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Neuntes Kapitel.

Am andern Morgen, nachdem Herr Johann aus der Messe gekommen war, trat sein Bruder bei ihm ein, reichte ihm die Hand und begann ernst: »Herr Bruder, ich habe Euch etwas zu sagen.«

»Es ist gut, daß Ihr kommt,« entgegnete der Angeredete kühl, »der Kirchherr hat schon danach gefragt, wie lange die Vikarie in St. Marien, die wir zu versorgen haben, leer stehen soll, da anjetzo kein Hindernis mehr ist, daß Ihr die Weihen empfanget.«

Herr Joachim schlug die tiefblauen Augen auf und sprach, indem er den Bruder fest anblickte, langsam: »Herr Bruder, ich werde nicht geistlich.«

Der Ratmann trat einen Schritt zurück, und Blässe und Röte wechselten auf seinem Antlitz; dann stieß er hervor: »Das laßt ungesagt sein; Ihr werdet dennoch geistlich.«

»Nimmer! Es ist gegen mein Gewissen, und niemand kann mich zwingen.«

»Zwingt Euch nicht die Dankbarkeit? zwingt Euch nicht Eure vorige Zusage, auf die hin ich alle Opfer gebracht habe?«

»Es ist mir leid, daß Ihr solche Täuschung erfahrt, Herr Bruder; aber Ihr irrt, wenn Ihr sagt, Ihr habt die Vikarie meinetwegen gestiftet. Ich denke, Ihr habt das für Euer eigenes und der Euren Seelenheil gethan.«

»Nun ja, aber Ihr solltet den Altar bedienen, Ihr solltet Eure geachtete Stellung im Leben haben und Euer Brot essen vom Heiligtum.« .

»Und Ihr meinet in Wahrheit, daß mir solches höher steht, als mein Gewissen? Nein, Ihr seid zu ehrlich, um das zu glauben.«

»Aber warum dem Neuem nachjagen und das Gewissen in Zwiespalt bringen? Unsere Väter sind zufrieden gewesen in der alten Kirche, auch wir sollten es sein; ich wenigstens habe genug an ihren Segnungen.«

»Ich habe anderes gehört und gesehen, ich kann mich dem Lichte nicht verschließen.«

»Das ist eine thörichte Rede; die Sache ist die: Es liegt Auflehnung, Abwechslung in dem Neuen, das zieht Euch Jungen an, dahin laufet Ihr, da sucht Ihr das Heil. Nein, Joachim, besinnt Euch, haltet die Treue!«

»Ich halte sie – der neuen Lehre. Es ist nichts mehr daran zu ändern.«

In diesem Augenblick fiel laut der Klopfer gegen die Thür, und gleich darauf trat Herr Johannes Rode ein. Ein häßliches Grinsen flog über seine Züge, als er Joachim erblickte, dann sagte er: »Das nenne ich wohl getroffen, denn Euch wollte ich sprechen, Herr Vikar. Erlaubt Ihr's, Herr Johann?«

Dieser nickte stumm mit dem Kopfe, Joachim aber versetzte ernst: »Hochwürden, nennt mich nicht Vikar, ich bin und werde es nimmer.«

»So?« entgegnete der Kirchherr ohne allzu großes Erstaunen; »wann habt Ihr diesen trefflichen Entschluß gefaßt?«

»Ich bin in Wittenberg gewesen, das wird Euch genügen.«

»Durchaus nicht, junger Freund, denn mich bedünkt, jedes ehrliche, christliche Gemüt müsse einen Abscheu empfinden vor einem so gewaltthätigen Wesen.«

»Wie meint Ihr das, Hochwürden?«

»Nun, sehet doch die Rotten an, sehet das Sektieren, sehet, wie fein der Erasmus und Carlstadt Euren Lutherus widerlegen.«

»Ihr irrt, Hochwürden. Das Volk ist eben in geistlicher Unwissenheit groß gezogen; hätte die Kirche ihm allezeit das Wort rein und lauter gepredigt, so wüßten sie jetzt damit umzugehen, nun mißbrauchen sie es aus Unverstand. Und was den Erasmus und Carlstadt anbelangt, so haben sie durchaus nicht triumphieret über Luther, im Gegenteil.«

»Aber ich habe gelesen, daß Carlstadt ihn einen Freund des Antichrist genannt hat.«

»Habt Ihr auch gelesen, was Martinus ihm erwidert hat? Nicht? O, so leset's doch, Ihr werdet sehen, wer das letzte Wort hat.«

»Ich werde es nicht lesen. Es ist ein himmelschreiend Unrecht, seiner Seele Gift zu bieten, wo man an der vollen Tafel gesunder Speise sitzt.«

»Aber es steht doch geschrieben: Prüfet alles.«

»Es steht auch geschrieben: Gehorsam ist besser denn Opfer.«

»Ja, Gehorsam gegen Gott.«

»Gehorsam gegen die Kirche; eins ist das andere.«

»Mit nichten, Hochwürden. Gott ist größer als die Kirche, denn er hat sie erbaut.«

»Es ist eitel Gezänk, was wir treiben,« sagte der Kirchherr hastig, »und so Ihr in Wahrheit ein Martiner seid, so will ich mich scheiden von einem Ketzer. Und Ihr, Herr Johann,« wandte er sich an den Ratmann, »thut desgleichen; denn so lange ein Ketzer unter Eurem Dache weilt, ruht ein Fluch auf dem Hause, und der Satan versucht Eure und der Euren Seelen.«

In tiefer Erregung hatte Herr Johann dem Gespräch gelauscht. Jetzt trat er an den Kirchherrn heran und bat: »Habt Geduld, hochwürdiger Herr, also bringen wir ihn nicht zurecht; laßt uns vielmehr ihn der rechten, wahren Kirche Licht und Segnung erst wieder kennen lernen. Wie mich bedünkt, so bleibt Ihr einige Monde hier, Herr Bruder, thut nichts für noch wider die Sache, geht mit uns zur Messe, daß Ihr nicht Anstoß erregt, und wenn der Herbst kommt, wollen wir Eure Entscheidung vernehmen. Ist es Euch genehm also?«

Einen Augenblick zögerte Joachim, dann antwortete er: »Ich danke Euch, liebwerter Herr Bruder, und füge mich, wie Ihr es für gut befindet. Es soll mir niemand nachsagen, ich sei mit starrem Eigenwillen einhergefahren, und überdem bin ich Euch Gehorsam schuldig; Ihr seid mir allezeit wie ein Vater gewesen.«

Herr Johann reichte dem Bruder die Hand, und der Kirchherr sprach salbungsvoll: »Die Heiligen mögen Dich erleuchten, mein Sohn!«

Joachim ging hinaus, dem Gärtchen zu. Die Luft hinter den dicken Mauern beengte ihm den Atem. Hatte er recht gethan, auf des Bruders Bedingungen einzugehen und war nicht ein anderer Beweggrund in seinem Herzen gewesen, als allein die Ehre der großen Sache? Er seufzte tief und schritt gesenkten Hauptes vorwärts.

Eva, welche in der Laube saß, sah ihn kommen. Zagend blickte sie auf sein ernstes Antlitz. O, wenn er ginge, wie verlassen würde sie dann wieder dastehen mit ihrer Seelennot! Nein, das würde Gott nicht zulassen.

»Herr Joachim,« rief sie, als er eben vorübergehen wollte.

»Verzeiht, liebe Base Eva, ich sah Euch nicht. Ich war ganz hingenommen von meinen Gedanken.«

Er trat zu ihr, sie blickte gespannt auf und fragte: »Ihr bleibt?«

»Ich bleibe, ja, fürs erste, auf kurze Zeit, Euer Eheherr wünscht und verlangt es; er hofft, ich werde meinen Entschluß ändern. Ich will ihm zeigen, daß ich willfährig bin, aber ändern – nein. Zu wohl habe ich alles erwogen und zu heiß erstritten.«

»Der Hochgelobte wird weiter sorgen; ich danke ihm, daß Ihr einstweilen nicht fortgehet. Und nun erzählt mir mehr vom Martinus, so lange wir allein sind.«

Wie lichte Freude war es über das junge Antlitz gezogen.

Herr Joachim trat einen Augenblick in den hellen Sonnenschein hinaus. Auf seinem abgewandten Angesicht malte sich ein heftiger Kampf, bald jedoch kam er wieder in die Laube: »Es ist schön in der alten Heimat, und man vergißt schier des Streites da draußen, doch die Seele steht unaufhörlich im Kampf, sei es um kleine oder um große Dinge.«

»Ihr habt recht, Oheim,« entgegnete Frau Eva, »ich habe gerade heute daran gedacht, wie spät man zu dieser Erkenntnis gelangt.«

»Ihr seid jung genug dazu, liebe Base.«

»Meint Ihr? Ja, vielleicht ist es so. Mich dünkt das Leben, das vor mir liegt, so lang, so lang, und mir ist bange, ich werde viel Ungemach haben.«

»Ich will Euer allezeit gedenken!«

»Ich danke Euch,« erwiderte Frau Eva und reichte ihm die Hand, die er fest drückte. Dann fuhr sie fort: »Aber nun erzählt mir von Wittenberg. Ihr wolltet mir das Lied vorlesen, welches Luther von den zween Märtyrern gedichtet hat. »Habt Ihr daran gedacht?«

Er zog ein zusammengelegtes Papier aus dem Wams; es war eng beschrieben. Langsam faltete er es auseinander und las: »Ein Lied von den zween Märtyrern Heinrich Voes und Johannes Esch zu Brüssel, von den Sophisten aus Löwen verbrannt, geschehen am 1. Juli 1523.

Ein neues Lied wir heben an.
Das walt' Gott, unser Herre!

Immer begeisterter las Joachim. Evas Blicke, die von Thränen verdunkelt wurden, hingen an seinen Lippen.

Endlich schloß der Leser:

Der Sommer ist hart vor der Thür.
Der Winter ist vergangen,
Die zarten Blümlein gehn herfür,
Der das hat angefangen,
Der wird es auch vollenden. Amen.

Es war still in der Laube, nur der Sommerwind flüsterte in den Blättern. Eva hatte die Hände gefaltet: »Ein herrlich Lied. Was müssen die beiden armen Märtyrer gelitten haben! Meint Ihr, es könnten weiter solche Gewaltthaten geschehen?«

»Ja, Frau Eva, sicherlich, und es muß so sein. Der Herr wird die neue Kirche sichten. In der Trübsal wird mancher abfallen, der nun den Mund weit aufthut, aber es wird nimmer an rechten, freudigen Zeugen fehlen. Der Martinus selbst begehrt brünstig, für seinen Herrn zu sterben, und achtet es als einen Unwert, daß man seines Lebens schont.«

»Oheim,« sprach Frau Eva zögernd, »wenn Euch die Wahl gestellt würde, was würdet Ihr thun? – oder frage ich zu viel?« setzte sie schnell hinzu.

»Warum das? Ich bekenne frei, daß es ein hart Ding ist um die Feuertaufe; aber ich rühme in Demut, der Herr ist mir mehr als mein Leben, und in seiner Kraft würde ich standhaft den Tod erleiden.«

Fast ehrfürchtig blickten die klaren Augen des jungen Weibes zu ihm auf.

»Was schauet Ihr mich so an, Base Eva?« sagte er weich; »wundert es Euch, daß Gott mir heiligen Mut giebt?«

»Nein, Oheim; ich flehete nur, daß Euer Weg so nicht enden möge. Mich dünkt, das könnte ich nicht ertragen, und ich bitte Euch heute, schont Euer selbst.«

Joachim lächelte schmerzlich. »Fürs erste werde ich einem Märtyrer sehr unähnlich sein; ich habe versprochen, in die Messe zu gehen und nicht für, noch wider die neue Lehre zu reden. Ich fürchte, ich habe mein Versprechen soeben schon gebrochen.«

»Ihr suchtet ja nicht, mich zu überreden; ich bat Euch, mir zu erzählen.«

»Man sollte immer den geraden Weg gehen,« fuhr er aufstehend fort, »die Bedingungen Eures Eheherrn werden mir zum Strick gereichen, oder ich sage ihm frei heraus, daß ich rede, was mir beliebt, und daß ich mich nicht gebunden achte.«

»Das würde das Rechte sein,« entgegnete Eva sinnend. »Doch kennt Ihr Herrn Johann und seinen Zornmut, wo es die neue Lehre gilt?«

»Ja, aber ich trotze ihm, schon um Euretwillen; Ihr habt Euch an mich gewandt, Euch zu helfen, daß Eure Seele zur Klarheit durchdringe. Ich will es thun, mag kommen, was da will.« Warm und innig ruhte sein Blick auf ihrem ernsten, lieblichen Antlitz, dann wandte er sich zum Gehen.

»Oheim!« klang Evas Stimme ihm nach, und als er sich umwandte, bat sie schüchtern: »Nicht wahr, Ihr werdet Euer schonen und – in Frieden bleiben mit Herrn Johann?«

»Was an mir ist, ja.«

Langsam ging Joachim dem Hause zu; er wollte allein sein. Er setzte sich in seiner Kammer an das kleine, trübe Fenster und stützte den Kopf in die Hand. War er darum heimgekehrt, um von einem Kampf in den andern zu kommen? Ach, und stand es in seiner Macht, dem ein Ende zu machen? Es war besser, er ging fort, aber sein Versprechen band ihn, und es war ihm beglückend, wenn auch schmerzlich, in Evas Nähe zu weilen. Kein unlauterer Gedanke kam in seine Seele; sie war seines Bruders Weib, und er gelobte sich in dieser Stunde, ihren Frieden nicht zu stören, sondern über alles wert zu halten.

Er erhob sich und blickte hinaus in den Garten; trübe flimmerte der Sonnenschein durch das grüne Glas und nur undeutlich sah er Evas Gestalt noch an derselben Stelle stehen, wo er sie verlassen hatte. Heiße Sehnsucht erfaßte ihn, und stöhnend rang es sich halblaut von seinen Lippen: »Herr, hilf mir!«

Einförmig gingen die Tage und Wochen hin, und doch schien es Frau Eva, als sei ihrem Leben Sonnenschein gekommen, von dem sie vorher nichts gewußt hatte. Wie ein Kind lebte sie der Gegenwart; sie kniete neben Herrn Joachim in der Messe und ging mit ihm zur Muhme Elsabe. Dem Ratmann war es recht, daß seine Gemahlin eines männlichen Schutzes genoß, wenn er, was oft der Fall war, sie nicht begleiten konnte. Er freute sich ihrer Zufriedenheit und schob diese auf seine Rechnung.

Joachim hatte ihm zu Anfang gesagt, er nehme sein Wort zurück, nur öffentlich wolle er nicht reden von dem, was in seiner Seele lebe.

Der Ratmann hatte geschwiegen; das war Antwort genug. Er brachte dann aber gelegentlich einen vom Burgkloster ins Haus, der mit dem Bruder über die Sache reden sollte. Pater Simeon war ein eifriger Anhänger und Verteidiger der alten Lehre, er fluchte allem Neuen, und der Kirchherr von St. Marien hatte geraten, ihn Herrn Joachim gegenüberzustellen. Dem war das heimtückische, gleißnerische Wesen des Mönches widrig, doch wich er ihm auch nicht aus, weil er fürchtete, das könne wie Feigheit aussehen. Oft disputierten beide eifrig stundenlang zusammen, aber keiner von ihnen ließ sich überzeugen. Frau Eva mied den Dominikaner geflissentlich, ebenso Kordula, wenn sie in des Ratmannen Haus kam. Der Mönch merkte das alles wohl, aber es beirrte ihn nicht; er wollte die eine Seele retten, wie der Kirchherr ihm aufgegeben hatte. Am verhaßtesten war ihm Bruder Benedikts frohes, offenes Wesen, und lauernd beobachtete er sein Thun und Lassen, um etwas zu finden, was einem Fehl gliche.

Wenn der Dominikaner gegangen war und Herr Joachim sich mit einem Seufzer das dichte Haar aus der Stirn strich, trat oft Frau Eva zu ihm und sagte lächelnd: »Es war harte Arbeit, nicht wahr, Oheim? Kommt, wir wollen zur Muhme Els gehen.« Dann war alles Unliebsame vergessen, und seine Augen strahlten in lichter Freude. Sie wanderten in die Glockengießerstraße und klommen die Treppen des alten Stiftshauses hinan, und allezeit fanden sie ein freundliches Willkommen.

Frau Herbort bewahrte eine kühle Zurückhaltung gegen Herrn Joachim, dieser aber ließ es an Ehrfurcht und Herzlichkeit nicht fehlen, und auch Kordula brachte er warme Freundschaft entgegen, die ihr wohlthat, wenngleich es sie schmerzte, daß er so weit abirrte.

* * *

Der September war gekommen. Die Zeit war schnell dahin gegangen, Eva meinte, so schnell, wie noch keine im Leben, und die Muhme Els stimmte ihr bei. Die Tage wurden kürzer, und der Wind wehte scharf durch die Straßen; Jungfer Elsabe hatte ein Feuer im Kamin angezündet und ihren Lehnstuhl vor dasselbe gerückt. Es lag nicht das alte, fröhliche Lächeln auf ihrem Antlitz, jetzt, da sie allein war; ihre Augen sahen manches, und sie seufzte tief. Da hörte sie Stimmen auf der Treppe, und gleich darauf traten Joachim und Eva ein. Letztere schüttelte sich die Regentropfen vom Mantel und aus den Haaren und sagte lachend: »Der Regen kam so plötzlich, wir sind bei gutem Wetter ausgegangen. Hier, Muhme, Herr Johann sendet Euch alten Wein; Martin sollte ihn bringen, aber wir ließen es nicht zu. Der Oheim hat eine Flasche und ich eine, und nun stärkt Euch daran.«

»Ich danke Euch,« entgegnete die Jungfer Els, »wollt Ihr Euch zu mir setzen?«

Herr Joachim holte zwei Holzschemel herbei und schob sie neben den Lehnstuhl. »Base Els,« begann er, »wie gut mir Euer Feuerlein thut! Bruder Simeon hatte mir das Herz kalt gemacht mit seinen Reden, deren ich allgemach herzlich überdrüssig bin.«

»Ja, es ist gut, ein warm Plätzchen in der Welt zu haben,« erwiderte sie und blickte Herrn Joachim ernst an.

»Ihr meint, ich werde es bald nicht mehr haben?« fragte er und blickte in die Flammen. »Ihr habt recht, Base, ich täusche mich nicht, ich muß meinen Wanderstab weitersetzen. Es ist hier nicht Raum für den Ketzer.«

»Herr Joachim!« rief Eva vorwurfsvoll.

Er sah sie an, und als er die Blässe in ihrem Antlitz gewahrte, fuhr er fort: »Ich sage das nicht mit Bitterkeit, sondern als ein Bekenner der neuen Lehre. Ist mir gleich das Herz schwer ob dem Scheiden, so darf ich danach nicht fragen.«

»Schweigt noch eine Weile still,« bat Eva leise. »Nicht wahr, Muhme Els, es ist gut, einen Berater wie Herrn Joachim zu haben? Und –«

»Nein, schweigt nicht länger!« fiel Muhme Els ihr ins Wort. »Der Herbst ist da; jetzt sollt Ihr Euch entscheiden; nun laßt es offen geredet sein und dann – zieht mit Gott Eure Straße.«

Verwundert schaute Herr Joachim in das ernste Antlitz der Jungfer Elsabe, dann übergoß dunkles Rot die breite Stirn, und er senkte die Augen. Eva aber flehte: »Treibt ihn nicht fort, Muhme Els! Ihr wißt nicht, wie schwach mein Glaubenslicht, und wie es erstarkt ist durch sein Wort.«

»Kind,« erwiderte Jungfer Elsabe mit klarer Stimme, »es ist Zeit, daß Du für Dich selber eintrittst. Wir dürfen nicht an uns selbst denken, wenn es das Recht gilt, und das Recht fordert, daß Herr Joachim die Entscheidung sucht.«

»Ich danke Euch, Base Els,« sagte dieser, »es ist gut, daß Ihr mich an die gesetzte Frist mahnt. Ehrlich bin ich gekommen, ehrlich habe ich mein Wort gehalten, und ehrlich gehe ich von hinnen. Vielleicht wenn wir einmal alt sind, reite ich wieder ein in die Stadt und niemand schilt mich mehr einen Ketzer. Dann wollen wir noch einmal so fröhlich am Feuer sitzen. Nicht wahr, Base Els?«

Diese nickte. »Ja das wollen wir und wie wird es sein, wenn Land und Leute des Evangeliums voll sind und von den Kanzeln das Wort gepredigt wird, wie Ihr es in Wittenberg gehört habt!«

»Es wird schön sein,« entgegnete Herr Joachim sinnend, »und die Zeit wird kommen. Laßt zehn Jahre vergangen sein, so sieht es anders aus.«

»Zehn Jahre!« seufzte Eva und blickte den Oheim an; »ich kann mir nicht denken, daß wir so lange hoffen und harren sollen.«

Jungfer Elsabe lächelte. »Zehn Jahre sind keine unermeßliche Zeit, Kind, und wenn Ihr in zehn Jahren wieder allhier bei uns am Feuer sitzt, Herr Joachim, wollen wir Gott preisen.«

»Raimar kommt,« sprach Eva aufhorchend, und bald trat der Knabe ein. Er hatte sich trotz aller Bitten und Vorstellungen noch nicht bewegen lassen, Eva »Mutter« zu nennen, und erzwingen wollte sie es nicht.

»Da bin ich, liebe Base Eva,« rief er fröhlich, »es hat aufgehört zu regnen; wir wollten ja zu Frau Elisabeth Wullenwever gehen.«

Die junge Stiefmutter begrüßte den Knaben liebreich, dann erhob sie sich und legte den Mantel an.

»Und ich darf Euch nicht geleiten?« fragte Herr Joachim.

»Wenn Ihr in einer Stunde mich und den Knaben abholen wollt, so bin Euch dankbar.«

Eva und Raimar gingen, und Herr Joachim leuchtete ihnen mit einem Kienspan die dunklen Treppen hinab. Dann kam er zurück, legte Holz auf die Glut und setzte sich auf seinen alten Platz. Lange schwiegen beide, endlich reichte Jungfer Elsabe ihm die Hand und sagte weich: »Es muß sein, Joachim, und nicht allein um Euretwillen.«

Er blickte in das milde bekümmerte Antlitz; dann kniete er neben ihr nieder, und legte das Haupt in ihren Schoß. Die Base Els weinte; dabei fuhren ihre Finger lind über das braune Haar. Wie man ein unruhig Kind liebkost, so that sie ihm.

Endlich blickte er auf, der ganze, leidenschaftliche Schmerz lag in den großen, feuchtschimmernden Augen, und er fragte leise: »Liebe Base, darf ich zu Euch reden?«

»Thut es, es bleibt alles zwischen Euch und mir.«

Joachim setzte sich wieder ihr zur Seite. Lange rang er um das rechte Wort, dann begann er, ohne den Blick zu erheben: »Base Els, ich habe ihre Liebe nicht begehrt, seit ich weiß, daß sie meines Bruders Gemahl ist.« Die Angeredete nickte stumm, und er fuhr fort: »Wir haben einst mit einander gespielt in Frau Herborts oder Herrn Johanns Garten, und ich habe, so lange ich denken kann, niemand lieber gehabt, als das Mägdlein. Dann wurde ich für den geistlichen Stand bestimmt und entsagte, wenn auch mit heimlichem Kummer, meiner Liebe, wußte ich doch, daß sie ohnedies hoffnungslos war; Frau Herbort würde ihre Enkelin nie einem armen Manne gegeben haben. Vielleicht hat Herr Johann gemerkt, wie es um mich stand, denn er hatte es sehr eilig, mich auf die Universität zu schicken. Er wollte seine Pläne nicht durchkreuzt sehen, und wie sollte er Mitleid und Verständnis für ein junges Herz haben, er, der allezeit nur nach klugen Berechnungen gelebt und gehandelt hat? Es war hart für mich, mein Herz zu bannen, aber ich wähnte, es sei mir gelungen, da bald die heilige Sache der neuen Lehre mich erfüllte. Es ist ein großes Ding um das Ringen der Seele, und es fordert den ganzen Menschen, so daß die Frage nach dem Lebensglück des Einzelnen daneben verstummt. In Wittenberg wurde mir klar, welcher Weg der einzige für mich sei. Es war bald, nachdem der Martinus die von Bora geehelicht hatte, da ging ich eines Morgens sehr früh vor die Stadt hinaus – ich wußte kaum, wie weit – und war froh, daß mein Entschluß feststand, nicht geistlich zu werden. Wie ich dabei meines Bruders gedachte und seines Zornes, stand mir auch Evas liebes Antlitz vor der Seele, und hatte ich wie bisher jedes Gefühl für sie gewaltsam unterdrückt, so erfüllte es mich jetzt mit Wonne, daß ich ihrer in Liebe gedenken durfte. Die Jugend hofft; ich meinte, es könne ein Wunder geschehen und sie trotz aller Hindernisse noch einmal mein eigen werden. Da merkte ich, daß ich allezeit ihr Bild im Herzen getragen hatte, und mein Sehnen wurde so groß, daß ich eilig umkehrte, Reisegelegenheit suchte und, so bald ich solche gefunden hatte, mein Roß sattelte und heimwärts ritt. Nimmer noch habe ich eine hoffnungsfrohere Fahrt gemacht, und nimmer noch war eine so vergeblich.«

Joachim schwieg in schmerzvoller Erinnerung, dann begann er von neuem: »Ihr wißt, was nun kam. Herrn Johanns Brief war nicht in meine Hände gelangt, und da ich die Arme nach dem Mägdlein ausstrecken wollte, war sie eines andern. Ich habe all' die Zeit her gebetet, aber nicht überwunden. Nun gehe ich von hinnen und weiß wohl, daß mein Leben ein Kampf sein wird, um dem Gedanken an sie nicht zu viel Raum zu gönnen. Wäre sie glücklich, ich würde alles leichter tragen, aber, ich weiß es wohl, sie ist es nicht.«

»Sie ist zufrieden.«

»Nicht einmal das, Base Els, sie thut, was ihr die Pflicht gebietet. Ach Gott, welch eine harte Pflicht!«

Jungfer Elsabe schwieg, und Herr Joachim preßte die Finger der gefalteten Hände fest auf einander; dann blickte er in ihr stilles Antlitz und flehte: »Base Els, sagt mir ein gutes Wort.«

»Des Herrn Wege sind wunderbar, aber er führt es herrlich hinaus,« sprach sie langsam.

»Wunderbar,« wiederholte Joachim in tiefen Gedanken. »Ja, es gehört Mut zum Leben, heiliger Mut.«

»Erfahrt Ihr das jetzt erst?« entgegnete sie mit einem Schimmer ihres alten Lächelns, »ich sage Euch, es ist nichts als Kampf und Streit, so lange wir wallen, und wir dürfen das Schwert nimmer aus der Hand legen. Ihr aber, verzagt nicht allzu sehr. Das Herz ist Euch entfallen ob des Kummers; Gott wird Euch wieder aufrichten; er ist nahe allen, die ihn anrufen. Es ist noch viel Arbeit für Euch in der Welt. Sucht sie auf, sie ist ein heilsam Mittel gegen das eigene Leid. Und wenn Ihr nach zehn Jahren wieder allhier bei mir sitzt, dann werdet Ihr sagen: ›Der Herr hat es herrlich hinausgeführt.‹ Und nun laßt mich Euch noch einmal bitten: Geht bald, es ist besser.«

Joachim sah sie an; eine stumme Frage lag in seinem Blick; als sie aber schwieg, sagte er aufstehend: »Ich gehe, sowie ich mit Herrn Johann gesprochen habe.« Darauf nahm er Abschied und trat bald auf die mondbeschienene Straße hinaus.

Jungfer Elsabe aber schaute in das verglimmende Feuer, liefen Ernst im Antlitz. Sie rang mit Gott, daß er des Mannes Seele frei mache, und ihm den Frieden wiedergebe. Dann auch flehte sie, daß Eva nicht Schiffbruch leide in den Wellen ihrer Trübsal, denn besser, als diese selbst, wußte sie, was in ihrem Herzen vorging. Lange saß sie so in stillem Gebet; endlich zündete sie ein Licht an, holte den Psalter und las den 121. Psalm: »Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen, von welchen mir Hülfe kommt.« Noch einmal wiederholte sie leise: »Der Herr behüte dich vor allem Übel, er behüte deine Seele!« Da kam der alte, stille Zug wieder in ihr Antlitz, das Zeichen eines Friedens, welcher höher ist, denn alle Vernunft.

Der nächste Tag war sonnig, und es schien, als wolle der Sommer noch einmal zurückkommen. Eva war daheim, sie sah bleich und traurig aus und horchte ängstlich auf jedes Geräusch draußen.

Joachim hatte Wort gehalten. Er hatte Herrn Johann um eine letzte Unterredung gebeten. Dieser wußte wohl, um was es sich handele, und als sein Bruder bei ihm eintrat, fand er auch den Kirchherrn Johann Rode dort. Auf des Ratmannen Stirn lagerten finstere Falten, und düster blickte er den Eintretenden an. Auch der Kirchherr sah streng auf ihn, schwieg aber in Erwartung seiner Anrede.

Dem jungen Manne war der alte, heilige Mut wiedergekommen; er hatte bei dem Ringen in der schlaflosen Nacht erfahren, daß es etwas Größeres giebt als den Schmerz um verlorenes Lebensglück. Gottes Ehre wollte er suchen, ihm leben, ihn bekennen. »Herr Bruder,« begann er, als das Schweigen peinlich wurde, »ich bin gekommen, Euch verabredetermaßen meinen Entschluß kund zu thun.«

»Wendet Euch an den Kirchherrn,« fiel der Ratmann ihm in die Rede, »ihm habe ich die Angelegenheit übergeben.«

»Wie Ihr wollt. Meine Sache ist kurz vorgetragen, ich bekenne mich zur neuen Lehre und –«

»Haltet ein!« rief der Kirchherr zornig, »Ihr wollt doch nicht sagen, daß Ihr vom alten Glauben los seid?«

»Sofern er im Widerspruch steht mit dem neuen, ja.«

Erschrocken schaute Herr Johann dem Sprecher in das von Begeisterung leuchtende Antlitz. »Joachim, Ihr bringt Schande über mich.«

Traurig erwiderte dieser den Blick; dann sagte er: »Ich gehe morgen mit dem frühesten, der Herr wird mir den Weg weisen.«

»Lästert nicht!« rief der Kirchherr; »der Satan wird Eure Wege zeichnen und Euch ins Verderben leiten. Oh, Herr Johann, wohin ist es gekommen mit der zuchtlosen Menschenseele, die sich nicht beugen will unter das Zepter der Kirche?« Er trat dicht an Joachim heran und sprach leise und schnell: »Ich verspreche Euch einen Platz im Kapitel. Alles sollt Ihr haben, was Ihr fordert, nur verlaßt nicht die heilige Kirche.«

Lächelnd ruhten Joachims Blicke auf dem Redenden, als er ruhig erwiderte: »Habt Ihr je gelesen, Hochwürden, was der Evangelist erzählt von der Versuchung des Hochgelobten durch Satanas? Es will mich bedünken, es gelte zur Stunde dasselbe. Danach führte ihn der Teufel auf einen sehr hohen Berg – nun, Ihr wißt wohl, wie es weiter lautet.«

»Vergleicht Ihr Euch etwa mit dem Hochgelobten?«

»Ich bin sein Jünger, er ist der Meister; der Vergleich liegt anderswo.«

Dunkles Rot bedeckte des Kirchherrn Antlitz, und er stieß zischend hervor: »Wahre der schuldigen Ehrfurcht, Ketzer, und sei hiermit ausgestoßen aus der heiligen Gemeinschaft unserer Kirche! Gottes und der Heiligen Zorn mögen Dir folgen, wohin Du gehst!« Er wandte sich nach diesen Worten um und ging eilig hinaus. Die Thür fiel geräuschvoll ins Schloß. Die beiden Brüder waren allein.

Herr Johann stand dem Fenster zugekehrt; Zorn und Schmerz rangen in seiner Seele. Nun war es geschehen; man würde mit Fingern auf ihn weisen, man würde höhnisch lächeln und fragen: »Wo ist der, welcher den Altar bedienen sollte? Wie fein, daß des Ratmannen Bruder ein Ketzer ist!« Er fuhr sich mit der Hand über die heiße Stirn und wandte sich Joachim zu, der an dem Tisch lehnte: »Ihr habt meine Ehre mit Füßen getreten und Gutes mit Bösem vergolten. Seht nun zu, wie Ihr fahret. Ich bin hinfort nicht mehr Euer Bruder.«

»Johann!« rief der also Angeredete in bitterm Schmerz, »nicht also! Ich gehe, doch laßt uns in Frieden scheiden.«

»Was heißt Friede? Zwischen uns ist kein Friede möglich. Ihr seid ein Ketzer, und als solcher von Gott und dem heiligen Vater verflucht.«

»Nicht von Gott, Herr Bruder! Doch darüber will ich nicht reden, ob mir gleich das Herz voll davon ist.«

»Oh, oh,« stöhnte Herr Johann, und sank in den Lehnstuhl, »daß es so kommen mußte! Ich hatte gehofft, es würde alles gut werden, und Bruder Simeon ein rettender Engel für Euch sein.«

»Der – Engeldienste?« fragte Herr Joachim bitter; »er hat mich durch seine toten Disputationen nur bestärkt in meinem Glauben.«

Herr Johann erhob sich, trat dicht an den Bruder heran, legte ihm die Hand auf die Schulter und stieß erregt hervor: »So bleibt es dabei, daß Ihr los seid von mir und allem, was Euch hier lieb war?«

»Daß ich los bin von den Irrtümern der alten Lehre, vom Papst und den Menschensatzungen, und hoffe allein auf die Gnade Jesu Christi,« entgegnete Herr Joachim langsam und ernst.

»Ist das Euer letztes Wort?«

»Mein letztes.«

»Wann wollt Ihr reisen?«

»Morgen in der Frühe.«

»Ich sehe Euch nicht wieder. Lebt wohl!« Der Ratmann wandte sich zum Gehen, kein Blick streifte den Bruder; aufrechten Hauptes schritt er zur Thür hinaus, und Joachim hörte, wie er draußen dem alten Martin Bescheid erteilte, sein Pferd zu satteln; er wolle nach Travemünde reiten und komme erst morgen zurück.

Tiefe Trauer im Herzen eilte Joachim auf seine Kammer, und doch, als er allein dastand, schien es ihm, als sei er nie so frei gewesen und als sei der Herr ihm nie so nahe wie heute. Er packte seine karge Habe zusammen – sie hatte neben ihm auf dem Roß Platz –, dann wollte er zur Jungfer Elsabe gehen.

Als er an Evas Thür stand, zögerte er einen Augenblick, dann öffnete er schnell. »Frau Eva, ich gehe morgen in der Frühe.«

»Joachim!« Es war wie ein Schmerzensruf. »Ich wußte wohl, daß es so kommen würde, aber« – ihre Lippen bebten; sie konnte nicht weiter reden.

»Der Hochgelobte wird Euch andere Hülfe senden, so Ihr deren nötig habt,« sagte er, sich zur Ruhe zwingend. »Ich danke Euch, daß ich eine Weile in Eurem Hause habe rasten dürfen. Ich gehe zur Muhme Els; Herr Johann soll nicht sagen, ich sei sein Gast länger gewesen, als er wollte. Fahrt wohl, liebe Frau! Es segne Euch der Allmächtige!«

»Soll ich Euch jetzt zum letztenmal sehen?« fragte Eva schmerzbewegt.

»Gott weiß es!«

Sie reichte ihm die Hand, er hielt sie lange schweigend fest, darauf ging er langsam hinaus.

Thränenlosen Auges sah des Ratmannen jung Gemahl ihm nach. Es war ihr, als stände das Leben still und als wäre der Sonnenschein trübe. Sie begab sich hierhin und dorthin im Hause, antwortete der alten Emerentia auf deren Fragen und dem Koch auf seine Vorschläge. Bruder Simeon kam, und sie sagte ihm, daß Herr Joachim reise. Bruder Benedikt trat zu ihr, als sie am Nachmittag in der Laube saß, und es that ihr wohl, ihm alles zu berichten: daß Herr Joachim die Entscheidung herbeigeführt und daß er reite auf Nimmerwiedersehen.

Der Abend kam. Raimar saß neben ihr und erzählte ihr von Karsten, und was der ihm vorgelesen, wie er besser Ball geschlagen habe als sein Lehrer, und wie dieser ihn bald wieder zu seinen Tauben mitnehmen wolle.

»Hört Ihr, liebe Base Eva?« fragte er.

»Ja, mein Kind, ich höre, erzähle nur mehr.« Und fröhlich plauderte Raimar weiter, während seiner jungen Stiefmutter das Herz brechen wollte. Dann ging er zur Ruhe, und Eva saß einsam in ihrem Gemach.

Von St. Marien schlug Stunde um Stunde; der Klopfer an der Hausthür fiel schwer auf, Herr Joachim kam heim, um die letzte Nacht unter seines harten Bruders Dach zuzubringen. Eva hörte seine Schritte. Die Hände brannten ihr im Fieber, und ihr Herz war müde und krank; sie konnte nicht beten, nicht weinen, nur eins: fühlen, wie elend sie war.

Als der Morgen graute, litt es sie nicht länger in der engen Kammer. Sie ging in das Gärtchen; die Sonne warf eben die ersten Strahlen auf das taunasse, bunte Laub, und ein Vöglein zwitscherte im Kirschbaum. Sie setzte sich in die Laube. Hier hatte sie so manche frohe Sommerstunde verlebt, hier wollte sie weilen, während Herr Joachim fortritt. Im Hause wurde es lebendig, und im Stall wurde das Roß aufgeschirrt. »Emerentia,« so dachte sie, »sorgt für alles, was er bedarf, ihr Herz hängt ja an ihm.«

Da nahten sich Schritte, und der, um den sich alle ihre Gedanken drehten, kam langsam daher. Eva saß regungslos. Er näherte sich. Jetzt trat er in die Laube, und mit dem Ausruf: »Eva!« stand er am Eingang still.

Traurig blickten die ernsten Augen ihm ins Antlitz, voll tiefen Schmerzes ruhten seine Blicke auf der zarten, lieben Gestalt. So standen sie eine lange Zeit, bis er mit bebenden Lippen sagte: »Fahrt wohl!« Er wollte noch etwas hinzufügen, aber er bezwang sich und wandte sich langsam zum Gehen.

»Joachim!« Ungewollt und schmerzlich hauchte ihr Mund den Namen. Der Scheidende stand still und sah zurück. Es war ihm, als müsse er hinzueilen und sie in seine Arme nehmen, aber – sie war seines Bruders Weib. Noch einmal grüßte er mit der Hand, und ging von hinnen. Frau Eva aber legte das Antlitz in die Hände.

Sie hörte, wie das Roß aus dem Stall geführt wurde, hörte die Stimme des alten Dieners, hörte wie Raimar dem Oheim entgegenkam, um Abschied zu nehmen, hörte noch einmal den Ton der Stimme, der ihr nicht teuer sein durfte, – dann war alles still.

Sie mochte lange so gesessen haben; da kam Raimar den Weg daher. Als er sie erblickte, rief er: »O, wie sehr habe ich Euch gesucht! Ich dachte, Ihr würdet dabei sein, wenn der Oheim fortreitet. Er sagte zuletzt noch zu mir: ›Entbiete Frau Eva und dem Herrn Vater meinen Gruß.‹ – Seid Ihr sehr betrübt, daß der Oheim fortgegangen ist?« fragte er plötzlich und blickte Eva ins Antlitz.

Diese entgegnete nichts, sie konnte den kaum versiegten Thränen nicht gebieten; sie schlang ihren Arm um des Knaben Hals, lehnte ihr Haupt an seine Schulter und weinte bitterlich.

Raimar stand ganz still neben ihr, ihm selbst war das Herz schwer, und er hatte sich bei ihr Trost holen wollen.

Endlich faßte sie sich und sprach, ihre Thränen trocknend: »Abschied nehmen ist immer schwer, mein Kind, denn allemal geht ein Stück Liebe mit von hinnen, und wir können ihrer so wenig entbehren. Du mußt mich nun doppelt lieb haben,« fügte sie hinzu mit einem schwachen Versuch zu lächeln.

Da legte der Knabe beide Arme um ihren Hals, und indem lichte Röte sein Antlitz überflog, flüsterte er: »Ich will es, liebe Frau Mutter.«

Innig küßte ihn Eva; des Kindes Liebe tröstete und erquickte sie, und er verstand, was ihr wohlthat.

»Ich werde von jetzt an immer ›Frau Mutter‹ sagen,« fuhr er fort, »und ich will noch viel fleißiger sein, daß ich so viel lerne, wie der Oheim Joachim, und dann gehe ich auch nach Wittenberg und erzähle Euch hernach vom Luther und allem, was die gelehrten Männer anderswo reden. Ist's so recht, Frau Mutter?«

»Ich danke Dir, Raimar,« entgegnete diese liebreich, dann stand sie auf, legte den Arm um des Knaben Nacken, und beide gingen noch lange im Gärtchen auf und ab. Die Herbstsonne schien leuchtend hernieder, und ein verspäteter Schmetterling flatterte über den letzten, spärlichen Blumen. Des Junkers Gedanken weilten noch immerfort bei dem geliebten Oheim, und er sprach von ihm, und was er gesagt und gethan hatte. Es war für Eva eine wehmütige Freude zuzuhören; ihre Seele wurde ruhiger, und endlich kam die alte Zuversicht über sie, daß sie an des Herrn Hand wandere, wenn auch jetzt durch ein dunkles Thal.

Herr Johann kam früher wieder, als man ihn erwartet hatte. Düstere Schatten lagen auf seiner Stirn, als er vom Pferde stieg, und auch dann noch, als er später bei den Seinen eintrat.

»Herr Vater,« rief Raimar ihm entgegen, »der Oheim Joachim läßt Euch seinen Gruß entbieten.«

Der Ratmann blickte zornig auf den Knaben, dann sprach er langsam und nachdrücklich: »Ich will nicht, daß der Name dieses Unwürdigen und Ketzers jemals wieder in meinem Hause genannt werde. Ich bin los von ihm, des Himmels Zorn wird ihn treffen.«

Erschrocken blickte der Junker zu dem Redenden auf, dieser aber fuhr ihn an: »Hast Du meine Worte verstanden?«

»Nein, Herr Vater!«

»So werde ich Dir Bruder Simeon schicken, der soll Dir klar machen, wie ich es meine.«

»Nicht Bruder Simeon,« wehrte Frau Eva ab, »ich selbst will mit dem Knaben reden.«

»Ja, Frau Mutter, Ihr, nicht der Mönch!«

Unmutig schaute Herr Johann auf die Beiden. Es war ihm unlieb, daß Frau Eva so bleich aussah, und peinlich, daß sie, wie er wohl wußte, anders zu der Sache stehe, als er. »Ihr wißt,« fuhr er zu ihr gewendet fort, »daß ich nicht anders handeln konnte. Ich habe alles versucht und lange Geduld mit dem Abtrünnigen gehabt. Das aber soll jeder hier in meinem Hause wissen: Wer sich zu der neuen Lehre bekennt, dem ist mein Herz und Haus verschlossen für immer. Ich will nicht teilhaben an dem Fluch des Gebannten.«

Noch nie war Herr Johann so aufgeregt gewesen, und ängstlich blickte der Junker seiner Mutter ins Antlitz. Diese aber sagte ruhig: »Ihr habt ein Recht, Euern Willen kund zu thun, und es ist gut, daß ein jeder weiß, was Eure Meinung ist.«

Herr Johann achtete nicht darauf, daß die Ruhe, mit der sein Weib redete, erzwungen war. Es freute ihn, daß sie ihm gehorsam zustimmte; wie schmerzzerrissen ihre Seele war, davon ahnte er nichts.

»Ich habe den Kirchherrn Johannes Rode auf morgen abend zu Gast gebeten,« sprach er sanfter, »ich bin ihm eine Ehrenbezeigung schuldig; Ihr habt doch nichts dagegen, Frau Eva?«

»Was sollte ich dagegen haben?« erwiderte sie, »thut, wie Euch beliebt. Eure Gäste sind auch mir willkommen.«

»Ich danke Euch,« versetzte der Hausherr und sein Zorn schien allmählich zu verfliegen.

»Karsten ist da,« rief Raimar plötzlich und eilte hinaus; Eva aber trat an ihren Eheherrn heran, legte ihre Hand auf seinen Arm und bat, ihm ins Antlitz blickend: »Versprecht mir eins, Herr Johann.«

»Was ist's?« fragte er befremdet.

»Redet nimmer in des Knaben Gegenwart hart von Eurem Bruder.«

»Ihr habt gehört, daß ich von ihm los bin, sein Name wird weder in Gutem noch in Bösem über meine Lippen kommen.«

»Dann ist es gut. Ein Kind soll nicht wissen, was Hader ist, Hader mit dem Bruder; er wird früh genug lernen, daß die Welt voll Streit ist. Laßt ihm das Haus eine Stätte des Friedens scheinen.«

»Scheinen?« Herr Johann wiederholte das Wort langsam und verwundert.

»Es kann nicht immer Friede sein,« versetzte Frau Eva ausweichend, »Ihr werdet das noch frisch in Euerm Herzen verspüren.«

»Ihr habt recht, aber nun laßt es an Euch sein, daß wieder die alte Ruhe und das vorige Wohlbehagen bei uns einziehen. Mich verlangt danach; wir sind allzulange schon darin gestört worden.«

Frau Eva holte ihren Stickrahmen und setzte sich ans Fenster. Herr Johann ging auf und ab und erzählte ihr von den Arbeiten in Travemünde. Er selbst ließ ein Haus dort bauen, weil er in den kommenden Jahren voraussichtlich öfter dort sein würde. Er fand sonderliches Vergnügen an der Aufführung des neuen Leuchtturms. Es war ihm nicht anzumerken, daß er so Hartes hinter sich hatte, ja fast schien es, als wäre er des Schlusses der Sache froh; sein Verfahren hielt er für recht und christlich. Wie sollte er anders gehandelt haben? Waren doch der Dekan und Bruder Simeon da, welche ihm wiederholt versicherten, daß seine That den Heiligen angenehm und dem Volke förderlich sei. Die ganze Stadt werde ein Beispiel nehmen, wie es den Ketzern ergehe.

Frau Eva hörte nur halb nach dem hin, was ihr Eheherr erzählte; ihre Seele war tief betrübt, und sie sehnte sich, allein zu sein, aber nicht eher wurde ihr dies Verlangen gestillt, als bis sie gegen Abend zur Muhme Elsabe ging.

Es war ihr stets ein Trost und eine Freude, wenn sie bei dieser sein konnte; heute aber verlangte sie mehr denn je danach.

Die Jungfer Els saß am Fenster, als Eva eintrat, und rief ihr entgegen: »Gut, daß Ihr kommt, Herzliebe. Ich habe viel Euer gedacht. Schauet die letzten goldnen Sonnenstrahlen draußen und höret das Lärmen der Spatzen. Sie gemahnen mich an das Wort des Heilandes: ›Seid ihr denn nicht viel mehr denn sie?‹ Das ist auch für Euch das rechte Wort; denket allezeit, daß Ihr sehr wert gehalten seid von Eurem himmlischen Vater, und daß, so er Euch trübe Zeit schickt, er auch gleich den Segen daneben leget.«

Eva antwortete nicht allsogleich; sie hatte sich auf einen niedrigen Schemel neben die Muhme gesetzt und blickte zu Boden. Endlich sprach sie leise, ohne aufzusehen: »Was sollen wir nur machen ohne Herrn Joachim, der uns so treu beraten und beigestanden anher?«

»Wir sollen lernen: unsere Hülfe allein bei dem Allmächtigen zu suchen; sein heiliges Wort soll ganz und völlig sein unseres Fußes Leuchte und ein Licht auf unserm Wege. Sehr liebreich hat er Euch solches weisen lassen durch den geschiedenen Freund. Gehet in die Kammer, allda lieget sein letzter Gruß, sein Vermächtnis für Euch, es ist sein eigen neu Testament mit den Psalmen. Er hat darin angemerket, was ihm sonderlich nütze und lieb gewesen; da könnet Ihr lernen, was der Seele hilft.«

Schnell erhob Eva sich und holte den werten Schatz. Ja, das würde ihr Labsal und Hülfe sein; im Stillen Gott dankend und auch Herrn Joachim, setzte sie sich wieder auf den Schemel, faltete die Hände über dem Buch, und ihre Thränen fielen auf dasselbe. Die Muhme schien das nicht zu beachten, sondern sagte: »Es steht recht um Herrn Joachim, er schlägt den ewigen Gewinn höher an, als diese Zeitlichkeit, und wir alle wollen ihm nachstreben. Was ist es denn um die kurze Spanne Zeit hienieden? Wahrlich, nur eine Handvoll Kummer und danach eine ewige Tröstung. Man sollte das mehr und recht bedenken.«

»Aber das Leben ist so lang, Muhme Els,« klagte Eva.

»Meint Ihr? mich dünkt, es ist kurz; sonderlich wenn man den Blick allezeit gerichtet hat auf die ewigen Hütten, so scheint es einem, der Weg wäre nicht weiter als bis zum Nachbarhause.«

Frau Eva schwieg in tiefem Sinnen, dann sprach sie zaghaft: »Ach, Muhme, ich bin noch so jung und möchte so gerne glücklich sein.«

»In der Welt habt ihr Angst, aber in mir habt ihr Frieden, spricht der Herr,« erwiderte die Muhme.

»Wohl Euch!« flüsterte Frau Eva.

»Wohl mir, ja, und auch wohl Euch! Ihr habt da anjetzo das werte Gotteswort, das wird Euch frei und mutig machen. Es ist Euch ein Wetter herauf gezogen, und weil der Himmel verdüstert ist, meint Ihr, es sei Abend geworden, aber die Wolken werden sich zerteilen; dem Herrn befehle ich Euch, er wird alles wohl machen.«

Eva hatte die Thränen getrocknet, sie sah zur Jungfer Elsabe auf, den alten Glanz in den schönen Augen. Dann erhob sie sich und sagte, den Arm um die Muhme legend: »Ich danke Gott, daß ich Euch habe, und daß ich nun auch das werte Bibelwort mein eigen nenne. Ich will es hüten und hoch halten, nicht weil es Herr Joachim mir hinterlassen, sondern weil der Herr es mir gegeben hat.«

Darauf ging des Ratmannen jung Gemahl getröstet von dannen.


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