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Siebentes Kapitel.

Es war Herbst geworden. Nichts Sonderliches hatte sich ereignet, was das Wohl und Wehe der freien Reichsstadt und ihrer Bürger betraf. Und dennoch hatte der Einzelne weiter geforscht, gerungen und sich in Geduld gefaßt, wenn sie auch nicht allemal so groß gewesen war, wie die des Hinrich Malenbeke.

Der Ratmann Johann Salige hatte sich mit dem Kirchherrn von St. Marien beraten und auch dieser hatte es gebilligt, daß Joachim noch bis zum neuen Jahre fort blieb, meinend, er würde wohl am ehesten von dem Neuen zurückkommen, wenn er's nahebei sähe. Die Sache sei wie unächt Gold, von ferne schimmere und glitzere es, aber in der Nähe betrachtet, merke man wohl, weß Ursprungs und Wertes es sei.

Zwar, so ganz wohl war ihm nicht bei dieser Rede, aber er war schlau; er wußte sehr gut, daß er Herrn Joachim nicht zurückbringen und von dem Wert der alten Lehre überzeugen könne, dazu besaß er weder gelehrte Bildung, noch Klugheit.

So hatte Herr Johann denn fürs erste die Sache auf sich beruhen lassen, hatte auch derzeit andere Dinge, die seine Gedanken einnahmen.

Es war ein sonniger Tag zu Ende Oktober. Am vorhergehenden Morgen hatte Herr Johann die Trauben, welche auf dem Weinberge des Rates gewachsen und unter die Ratsherren verteilt waren, an Frau Herbort gesandt, »für ihre Liebden Frau Mutter und Jungfer Eva,« und erstere hatte sich des Zusatzes schier verwundert. Heute nun kam er selbst. Frau Herbort merkte sogleich, daß er etwas Sonderliches auf dem Herzen habe.

»Ich danke Euch für die Trauben,« hob sie an, als er schwieg, »und Eva thut desgleichen. Es war gütig von Euch, sie uns zu senden. Hat das Mägdlein Euch schon selbst gedankt? Sie ist zu Kordula gegangen.«

»Nein, Frau Mutter, und das ist auch nicht vonnöten,« entgegnete der Ratmann zögernd. »Wollt Ihr mir gestatten, Euch eine Bitte vorzubringen?« fragte er plötzlich in verändertem Tone.

»Thut es vertrauensvoll, Herr Sohn. Ihr seid mir wert.«

Herr Johann zog einen Sessel an Frau Herborts Seite, schaute einen Augenblick sinnend zu Boden, dann, als zwänge er sich gewaltsam zum Reden, sagte er: »Ihr wißt, Liebden, daß ich Frau Jakobina geehret habe, wie man sein Gemahl ehren soll. Ich habe ihrer Seele geholfen, wie ich konnte, und kein Opfer gescheut – mit Euch gemeinsam.«

»Ihr meint den Altar in St. Marien, und daß es an der Zeit ist, Herr Joachim kehre zurück und empfange die Weihe?«

»Nein, Frau Mutter,« erwiderte der Ratmann langsam, »nicht daran denke ich heute, sondern – nun, laßt es Euch nicht allzusehr verwundern – ich wünsche ein neues Ehebündnis zu schließen.«

Fast erschrocken blickte Frau Herbort den Sprecher an und wußte nicht das rechte Wort zu finden.

Herr Johann aber fuhr fort: »Ich zähle vierzig Jahre; Frau Jakobina war zehn Jahre älter als ich, das hat unserm Frieden keinen Abbruch gethan. Nun aber habe ich meine Augen auf ein junges Mädchen geworfen, und daß ich es kurz mache, ich bitte Euch um Eva von Jentzkows Hand.«

Frau Herbort war bleich geworden und preßte ihre Lippen aufeinander; sie wandte ihr Antlitz den kleinen, trüben Scheiben zu, auf denen die Sonnenstrahlen flimmerten, und schwieg.

Auch der Ratmann verharrte in Schweigen. Er hatte sich erhoben und durchmaß das Gemach mit großen Schritten. Endlich stand er neben dem Lehnsessel mit den Löwenköpfen still, legte seine Hand auf Frau Herborts Schulter und sprach: »Es überrascht und erschreckt Euch, was ich sage, und ich will nicht weiter in Euch dringen, aber ich erbitte von Euch, daß Ihr die Sache prüft und wenn ich wiederkomme, mir kund thut, was Ihr gegen dieselbe habt. Wann darf ich mir Eure Antwort holen?«

»In dreien Tagen,« versetzte Frau Herbort ernst und reichte ihm die Hand.

»Wohl, Frau Mutter!« Der Ratmann verließ sie langsam, erhobenen Hauptes und nicht im mindesten beunruhigt durch die Forderung der Bedenkzeit.

Frau Herbort hatte die Hände in einander gelegt und sah zu Boden. Der Antrag des Ratmannen hatte sie sehr unvorbereitet getroffen, denn niemals hatte er durch Wort oder Miene sein Vorhaben ahnen lassen. Sie verglich seine Güte gegen Jakobina mit Herrn Hans von Jentzkows hartem und rohem Benehmen gegen ihre Tochter Anna. Ach, wie schwer hatte sie büßen müssen, daß sie auf hohen und edlen Namen gesehen! Zwar, da ihre Enkelin einen solchen trug, hatte sie fest geglaubt, in ihr würden die Hoffnungen erfüllt werden, die sie für deren Mutter gehegt hatte. Es gab ja auch Edle, die ihrem Namen und Stand Ehre machten, aber bis dahin hatte niemand das Mägdlein begehrt. Scheute sich jeder, weil er dachte, der wilde Vater könne einst wiederkehren? Dann gedachte sie Herrn Johanns. Er war reich, geehrt und hatte eine hohe Stellung unter seinen Mitbürgern. Daß er zwanzig Jahre älter als das Mägdlein, fiel nicht schwer ins Gewicht. Er war dem verwaisten Kinde ein sicherer Halt, und Eva würde dem Sohne ihrer Jakobina eine liebreiche Mutter sein; deß war sie gewiß. Auch als Eva heimkehrte, blieb sie ernst und schweigsam. Die Dämmerung kam, noch immer saß Frau Herbort in tiefen Gedanken da.

Nach drei Tagen trat Herr Johann um dieselbe Stunde wieder bei ihr ein, nicht furchtsam, sondern wie um eine gute Nachricht zu empfangen, und fast fröhlich begann er: »Nun, Frau Mutter?«

»Es ist nicht der gewöhnliche Lauf der Dinge, daß man ein so jung und edelgeboren Mägdlein weggiebt an einen älteren Mann,« entgegnete sie stolz; »aber wenn jemand allein in der Welt steht, soll man suchen, ihm eine Stütze zu finden. Da ich Euch nun vertraue, Herr Sohn, zumal ich weiß, wie Ihr an Jakobina gehandelt habt, so habe ich nach gewissenhaftem Bedenken beschlossen, Euch Eva von Jentzkow, meiner geliebten Tochter Kind, zur Ehe zu geben. Zuvor aber sagt mir, was Ihr ihr aussetzen wollt; denn es ist, menschlich geredet, anzunehmen, daß Ihr vor ihr das Zeitliche segnet; und weil Ihr einen Sohn habt, muß alles geordnet werden.«

»Ich danke Euch für Eure Willigkeit,« sprach Herr Johann, und helle Freude lag auf seinem Antlitz. »In meinem Herzen lebt eine aufrichtige Liebe zu Jungfer Eva. Daneben aber habe ich, wie ein guter Haushalter soll, alles wohl geordnet, was die Zukunft und mein mögliches Abscheiden betrifft, und lege Euch dies zur Einsicht vor, wie es in meinem Testament stehen wird.«

Er reichte Frau Herbort ein zusammengelegtes Papier; sie entfaltete es und las halblaut: »Vor allem soll meine Ehefrau haben 2000 Mark, Nach jetziger Rechnung 20 000 Mark. das steinerne Haus an der Rothbars-Mauer Die Straßenecken zwischen Hunde- und Glockengießerstraße an der Wakenitz-Mauer. und soll alles, was je ihr gehörte an Mitgift wie an Geschenken, zu eigen behalten, auch mit den Kindern zu gleichen Teilen das Silbergeschirr, die Kettlein und die Kleinodien beanspruchen.«

Frau Herbort faltete das Papier wieder zusammen und reichte es dem Ratmann zurück.

»Es ist gut so, Ihr habt wohl vorgesehen. Sollten die Heiligen Euch Ehesegen schenken, würde dies hier doch unangefochten bleiben; nicht wahr?«

»Wohl, Frau Mutter.«

»Und nun noch eins. Ihr wißt, daß Eva nicht fest im alten Glauben steht. Doppelt wünsche ich ihr darum einen Ehegemahl, der sie aus den Anfängen der Irrtümer zurückbringe; allein fahrt glimpflich mit ihr und habt Geduld! Laßt sie zuerst schalten und walten nach Belieben, damit sie sich gewöhne; späterhin, wenn die Verhältnisse ihr vertraut, und sie erstarkt ist, dann könnt Ihr das Band ja fester anziehen und sie ganz zurückleiten zum rechten Glauben.«

»Ich verspreche Euch solches, Frau Mutter, und bitte Euch als Euer dankbarer und getreuer Sohn, teilet der Jungfer Eva meinen Antrag mit. Sie soll sich mit Muße darein finden. Ich reise inzwischen auf zwei Tage nach Travemünde, um den Bau des neuen Leuchtturms zu besichtigen.«

»Thut das; und wenn Ihr zurückkommt, besprechen wir die Hochzeitsausrüstung.«

»Ich danke Euch,« sagte Herr Johann innig und erfreut, indem er sich tief verneigte. »Wohl dem, welchem die Heiligen Eure Gunst und Huld zugewendet haben.«

So war es denn beschlossen, ohne daß diejenige, welche die Sache am meisten anging, darum wußte. Es galt nun noch, Eva davon in Kenntnis zu setzen. Als diese nach des Ratmannen Fortgang eintrat, rief sie sie zu sich heran. Mit ungewohnter Herzlichkeit faßte sie des Mägdleins Hand und hub an: »Eva, Herr Johann Salige hat Dein zur Ehe begehrt, und ich habe Dich ihm versprochen.«

Todesblässe bedeckte das Antlitz der Jungfrau; einen Augenblick sah sie die Großmutter starr und angstvoll an, dann erwiderte sie aufatmend: »Ihr beliebet zu scherzen, Frau Großmutter.«

»Scherzen? Nein, die Ehe ist ein heilig Ding, und man scherzt nicht mit ihr; es ist voller Ernst.«

»Herr Johann ist ein alter Mann.«

»Mit nichten, er ist in den besten Jahren, dazu reich, angesehen und wohlmeinend; ich wüßte nicht, was Du Besseres wünschen könntest. Auch hat er eine wahre, herzliche Zuneigung zu Dir; er würde ja sonst auch nicht ein so unerfahren, jung Ding zu seiner Hausfrau wählen.«

»Ihr habt recht,« entgegnete das Mägdlein langsam und zwang die Thränen zurück; »und so Ihr es für gut befindet, kann und darf ich nichts dagegen sagen.«

»Wohl geredet, Kind. Und was wolltest Du auch sagen? Wir Alten müssen wissen, was den Jungen ziemt und nützt. Wir kennen das Leben und was es fordert; Ihr schaut nach der Schale, wir nach dem Kern. Du wirst ein gut und geruhig Leben führen an Herrn Johanns Seite und dereinstmals einsehen, daß Deine Großmutter wohl für Dich gesorgt hat.«

»Verzeiht, wenn ich nicht ganz willig und freudig zustimme,« brach Eva nach einer Weile das Schweigen; »es kommt über mich, wie ein Wetter plötzlich heraufzieht und losbricht.«

»Nein, Mägdlein, nicht also; ein Wetter kann Verderben bringen, und hier ist Glück und Wohlergehen. Aber unvorbereitet mag es Dich treffen, wie es auch mich getroffen hat, und wir wollen jetzt nicht mehr davon reden; es eilt nicht. Herr Johann kommt in zwei Tagen, um sich Deine Antwort zu holen; bis dahin bitte die Heiligen, daß sie Dir freudigen Willen geben.«

Eva ging hinaus, sie trat in ihre Kammer, setzte sich auf des Lagers Rand und faltete die Hände; sie flehte zu Gott, er wolle ihr Kraft und frohen Mut geben, er wolle ihr zeigen, wie sie den schweren Weg gehen könne ihm zu Ehren. Der Schlaf floh sie in dieser Nacht, und am anderen Morgen ging sie früh zur Messe und dann zu der Muhme Els.

Sonnig heiter war deren Antlitz, als sie ihr beide Hände entgegenstreckte und freundlich ausrief: »Wie schön, Eva, daß Du die alte Muhme Elsabe so früh besuchst! Hast Du gewußt, daß ich Kordula mit einem Bündlein zum Leprosen-Hause geschickt habe und nun allein bin?«

»Nein, Muhme; ich wußte es nicht, aber ich habe Euch etwas zu sagen.«

Fast erschrocken blickte die Angeredete in das blasse Antlitz des Mägdleins, dann fragte sie: »Es ist doch kein Herzweh, was Dich hertreibt?«

Eva zog sich einen Holzschemel herbei, lehnte ihren Kopf an der Muhme Schulter und stieß schluchzend hervor: »Muhme Els, Herr Johann hat mein zur Ehe begehrt.«

Regungslos saß Jungfer Elsabe da, bis auch ihr Thräne um Thräne aus den Augen rann. Aber sie wischte sie eilig fort und sagte: »Das wird freilich anders sein, als Du Dir Deines Lebens Glück ausgemalt hast; so Du es aber demütig hinnimmst, wird Dir der Allmächtige Deinen Gehorsam segnen.«

»Was könnte ich dagegen thun!« entgegnete das Mägdlein noch immer weinend.

»Nichts, Du mußt denen, die Macht und Gewalt haben, Dich fügen.«

»Aber ich kann es nicht, Muhme,« stieß Eva heftig hervor.

»Das Wort paßt nicht hierher, Kind. Was stehet geschrieben? ›Ich vermag alles durch den, der mich mächtig macht, Christus.‹«

»Meint Ihr, auch eines Lebens Glück aufgeben?«

»Hattest Du andere Wünsche und andere Ziele?« fragte Muhme Els erstaunt.

»O nein, das nicht,« rief Eva, und dunkles Rot stieg ihr ins Antlitz, »aber wie ein sonniges Land hat die Zukunft vor mir gelegen, und nun ist alles dunkel.«

»Mit nichten, Eva. Wo Gott ist, da ist allezeit Licht, und er hat sich Dir geoffenbart, damit Du in seiner Kraft die Wege gehen kannst, die Dir fremd und hart scheinen. Es ist nichts Unrechtes in Herrn Johanns Begehren und auch nicht in Frau Herborts Einwilligung. Es ist immer so gewesen, daß die Alten den Jungen die Wege gesucht haben.«

»Muhme Els, ich hatte gehofft, Ihr würdet mich trösten und mir zeigen, wie ich dem allen entrinnen könne.«

Wehmütig blickte die Muhme auf das Mägdlein, dann legte sie die Arme um sie und sagte ernst: »Einer ist der rechte Tröster und Berater, zu ihm will ich flehen ohne Unterlaß, daß er Dein Herz willig und still mache. Das aber sollst Du wissen, läßt er es zu, daß Du diesen Pfad gehest, so wird er Dir auch zum Segen sein.«

»Ach, Muhme, ich hätte so gern ein wenig des Glückes genossen.«

»Ja, Kind; aber wer weiß, ob es Dir nicht also begegnet.«

Eva schüttelte den Kopf. »Nein, nein, hier nicht, das könnt Ihr glauben. Ich muß ja thun, wie mir geheißen wird, aber, Muhme, es wird ein Wandern in der Wüste sein.«

»Das Volk Gottes kam durch die Wüste ins gelobte Land.«

»Aber doch die nicht, welche ausgezogen; sie sind umgekommen.«

»Weil sie murrten; die aber im Glauben an den Herrn unentwegt festhielten, die sahen das Land der Verheißung.«

»Muhme Els, ich weiß nicht, ob mein Glaube aushalten wird.«

»Aber ich weiß es. Du bist heute kleinmütig und verzagt, jedoch der Glaube wächst, wenn wir schwere Wege gehen müssen; er ist dann eben unser Ein und Alles. Wir wundern uns ja wohl, daß die Märtyrer für den jungen Glauben so gar willig und heldenmütig den Tod erlitten haben, aber wir wundern uns mit Unrecht. Die Trübsal macht Helden, und Thränenbrot schafft Himmelskraft, und Du, Kind, wirst es erfahren, welcher Segen auf dem Kreuzespfad liegt, wenn Du ihn um Gottes Willen und mit ihm gehst.«

»Was heißt das, Muhme? Ich gehe ihn, weil ich muß.«

»Weil Du das Gebot des Gehorsams erfüllst. Du ehrst die, die Dir an Elternstatt steht, und die Verheißung ist Dein. Es wird Dir wohlgehen.«

Eva seufzte tief. Es war ihr, als träume sie; sie konnte sich nicht darein finden, daß es in Wahrheit nichts anderes geben könne, als solchen Gehorsam.

»Muhme Els,« sagte sie nach langem Schweigen, »betet für mich.«

»Gott gebe, daß Du Herrn Johann ein treu Gemahl werdest und dem Knaben eine gute, liebreiche Mutter. Denke daran, wie es thut, ohne Mutterliebe durchs Leben zu gehen. Du hast es ja erprobt.«

Lange noch saß Eva, das Haupt an der Muhme Schulter gelehnt und weinte still vor sich hin. Als sie Junker Raimars Stimme draußen hörte, ermannte sie sich. Sie erhob sich und sprach ernst: »Ja, Muhme Els, Ihr habt recht; um Gottes Willen will ich gehorsam sein; den Knaben aber will ich lieben aus Herzensgrund. Das Glück der Kindheit, das ich entbehrt habe, soll auf ihn kommen.«

»Dazu helfe Dir der gnadenreiche Herr,« erwiderte Jungfer Elsabe.

Als Eva auf die Diele trat, eilte ihr Raimar mit ausgebreiteten Armen entgegen. »Base Eva,« rief er, »liebe Base Eva, ich habe Euch so lange nicht gesehen.«

»Du hast ja Kordula.«

»Ja, aber Euch habe ich lieber, viel, viel lieber; ich wollte, Ihr wäret immer bei mir, Kordula könnte ja bei Frau Herbort sein.«

»Meinst Du?« entgegnete Eva, und flüchtiges Rot stieg ihr ins Antlitz; »aber, erzähle mir, wie steht es mit den Wissenschaften? Was hat Dir Bruder Benedikt zuletzt für ein Zeugnis ausgestellt?«

Sie hatte den Arm um des Knaben Nacken gelegt, und beide gingen auf der großen Diele auf und ab, bis Eva plötzlich einfiel, daß dieses Haus bald ihr Eigentum sein werde, daß Tile, der Koch, der zur Seite in der Küche eifrig seines Amtes wartete, bald für sie dort schalten, und daß der Knabe an ihrer Seite ihr Knabe sein werde. Da neigte sie sich zu ihm herab und küßte ihn innig; darauf ging sie mit freundlichem Gruße fort.

Wie im Traume verging ihr dieser Tag und der folgende. Immer wieder mußte sie sich sagen, daß ihr Schicksal entschieden sei, und daß sie bald ein eigenes Haus haben werde, und dies letztere hatte nach und nach ein wenig Reiz für sie.

Frau Herbort erwähnte der Sache nicht eher wieder als am zweiten Tage nach dem Mittagessen; sie sprach ruhig: »Du weißt doch, daß Herr Johann heute kommt?«

»Ja, Frau Großmutter, ich gedenke daran.«

»Mit Freuden?«

»Mit Ruhe im Herzen und Gewissen.«

»Dann ist es gut,« und leiser fügte sie hinzu: »Du bist glücklicher, als Deine Mutter war.«

Es dämmerte schon. Eva war allein in Frau Herborts Gemach; sie stand vor dem Wandbilde der Verkündigung Mariä und gedachte sehnend ihrer Mutter.

Da trat Herr Johann ein. Flüchtig und scheu streifte ihr Blick ihn, er trug ein Festtagsgewand und sah stattlich aus.

»Jungfer Eva,« sagte er, auf sie zutretend, »Ihr wißt, was mein Begehr ist, und ich frage Euch, ob Ihr einwilligen wollt, Verlöbnis mit mir zu halten.«

Einen Augenblick schwieg das Mädchen. Noch einmal stand ihr in Summa vor der Seele, was alles sie mit dem Worte ihrer Zustimmung sagte; dann aber antwortete sie fest: »Ja, ich will es, Herr Johann.«

Freundlich reichte der Ratmann ihr die Hand. »Ich habe es lange im Sinne gehabt, Eva, Euch zu meinem Gemahl zu machen und bin Euch herzlich geneigt. Nehmt zum Zeichen dessen von mir, was die Sitte heischt.« Bei diesen Worten überreichte er ihr einen Rosenobel. Der Rosenobel galt damals 7 Mark, jetzt würde er etwa 17 Mk. 8 Sch. wert sein. Es war Sitte bei Verlöbnissen, d«ß der Bräutigam der Braut einen solchen schenkte. Beim Abschluß von Kauf- und Miets-Kontrakten ist es jetzt noch üblich, das Abkommen mittels des Gottespfennigs zu bekräftigen.

»Ich danke Euch,« erwiderte das Mägdlein und nahm das Goldstück.

Der Ratmann aber fuhr fort: »Und um Euch zu weisen, daß mir in Wahrheit daran liegt, Eure Zuneigung zu gewinnen, habe ich ein fein Stück zur Verehrung mitgebracht, eine Schnur mit 8 Engelotten; Engelotten, Goldmünzen mit dem Bilde des Erzengels Michael. sie soll Euch wohl anstehen, so Ihr des Ratmannen Ehefrau seid.«

Eva lag nicht viel an Schmuck und eitlem Gepränge, aber Herrn Johanns Güte that ihr doch wohl, und sie reichte ihm freundlich die Hand.

Da kam Frau Herbort herein und sagte: »Die Heiligen segnen Euch und schenken Euch Wohlergehen und langes Leben!«

So stand es denn nun unabänderlich fest, daß Eva mit dem Ratmannen in die Ehe treten werde. Als das Verlöbnis öffentlich kund gethan wurde, schüttelte der Eine den Kopf, der Andere brachte von Herzen seinen Glückwunsch. Damit war die Sache abgethan. Am Ende fand jeder, daß Herr Johann klüglich gehandelt habe und Frau Herbort desgleichen.

Am glücklichsten war Raimar. Immer wieder umarmte er die Base Eva und suchte ihr eine Freude zu machen, wenn er zu ihr ging, oder sie zur Muhme Els kam. Kordula begegnete ihr mit noch größerer Liebe denn sonst; fühlte sie doch wohl, daß nicht das Glück, welches die Freundin sich erträumt hatte, ihr Teil geworden sei. Auch die alte Emerentia war der Freude voll. Still waltend ging sie im Hause umher, damit alles in Ordnung sei, wenn die junge Hausfrau einzöge. Sie meinte, sie würde noch einmal wieder jung.

Mit stiller Zufriedenheit gewahrte Eva die Freude, deren Urheberin sie war, und immer fester wurde ihr die Gewißheit, daß sie nach Gottes Willen handle und wandle. Wollte ihr das Herz schwer werden, so zog sie ihren Rosenobel hervor und blickte auf die achtblättrige Rose der Rückseite, mit der Umschrift » Autem Transiens Per Medium Illorum Ibat.« Der Rosenobel war eine englische Goldmünze, 1343-1377 geprägt, die rätselhafte Umschrift, »er aber ging hinweg, mitten durch sie hindurch,« (Joh. 8, 59) bezieht sich wahrscheinlich auf die Zwistigkeiten Eduards mit Rom. Bruder Benedikt hatte ihr das Wort gedeutet; sichern Schrittes wollte auch sie durch alles hindurchgehen, was ihr feindlich und schwer erschien, und nur auf den Hochgelobten blicken, der auch den Weg des Gehorsams dereinst gegangen war.

Jungfer Elsabes Liebe und Fürsorge umfing das Mägdlein wie warmer Sonnenschein, doch war diese sehr bestürzt, als die Muhme ihr eines Tages erklärte, sie ziehe nach der Hochzeit wieder in ihr altes, liebes Stiftshaus.

»Ich hatte gedacht, Ihr solltet hier oben bleiben,« sagte Eva traurig, »und ich wollte in aller Not zu Euch kommen und Hülfe und Rat holen.«

»Nein, das taugt nicht,« entgegnete die Muhme lächelnd; »wenn man ein Neues anfängt, so soll man auf sich selbst gestellt sein, sich nicht zur Rechten oder zur Linken auf jemand verlassen, nur über sich blicken zu dem, der den Sturm bedrohen kann, mag er aus dem Hause oder aus dem Herzen kommen.«

»Eva,« sprach Frau Herbort eines Morgens, »ich weiß, daß Herr Johann heute nicht daheim ist, und habe Emerentia beauftragt, Dir des Hauses Schätze zu zeigen, die nun bald Dein eigen sein werden. Jakobinas Mitgift geht auf Dich über, das ist natürlich; dazu hat Herr Johann noch in den letzten Jahren manches an Silbergerät angeschafft. Es wird Dich freuen zu sehen.«

»Ich will es thun, aber wisset, Frau Großmutter, mein Sinn steht nicht nach Prunk und Gütern.«

»Das wird schon kommen, wenn Du erst eine Hausfrau bist und die Ehre Deines Mannes zeigen sollst. Geh, Kind; es ist gut, wenn Du vorher weißt, was die Truhen bergen.«

Eva ging. Die Alte empfing sie schon an der Thür mit einer gewissen feierlichen Würde und führte sie sogleich in das Gemach zur Linken der Hausthür. Es war immer verschlossen, und Eva nie darinnen gewesen.

Als sie jetzt eintrat, blickte sie staunend um sich, denn sie sah heute mit andern Augen als sonst. An den Fenstern waren seidene Vorhänge, der große Tisch in der Mitte wies auf seiner Platte in eingelegter Arbeit eine Schlacht aus der Geschichte des alten Testamentes. Das Getäfel, welches die Wände zu halber Höhe bedeckte, war reich geschnitzt, und auf der mit Gold verzierten Ledertapete prangten zwei Heiligenbilder, die von Lübecker Malern verfertigt waren. Von der weißen Gipsdecke, die mit goldenen Sternen verziert war, hing ein künstlich gearbeiteter, messingner Reifen herab, an dessen Außenrande Wachslichte befestigt waren. An den Wänden standen niedrige, eichene Truhen, deren Vorderseiten mit Holzschnitzwerk versehen und deren Deckel mit seidenen Kissen belegt waren, um Gästen als Sitze zu dienen.

»Jungfer Eva,« tönte plötzlich die Stimme der alten Emerentia und schreckte sie aus ihren Betrachtungen, »gestattet mir jetzt, Euch den Inhalt der Truhen zu zeigen.«

Sie schloß die erste auf, da lag das Leinenzeug für das Haus und feine gestickte Decken für den Kredenztisch. Mit einer gewissen Ehrfurcht ging die Alte an die zweite Truhe, welche Frau Jakobinas Kleider enthielt. Die Mode war damals noch nicht einem stetigen Wechsel unterworfen, was um so erfreulicher war, als sich die Garderobe einer vornehmen Frau damaliger Zeit auf etwa 12 000 Mark nach jetzigem Geldwerte belief. Langsam legte Emerentia ein Stück nach dem andern auf den Tisch; zuweilen strich sie wie liebkosend über die kostbaren Stoffe. Da war ein weißseidenes Untergewand, an den Ärmeln reich mit Perlen verziert, Überkleider dazu von flandrischem Tuch, scharlachrot, grün und weiß. Auch einfachere Gewänder. Von den Mänteln war der vornehmste mit Hermelin gefüttert, ein andrer mit weißen Fuchsfellen, perlbesetzte Kragen dazu lagen daneben. Immer mehr Gewandung breitete Emerentia vor den Augen Evas aus, und sinnend gedachte diese der Zeit, wenn sie in dieser Pracht einhergehen würde.

Eine andere Truhe barg Herrn Johanns kostbare Kleidung, eine vierte öffnete die Alte fast andächtig; sie entnahm ihr ein rotsammetnes Taufkleid. »Es ist ein Erbstück der Familie,« sagte sie langsam, »auch Eure Mutter hat es getragen, zuletzt Junker Raimar. Gott gebe, daß es noch späteren Geschlechtern diene.«

Evas Hand berührte das kostbare kleine Gewand und gedachte dabei ihrer Mutter. Emerentia störte ihr Nachdenken nicht, endlich wendete sie sich mit einigem Geräusch um und sprach: »Nun laßt mich Euch noch den Silberschatz erschließen.« Sie öffnete in der Wand befindliche Schränke und weidete sich an dem Staunen des Mägdleins. Der Silberschatz eines Patrizierhauses hatte nach jetzigem Gelde einen Wert von 20 000 Mark. Da war eine Fülle schön gearbeiteten Geschirrs aus Flandern, große Pokale, silberne Weinkannen, verziert mit dem Bilde des Ritters St. Georg, schön geschnitzte Kokosnüsse auf vergoldeten Silberfüßen, flache Schalen, aus denen man süßen Wein trank, Konfektteller mit Schaufeln und Forken, Becher in großer Zahl und Gestalt, Salzfässer, Löffel und vieles Andere mehr.

In der Ecke stand ein mit Silber beschlagener und mit Elfenbeinschnitzerei verzierter Kasten, welcher Schmuck enthielt. Darin war eine schwere, goldene Kette mit einem Kreuz daran für den Hausherrn; dann eine goldene Brosche, die Frau Jakobina von ihrem Manne als »Handtruwe« Gelöbnis. am Hochzeitstage erhalten hatte, und welche einen hohen Wert hatte; 2000 Mark nach jetzigem Wert. ferner ein mit Löwenköpfen verzierter Gürtel, eine schwere Korallenschnur, verschiedene Rosenkränze, Bernsteinperlen, viele Knöpfe mit edlen Steinen, Ringe, darunter ein Siegelring mit der Elensklaue, Zum Schutz gegen epidemische Krankheiten. den Emerentia sonderlich pries.

»Es ist genug,« sagte Eva, als die Alte noch einen Schrank aufschließen wollte, »laßt es gut sein für heute.«

»Es sind die Waffen des Herrn darin,« entgegnete Emerentia; »sie werden Euch vielleicht nicht sonderlich wert sein. Was sagt Ihr zu allen den Schätzen?«

»Es ist sehr viel, mehr als vonnöten.«

»Aber es freut Euch, daß es so köstlich ist?«

»Wie sollte es mich nicht freuen? Jedoch mein Herz kann es nicht einnehmen; mich dünkt, ein gutes Wort ist fast nützer.«

»Wie wunderlich Ihr seid, Jungfer Eva! Verzeiht, daß ich es ausspreche; andere Mägdlein würden des Glückes kein Ende wissen, wenn dies alles ihr eigen würde.« Sorgsam packte sie ein Stück nach dem andern wieder in Schränke und Truhen; Eva dankte ihr herzlich und ging zur Muhme hinauf.

»Nun, Kind?« empfing sie diese und reichte ihr freundlich die Hand.

»Es ist zuviel, Muhme Els, mir ist es noch ganz wunderlich vor Augen und im Gemüt; aber wißt Ihr, welches Wort mir allezeit gegenwärtig war?«

»Vielleicht errate ich es.«

»Ich will's Euch sagen: ›Was hülfe es dem Menschen, so er die ganze Welt gewönne und nähme doch Schaden an seiner Seele?‹ O, liebe Muhme, immer gewisser wird es mir, daß ich keinem Menschen zu Gefallen aufgeben könnte, was mich Gottes heiliges Wort gelehrt hat. Ich kann nicht wieder dem alten Glauben anhangen; ich habe dem neuen zu viel zu danken; er ist meines Herzens Trost und mein Heil. Eine Hülfe in den Nöten, die oftmals mein Herz bedrängen.«

»Ich preise Gott, daß sein Licht Dir leuchtet,« entgegnete die Muhme ernst; »mag es nun Kampf oder Friede sein in kommenden Tagen, Du wirst den Starken bei Dir haben, der nicht allein Tröster, sondern auch Helfer ist.«

Der Lenz des Jahres 1525 kam sehr früh ins Land, und schon zu Anfang April war Evas Hochzeit. Frau Herbort hatte es sich nicht nehmen lassen, sie prächtig auszurüsten. Das Haus »Gegen des Rades Cancellie over« prangte festlich, von außen und von innen mit Tannengrün geschmückt, und was es an Schätzen besaß, war prunkend ans Licht gezogen. Es waren so viele Gäste geladen, wie nach eines wohlweisen Rates Erlaubnis den Vornehmen gestattet waren, nämlich achtzig. Posaunenschall begrüßte sie, darauf ging der Zug unter Vorantritt der Ratsmusikanten in die St. Marienkirche zur Trauung, die der Kirchherr selbst vollzog; denn er rühmte sich des Ratmannen »Freund« zu sein. Dann zog man ins Brauthaus zurück, wo auf der Diele die Tafeln aufgeschlagen waren. Bei solchen Gelegenheiten war auch genau vorgeschrieben, wie viele Gerichte gegeben werden durften. »Vier Gerichte, deren jedes aus einer größern Zahl verschiedenartiger Speisen besteht, sowie 60 Pasteten werden nach einander aufgetragen, dazu dürfen zwei Ohm Rheinwein, also ungefähr 250 Flaschen, verzapft werden; außerdem wird Hamburger Bier in unbeschränktem Maße getrunken.« Die Musikanten spielten, und es war ein Getöse von Stimmen, die fröhlich durch einander schwirrten, daß der einzelne kaum seinen Tischnachbar verstand.

Herr Johann war guter Dinge; Eva saß neben ihm, das Herz war ihr schwer, und ihr Antlitz sehr bleich, doch aber war sie freundlich gegen Alle. Die Fröhlichkeit wurde immer lauter, und mit peinlicher Sehnsucht gedachte sie der Stille, die sie gewohnt war. Da legte sich eine kleine Hand auf ihre Schulter, und Raimar flüsterte ihr ins Ohr: »Base Eva, ich bin bei Euch.«

Sie wendete sich um und zog den Knaben an sich; dieser aber sagte: »Habt Ihr mich nicht bemerkt? Ich habe hinter Euerm Stuhl gestanden schon sehr lange Zeit. Ich weiß, Ihr mögt es nicht, wenn die Leute so laut sprechen und lärmen, Ihr sagtet es damals beim Papageienschießen, und da Ihr nun meine Mutter seid, muß ich Euch doch beistehen.«

Evas Augen standen voll Thränen, als sie erwiderte: »Ich danke Dir, mein lieber Knabe, aber sage, willst Du mich nicht Mutter nennen?«

»Nein, Base Eva, jetzt noch nicht; ich bringe es nicht über die Lippen; aber ich werde es lernen. Denkt nur nicht, daß ich Euch nicht lieb hätte.«

»Nimmer denke ich das; Du und ich, wir gehören zusammen unser Lebenlang, und meine Liebe soll sein, wie die Deiner Mutter.«

Als die Mahlzeit vorüber war, mischte sich Bruder Benedikt eine Weile unter die Gäste. Er trat zu Kordula, welche ein wenig abseits stand. »Jungfer Kordula,« fragte er freundlich, »was steht Ihr allein? Wollt Ihr nicht der allgemeinen Freude genießen?«

Das Mägdlein schüttelte den Kopf. »Nein, Bruder Benedikt, es thut mir weh, daß ich nun auch Eva verliere.«

»Verliert? Mit nichten, Ihr werdet allezeit Euern Platz in Frau Evas Herzen behalten.«

»Meint Ihr? Mich dünkt, es kann nicht sein.«

Lange noch sprachen sie mit einander, und es wurde dem Mägdlein wohl ums Herz; es blieb ihr auch ein stilles Glück, als der Mönch ging; woher und warum, das fragte sie nicht.

Die Hochzeit war zu Ende, die vier Fackelträger standen auf der Schwelle, um die Neuvermählten heimzugeleiten. Herr Johann hatte seines jungen Weibes Hand gefaßt, und so schritten sie durch die Nacht.

Das Haus des Ratmannen war hell erleuchtet und die Thür weit geöffnet. Ehe sie aber über die Schwelle traten, ließ einer der jungen Burschen aus der Gefolgschaft einen schwarzen Hahn, den er bis dahin unter dem Mantel versteckt gehalten hatte, hoch über die Köpfe der Vermählten hinwegfliegen, daß er als der erste seinen Einzug in das Haus hielt.

Eva fuhr erschrocken zusammen, der Ratmann aber wandte sich um und rief, indem er lächelnd mit dem Finger drohte: »Das ist verboten bei einer Strafe von 3 Pfund Silber.«

Fröhliches Lachen tönte als Antwort zurück, und jetzt kamen die Hausleute und begrüßten die Herrschaft. Auf der Diele brannten Wachslichter, deren jedes 14 Pfund wog; es war eitel Freude unter allen, die im Schein dieser Lichter versammelt waren.

* * *

Muhme Elsabe war wieder in ihr Stiftshaus gezogen; sie führte ihr Leben still wie früher, und doch anders. Die letzten Jahre hatten ihr Abwechselung gebracht, andere Menschen waren ihr nahe getreten, denen sie warme Liebe entgegen getragen, und immer mehr hatte sich die Erkenntnis der neuen Lehre in ihr geklärt und gefestigt. Mit ängstlicher Spannung erwartete sie Evas ersten Besuch. Einige Tage nach der Hochzeit trat diese bei ihr ein. Lange und innig umarmte sie die junge Frau, dann blickte sie ihr prüfend in die klaren Augen und fragte: »Du bist zufrieden, Eva?«

»Ja, Muhme Els, ich bin's.«

»Dafür sei Gott gelobt! Zufriedenheit ist Glück; Du wirst Deinen Weg finden, Kind!«

»Ich hoffe es, liebe Muhme, und nun sagt mir, wie es Euch hier in der Einsamkeit ergeht.«

Eva hatte sich neben Jungfer Elsabe gesetzt, und es war ihr schier wie ein Traum, wenn sie daran dachte, wie viele Jahre vergangen, seit sie hier zuletzt also gesessen, und was alles geschehen sei. Lange sprachen beide Frauen in Liebe und Freundschaft mit einander, da kamen Schritte die Treppe herauf, und Junker Raimar trat ein. »Muhme Els,« rief er freudig und stolz, »ich wollte die Frau Mutter abholen; man muß nicht allein gehen, wenn man einen so großen Sohn hat, ist's nicht so?«

»Ja, so ist's, Kind, und ich sage Dir, Du mußt dem Hochgelobten danken für solche Mutter.«

»Ich hab's gethan, Muhme, einmal in der Messe; der Herr Vater wollt's so; dann aber hab' ich's noch einmal heimlich gethan, weil ich's gewollt, ist es richtig so?«

»Ja, es ist richtig, und Gott segne Dich!«


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