Erwin Rosen
In der Fremdenlegion
Erwin Rosen

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J'accuse ...

Nach zwei Jahren. – Schatten der Vergangenheit. – Vision. – Die Allgemeinheit und die Fremdenlegion. – Die politische Seite. – Die menschliche Seite. – Der springende Punkt. – Ein unsauberes militärisches Geschäft. – Eine Frage, die unsere Zeit schon längst gelöst haben sollte. – Der leise Zweifel des Herrn Jaurès. – Quousque tandem...?

Zwei Jahre sind vergangen.

Kampfjahre in jedem Sinne, von den anfänglichen kleinen Sorgen ums tägliche Brot bis zum inneren Ringen um Fortentwicklung; Jahre, in denen die Arbeitslampe viel Mitternachtsöl verbrauchte, und jeder kleine Erfolg ein Freudenfest war. Mein persönlicher Standpunkt zur Fremdenlegion war ein sehr merkwürdiger in der ersten Zeit. Viele Monate lang zwang ich mich, niemals an meine Legionszeiten auch nur zu denken. Sie sollten mir ein verblaßter Schatten der Vergangenheit sein.

Sie waren mir eine häßliche Schriftlinie auf der Lebenstafel, die ich gar zu gerne ausgelöscht hätte. Weil ich sie nicht auslöschen konnte, glitt ich beim rückschauenden Lesen scheu über sie hinweg. Das war bequem und praktisch. Aber vergangene Dinge, die man vergessen will, haben ihre eigene Art, sich ungebeten und unerwünscht aufzudrängen.

Oft, wenn ich in lässigen Viertelstunden im Lehnstuhl lag, schlichen sich in die feinen blauen Rauchgebilde der Zigarette Legionärsgestalten.

In endlosen Reihen zogen sie an mir vorbei, bepackt wie Lasttiere, gebeugt unter ihrer Bürde, vorwärtsstampfend im tiefen Sand, dahinkeuchend in langer Kolonne. Ich sah die stieren Augen, die gekrümmten Rücken. Ich fühlte, wie sie sich quälten, wie sie mit letzter Kraft sich schleppten. Mir war, als ob ich ihr Stöhnen hören konnte. Jede der Gestalten schien mich anzusehen, in haßerfülltem Neid: Im Lehnstuhl sitzst du? Kultur umgibt dich? Künstlerische Dinge sind um dich? Zu uns gehörst du! An deinen Platz mit dir als Flügelmann in der ersten Viererreihe der 11. Kompagnie, Legionär! Marschier', Legionär, oder verreck! Her zu uns! – Wenn ich ein Goldstück ausgab für ein Vergnügen, sah ich Legionärshände, zitternde, krallende Finger, die das Gold fassen, die es mir wegnehmen wollten. Gold! Unerhörter Wert, in dem Hände voll der jämmerlicher Kupferstücke der Legion steckten. Gib her, sagten die Finger. Gib uns! Denkst du an unsere fünf Centimes, Legionär?

Die Gebilde plagten mich.

Ich gab ein Stück meines Lebens preis. Nach langem Zögern schrieb ich dieses Buch. Ich gab nur die einfache Routine des Lebens im Regiment der Fremden, wie ich sie am eigenen Leibe miterlebte und mit eigenen Augen sah. Das Mindestmaß dessen, was jeder Legionär erlebt.

Ich wollte den Legionär zeigen, wie er lebt, wie er arbeitet, wie er ist. Ich bin nicht von der Voraussetzung ausgegangen, törichte junge Leute vor der Fremdenlegion warnen zu können. Törichte Menschen lassen sich nicht warnen. Aber ich glaubte, und glaube noch, daß eine wahre, unverzerrte Schilderung der französischen Fremdenlegion ihr Scherflein dazu beitragen könnte, einer Institution ein Ende zu machen, die so wenig in unsere Zeit hineinpaßt, die dem modernen Menschen so unverständlich sein sollte wie Sklavenhalterei. Und vor allem wollte ich die Gebilde bannen, die mich plagten.

*

In der Beurteilung der Fremdenlegion sollte vor allem nicht mit Gemeinplätzen operiert werden, mit verallgemeinernden Voraussetzungen. Gerade in Deutschland findet man so häufig die Auffassung, alle deutschen Fremdenlegionäre seien verlorene, verdorbene Menschen, Verbrecher gar – moralisch und wirtschaftlich wertlose Existenzen im besten Fall. Eine nichtsnutzige Gesellschaft, an der nicht viel verloren sei.

Man tut die deutschen Legionäre mit einigen Phrasen ab, kühl denkende Männer schreiben in deutschen Zeitungen über »die Angehörigen deutscher Nationalität, die sich dazu hergeben, die mittelalterliche Reisläuferei als französische Söldner in verächtlichster Art wieder aufleben zu lassen...« Diese Auffassung ist geradezu die »offizielle«. Ich bin der Ansicht, man sollte die Fremdenlegion mit etwas mehr menschlichem Verständnis betrachten. Ich bin vor allem überzeugt, daß es mit den »verlorenen, verdorbenen Menschen« gar nicht so schlimm ist. Einen strikten Beweis dafür kann ich zwar nicht antreten. Eine Statistik der Fremdenlegion gibt es nicht, und ich so wenig wie ein anderer Mensch bin imstande, authentisches Material vorzulegen. Es existieren ja nicht einmal offizielle Daten über den jeweiligen Effektivbestand der beiden Legionsregimenter. Ich gebe von vornherein gerne zu, daß ein Teil des deutschen Menschenmaterials der Fremdenlegion die gleichgültige Beurteilung verdient, die man dem Fremdenregiment angedeihen läßt. Ich nehme aber auch Glauben für meine Ueberzeugung in Anspruch, daß, nach allem, was ich gesehen und gehört habe, der andere große Teil der deutschen Legionäre durchaus nicht Verdorbene sind! Als arme deutsche Handwerksburschen sind sie in die Legion gekommen! Ihre Geschichte ist die traurige Geschichte der wanderlustigen deutschen Handwerksburschen, die auf einer französischen Landstraße hungerten; die keine Arbeit fanden, weil sie der fremden Sprache nicht mächtig waren. Diese armen Menschen haben von jeher den Kern der Legionsdeutschen gebildet. Wenn man daran denkt, daß die Hälfte aller Fremdenlegionäre Deutsche sind, so vergesse man die deutschen Handwerksburschen der Legion nicht! Und ihren Hunger! Und die Verlockungen des Werbebureaus, das Brot versprach! Und die fürchterlichen fünf Jahre, mit denen sie ihre »verächtliche Reisläuferei« büßen mußten!

Der Hunger ist das hauptsächlichste Motiv, das Menschen in die Legion treibt, Deutsche und Franzosen, Italiener und Spanier, Oesterreicher und Engländer.

Der Hunger ist der rührigste Werber für das Regiment der Fremden.

Der Hungernde, der in ihm Zuflucht sucht, bekommt zwar sein tägliches Brot. Er wird jedoch schmählich betrogen! An diesem Hebel möchte ich immer wieder einsetzen und immer wieder darauf hinweisen, wie schwer der Legionär arbeiten muß, wie hart sein Leben ist, wie er seine ganze Manneskraft hergibt für ein Entgelt, das gleich Null ist. Wir denken sehr praktisch in unserem modernen Leben; der Arbeiter jeder Art weiß den Wert seiner Leistung sehr wohl in Münzwert umzurechnen und benützt jede Gelegenheit, um eine bessere Entlohnung zu erzielen. Und in einer Zeit, die den » standard of life« verbessert und die Lebensansprüche des Aermsten hinaufgetrieben hat, ist es möglich, daß ein Unternehmen wie die Fremdenlegion (sie ist nichts anderes als ein Unternehmen, ein Geschäft), immer wieder Tausende von Arbeitssoldaten für einen Sold bekommt, mit dem verglichen der ortsübliche Tagelohn des kleinsten Nestes Reichtum ist! Das Ausschlaggebende für den modernen Menschen sollte die Löhnung sein, die der Fremdenlegionär erhält – vier Pfennige im Tag. Das ist weniger als der fünfte Teil der minimalen Entschädigung, die z. B. der deutsche Infanterist erhält, der ja nicht als bezahlter Söldner dient. Die unerhört niedrige Bezahlung der fremden Söldner der Legion stellt eine häßliche Ausbeutung menschlicher Armut und menschlichen Leichtsinns dar. Das ist der springende Punkt! Man vergleiche nur die Legion mit den beiden anderen Söldnertruppen, dem amerikanischen und dem englischen Heer, die beide, nebenbei bemerkt, für die Innehaltung eines gewissen, durchaus nicht niedrigen, moralischen Niveaus unter ihren Angehörigen sorgen. Beide dieser Söldnerheere bezahlen, im schreienden Gegensatz zur Fremdenlegion, ihre Söldner ausgezeichnet! Der amerikanische »Reguläre« erhält als Mindestsatz dreizehn Dollars im Monat; der englische »Tommy« bekommt einen Schilling im Tag. Und beide sind nur Soldaten, keine Arbeiter. Sie sind Söldner, aber – sie bekommen wenigstens Sold!

Wenn man, von der Basis der vier Pfennige Tagessold ausgehend, die allgemeinen Verhältnisse in der Fremdenlegion betrachtet, wird jedem, sei er nun kühl kritisierender Ausländer oder patriotischer Franzose, die Ueberzeugung aufgedrängt werden, daß die Institution der Fremdenlegion gegen die einfachsten Gebote der Menschlichkeit sündigt – seit achtzig Jahren gesündigt hat! Hekatomben von Menschen aller Nationen liegen im Sand Algeriens, in den Sümpfen Madagaskars, in der fiebergeschwängerten Erde Tonkins, in Mexiko begraben. Opfer der Fremdenlegion. Sie sind gestorben gegen ein Aequivalent von Gefüttertwerden und vier Pfennigen täglicher Löhnung!

Läßt man die Toten ruhen und beschäftigt man sich mit den Lebenden, so kommt man auch dann zum gleichen Resultat: militärisches Ausbeutertum! Gegen alle Gebote der Menschlichkeit sündigend: durch Uebertölpelung von unerfahrenen Menschen, die niemals in die Legion kommen würden, wenn sie wüßten, was ihnen bevorsteht; durch gleichgültige Mißachtung des Wertes von Menschenleben; durch ein Aufzwängen von Existenzbedingungen, die die Gesundheit schädigen müssen.

Nicht nur dafür ist das militärische Ausbeutertum verantwortlich, sondern auch für die Sünden und Laster der Legion, denn das System ist es, das diese Sünden und diese Laster aus den kleinen Keimen gezüchtet hat!

*

Ueber die politische Seite der Fremdenlegion dürfte man in der zivilisierten Welt der Gegenwart kaum verschiedener Meinung sein.

Die Fremdenlegion ist ein veraltetes, lächerlich unzeitgemäßes Ueberbleibsel mittelalterlicher Landsknechtseinrichtungen, mit all den Fehlern und Nachteilen des Söldnertums, aber ohne den Schimmer der Romantik, der in den Kriegszeiten vergangener Jahrhunderte ritterliche »soldiers of fortune« verklärte.

Für das Empfinden moderner Menschen ist es eine monströse Idee, daß heutzutage noch eine der Großmächte, eine der kulturell führenden Nationen der Welt, ein militärisches Korps unterhält, das wahllos aus Menschen aller Länder zusammengestellt ist, das eingestandenermaßen aus fremden Deserteuren und hungernden Armen rekrutiert wird, und dessen Fahne die magere Devise trägt: Valeur et Discipline! Tapferkeit und Disziplin. Die Inschrift der französischen Fahnen: Honneur et Patrie – Ehre und Vaterland, konnte man der gemischten internationalen Gesellschaft natürlich nicht geben. Aber die beiden Wörtchen sind illustrativ. Vergleiche mit dem amerikanischen oder dem englischen Söldnerheer sind nicht nur in Hinsicht auf die Löhnung sehr interessant, denn beide unterscheiden sich himmelweit von der Fremdenlegion. Das englische Heer wirbt nur geborene Engländer an. Das amerikanische Heer nimmt zwar Ausländer in Dienst, verlangt jedoch, daß sie im Besitze des sogenannten »ersten Papiers« sind, daß sie vor einem amerikanischen Gerichtshof ihre Absicht beschworen haben, nach Ablauf der gesetzlich vorgeschriebenen fünf Jahre amerikanische Bürger zu werden. Der amerikanische Söldner wird als Bürger der Vereinigten Staaten betrachtet, und der Treuschwur wird ihm abgenommen. Die Fremdenlegion dagegen kennt nicht einmal einen Fahneneid. Das hektographierte oder gedruckte Stück Papier, das der Fremdenlegionär unterzeichnet, in einer Sprache abgefaßt, die der Rekrut in den meisten Fällen gar nicht versteht, ist weiter nichts als ein Zivilkontrakt, ein Dienstvertrag. Dieser Vertrag ist das einzige Band, das den Angeworbenen an die Legion bindet – ein Vertrag, der eigentlich nach modernen Rechtsbegriffen null und nichtig ist! Heutzutage gibt es auch im internationalen Recht den Begriff eines Vertrags »wider die guten Sitten«. Und was könnte mehr gegen die guten Sitten sein, als solch ein Vertrag der französischen Republik mit einem Legionsrekruten, als dieser Kontrakt, dessen Forderungen in einem geradezu wucherischen Mißverhältnis stehen zu dem vereinbarten Lohn!

Man kann über die Institution der Fremdenlegion nicht verschiedener Meinung sein.

Jeder Mensch mit gesundem politischem Instinkt muß sich sagen, daß es ein unerhörter Zustand ist, wenn ein Land die Deserteure und die Verbrecher (ich spreche jetzt von der anderen Hälfte der Legionäre) seiner Nachbarländer, aller Länder, mit offenen Armen aufnimmt, sie grundsätzlich für eine besondere militärische Organisation verwendet. Man kann nicht irren, wenn man diese Handlungsweise als einen militärischen Egoismus bezeichnet, der etwas Unnatürliches, Anwiderndes, Verächtliches hat. In der Fremdenlegion lebt ein Stück Mittelalter. Und zwar nicht nur mittelalterliches Landsknechtstum, sondern auch mittelalterliche Moral, die Moral jener Zeiten, in denen ein armer Teufel zur Werbetrommel eilte, weil er sonst nichts mehr anzufangen wußte mit seinem bißchen Leben und freudig aufgenommen wurde, weil er billig war, die mittelalterliche Moral, die einen Ueberläufer hochschätzte, weil er die eigene Truppe um zwei Fäuste und zwei marschierende Beine bereicherte. In jedem Werbebureau der Fremdenlegion wird ein Rekrut, der angibt, deutscher Deserteur zu sein, mit besonderer Freude aufgenommen, wird besonders hoch geschätzt als wünschenswerte militärische Bereicherung des Fremdenregiments. Noch weit schlimmer ist die Tatsache, daß Frankreich in seiner Fremdenlegion flüchtigen Verbrechern ganz offenkundig Asyl gewährt. Die Fremdenlegion liefert nur Mörder aus – allen anderen Verbrechern gibt sie Schutz! Und zwar nur aus dem egoistischen Grunde, für ein Regiment, das ständig für Frankreich im Kampfe steht und in ungesundem Klima arbeitet, billiges Menschenmaterial zu beschaffen.

Der Durchschnittsfranzose hat sich in den achtzig Jahren des Bestehens der Legion damit begnügt, die Erfolge der fremden Söldner der französischen Fahne gutzuschreiben und die Fremdenlegion als eine von Gewohnheitswegen bestehende, gute, vorteilhafte, patriotische Institution zu betrachten. Erst in neuerer und vor allem in allerletzter Zeit betrachten französische Kreise die Legion als ein Problem. Heutzutage ist die Fremdenlegion nicht mehr eine Institution, die von allen Franzosen gutgeheißen wird. Auch im französischen Kriegsministerium hat man sich mit dem Legionsproblem beschäftigt. Man konnte sich aber nicht dazu entschließen, die Legion aufzugeben. Ein Soldat, der fünf Centimes, bare vier Pfennige Tagessold erhält und in den häßlichsten Klimaten, zu den gewagtesten Operationen verwendet werden kann, weil kein Hahn nach ihm kräht und seine Kommandeure keine Rechenschaft für sein Leben abzulegen haben, stellt ein zu verlockendes Geschäft im militärischen Sinne dar.

Dem auf militärische Traditionen stolzen Frankreich mag es ja auch schwer fallen, eine Truppe aufzulösen, die seit über achtzig Jahren existiert und von den berühmtesten Generälen und Marschällen Frankreichs geführt wurde.

Man warf die Frage auf, ob es nicht angebracht sein würde, den Rekrutierungsmodus zu ändern. Man wollte Legitimationspapiere verlangen, die darzutun hätten, daß der ausländische Rekrut in keinerlei Konflikt mit den Behörden seines Heimatlandes geraten war. Deserteure der Armeen anderer Länder sollten von vornherein nicht genommen werden.

Ueber diesen Vorschlag ist die Meinung in französischen Militärkreisen geteilt. Bis jetzt hat immer die Ansicht den Ausschlag gegeben, daß die Fremdenlegion mit den fremden Deserteuren ihren in anderen Armeen ausgebildeten Kern von Soldaten verlieren würde. Die andere Partei behauptet jedoch, daß namentlich bei einer Erhöhung des Tagessoldes und einer Verkürzung der zur Pension berechtigenden Dienstzeit, die Abenteuerlichkeit des Lebens in der Fremdenlegion und die Hoffnung auf Avancement immer noch brauchbares Material genug aus aller Herren Ländern zum Dienst unter der Fremdenlegionsflagge verleiten würden. Bei diesen Debatten war nur der militärische Standpunkt maßgebend. Da als militärischer Faktor die Fremdenlegion sich stets glänzend bewährt hat, so ließ man die Dinge beim alten. Die Erwägungen über etwaige Aenderungen im System der Fremdenlegion gingen natürlich in aller Stille vor sich. Die Legion hat jedoch in allerletzter Zeit auch die allgemeine Öffentlichkeit in Frankreich beschäftigt.

Es ist zweifellos, daß man in Frankreich anfängt, der Institution der Fremdenlegion kritisch gegenüberzustehen. Es ist erwachendes Verständnis, beginnender leiser Zweifel, ob das Landsknechtsregiment existenzberechtigt ist. Jaurès schrieb anläßlich der Massenmeuterei von Fremdenlegionären bei Saïda in der » Humanité«:

»Die Fremdenlegion wird uns gewiß andauernd Schwierigkeiten schaffen; die Idee, aus Fremden, zumeist aus fremden Deserteuren, eine französische Streitkraft zu bilden, ist jedenfalls seltsam.«

Das ist ein Schritt auf dem richtigen Weg. Man debattiert über das Problem der Fremdenlegion. Man findet ihre Beibehaltung nicht mehr selbstverständlich. Die Frage ist angeschnitten. Wenn die Fremdenlegion nicht existierte und das französische Volk in seiner parlamentarischen Vertretung heute vor die Wahl gestellt würde, die Neuschaffung einer Truppe von fremden Söldnern, vorzugsweise aus fremden Deserteuren zusammengestellt, zu autorisieren, so würde zweifellos solch eine Zumutung mit Entrüstung abgelehnt werden! Der talentloseste Politiker würde wenigstens das (auf der Hand liegende) Argument finden, daß es sich mit der Würde der französischen Nation nicht vereine, Fremde unter der französischen Trikolore zu versammeln und mit ihnen französischen Boden zu verteidigen. Man würde sehr schöne Reden hören über die Ungeheuerlichkeit eines solchen Verlangens. In den Balkanstaaten oder in Honduras oder in Venezuela könne dergleichen möglich sein, aber nicht im stolzen Frankreich! Irgendein Deputierter würde vielleicht vor der (auf der Hand liegenden) Konsequenz warnen, daß andere Staaten Fremdenregimenter errichten könnten, mit der Tendenz, dafür französische Deserteure zu verwenden. Man würde schaudern bei dem Gedanken, daß mit französischen Deserteuren deutsche Kolonien erobert oder englische Kriegsschiffe bemannt werden könnten!

... Die Fremdenlegion lebt von ihrer Vergangenheit. Sie existiert, weil sie da ist. Der Franzose ist an sie gewöhnt und merkt deshalb gar nicht, welch' ein ungeheuerlicher Anachronismus diese Institution ist. Das Problem der Legion ist ja so einfach – es läßt sich in zwei Fragen zergliedern:

Ist es » fair«, einem hart arbeitenden Menschen einen Tagelohn von fünf Centimes zu bezahlen?

Ist es » fair«, das Unglück armer Teufel oder deren Konflikt mit ausländischen Gesetzen wucherisch für nationale Zwecke auszubeuten?

Die Beantwortung dieser beiden Fragen, in denen sich das ganze Prinzip der Fremdenlegion verkörpert, ist nicht schwer. Gerade in den letzten Jahren hat das französische Volk mit so manchem Ueberkommenen aufgeräumt, das ihm mit Würde und Menschenrecht unvereinbar schien. Man kann überzeugt sein, daß auch die Institution der Fremdenlegion dem Rechtsgefühl der Franzosen früher oder später als unwürdig erscheinen wird. Die Frage ist nur: Wie lange wird es noch dauern?

Quousque tandem ...?


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