Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Dreizehntes Kapitel.

»Hinrich,« rief der Schneider, als er am folgenden Sonnabend von der Herberge heimkam, »Hinrich, ist so etwas erhört? Ein ehrsamer Rat hat verboten, nach Oldesloe zu gehen; schon heute abend, mehr noch morgen früh soll die Straße dorthin versperrt werden.«

Der Flickschuster ließ die Arbeit fallen und sah den Sprecher erschrocken an.

»Ja, schweig' nur still,« fuhr dieser fort, »denn auch Du weißt nicht, was Du zu solcher Gewaltthat sagen sollst.«

Hinrich Malenbeke blickte lange sinnend zu Boden, dann antwortete er ruhig: »So müssen wir zu Wasser hin.«

»Daß ich daran nicht gedacht habe,« sprach Meister Andreas; »also diesmal zu Wasser!«

Am nächsten Sonntag war die Heerstraße nach Oldesloe leer, aber die Kirche dort voll, und des Rates Wächter merkten, woher die Lübecker gekommen waren.

Meister Andreas war bald wieder kleinlaut. »Auch der Travenbaum ist jetzt gesperrt,« sagte er an einem der nächsten Sonntage.

»Das ließ sich erwarten,« entgegnete der Altflicker, »was nun?«

»Ja, was? Man kommt wohl dennoch durch, aber immer nur der Einzelne. Die Gemeinschaft hört ganz auf. Ich wenigstens gehe nach Oldesloe, ich kenne Wege, um mich durchzuschleichen, und Ihr wißt ja, wagen gewinnt.«

»Sollte man sich nicht einstweilen dem Verbot fügen?« fragte der Flickschuster gelassen.

»Fügen? wo denkt Ihr hin? Nein, ich bin so recht in der Stimmung, um der großen Sache willen zu leiden, gerade wie der Martinus, der sich auch immer wünscht, ein Märtyrer zu werden. Ein Märtyrer zwar, das will ich gerade nicht sagen, aber etwas Ungemach leiden, das gefiele mir schon.«

Der Schneider und manche der Getreuen mit ihm führten den vorgefaßten Plan aus, und am Montag konnten eines ehrsamen Rates Abgesandte wieder berichten, daß viele Lübecker Bürger in Oldesloe gewesen seien. Nun wurde die Wachsamkeit verdoppelt. Am nächsten Sonntag war Hinrich Malenbeke auf des Schneiders Anraten mitgegangen, auf dem Heimwege aber traten ihnen des Rates Diener entgegen und wollten sie festnehmen. Meister Andreas merkte es bald und wollte den Freund bewegen, sich zu verbergen oder zu entfliehen, denn er, der Schneider, habe ihn überredet und wolle die Suppe, die er eingebrockt, nun auch allein ausessen.

»Ich fliehe nicht,« entschied der Altflicker. So wurden beide ergriffen und ins Gefängnis geworfen. Das war freilich hart, zumal sie nicht wußten, wie lange sie hier bleiben würden. Aber sie waren mit Gesinnungsgenossen zusammengethan, und es war ihnen ein Trost, sich über die neue Lehre zu besprechen und Psalmen zu singen.

»Frau Mutter,« rief Junker Raimar an demselben Tage, erregt in das Gemach tretend, »sie haben Meister Andreas und Karstens Vater ins Gefängnis gesetzt, weil sie heimlich nach Oldesloe gegangen sind. Denkt doch, die guten Leute! Sollten wir nicht versuchen, ob der Herr Vater ihnen zur Freiheit verhilft?«

Frau Eva schüttelte den Kopf. »Es nützt nichts, mein Knabe, sondern entfacht seinen Zorn nur noch mehr.«

Raimar legte den Arm um sie, sah ihr liebreich in die Augen, die nicht in altem Glanz strahlten und sagte sanft: »Frau Mutter, grämt Euch nicht allzusehr, es kommen ja gewiß bessere Zeiten.«

»Für Dich wohl, ob für mich, das ist die Frage,« entgegnete Eva leise, »aber es ist wahr, wir wollen nicht verzagen.«

Raimar war jetzt fünfzehn Jahre und alt genug, daß ihm die wahre Lage der Dinge nicht verborgen bleiben konnte. Es that der Ratmannenfrau gut, so über alles mit dem Sohne zu reden; sie wußte, er verstand sie und liebte sie. Ach, ihr Herz dürstete nach Liebe und fand sie, außer hier, nur noch bei der Muhme Els.

Als sie ein Stündchen so bei einander gesessen hatten, bat sie Raimar, zum Leprosenhause zu gehen, denn sie vergaß des Ausgestoßenen allda nicht, und sandte ihm regelmäßig Gaben der Erquickung zu. Er leistete gern Folge.

Nun war sie wieder allein. Sie konnte es nicht ändern, daß die letzten Jahre an ihrem Geiste vorüberzogen. Einer nach dem andern war gegangen, der ihrem Herzen wert gewesen war, der ihrer Seele zur Klarheit geholfen hatte, und es war nichts als Einsamkeit und Widerstreit geblieben. Nichts weiter? Gott sei gelobt, ja! Wohl stand sie im Kampfe, aber sie hatte ihre teure Bibel, sie konnte zu Muhme Els gehen, die allezeit Trost bereit hatte und ihr heimlich die werten Schriften zusteckte, die der Martinus in alle Welt sandte. Und dazu hatte sie jetzt Kordulas Kind, ein kleines zartes Wesen, das ihre Sorge und Liebe in Anspruch nahm und ihr glückliche Stunden schaffte.

Und doch, und doch! – Es war eine Leere in ihrem Herzen, und sie seufzte tief. Zwar bezeigte Herr Johann sich allezeit freundlich gegen sie, er brachte ihr Geschenke und war stolz auf sein schönes, junges Gemahl, aber er war kein Teil von ihrem Herzen, und sie war nicht der Sonnenschein seines Lebens.

»Ihr erwartet zu viel vom Leben,« sprach Emerentia oft, wenn sie das stille, müde Wesen Evas beobachtete. Dann zog flüchtig Rot über das blasse Antlitz, und sie erwiderte lächelnd: »Laßt mich, ich kann nicht anders. Ein unerfülltes Verlangen ist besser, als zufrieden sein mit weniger, als einem zukommt.« Die Alte verstand das nicht; nein, wie sollte sie auch. Eva hatte in der ersten Zeit mit der Muhme Els gesprochen, ob auch sie einmal nach Oldesloe fahren sollte, aber diese hatte gesagt, es sei gegen den Gehorsam. Herr Johann werde es verdammen, und es werde nichts als Unfrieden stiften. Sie gab ihr recht.

Der Ratmann war oft verdrossen und leicht erregt; die ganze Lage der Dinge machte ihm Sorge und beunruhigte ihn. Er konnte sich nicht verhehlen, daß im Volk die neue Lehre immer mehr Platz gewinne; er wußte, daß viele Familien in holsteinische oder mecklenburgische Städte auswanderten, um dem Zwange des Gewissens hier zu entgehen; er wußte, daß sein eigen Weib ihre Gesinnung nicht geändert hatte, wie er erwartet und gehofft, und merkte wohl, daß auch sein Sohn der jungen Stiefmutter anhing. O, ihm ahnte, es würde noch mehr Schande kommen über sein Haus, und davor bangte ihm.

Raimar war nach dem Leprosenhause gegangen. Er war in tiefe Gedanken versunken. Es kränkte ihn, daß seine Mutter nicht so froh wie früher war. Er schob alles darauf, daß sie jetzt nichts vom Luther und von der rechten Predigt des Wortes höre. Endlich meinte seine Liebe den Weg zur Abhülfe gefunden zu haben, und siegesfrohes Lächeln glitt über seine Züge. Er hatte erfahren, daß der Ratmann sich am Sonnabend nach Travemünde begab und erst am Sonntag-Abend heimkehrte, und darauf baute er seinen Plan. Er sagte niemandem ein Wort, und am Sonntag früh ritt er heimlich nach Oldesloe. Er wollte für die Mutter dort hören und einsammeln, wurde aber selbst so hingerissen von dem, was gepredigt wurde, daß er den Entschluß faßte, sich immer fester der neuen Lehre anzuschließen, möge kommen, was da wolle.

Als er aus der Kirche trat, leuchtete das junge Antlitz in Begeisterung; er sah nicht, wie zwei tückische Augen sich auf ihn gerichtet hatten, er merkte nicht, daß Bruder Simeon ihn hämisch betrachtete, auch nicht, wie dieser eilig den Weg zurück nach Lübeck einschlug.

Raimar konnte sich noch nicht trennen; vor allen Dingen wollte er gern den Prädikanten selbst sprechen. Das gelang ihm auch, und schon brach die Dämmerung herein, als er sein Roß wieder bestieg. Er ritt langsam heim, das Herz tief bewegt vor Freude, daß er in einer so großen Zeit lebe.

Es war schon spät, als er heimkam, aber er hoffte Eva noch wach zu finden. Er stieg eilig die Treppe empor, und mit dem Ruf: »Frau Mutter, ich habe gute Botschaft für Euch,« trat er schnell in ihr Zimmer. Die junge Stiefmutter blickte fast erschrocken auf, aber noch ehe sie ein Wort sagen konnte, erhob sich die Gestalt des Ratmannen aus der Ecke neben dem Kamin, und bleich vor Zorn trat er vor den Sohn hin.

»Herr Vater!« rief dieser verwirrt.

»Du bist in Oldesloe gewesen,« schrie er ihn an, »leugne nicht.«

»Ich leugne auch nicht,« entgegnete Raimar; »ja, Herr Vater, ich war dort.«

»Was suchtest Du allda?«

»Ich war hingeritten, um der Frau Mutter zu sagen, was der Friemersheimer predigt.«

»Raimar!« stieß Frau Eva erbleichend hervor; Herr Johann aber wandte sich zu ihr und sagte mit mühsam verhaltenem Zorn: »Also Ihr sandtet ihn, obgleich Ihr wußtet, daß es gegen meinen Willen sei.«

»Ich sandte ihn nicht,« antwortete Frau Eva würdevoll; »könnt Ihr mir beweisen, daß ich Euch je ungehorsam war?«

Raimar hatte sich wie schützend neben seine Mutter gestellt, er legte den Arm um ihre Schulter und sprach: »Ich wollte der herzlieben Mutter heimlich eine Freude machen, darum bin ich gegangen, niemand hat davon gewußt.«

»Du wirst Buße thun für diesen Frevel,« erklärte der Ratmann ernst und kalt; »ich werde mit dem Kirchherrn reden. Jetzt geh zur Ruhe. Doch nimmer laß Dich wieder gleiches gelüsten, sonst bist Du mein Sohn nicht mehr.«

»Haltet ein!« rief Eva entsetzt, »es möchte Euch reuen, zu halten, was Ihr im Zorn versprecht.«

»Ich weiß wohl, was ich sage und was ich will. Ich will lieber kinderlos in die Grube fahren, als die Schande eines abtrünnigen Sohnes haben. Gute Nacht, Raimar, laß es das erste und letzte Mal sein, daß Du Deines Vaters Willen getrotzet hast.«

Langsam ging der Knabe fort; auf der Schwelle sah er sich noch einmal nach der Mutter um. Sie stand bleich da, aber es lag ein Zug von Entschlossenheit auf dem sonst so stillen Antlitz; der Kampf rief wieder allen heiligen Mut wach, den sie zu Zeiten verloren glaubte.

Der Ratmann schritt unruhig auf und ab; endlich blieb er vor dem jungen Weibe stehen und, den Zorn aus seiner Stimme zwingend, sprach er: »Frau Eva, es ist das erste und letzte Mal, daß ich Euch warne, dem Knaben von der neuen Lehre zu sagen.«

»Ich habe nie Gelegenheit gesucht,« erwiderte sie ruhig.

»Und auch Euch,« fuhr er fort, »gebe ich heute zu bedenken, daß, so Ihr den Anordnungen der Kirche zuwider handelt, Ihr mein Gemahl nicht mehr seid. Ihr habt gesehen, daß ich nicht leere Worte rede, sondern daß es mir ernst ist.«

»Ich habe es gesehen,« entgegnete Frau Eva bitter. »Ihr macht die Euern heimatlos, ohne nur mit der Wimper zu zucken. Das aber sage ich Euch, ich will Euch gehorsam sein, wie ich es Euch schulde, doch bedenkt, daß es eine Grenze giebt, wo es heißt: Man muß Gott mehr gehorchen denn den Menschen.«

Erstaunt blickte der Ratmann auf sein sonst so stilles Weib. Ihre Augen leuchteten in heiligem Zorn; er fühlte, daß sie recht hatte, daß es eine Grenze gebe, wo er sie nicht zum Gehorsam gegen ihn zwingen könne.

»Eva,« begann er nach einer Weile milder, »Ihr wißt nicht, wie tief Ihr mich kränkt. Ich habe allezeit meine Ehre aufrecht erhalten, und habe Opfer um Opfer für dieselbe gebracht, Ihr wißt selbst, ich kann es nicht ertragen, daß das alles soll vergeblich gewesen sein.«

Eva schwieg, und er fuhr fort: »Ich habe Euch freien Willen gelassen in Eurem Thun und Lassen, ich hatte es Frau Herbort versprochen, – und ich habe Euch von Herzen lieb und möchte Euch froh und glücklich sehen. Aber meines Namens Ehre soll darüber nicht befleckt werden, mein Haus soll rein bleiben von Ketzerei.«

Frau Eva schwieg noch immer, jetzt legte Herr Johann die Hand schwer auf ihren Arm und sagte mit Nachdruck: »Wißt Ihr, was denen widerfahren ist, die nach Oldesloe gegangen sind?«

»Ja, ich weiß es, und Gott wird richten und rächen,« entgegnete sie ernst.

»Gott hat sie in unsere Hände gegeben, die Falschgläubigen. Ihr seht, der Sieg ist unser; wendet Euch beizeiten von ihnen.«

»Es wird sich zeigen, wer Sieger bleibt. Übrigens, Herr Johann, redet nicht weiter davon. Ich weiß, was Ihr wollt, und Ihr wißt, daß ich dem Neuen anhange, die Zukunft wird zeigen – –«

»Nichts wird die Zukunft zeigen,« rief der Ratmann, sich selbst vergessend, »oder doch, sie wird zeigen, daß ich ein Recht habe, Euch in die Schranken zu weisen, die Euch zukommen. Ihr seid mein Weib, ich Euer Eheherr, und hiermit thue ich Euch kund, das Ihr nicht wieder zur Jungfer Elsabe Engelstede geht, denn sicherlich bestärkt sie Euch im Abfall; wie sollte sonst solche Hartnäckigkeit in Euer willig und sanft Gemüt kommen.«

Frau Eva wurde totenbleich. Sie preßte die Lippen aufeinander und schwieg. Nach einer Weile brachte sie mühsam hervor: »Ihr habt das Recht, ich muß folgen; aber eins werdet Ihr nicht hindern, daß ich morgen selbst zu ihr gehe und es ihr sage. Ich bin Ihr Dank schuldig und sie soll mich nicht für undankbar halten.«

Der Ratmann antwortete nicht. Endlich dem Ausgang zuschreitend, sprach er kurz: »Es sei drum. Gute Nacht, Frau Eva!«

Die Thür schloß sich hinter ihm, und die junge Ratmannsfrau war allein. Das Mondlicht flutete durch die kleinen Scheiben, sie setzte sich in den Lehnstuhl am Fenster und blickte auf die leere Straße. Ihre Hände lagen gefaltet im Schoß, und ihre Seele war tief betrübt.

Ja, so war's, sie konnte sich nicht darüber täuschen: Die Ehre des Hauses ging Herrn Johann über alles, ihr opferte er seinen Bruder, ihr würde er auch sein Weib opfern. Mit unsäglicher Bitterkeit sagte Eva sich das, und doch, welches Recht hatte sie, etwas anderes zu fordern?

Sie gedachte Herrn Joachims und konnte es nicht ändern, daß es mit heißer Sehnsucht geschah. Ach, wäre er jetzt hier und könnte ihr raten und helfen I Doch nein, es war besser, daß er fern war, und daß sie nicht einmal wußte, wo er weilte. Und wie alle die Wirrnis auf sie einstürmte, stand vor ihrem Geiste die Gestalt des Herrn, milde und sanftmütig, mit den Worten: »Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken.«

Es wurde still in ihrem Gemüt, als sie der Gnaden gedachte, deren sie teilhaftig geworden war. Sie wußte jetzt, daß früher oder später ein öffentliches Bekenntnis auch für sie nicht ausbleiben konnte, und war sie in der vorhergehenden Zeit oft müde, ja zuweilen mutlos gewesen, so blickte sie nun mutig vorwärts, fest vertrauend auf des Herrn Hülfe.

Es war spät, als sie sich erhob, um zur Ruhe zu gehen, und sie fuhr zusammen, als die Thür leise sich öffnete.

»Erschreckt nicht, Frau Mutter,« flüsterte Raimar, »aber ich mußte noch einmal zu Euch kommen. Ich finde nicht Ruhe in der Kammer, ich möchte Euch noch vom Friemersheim erzählen.«

»Ja, thue es, aber ich will zuvor noch einmal nach dem Kinde sehen.«

Sie ging in die Kammer, dann kam sie zurück und setzte sich wie vorher ans Fenster.

Raimar zog einen Schemel neben sie, und nun erzählte er mit heller Begeisterung, was er gehört und gesehen hatte. »Frau Mutter,« schloß er, »ich habe mir heute die Gewißheit geholt, daß ich nur der neuen Lehre anhangen kann, ich habe bisher nicht gewußt, wie groß und herrlich sie ist.«

»Ist Dir auch bewußt, was Du damit sagst?« erwiderte Frau Eva ernst, »das bedeutet für Dich, der Heimat und des Vaterhauses ledig, fremd und im Elende sein.«

»Ich bin jung, Frau Mutter, aber doch alt genug, um zu wissen, was ich glauben will und muß; Ihr werdet sehen, daß ich Mut habe.«

»So es sein kann, habe Frieden mit dem Herrn Vater,« bat Eva sanft, »Luther betont das vierte Gebot, denn es fahren wohl manche hart zu und vergessen der Ehrfurcht.«

»Fürchtet nichts, Frau Mutter, und nun: Gute Nacht!« »Gute Nacht, mein geliebter Knabe!«

Der nächste Tag war trübe und regnicht. Als es am Nachmittag noch immer nicht anders wurde, ging Eva zur Muhme Els. Sie trat in das Gemach und schüttelte sich den Regen ab; es gemahnte sie alles an damals, wo Herr Joachim ihr hier den Mantel abgenommen und sie mitsammen am Feuer gesessen hatten. Damals war sie reich gewesen an Freuden, heute war sie vereinsamt, ach, und nun sollte ihr auch noch die letzte genommen werden, die ihr Trost und Hülfe in den Herzensnöten geboten hatte.

Dies alles stand vor ihrer Seele. Zögernd blieb sie auf der Schwelle stehen, bis der Jungfer Els liebreiche Stimme sie in die Gegenwart zurückrief.

»Was seid Ihr so gedankenverloren, liebste Frau? Kommt doch näher.«

Eva legte der: Mantel ab und trat zu der geliebten Muhme, welche auf ihrem gewohnten Platz am Fenster saß.

Sie legte beide Arme um deren Hals und sagte mit bebender Stimme: »Ich bin heute zum letztenmal hier, Herr Johann will es so.«

Die Jungfer Elsabe wurde bleich, erwiderte aber ruhig: »Ich wußte, daß es so kommen würde; der Herr will es. Ihr sollt allein im Streit stehen. Er weiß, daß Ihr bei aller zeitweisen Schwachheit einen heiligen Mut habt; er will Euch prüfen, und Ihr werdet fest bleiben. Werdet Ihr nicht?«

»Ja, ich hoffe es, ich will es; aber es ist hart, ohne Freund und Berater zu sein.«

»Ihr gebt zu viel auf Menschenhülfe, sie ist hinfällig. Der Hochgelobte ist der rechte Helfer und Retter, und er will Euch seine Ehre weisen, daß Ihr mit ihm allein den Sieg erringet. Wer ist einsamer, Ihr oder ich? bin ich's nicht? Mich bedünkt so, denn wenn auch Ihr nun fern bleibt, kommt niemand mehr zu mir; Ihr habt doch noch viel Liebe, die Euch umgiebt.«

Frau Eva seufzte tief, dann entgegnete sie: »Ja, ich habe des Knaben Liebe, und mein Herz hängt an Kordulas Kind.«

»Auch Herr Johann hat Euch lieb.«

Um Evas Mund zuckte es. »Was nennet Ihr ›liebhaben,‹ Muhme?«

»Nun ja, er hat seine besondere Weise, er sieht das Leben anders an, als ein junger Mensch, er hält die Ehre seines Hauses auf seine Weise hoch, –«

»Sie geht ihm über alles,« fiel Eva ein. »Glaubt Ihr, es sei die Ehre der Heiligen und der Kirche, die er sucht? Es ist seine eigene Ehre, ob er sich gleich darüber täuscht. Diese Ehre ist sein Gott, und der Kirchherr versteht seine Schwachheit wohl zu benutzen; er ist in dessen Händen, und Ihr wißt selbst, welche Gesinnung der hegt. Ihr dürft Euch nicht wundern, wenn ich eines Tages zu Euch komme, ausgestoßen und verlassen, – o, Muhme Els, liebe Muhme Els!«

Weinend lehnte sie das Haupt an deren Schulter, bis sie sich erinnerte, daß sie zum letztenmal hier sei. Ihr Herz zog sich in heißem Weh zusammen, aber sie ermannte sich und erzählte alles, was sich am gestrigen Abend ereignet hatte. Als sie geendet, sagte die Muhme ernst: »So habt auch Ihr anjetzo offen und ehrlich bekannt und müßt ferner Euren Mann stehen. Verzagt nicht; nimmer ist eine Not größer, als der himmlische Helfer.«

Die Dämmerung brach. herein, und Eva erhob sich, plötzlich kniete sie nieder vor der geliebten Muhme und bat, Indem sie ihre Augen traurig auf sie richtete: »Sagt mir ein Segenswort für das Elend kommender Zeiten.«

Da legte die Jungfer Elsabe die Hand auf des jungen Weibes Haupt und sprach mit fester Stimme: »In der Angst rief ich den Herrn an, und der Herr erhörte mich und tröstete mich. Der Herr ist mit mir, darum fürchte ich mich nicht; was können mir Menschen thun? Es ist gut, auf den Herrn vertrauen und sich nicht verlassen auf Menschen.«

»Ich danke Euch,« versetzte Frau Eva weich, erhob sich, süßte die Muhme und ging fort. Niemand leuchtete ihr die dunklen Treppen hinab, und so konnte sie ungesehen ihre Thränen weinen. Jungfer Elsabe aber wiederholte sich leise die Worte: »Der Herr ist mit mir, darum fürchte ich mich nicht.«


 << zurück weiter >>