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Achtes Kapitel.

Kordula war bei Frau Herbort, seit Eva als Hausfrau in des Ratmannen Haus eingezogen war. Es war kein freudreicher Tausch für das Mägdlein, ihr Herz fühlte sich vereinsamt. Frau Herbort erinnerte sie an die Äbtissin in Marienwalde, und das war genug, um sie verschlossen zu machen. Die alte Frau hinwiederum entbehrte die milde, liebreiche Weise Evas. Sie hatte diese nicht anerkannt, als sie ihrer genoß, nun merkte sie, wie sie ihr Herz erquickt hatte. Zwar gefiel ihr Kordulas strenge Frömmigkeit und ihre Abneigung gegen die neue Lehre, aber sie konnte nicht vergessen, daß sie Juttas Kind sei.

So war noch weniger Glück in dem vornehmen Hause als vordem, und langsam gingen die Tage in peinlicher Stille dahin. Je abgeschlossener das Mägdlein lebte, desto klarer wurde ihr, wessen Bild sie im Herzen trug. Hundertmal sagte sie sich, daß sie sündige, aber sie konnte nicht zum Siege kommen, obwohl sie ohne Aufhören zu den Heiligen flehte und opferte, so viel sie vermochte.

Frau Herbort sah wohl, daß des Mägdleins Wangen bleich wurden, aber sie fragte nicht nach dem Grunde. Was kümmerte es sie? Hatte sie Kummer, so mochte sie ihn bezwingen; auch sie selbst hatte dessen genug gehabt, jeder Mensch muß seine Last tragen.

Es war ein sonniger Nachmittag im Mai. Kordula war zu Eva gegangen, und da diese nicht zu Hause, doch bald wieder zurückerwartet wurde, setzte das Mägdlein sich in die Laube. Die Vögel sangen, die Bienlein summten, ein Schmetterling hatte sich zwischen die Mauern verirrt und flatterte umher. Es war ein Duften und Weben in dem engen Garten, daß Kordula das Herz weit wurde und langsam Thräne um Thräne aus ihren Augen rann. Sie hatte die ganze Außenwelt vergessen; sie gedachte an die Stunde, wo Bruder Benedikt neben ihr am Brunnen gestanden und versprochen, ihr Fürbitter zu sein. Ob er Wort gehalten hatte?

»Jungfer Kordula,« tönte da plötzlich eine Stimme neben ihr; und als sie erschrocken aufblickte, stand der, an den sie eben gedacht hatte, vor ihr. »Ich suchte den Junker,« sprach er, wie sich entschuldigend, »wißt Ihr, wo er zu finden ist?«

Kordula konnte sich kaum schnell genug aus dem Reiche ihrer Träume in die Wirklichkeit zurückfinden, um ihm zu sagen, daß er mit Frau Eva ausgegangen sei, aber bald zurückkehren werde.

»So will ich warten,« entschied der Mönch und setzte sich Kordula gegenüber. Er sprach von dem und jenem, sein Antlitz strahlte in Freude und Lebensmut; Kordula hörte still zu, nur dann und wann streifte ihr Blick den Redenden.

»Bruder Benedikt,« sagte sie endlich, »darf ich Euch etwas fragen?«

»Wohl, Jungfer, was ist's.«

»Habt Ihr nicht vergessen, meiner vor dem Hochgelobten zu gedenken?«

»Nimmer vergaß ich das, habt Ihr es nicht gespürt?«

»Es läßt sich nicht jeder Kummer wegbeten,« entgegnete das Mägdlein, »doch hat es mich getröstet, zu wissen, daß Ihr ein Paternoster für mich sprecht.«

»Nicht ein Paternoster, Jungfräulein, sondern ein Gebet aus dem Herzen habe ich täglich für Euch gethan. Aber wißt, das ist nicht die Absicht des Herrn, daß unser Herz soll unbeschwert sein. Jeder von uns muß sein Kreuz auf sich nehmen. Meint Ihr, das sei ein Übel? Mit nichten! Eine Gnade ist es; wir erkennen es nur nicht allemal völlig hier in diesem Leben, sondern erst dereinst.«

Kordula seufzte, dann sprach sie zögernd: »Ich möchte gern glücklich sein.«

»Ich auch, werte Jungfer,« entgegnete der Mönch, »aber ich habe in meiner einsamen Zelle gelernt, daß vieles nur dazu da ist, um uns Entsagung zu lehren. Das jedoch will ich hinzusetzen, daß alles Entsagen uns dem Hochgelobten näher bringt. Wir müssen seine Hände fassen, dann sind wir glücklich.«

»Es ist die neue Lehre,« rief Kordula hastig und errötend aus.

»Es ist die alte Wahrheit, Jungfer, und wer sie vergessen hat, dem gerät es übel.«

Das Mägdlein wollte etwas erwidern, da kam Raimar gesprungen. »Bruder Benedikt,« jubelte er schon von fern, »der Oheim Joachim kommt bald; er hat's vermeldet. O, wie freue ich mich! Er kann heute kommen oder morgen.«

»Oder in einigen Wochen,« fiel der Mönch ein; »er muß ja Reisegelegenheit abwarten.«

»Er reitet.«

»Nun wohl, er muß Geleit haben; dem einzelnen ergeht es oft übel auf der Heerstraße.«

Eva hatte sich neben Kordula gesetzt, und beide sprachen freundschaftlich mit einander. Erstere bemerkte mit Trauer die Schatten in des Mägdleins Antlitz, aber sie fragte nicht nach deren Ursachen; sie hoffte, daß die Zukunft sie in Licht wandeln werde.

Es war Juli geworden, und eines Tages um die Mittagszeit saß Herrn Johanns junges Ehegemahl am Fenster in derselben Stube, in der Muhme Els gewohnt hatte. Es stimmte nicht ganz mit der Sitte damaliger Zeit, aber dem Ratmannen war es lieb geworden, ungestört das untere Gemach zu bewohnen. Eva war es heimisch hier oben, und Raimar, welcher neben ihr stand, sagte: »Base Eva, hier oben bei Euch ist es am schönsten. Ich bin hier noch lieber als auf dem Papageienschießen.«

Die Angeredete lächelte und erwiderte: »Schau doch, was kommt dort die Straße herauf?« Sie öffnete das Fenster, und der Knabe rief: »O, das sind Reiter, und einer ist ihnen voraus, das wird der Oheim sein. Seht da, er spähet umher und grüßt uns. Oheim Joachim, liebwerter Oheim, ich bin hier.«

Der Reiter hatte sein Roß angehalten und blickte fröhlich empor. Der alte Martin kam sogleich aus dem Hause; Tile, der Koch, erschien dicht hinter ihm, und der Junker, welcher eilig hinunter gelaufen war, hängte sich an seinen Hals.

»Wie groß Du geworden bist, Knabe!« sagte der Oheim und sah ihm wohlgefällig in das freudestrahlende Antlitz. »Und da ist ja der Martin und Tile, und auch Emerentia wird nicht weit sein, und die Base Els – wie geht es ihr?«

»Gut, Oheim; doch warum fragt Ihr nicht nach der Frau Mutter?«

Sie waren auf die Diele getreten; Martin führte das Pferd hinunter zu den Ställen. Herr Joachim blickte erstaunt auf den Junker. »Ich verstehe nicht, was Du redest.«

»Wißt Ihr denn nicht, daß ich wieder eine Frau Mutter habe?« fragte Raimar fast ungeduldig; »und eine so liebe, gute Mutter! Wir wollen zu ihr gehen, auch sie freut sich, daß Ihr kommt, und ich glaube,« fügte er leise hinzu, »sie denkt von Euch viel über den Luther zu erfahren, denn sie hat ihn gern, aber der Herr Vater nicht.«

Herr Joachim stand jetzt am Fuße der Treppe still: »Aber nun sage mir zuvor, wer die Frau Mutter ist?«

»Nun, die Base Eva natürlich; der Vater hat es Euch ja geschrieben und ich auch. Es war mein erster Brief, Oheim.«

»Ich habe niemals ein Schreiben erhalten,« entgegnete der Reiter ernst. Er nahm den Hut vom Kopfe, sein Antlitz war sehr bleich, und Schweißtropfen standen ihm auf der Stirn.

»Ihr seid zu schnell geritten,« sprach der Knabe sorglich.

»Es wäre nicht vonnöten gewesen,« murmelte Herr Joachim vor sich hin; dann stieg er langsam die Treppe hinan.

»Gott grüß Euch, Herr Joachim,« sagte Frau Eva herzlich und reichte ihm beide Hände; »es ist gut, daß Ihr wieder daheim seid, unsere Herzen sind voll Freude darüber.«

»Ich danke Euch,« erwiderte der Ankömmling und hielt die zarten Hände lange in den seinen, ohne es recht zu merken.

»Base Eva,« rief Raimar dazwischen, »er hat gar nicht gewußt, daß Ihr die Frau Mutter seid; denkt doch, mein Brief ist ihm gar nicht zuhanden gekommen.«

Tiefes Rot färbte die Wangen der jungen Frau, und sie sah zu Boden; dann erhob sie den Blick zu Joachim: »Ja, ich bin Herrn Johanns Hausfrau, aber,« bat sie mit fast schmerzlichem Lächeln, »ich darf Euch doch noch Oheim nennen? Das Wort erinnert mich an frühere schöne Zeiten.«

»Thut es, liebwerte Frau,« entgegnete Herr Joachim. »Auch ich habe draußen in der Welt oft jener Zeiten gedacht und schier gemeint, sie seien die holdesten meines Lebens gewesen.«

In diesem Augenblick wurde die Thür hastig geöffnet, und der Ratmann trat ein. Er begrüßte den Bruder und war verwundert, ihn noch im Reisekleide zu sehen.

»Ich führe den Oheim auf seine Kammer,« rief der Junker; dann gingen beide hinaus.

Herr Johann trat freundlich zu seinem Gemahl und that ihr kund, daß er Vorrat für Küche und Keller besorgt habe, so weit es jetzt vonnöten sei; darauf zog er einen Ring mit einem Smaragd aus der Tasche, und steckte ihn an ihren Finger mit den Worten: »Es ist ein kostbar und selten Stück, ich dachte, es würde Euch erfreuen.«

»Eure Güte erfreut mich von Herzen,« versetzte Eva und reichte ihm die Hand; »ich danke Euch innig.«

Es war am Nachmittag des andern Tages. Herr Johann war um 2 Uhr, wie es Brauch, in die Nachmittagssitzung des Rates gegangen, und Frau Eva saß im kühlen Gemach. Sie war allein. Wundersame Gedanken durchzogen ihre Seele und führten sie zurück in die Jugendtage. Sie erinnerte sich, wie der Oheim Joachim ihr und Kordula kleine Boote aus Holz geschnitzt, wie er mit ihnen Ball geschlagen, wie er Bildchen für sie gemalt und Geschichten dazu erzählt hatte, und wie er allezeit ihr guter, freundlicher Gefährte gewesen. Wie lange war das her! Sie hätte ihn jetzt nicht wiedererkannt. Er war schier höfisch in seinen Sitten geworden, trug auch ein weltlich Gewand, und sie hatte ihn sich immer im Priesterrock gedacht. Sie lächelte ein wenig, dann horchte sie auf, es nahten sich Schritte und Herr Joachim trat ein.

Eva ging ihm entgegen und sagte freundlich: »Ich freue mich, daß Ihr jetzt kommt, Oheim; es wird uns niemand stören. Ich sehne mich herzlich, etwas von Wittenberg zu hören. Wie steht es allda?«

»Gut steht es,« entgegnete Herr Joachim und setzte sich neben den Platz der Hausfrau am Fenster. »O, Base Eva, das ist ein Leben, wie ich es mir wünschte. Es weht allda ein frischer Wind, und schwillt er gleich manchmal zum Sturm an, so ist eben der Steuermann da, der das Schifflein sicher hindurchleitet. Jeder blickt auf ihn mit vollem Vertrauen; die Klerisei ist machtlos, ihre Zeit ist vorüber. Vor einem Jahr hat der Luther die Mönchskutte ausgezogen, der Kurfürst Friedrich hatte ihm Tuch zu einem schwarzen Predigerrock gesandt. Auch verhandelte er damals schon mit dem Kurfürsten wegen seines Klosters, in dem er und der Prior Eberhard Brisger allein noch übrig waren, und das der Kurfürst übernehmen sollte. Es ist anders allda, werte Frau, die Klosterthüren schützen und schirmen nicht mehr sattsam: heimlich und öffentlich gehen Mönche und Nonnen herfür, ergreifen ein Gewerbe oder treten in ein Amt, Summa, nützen der Menschheit.

»Ich fürchte oft,« warf die junge Hausfrau ein, »es wird viel Mißbrauch mit der christlichen Freiheit getrieben; die Leute wissen ihrer nicht zu gebrauchen, verwechseln ihr eigen Gelüst mit Gottes Willen und Satzung und schaden also der großen Sache.«

»Ihr habt recht, liebe Base; aber soll man den Strom trocken legen, weil er zu Zeiten über die Ufer tritt? Nein, sondern man soll Dämme bauen, und im übrigen der Segnungen genießen. Und den Luther solltet Ihr sehen, wie er dasteht. Gewaltig straft er die Schwärmer und Aufständischen, thut gegen alle seine Meinung und Willen kund, vermahnt zum rechten Frieden und zur Nüchternheit, und dabei ist er nicht nur am Tage thätig, sondern bis tief in die Nacht sieht man das Lämplein brennen, das ihm zur Arbeit leuchtet.«

»O, Herr Joachim,« versetzte Eva und sah ihn mit strahlenden Augen an, »das möchte ich wohl, ihn ein einzigmal sehen und seine Rede hören. Mir ist's oft bange; die neue Lehre dringt nie zu uns, ausgenommen heimlich, und das macht mir das Herz schwer.«

»Ihr thut unrecht daran, kleinmütig zu sein, liebwerte Frau,« antwortete Herr Joachim. »Ein so großes Werk muß durchdringen; es ist wie der Sonne Licht, das die Ecken und Winkel hell macht, geschieht's auch nicht an allen Orten zugleich, sondern trifft ein Gemach eher denn das andere.«

»Wisset, Oheim,« hub Eva nach kurzem Schweigen zögernd an, »es bekümmert mich tief, daß Herr Johann der neuen Lehre so feind ist. Oft meine ich, es werde uns zum Zwiespalt geraten, und ich weiß nicht den Weg zu finden und die Grenze zu ziehen zwischen Gehorsam gegen Gott und die Menschen, so ich doch weiß, daß diese Grenze da ist. Wärt Ihr geistlich, dann solltet ihr mir Rat geben.«

Herr Joachim stand in großer Erregung auf, dann schaute er fast schmerzlich in das schöne junge Antlitz und erwiderte mit fester Stimme: »Ich werde niemals geistlich.«

Ängstlich ruhten die großen, sanften Augen auf ihm. Herr Joachim aber wandte sich ab und durchmaß das Gemach mit heftigen Schritten. Sein Wort war Eva nicht überraschend; sie hatte längst geahnt, daß es so kommen würde, und doch zitterte sie bei dem Gedanken an solchen Entschluß. Wie würde dieser des Ratmanns ganzen Zorn entflammen, und was würde das Ende sein!

»Meint Ihr, ich handele unbedacht?« fragte Herr Joachim endlich, indem er neben ihr stehen blieb. »Ich sage Euch, nein; mehr als eine schlaflose Nacht habe ich darangesetzt, um zur Klarheit zu kommen. Es ist nichts, was mich treibt, als das Gewissen; andere irdische Wünsche habe ich vordem begraben, sie haben mich nicht bestimmt. Was sollte ich auch vom Leben erwarten?«

Er hatte das Letzte traurig gesagt, ganz gegen seine sonstige Gewohnheit, und mitleidig blickte Eva zu ihm auf; dann erwiderte sie milde: »Wir alle dürfen wohl nicht danach fragen in einer Zeit, wie die unsere, was das Leben uns bringen wird an Glück, sondern was an Heil und Wahrheit; mich wenigstens bedünkt, daß es so sein sollte.«

»Ja, es bedünkt Euch und bedünkte auch mich einst; aber, liebwerte Frau, vergeßt nicht, daß uns im tiefsten Herzen allezeit ein Verlangen nach eigenem irdischen Glücke bleibt. Und warum nicht? Erdenglück ist eine Gabe des Herrn, und alle seine Gaben sind gut.«

Eva nickte, tief in Gedanken verloren. Ach, sie fühlte wohl, wie recht er hatte. Hörte sie denn auf, sich nach Glück zu sehnen? Hörte sie auf zu trauern, daß es ihr nicht so geworden, wie sie es erträumt hatte?

Herrn Joachims Augen ruhten warm und innig auf ihr, sie merkte es nicht; endlich schaute sie auf, und leise errötend bat sie: »Erzählt mir mehr von Wittenberg.«

»Es ist wahr, wir sind davon abgekommen, und die Hauptsache bleibt noch zu vermelden. Der Martinus hat ein Weib genommen.«

Erschrocken fuhr Frau Eva herum; »Ihr scherzt, Oheim.«

»Ich scherze nicht; das Ding ist ernst, aber es ist recht gethan.«

»Erzählt es mir genau,« bat Eva.

Herrn Joachim kam der alte Mut und die vorige Freudigkeit zurück, da er von der großen Sache redete, und er setzte sich wieder auf den Schemel zur Seite der Hausfrau. »Es ist oft die Rede davon gewesen, daß der Martinus ein Weib nehmen sollte,« begann er. »So hat auch noch im vergangenen Jahre Argula von Staufen davon geschrieben. Der Luther aber hat ihr danken lassen und erwidern, sein Sinn stehe nicht aufs Heiraten, zumal er täglich den Tod erwarte und das wohlverdiente Urteil eines Ketzers. Jedoch ist es anders gekommen. Vor einigen Wochen – es ist am 13. Juni gewesen – hat Luther, ohne vorher viel Geschrei davon zu machen, und ehe sich seine Freunde dessen versahen, die Katharina von Bora zur Ehefrau genommen, und hat denn hernach am 27. desselben Monats ein groß und fein Hochzeitsmahl gehalten, dazu er seine Freunde geladen.«

»Habt Ihr die von Bora gesehen?« fragte die junge Frau.

»Ei, wohl habe ich das; ist ein ehrsam und züchtig Jungfräulein gewesen und lebte bei dem Stadtschreiber Philipp Reichenbach in der Bürgermeistergasse, da auch ich zuweilen aus- und einging. Sie war eine der Nonnen, die vordem aus dem Kloster Nimtschen entflohen.«

»Und der Martinus, wie frommt's ihm im heiligen Ehestande?«

»Wohl frommt's ihm und er rühmt, daß sein Weib ihm folgsam sei und mehr nütze, als er zu hoffen gewagt habe.«

»Verzeiht, Oheim, ich kann mich nicht so bald in das Gehörte hinein versetzen; denn geistlich sein und ein Weib haben, das ist doch etwas, woran man nimmer gedacht hat.«

»Kränkt es Euch, Base Eva? Es ist nur die Gewohnheit, bald wird es anders werden. Ihr findet in heiliger Schrift nichts dawider.«

»Mag sein, aber was sagen die Leute dazu?«

»Es ist ein groß Zetergeschrei allerorten losgebrochen bei den Feinden der Sache, sonderlich haben die Priester ein schadenfroh Lachen angestimmt; sie sind aber alle bald verstummt. Der Martinus steht zu fest und hat Beistand an seinen Freunden, an hohen Gönnern und fürstlichen Herren. Dazu hat er für sich, daß er ihnen Beweise des Rechtes giebt und mutig den Widersachern standhält mit Wort und That.«

»Habt Ihr schon mit der Muhme Elsabe gesprochen?« fragte Eva, und was meint sie dazu?«

»Ich war in der Frühe bei ihr und habe ihr berichtet; sie war hocherfreut. Der ist ein Held, sprach sie, der also der ganzen Welt gegenübertritt, und ein Held muß es sein, der Neues schafft, denn allzutief sind wir abwärts geraten.«

»Und sie fand es nicht zu viel gewagt?«

»Mit nichten; sie meinte sogar, nun müsse noch weiteres kommen, und sie wolle Gott dafür loben.«

»Ja, die Muhme Els ist selbst eine Heldin; ich kenne sie wohl darinnen. Sie weist anderen den Weg, indem sie selbst so sicher geht. Sagt an, Herr Joachim, habt Ihr ihr auch davon gesprochen, daß Ihr nicht geistlich werden wollt?«

»Ja, ich habe es gethan.«

»Und sie?«

»Sie sah mich mit ihren milden Augen ernst an und sagte ruhig: Ich wußte, daß es so kommen würde. Dann reichte sie mir die Hand und drückte sie schweigend; als ich fortging, sprach sie mit bewegter Stimme: Ihr tretet jetzt in einen harten Kampf ein; der Herr stehe Euch bei, und das laßt Euer Panier sein: Seine Ehre. Ihr werdet siegen, wenn auch nicht alsbald und nicht vor der Welt.«

»O, Muhme Els!« flüsterte Eva innig.

Joachim fuhr fort: »Ich will schon morgen mit Herrn Johann reden. Er soll nicht sagen, ich habe ihn getäuscht und seine Gastfreundschaft gemißbraucht. Wer frei und offen zum neuen Glauben sich bekennt, der muß Anfechtung leiden. Vielleicht bin ich morgen schon wieder auf der Heerstraße und weiß nicht, wo ich mein Haupt hinlege; aber ich zage nicht, sondern bin nur meines Meisters Jünger.«

Sein Antlitz glänzte in edler Begeisterung, und Eva blickte ihn fast ehrfürchtig an, dann bat sie leise: »Geht nicht, Oheim. Wir haben kaum der Freude genossen, Euch wiederzusehen und ich – nun, Ihr wißt wohl selbst, welch einen Trost Ihr meiner Seele bringt, und wie Ihr meinen Glauben befestigt; mir ist froher zu Sinn als jemals.«

Herr Joachim wandte sich ab, dann erwiderte er langsam: »Ich danke Euch, Frau Eva, ja, ich will bleiben, so es angeht, sehe ich gleich nicht, wie es in Frieden und Freundschaft ausgeglichen werden kann; doch ist ja bei Gott kein Ding unmöglich.«

Eva seufzte und schaute auf ihre gefalteten Hände; Joachims Augen aber hafteten schmerzlich auf dem teuren blassen Antlitz. Ach, daß er also ferne stehen mußte, und er hatte doch eine gar andere Hoffnung im Herzen getragen, als er eingeritten war in die Thore der alten freien Reichsstadt. Aber er wollte nicht an sich selbst denken, sondern dem jungen Weibe, welches sich vertrauensvoll an ihn wandte, geistlicherweise eine Stütze und Hülfe sein, so viel an ihm war. Und vielleicht hatte sie seinen Schutz nötig gegen den, dessen Pflicht es zuerst gewesen wäre, ihr solchen angedeihen zu lassen. Denn er kannte Herrn Johann wohl; er war unnachsichtig, wo es galt, den alten Glauben zu verteidigen und zu festigen.

Es war still im Gemach; beide waren in tiefe Gedanken versunken. Die junge Hausfrau erhob sich zuerst: »Ein andermal weiteres, werter Oheim! Mich verlangt sehr danach, aber ich muß das, was Ihr mir heute gesagt habt, zuvor erwägen. Unten wird es laut; es sind Raimar und Bruder Benedikt; könnt Ihr des letzten allein habhaft werden, so erzählt ihm das vom Martinus; er hängt ihm an trotz der Kutte und wartet, bis die Zeit gekommen ist, mit seinem Bekenntnis offen hervorzutreten.«

»Die Zeit wird nicht mehr allzufern sein,« entgegnete Herr Joachim, und ging mit freundlichem Gruß davon, sich dem Mönche zugesellend.

Eva saß noch lange in tiefem Sinnen; wohl erwog sie im Herzen alle die großen Dinge, von denen ihr Herr Joachim gesagt hatte, wohl empfand sie mit Freude und Zittern, daß die große Entscheidung immer näher kam, wohl flehte sie zu dem Allmächtigen, er wolle ihr Kraft und Mut geben, Glauben zu halten, aber in das alles drängte sich ein Bild ungewollt und unvermutet, und so oft sie es gewaltsam verscheuchte, so oft war es dennoch wieder da, bis sie zuletzt aufstand, das Mäntlein umlegte, Raimar rief und mit ihm zu Frau Herbort ging. Nun konnte Herr Joachim mit Bruder Benedikt reden, und sie war ihrer einsamen Gedanken ledig.

Noch selbigen Abends trat der Mönch in Meister Andreas Schünemanns Stübchen. Das Fenster desselben stand offen und ließ die milde Luft herein. Der Meister hatte die Arme in einander geschlagen und saß feiernd auf dem Tisch, Hinrich Malenbeke und Karsten standen neben ihm, alle drei hatten eifrig mit einander geredet.

»Ihr kommt gerade recht,« rief der Schneider, als die Thür sich hinter dem Mönch geschlossen hatte, »setzet Euch. – Da ist kein Schemel mehr? – wohl, der Tisch ist groß genug, nehmt Platz.«

Lächelnd folgte der Angeredete der Weisung und Meister Andreas fuhr fort: »Eben hat der Karsten eine verworrene Nachricht heim gebracht, als ob der Martinus in den heiligen Ehestand getreten sei, aber ich sage, dem ist nicht so, denn ist er gleich kühn und furchtlos, das thäte er doch nicht, es wäre zu arg in den vollen Napf geschlagen.«

»Und ist dennoch wahr,« entgegnete Bruder Benedikt, »Herr Joachim Salige ist heim kommen und hat es selbst erlebt, kennt sogar die von Bora, welche anjetzo sein ehelich Gemahl ist.«

»Hoho!« rief der Schneider und nahm die Zipfelmütze ab, um sie gleich wieder aufzusetzen, »hoho, das wäre nach meinen Erfahrungen – doch, ich will nichts gesagt haben – der große Mann muß wissen, was er thut.«

»Das weiß er auch,« fiel ihm Bruder Benedikt ins Wort, »der Luther rühmt seine Katharina sehr.«

»Es ist erst der Anfang, man soll das Ende loben; doch eins freut mich dabei; was werden die Pfaffen gezetert haben?«

»Ja, und Andere desgleichen, können aber Alle nichts dagegen thun, sintemal der Ehebund von dem ehrwürdigen Bugenhagen ist rechtens und christlich eingesegnet.«

»Es geschieht viel in der Welt, Bruder Benedikt.«

»Und wird noch mehr geschehen, Meister. Herr Joachim versichert, solch einem Drängen könne nirgends lange Widerstand geleistet werden, es muß allerorten zur Entscheidung kommen.«

»Es ist dasselbe, was ich immer gesagt habe«, entgegnete der Schneider stolz und selbstbewußt, »nur das ist es, daß eines armen Mannes Stimme nicht gehört wird. Hinrich, Ihr seid ja wieder von einem furchtbaren Gleichmut und sagt kein Wort; in weltlichen Dingen mag dieser nicht zu verachten sein, aber in diesen großen geistlichen Angelegenheiten ist er schier sündlich.«

Der Altflicker nickte und blickte Bruder Benedikt fragend an: »Was meint ihr dazu?«

»Es muß allerlei Gotteskinder geben,« versetzte der Mönch, »und jeder muß an seinem Teil der eignen Seele und seinem Nächsten dienen, das ist des Allmächtigen Wille und Gebot.«

»Richtig,« fiel der Schneider ein, »aber wie soll man seinem Nächsten dienen, wenn man nicht seine Gedanken in Worte fasset? Ich sehe es als heilige Pflicht an, zur Herberge zu gehen und zu reden von der neuen Lehre, und was ich über sie vernommen habe und morgen gehe ich auch hin. O, wie werden sie sich verwundern, wenn ich ihnen das von des Martinus Ehebündnis erzähle, es ist so wie so in des Menschen Natur, daß er sonderlich nach solchen Geschichten hinhöret, d. h. ich nehme Hinrich und mich aus, ihn wegen seiner Natur, mich wegen meiner Erfahrungen und – –«

»Aber, Meister Andreas,« unterbrach Hinrich ihn, »lasset doch Bruder Benedikt des Weiteren berichten, wir müssen mehr erfahren, was Herr Joachim gesagt, denn nicht alle Tage kommt einer aus Wittenberg, zumal einer, der die Sache versteht.«

»Richtig, richtig, Hinrich Malenbeke; ich bitte Euch, Bruder Benedikt, redet weiter. Also ein Weib hat er genommen, das steht fest, und nun? – –«

Der Mönch erzählte den beiden aufmerksam Lauschenden von den Begebenheiten in Wittenberg, wie das große Werk durch viel Kampf und Mißverständnis nicht am Fortgang leide, sondern wie in treuer Arbeit das Wasser des Lebens heraufgeholt werde aus den durch Menschensatzungen fast verschütteten Schacht. Auch daß der Luther schon lange nicht mehr allein dastände, sondern treue gotterleuchtete Männer zur Mithülfe hätte.

Die Sterne standen schon in flimmernder Pracht am Himmel, als der Mönch durch die stille Johannisgasse schritt nach St. Kathrinen zu. Es war kein Ende zu finden gewesen des Redens in der niederen Stube des Meisters Andreas, und war eitel Lobpreis aufgestiegen zu dem Thron des Höchsten, daß er in Gnaden eine Erlösung aus Banden geschaffen.


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