbrügge waren, erhob sich draußen ein jung Stimmlein, – es mochte einem Lehrling angehören – und deutlich vernahm man die Worte nach der Melodie: »De Winter will uns dwingen, dorto de kolde Snee.«

»Godes Wort will he dempen,
Unse Kerkherr verkehrt,
Mit God ist qwat kempen,
Jo Helpt uns sind swerdt,
Vor dissen Hipocriten
De uns will territen.«

Als sich der Gesang jetzt in der Ferne verlor, kreuzte Andreas die Arme über der Brust, richtete sich gerade auf und sang tapfer weiter:

»Waket up von dem Slape,
Juw Christen overall,
Heft acht up juwe Schape,
De Wulf is in Stall.
Juwe Seel will he morden
Mit utstaffernden Worden;
En Schapskled hed he an:
Wo gy juw nich wachten,
Je wart juw afschlachten
Mit sinen Kaplan.«

»Meister,« sprach der Flickschuster, als der Freund schwieg, »ich weiß nicht, ob es christlich ist, seinen Feind also zu besingen.«

»Was?« rief der Schneider, »nicht christlich? wo denkt Ihr hin, Hinrich? Wir können nicht deutlich genug zeigen, daß wir nicht zu des Kirchherrn Partei gehören.«

»Könnten wir das nicht anderweitig thun?« warf Hinrich ein, »ich mag selbst meinen Widersacher nicht schmähen.«

»Ich schmähe ihn nicht, es macht mir nur das Herz leicht, zu singen, was sie alle singen. Wißt, Meister, ich hasse ihn nicht, das ist Sünde, aber ich mag ihn nicht, und das wird mir Gott verzeihen.«

Der Flickschuster wollte etwas erwidern, da klopfte es leise an der Thür, und als er hinausging, um zu sehen, was es gebe, trat Junker Raimar ihm entgegen. Mit freundlichem Gruß nötigte er ihn an das Feuer; dieser aber sagte, er dürfe nicht verweilen, er wolle sie als seine Freunde nur warnen, denn es werde nicht lange währen, so werde auf des Kapitels Ansuchen ein ehrsamer Rat bei den Bürgern Haussuchung halten lassen, und alle ketzerischen Bücher sollten verbrannt werden.

»So?« stieß der Schneider hervor, »also auch das noch? Nun, ich bin vorbereitet; habe hie und da mein Versteck. Und wenn uns auch im Augenblick die Bücher nicht viel nützen, da wir nicht lesen können, so werden doch wieder andere Zeiten kommen, ich meine, Bruder Benedikt oder Karsten wird da sein und werden uns vorlesen. Und wäre das alles auch nicht, die Bücher soll keiner haben. Verbrennen? Nun wir werden's ja sehen.«

Die Vorsicht war nicht umsonst gewesen. Wohl währte es noch einige Monate, dann aber brach das Gefürchtete unversehens herein. Um die Sommerzeit kam ein Buchhändler von auswärts, der luthersche Schriften verkaufte. Das Volk strömte ihm in hellen Haufen zu; es war ein groß Jubilieren in der Stadt. Das war nun dem Rat sehr zuwider, und es währte nicht lange, so hatte man dem Buchhändler eine volle Kiste seiner Schriften nehmen und nach dem Dome bringen lassen. Da sollte untersucht werden, welche Bücher ketzerisch wären und welche nicht. Aber sie wurden fast ungelesen verdammt, und dann wurde angeordnet, daß sie mit den Büchern, so bei den Bürgern gefunden würden, verbrannt werden sollten.

Es war ein lautes Murren in der Stadt, sonderlich als der festgesetzte Tag da war und der Büttel Claus Rosen auf öffentlichem Markte ein groß Feuer anfachte und die werten Gottesworte zu Asche verbrannte.

Stumm hatten die Bürger dem Schauspiel zugesehen, jetzt erhoben sich drohend laute Stimmen in dem dichtgedrängten Haufen. »Wer giebt dem Rat ein Recht, solches zu thun? Wer darf die Gewissen binden? Wir Bürger lachen des Kapitels; es sind andere Zeiten geworden.«

Frau Eva stand am Fenster und blickte hinaus. Dichten Rauch hatte sie aufwirbeln sehen, und in feinen Flocken war die Asche vor ihr auf die Straße gefallen; ihr Herz blutete. Sah das' wie ein Sieg aus? Und dennoch wollte sie weiter hoffen.

Jetzt öffnete sich die Thür und der Ratmann trat hastig ein. »Ihr seht,« triumphierte er, »wie der rechten Lehre ein Sieg nach dem andern kommt. Kehrt bei Zeiten um!« Er blickte Eva an, als erwarte er eine Entgegnung, diese aber schwieg.

»Ich hoffe,« fuhr Herr Johann fort, »ich habe nichts Unrichtiges gesagt, da ich versicherte, es seien in meinem Hause keine ketzerischen Bücher. Oder habt auch Ihr von dem fremden Buchhändler gekauft?«

Flüchtiges Rot flog über Evas Gesicht, dann versetzte sie nach kurzem Bedenken: »Ja, ich habe Büchlein von ihm.«

Der Ratmann war sprachlos vor Zorn; seine Augen sprühten, endlich grollte er: »Also doch? Gebt sie her, damit ich selbst sie verbrenne. Glaubt Ihr, ich wolle, daß meine Genossen mit Fingern auf mich weisen und lachend spotten: Er eifert gegen andere, und die Ketzerei ist unter seinem eignen Dache? Habt Ihr nicht verstanden, wie ich Euch kürzlich kund that, was kommen werde, wenn Ihr mir nicht gehorchet?«

»Ich gehorche Euch, indem ich Euch die verlangten Büchlein ausliefere.«

»Ja, dem Worte nach, aber was der Sinn meiner Forderung war, wißt Ihr auch. Der Kirchherr hat es mir zu strengster Gewissenssache gemacht, mein Haus von Ketzerei rein zu halten. Frau Eva, widersetzt Euch nicht also.«

Er hatte die letzten Worte fast bittend gesprochen, sie aber entgegnete: »Man muß Gott mehr gehorchen als den Menschen. Ich kann nicht anders, Herr Johann, nur die neue Lehre giebt mir Frieden.«

Der Ratmann sah sie starr an, als fasse er den Sinn der Worte nicht, dann aber rief er zornig: »Soll das eine Absage vom Glauben der Väter sein? Soll das heißen, daß unsere Wege geschieden sind?«

»Sie sind längst geschieden,« entgegnete Frau Eva ernst, »dennoch weiß ich wohl, was ich Euch als meinem Eheherrn schuldig bin.«

»Vergeßt das nimmer!« rief Herr Johann drohend; »es wäre doch wohl gethan, wenn die Ehre des Hauses soweit aufrecht erhalten würde, daß wir äußerlich ungeschieden unsern Pfad gingen.«

»Es liegt in Eurer Hand,« sagte Eva, ihn freimütig anblickend; er aber nahm die Büchlein, die sie auf den Tisch gelegt hatte, und ging hinaus.

Evas Herz war nicht erschrocken über ihres Eheherrn Worte; sie hatte sich darein ergeben, daß sie und er nimmer denselben Weg gehen könnten, ihre Seelen waren ja nie eins gewesen.

Sie hatte nicht gemerkt, daß sich die Thür geöffnet hatte. Jetzt stand Raimar neben ihr, legte seinen Arm um sie und flüsterte: »Frau Mutter, das Volk ist sehr erregt. Es ist gut, daß Ihr nicht um Eure Bücher gefragt seid.«

»Herr Johann hat sie soeben genommen, um sie selbst zu verbrennen,« erwiderte sie mit Bitterkeit.

»Oh,« rief der Junker, »auch Herrn Joachims Bibel?«

»Nein, die ist mir geblieben, und ich will den Herrn preisen, wenn ich das Kleinod behalte.«

»Man wird sie nicht finden, und was die anderen Büchlein anbelangt, so verschaffe ich sie Euch wieder.«

Eine Weile noch stand Raimar neben Eva, dann bat er: »Darf ich das Mägdlein sehen?« Beide gingen in die Kammer, wo die schwere Holzwiege stand. Das kleine, rosige Gesicht leuchtete aus den Kissen hervor; das Kind hatte die großen, dunkeln Augen weit geöffnet und spielte mit seinen Fingern. Als Raimar sich herabbeugte und zärtlich sagte: »Benedikta!« lächelte es; er blickte strahlenden Auges auf: »Frau Mutter, wie ich das Kind liebe!«

»Vielleicht bist Du einst sein einziger Beschützer; versprich mir, daß Du ihm allezeit beistehen wirst.«

»Ja, Frau Mutter,« antwortete er ernst.

Meister Andreas war am Abend dieses Tages sehr verstimmt. »Hinrich,« sprach er, »es ist gegen meine Natur, daß alles einen so langsamen Gang nimmt und nun gar solch ein Triumph des Kapitels und Rates vorhanden ist.«

»Gottes Gedanken sind nicht unsere Gedanken,« entgegnete dieser ruhig, »wir müssen warten.«

»Immer derselbe furchtbare Gleichmut,« seufzte der Schneider kopfschüttelnd. »Streitbare Helden, die passen zu Zeiten, wie die unseren sind; ich habe ein Gefühl, als sei ich an meinem Platz; Ihr aber, Altflicker?«

»Nun, ich?« fragte dieser, »ich will's Euch sagen, Meister, ich passe zum Händefalten, und durch solche Streiter ist ja schon mancher Sieg errungen.«

»Richtig, richtig, Hinrich, es ist wahr; jeder an seinem Platz. Ich will mir's merken.«

Nicht lange sollten sich Rat und Kapitel des Sieges freuen. Der Theologus des Kapitels, dem als solchem auch das erste Predigtamt an der Ägidien-Kirche zukam, mit Namen Andreas Wilms, und ein Kaplan an St. Marien, Johann Wallhof, die predigten frei gegen den unbedingten Ablaß und erklärten sich für Luthers Lehre. Wie ein Lauffeuer hatte sich solches in der Stadt verbreitet, und der Zulauf des Volkes war groß.

Meister Andreas jubelte wieder einmal begeistert »Viktoria« und erwartete nun die volle Herrlichkeit der neuen Zeit, aber wieder mußte er den Mut dämpfen. Nachdem er fast zwei Wochen die kräftigen evangelischen Predigten der beiden mutigen Männer gehört hatte, kam er eines Vormittags ganz niedergeschlagen von der Herberge und rief, noch auf der Schwelle: »Hinrich, auch das wäre nun wieder vorbei. Die beiden wahren Propheten sind ihrer Stellen entsetzt, und wir sitzen wieder an leeren Tischen.«

Erschrocken sah der Flickschuster den Freund an, dann fragte er: »Und niemand hat sich ihrer angenommen?«

»Wohl hat es einer gethan, ein Priester, Michael Fründ, aber ihm ist Gleiches geschehen, wie den andern, sie sind ›bei Sonnenschein‹ aus der Stadt gewiesen. Aber, Hinrich, dies ist eine arge Gewaltthat, die bleibt nicht ungerächt, und so viel ich gemerkt habe, schweigen nicht alle mehr still, wie vordem. Ich habe auch wieder von dem Ossenbrügge angefangen; das Maß ist voll.«

Meister Andreas hatte recht. Vergebens hatte der Kurfürst von Sachsen um die Freilassung Ossenbrügges gebeten, ebenso der Rat von Stade; nun aber vereinigten sich vierhundert Bürger von Lübeck, begehrten stürmend Einlaß vor den Rat und forderten ungestüm und mit Nachdruck Ossenbrügges Freiheit.

Der Rat war sehr unwillig, dennoch hielt er es für angemessen, diesmal nachzugeben. Er ließ Johann Ossenbrügge »Urphede« schwören und wollte ihn in aller Stille nach Reval schicken. Aber die Sache wurde ruchbar, und als man den Prädikanten auf das Schiff führte, hatten sich viele vom Volk an der Trave versammelt, darunter auch Meister Andreas. Freudig schüttelte er dem bleichen Manne die Hand. »Magister,« sagte er, »gedenkt, daß geschrieben steht: ›Um seines unverschämten Geilens willen,‹ so ist es allhier, auch ich habe das Meine dabei gethan.«

»Ich danke Euch,« entgegnete Ossenbrügge freundlich.

»Nicht also,« rief der Schneider, »Ihr habt uns tausendmal mehr Wohlthat erwiesen im Gefängnis, aber ich wollte nur damit gesagt haben, daß ich nicht gewesen, wie der Mundschenk gegen Joseph, von dem es heißt: Er gedachte nicht an Joseph, sondern vergaß seiner.«

Der Prädikant ermahnte alle zum Ausharren und stärkte ihre Hoffnung auf endlichen Sieg; dann drängte der Schiffer, es sei Zeit, und Johann Ossenbrügge ging aufs Schiff.

»Wie heißt Ihr?« fragte Meister Andreas den Schiffer.

»Karsten Teufel,« entgegnete er.

Da ließ sich ein höhnisches Lachen aus der Menge vernehmen; Bruder Simeon trat hervor und rief laut: »Sehet, den Ossenbrügge hat der Teufel geholt.« Unwillig wandte das Volk sich von ihm, Meister Andreas aber konnte sich's nicht versagen, dem Dominikaner einen derben Stoß in den Rücken zu geben mit dem Ruf: »Und Euch wird der wahre Teufel holen;« worauf er im Gedränge verschwand.

Bruder Simeon wäre beinahe zur Erde gefallen, als er sich aber wieder gesammelt und sich den Übelthäter merken wollte, stand er allein am Hafen. Es hatten sich alle von ihm gewandt. Zornig ging er auch von dannen. Er wußte wohl, wie er sich rächen konnte, er brauchte nur das Feuer zu schüren, welches beim Rat brannte, und er wollte nicht eher ruhen, bis er den Ketzern zum Untergang verholfen hatte.

Zu derselben Zeit, als Bruder Simeon also racheschnaubend an der Trave hinging, saßen in dem hohen Gemach auf der Wede zu St. Marien drei Männer beisammen, deren Zorn über das ketzerische Volk ebenso hell loderte, wie der des Dominikaners. Es war der Kirchherr Johann Rode und die beiden Bürgermeister Nikolaus Bröms und Hermann Plönnies. Alle drei waren in großer Erregung. Sie hatten es sich bis jetzt nicht klar machen wollen, was für Gefahren ihnen drohten. Sie hatten zu viel gehofft von des Volkes Unselbständigkeit und Fügsamkeit.

Jetzt aber hatten die vierhundert Bürger ihnen abgetrotzt, was sie dem Kurfürsten von Sachsen und dem Rat von Stade verweigert hatten, und das Beispiel der Strenge und Macht, welches sie dem Volke hatten geben wollen, war in eitel Niederlage umgeschlagen, und was noch schlimmer, die Bürger hatten gesehen, wie stark sie waren und daß ihr Wille sich mit dem des Rates messen konnte.

»Ihr hättet nicht nachgeben sollen,« sagte jetzt der Kirchherr, »das bleibt meine Meinung.«

»Ihr habt gut reden und raten,« entgegnete der Bürgermeister Bröms heftig, »aber freilich, Ihr wißt nicht, wie weit ein wohlweiser Rat gehen darf.«

Der Kirchherr lachte höhnisch. »Recht gesprochen, Herr Nikolaus, ein wohlweiser Rat muß sich fügen lernen, denn nach allen Anzeichen wird er solches nötig haben.«

»Wie meint Ihr das, Hochwürden?«

»Fragt nicht, Herr Nikolaus, Ihr wißt selbst, daß die Kugel im Rollen ist. Nimmer hätte man vor zwanzig Jahren gedacht, daß ein einzelner Mann gewagt hätte, den ehrsamen Rat also zu beschimpfen, wie es der Ketzer, der Luther, gethan hat; denn wahrlich, einen Schimpf nenne ich es, wenn er dem Kurfürsten von Sachsen auf seine Beschwerde wegen des Ossenbrügge schreibt, er möge die Sache mir ruhen lassen, den Herren in Lübeck werde der Bauch groß, wenn man sie bitte und streichele.«

»Was redet Ihr von der verdrießlichen Geschichte?« unterbrach Herr Hermann Plönnies den Kirchherrn schnell, »gedenkt lieber des Sieges, daß wir die ketzerischen Bücher verbrannt haben, und niemand hat sich dagegen aufgelehnt.«

Wieder legte sich der spöttische Zug um Herrn Johann Rodes Mund, als er erwiderte: »Fragt nur Bruder Simeon, was die Leute geredet und gedroht haben; fragt ihn, wie viele Bücher verbrannt und wie viele noch in den Händen der Leute geblieben sind. Glaubt Ihr denn, es gebe nicht Winkel und Löcher, allwo sie verborgen worden? Und nicht allein, daß solches im Volk geschieht, die Ketzerei ist auch in die höheren Stände gedrungen. So sage ich zum Exempel frei heraus, daß Herrn Johann Saliges Gemahl der neuen Lehre hold ist.«

Die beiden Bürgermeister schwiegen, und der Kirchherr fuhr fort: »Herr Johann geht mit aller Strenge gegen das Unwesen vor, und ich lasse keine Gelegenheit unbenützt, um den Eifer und das Feuer zu schüren. Er ist auch willig, lieber alles daran zu geben, als ein ketzerisch Weib zu haben.«

»Aber Ihr saget doch, Frau Eva wäre ein solches,« warf Herr Hermann Plönnies ein.

»Nun ja, der Vermutung nach, aber die volle Strenge dürfte doch erst dann eintreten, wenn sie öffentlich ihren Abfall erklärt. Herr Johann muß seine Ehre wahren, und er wird es thun, dafür stehe ich ein. Ich, werte Herren, halte mich überhaupt für einen, und greife nicht zu hoch damit, der seine Pflicht reichlich und treulich gethan hat. Ich habe geeifert und eifere noch, habe immer von neuem des Himmels Fluch auf alle herabgerufen, die sich dem Neuen zuwenden. Ein Diener der Kirche hat keine anderen Mittel.«

»Ihr habt es leicht,« sagte der Bürgermeister Bröms. »Ihr braucht nur mit Worten umzugehen, wir aber im Rat sind in schlimmer Lage; der Stadt Kassen sind leer, und nicht lange wird es dauern, so müssen wir bei den Bürgern um neue Beisteuer als Kriegs-Kontribution anhalten. Wird man sie uns geben?«

»Ich glaube nicht,« erwiderte der Kirchherr gleichmütig, »denn gegen den Wunsch der meisten Bürger und zum Nachteile der Stadt habt Ihr dem schwedischen Gustav und dem Herzog von Holstein Beiden gegen den in beiden Reichen, Schweden und Dänemark, entthronten König Christian II. Beistand geleistet. Die Sache war kostspielig, wie Ihr wißt, und die Bürger sagen es frei heraus, daß sie die Gunst, um die Ihr, Herr Nikolaus Bröms, an den Königshöfen buhlt, zu teuer bezahlen mußten.«

»Wir haben die Insel Bornholm auf fünfzig Jahre; ihr Ertrag soll uns schadlos halten für die Kriegskosten.«

»Bornholm?« rief der Kirchherr verächtlich, »und Ihr wollt mich glauben machen, daß dieses Pfand reiche zur Deckung der Schulden, die die schweren Kriege gebracht haben? Was meint Ihr dazu, Herr Hermann?«

Der Angeredete zuckte die Achseln und schwieg.

Da, in der also eingetretenen Stille hörte man eilige Schritte nahen, und gleich darauf stand der Ratmann Johann Salige vor den dreien. Er merkte nicht den leisen Zug von Verlegenheit, der auf ihren Angesichtern lag, sondern in freudiger Erregung reichte er allen die Hand und sprach: »Vernehmt, Hochwürden, und Ihr, werte Herren, daß die Heiligen meinem Hause gnädig gewesen sind; Frau Eva ist eines Töchterleins genesen.«

Glückwünschend reichten die Männer ihm die Hand, und der Kirchherr fügte salbungsvoll hinzu: »Möchte es ein rechtes und treues Glied unserer Kirche werden!«

Bald ging der Ratmann wieder fort, fröhlichen Herzens eilte er heim. Endlich nach langem Widerstreit war in sein Haus eine Freude eingekehrt. Jetzt würde Frau Eva fügsamer werden um des Kindes willen und er wollte sorgen, daß sie dasselbe nicht auch beeinflußte, wie sie es bei dem Knaben gethan hatte. Das Mägdlein konnte früh in das St. Annen-Kloster gethan werden. Da lernte es festhalten am alten Glauben.

Es war an diesem Tage großer Jubel in des Ratmannen Hause. Alle liebten die junge Herrin, alle hofften, sie werde jetzt lebensfroher werden. Raimar saß in der Laube, die kleine Benedikta auf dem Schoße; er wollte gern etwas dazu thun, daß seine Mutter Ruhe und Stille habe. Jetzt trat Emerentia zu ihm: »Junker, die Frau Mutter verlangt nach Euch, gebt mir das Kind und geht zu ihr.«

Raimar gehorchte. Fast ehrfürchtig betrat er das dämmerige Gemach und beugte sich über die Mutter, dann blickte er auf das schlafende Kind. Er betrachtete es lange, und innig sagte er: »Frau Mutter, es ist ein hohes Glück, ein Schwesterlein zu haben und ich danke Gott.« Er küßte ihre Hände, sah ihr liebreich ins Antlitz und flüsterte: »Seid Ihr recht innig froh?«

»Ja,« entgegnete sie sanft, »meine Seele ist glückerfüllt über dem Kindlein, und ich lege es Dir heute ans Herz, Deine Liebe und Fürsorge soll es geleiten!« Sie hob das Kind aus den Kissen und legte es ihm in die Arme, er aber drückte es zärtlich an sich, machte das Zeichen des heiligen Kreuzes über demselben und sprach feierlich: »Ich will es hüten, wie mein eigen Leben und erst nach seinem Wohl fragen, ehe ich an das meine denke.« Er bettete es sanft in die Kissen und fuhr fort: »Und Ihr, Frau Mutter, Ihr werdet anjetzo glücklich sein; es wendet sich ja oft im Leben.«

Frau Eva lächelte, und Raimar ging fröhlich grüßend fort.

* * *

Im September des Jahres 1528.

Herzliebe Muhme Els!

Nun mein Kindlein einen ganzen Mond alt ist, kann ich mein Sehnen nicht mehr bemeistern und ich muß Euch Nachricht senden, wie es allhier stehet. Ich habe alle die Zeit her gewünscht, Ihr möchtet bei mir sein; Eure linde Hand hätte alles noch freundlicher gemacht; aber es durfte, ja nicht sein, und Ihr wißt, daß ich nicht murre. O, Muhme Els, könnte ich Euch doch mein Mägdlein, meine Edeltraut in die Arme legen! Nimmer hätte ich gedacht, daß es ein so großes Glück giebt, wie dieses, ein Kindlein sein eigen zu nennen. Ich frage mich oft mit Ernst, ob ich Herz, Sinn und Gedanken auch nicht zu sehr einnehmen lasse von meiner Freude, aber ich finde, daß dem nicht so ist und daß über allem mir der Herr stehet. Ich habe die letzten Wochen still zu Hause gelebt, und mir ist fast wohl gewesen, nichts von der Welt und ihrem Streit zu hören. Es wird wieder anders kommen, und ich weigere mich des nicht, stehe vielmehr mutiger als zuvor im Streit, denn was errungen wird, kommt auch meinem Mägdlein zu gute.

Herr Johann ist freundlich und nachsichtig gegen mich, und scheinbar ist das alte ruhige Wohlsein in unser Haus eingezogen. Aber ich täusche mich nicht. Mehr denn je habe ich's mir in den verflossenen stillen Tagen bedacht; es kann fürder nicht rechter Friede zwischen uns sein; unsere Herzen sind geschieden. Er verlangt anderes, als wonach ich dürste. Glaubt Ihr, liebe, werte Muhme, daß es mir leicht wird, solches zu sagen? O nein, aber Euch gestehe ich's, weil Ihr fürbittend mein gedenkt und auch diese Not mir sollt tragen helfen.

Frau Herbort besuchte mich; sie war kühl und wenig liebreich. Als ich ihr mein Kindlein zeigte, sprach sie fast drohend: »Lebe, wie die Heiligen es wollen, und verdirb dir ihren Segen nicht; sie möchten dich sonst strafen an dem Kinde.« Sie sah wohl meinen ängstlichen Blick, denn sie fuhr fort: »Ich weiß, daß du umkehren und nicht dem Neuen nachjagen wirst; Herr Johann sagte mir von deiner Willigkeit. Wäre es anders und du würdest eine Abtrünnige, mein Fluch würde dich treffen.« Ich war so erschrocken, daß ich nichts erwidern konnte, und sie nahm Abschied.

Glaubt nicht, daß ich meinem Eheherrn ein Versprechen gegeben habe, ich habe ihm Gehorsam gelobt, und das will ich halten.

Raimar bringt mir Nachricht, wie es mit der neuen Lehre in unserer Vaterstadt steht, er ist begeistert und sieht eitel Gelingen. Ich warte in Geduld. Das werte Gotteswort ist in dieser stillen Zeit meine sonderliche Erquickung gewesen und ich habe oft auch Herrn Joachims gedacht, dem ich das Buch verdanke. Wißt Ihr, ob es ihm wohlgeht? Auch von Karsten höre ich nichts. Ich denke oft, wenn ich den Thürklopfer höre, ob Bruder Benedikt da sei, denn allgemach muß die Zeit seiner Heimkehr nahe sein.

Der alte Martin bringt Euch heimlich dies Brieflein. Fahrt wohl, herzliebe Muhme!

Eure treue Eva.

 

Liebwerte Frau Eva!

Ich danke Euch für die Worte, welche mir Eure Liebe und Euer Wohlsein vermeldeten, denn sehr verlangte mich zu wissen, wie es bei Euch steht. Ich werde nicht müde. Euer zu gedenken, und weiß, der Herr wird Euch segnen. Ach, wie heiß ersehne ich, Euer Kindlein in die Arme zu schließen! Aber ich muß mich gedulden. Denn wie die Sachen stehen, wird es noch fürs erste nicht Friede werden in der Welt, vielmehr wird der Streit noch sehr heftig entbrennen. Hinrich Malenbeke war bei mir. Ich hatte ihn zu mir entboten wegen alter Schuhe, und wir haben lange mit einander geredet. Das hat mir wohlgethan. Er ist unerschütterlich fest in seinem Glauben und hat ein weites, mildes Herz. Man merkt ihm das im gewöhnlichen Leben nicht an, sondern nur, wenn er auf die heilige Sache der neuen Lehre kommt. Von Karsten wußte auch er nichts, aber er war ruhig und sagte: »Er ist in Gottes Schule, der hat ihn gezüchtigt, weil er ihn lieb hat. Verwinden wird er's lebenlang nicht, das tiefe Leid, sein Herz hat allzu sehr an seinem Weibe gehangen. Aber seine Seele wird fröhlich sein in dem Herrn, und der Allmächtige wird ihm einen Platz in seinem Reich anweisen.«

Von Herrn Joachim hörte ich nichts seit damals, auch ich denke oft sein und wo er wohl weilen mag; allezeit aber ist es mir tröstlich, daß er denselben Weg mit uns wandert.

Daß Ihr einsam Eure Pfade ziehen müßt, laßt Euch nicht anfechten, das hat der Herr Euch also verordnet. Rühmet, sich nicht der Apostel Paulus der Trübsal, und habt Ihr nicht selbst erfahren, daß das Herz fest wird in Kampf und Streit? Ihr habt jetzo ein süß Trostkräutlein empfangen, und das segne und erhalte Euch der gnadenreiche Gott! Küßt die beiden Mägdlein! Ach, daß ich selbst es könnte!

Fahrt wohl, herzlich und, treugeliebte Frau, und vergeßt nicht, daß ich Euer allzeit gedenke.

Eure getreue Muhme
Elsabe.


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