Erwin Rosen
In der Fremdenlegion
Erwin Rosen

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Hunderttausend Helden – Hunderttausend Opfer.

Der Ehrensaal. – Die deutschen Kommandeure. – Künstler, Ärzte, Architekten in der Legion. – Das Gefecht von Camaron. – Die Geschichte der Fremdenlegion. – Hunderttausend Opfer!– Ein psychologisches Rätsel.– »Akte wahren Heldentums.« – Wie die Helden entlohnt wurden. – Schlechtes Avancement. – Das Imaginäre der Pensionsverhältnisse.

Dicht neben dem Gefängnis, von dem schmalen Viereck Sandbodens, auf dem alltäglich die gefangenen Legionäre ihren Arbeitsmarsch laufen, durch eine niedere Backsteinmauer getrennt, liegt der Ehrensaal der Fremdenlegion.

Ein winzig kleines Pförtchen ist in die Mauer eingebaut und trägt die Ueberschrift » Salle d'honneur«. Tag und Nacht steht ein Posten mit aufgepflanztem Bajonett vor dem Heiligtum des Regiments. Dem Legionär ist es eine verbotene Stätte, und nur die Offiziere versammeln sich dort bei feierlichen Gelegenheiten.

Spät eines Abends, als ein Kamerad meiner Kompagnie beim Ehrensaal auf Posten stand, schlich ich mich durch das Pförtchen.

Die Backsteinmauern umschlossen ein winzig kleines Gärtchen. Der Boden war mit bunten Mosaiksteinen ausgelegt, Palmen und Lorbeerbüsche bildeten überall dichte Gruppen. Eine breite Treppe führte zu dem zierlichen maurischen Vestibül hinauf.

Als ich den Saal betrat, strömte es mir wie eine Flut von Farbe entgegen. Der riesige Raum war mit Gemälden förmlich übersät. Das Auge wurde vor allem auf die Bilder zweier Legionäre gelenkt, in Lebensgröße dargestellt, der eine in moderner afrikanischer Feldausrüstung, der andere in der Uniform des Jahres 1815, der Uniform des Söldnerregiments » Légion de Hohenlohe«. Porträtbilder von Kommandeuren und getöteten Offizieren des Regiments bedeckten die Wände, und kolossale Tafeln nannten in goldenen Lettern die gefallenen Offiziere.

Mit Staunen sah ich in der Liste der Kommandeure der Fremdenlegion eine ganze Reihe deutscher Namen. Da waren die Colonels Stoffel, de Mollenbeck, Conrad, de Hülsen, Meyer. Dann wieder waren unter den ehemaligen Obersten der Legion berühmte Marschälle und Feldherren Frankreichs, die sich ihre ersten Lorbeeren als Führer der fremden Soldaten holten: Mac Mahon, Canrobert, Bazaine, de Négrier, Saussier – die großen Namen der Fremdenlegion.

Schlachtenbilder stellten Episoden aus den Gefechten dar, an denen die Legion teilgenommen hat, und dann und wann war unter diesen kriegerischen Gemälden ein Kunstwerk; aller Bilderschmuck aber war von Offizieren und Mannschaften des Regiments geschaffen. Eine ganze Reihe der Gemälde rührt von dem Pinsel des Kapitäns Cousin her, während die allegorischen Fresken der Decke die Arbeit eines Künstlers sind, der die rote Hose und die blaue Jacke des Gemeinen trug, des Legionärs Hablützel – ein bescheidener Soldat ist der Künstler, der den » Salle d'honneur« dekoriert hat.

In der französischen Armee ist die Vielseitigkeit der Fremdenlegion berühmt, und dieses Beispiel eines rothosigen Künstlers hat seine interessanten Pendants. Die Regimentsgeschichte weiß manches davon zu erzählen.

Vor ungefähr fünf Jahren beschlossen die Offiziere, sich ein neues Kasino zu erbauen. Der Ausführung dieses Wunsches stellte sich nur ein einziges kleines Hindernis entgegen: die Regimentskasse war fast leer. Da kam der Oberst auf den Gedanken, sich an sein Regiment zu wenden. Trotzdem das Depot damals nur aus einem Bataillon bestand, ergab eine Rundfrage das verblüffende Resultat, daß sich sieben Architekten darunter befanden. Diese sieben Soldaten wurden eine Zeitlang wieder zu sieben Künstlern und entwarfen die Pläne zu der neuen Offiziersmesse. Sie einigten sich auf den Stil einer tonkinesischen Pagode. Unter den Norwegern des Regiments fanden sich Bauarbeiter, die in künstlerischer Holzbearbeitung Fachleute waren: Maurermeister und Maurer enthielt das Bataillon im Ueberfluß, und ein verkrachter Ziegeleibesitzer, ein Deutscher, machte sich ein großes Vergnügen daraus, wieder einmal in seinem alten Beruf zu operieren und mit einem Detachement Ziegel zu brennen. In wenigen Wochen war das Kasino vollendet – und es hatte nichts gekostet, als den nackten Preis des Rohmaterials.

Die sieben Architekten aber schulterten wieder ihre Lebelgewehre ...

Ein anderes Beispiel ist berühmt. In den zahllosen Gefechten im Süden Algeriens wurde einmal eine Kompagnie von der Kolonne getrennt und hatte in einem Scharmützel mit den Arabern schwere Verluste. Die Zahl der Verwundeten war sehr groß, und es konnte nicht für sie gesorgt werden, da sich Aerzte und Lazarettstab bei der Hauptkolonne befanden. Schließlich rief der Kompagniechef mitten im Feuer seinen Leuten zu:

»Sind Aerzte unter Euch?«

Sofort meldeten sich drei Legionäre. Der eine war ein Graduierter der Sorbonne, der andere besaß das Doktordiplom der Universität Zürich, und der dritte hatte seinen medizinischen Grad auf einer deutschen alma mater erworben!

Weniger befremdlich, aber ebenso interessant ist die Tatsache, daß einmal, als ein Fort gebaut werden sollte, sich in einer einzigen Kompagnie der Legion drei Fortifikationsexperten meldeten, zwei frühere österreichische Pionieroffiziere und ein ehemaliger Leutnant der englischen Sappeure.

General de Négrier, der die Legion liebte, pflegte zu sagen, les étrangers hätten drei unschätzbare Vorzüge: sie schlügen sich brillant, sie marschierten bis zum letzten Atemzug und – sie könnten alles. Er würde es unternehmen, mit seinen Legionären eine Lokomotive zu bauen; unter ihnen würde er die Fakultäten einer Universität zusammenbringen können; Männer seien darunter, die nicht nur im Krieg kämpfen könnten, sondern die es auch verstehen würden, die Geschichte des Krieges zu schreiben!

Eine ähnliche Vielseitigkeit ist es, die die Kapelle der Fremdenlegion zum besten Musikkorps der französischen Armee gemacht hat, das jedesmal große Triumphe feierte, wenn es Konzertreisen nach Paris unternahm. So mancher Künstler, der einmal im Orchester eines der berühmten Theater der Welt seinen ehrenvollen Sitz hatte, trug später auf bepacktem Tornister die Trompete der Fremdenlegion.

Ich brauche wohl kaum zu betonen, daß diese Legionäre, die früher nach Beruf und sozialer Stellung einer höheren Gesellschaftsklasse angehörten, immer nur Ausnahmen darstellen, und daß das Gros der Legion aus höchst simplen Menschen besteht, deren Vergangenheit durchaus nichts Interessantes hat. Gerade die Ausnahmen fallen aber auf! So sagte mir einmal ein Redakteur des »Temps«, der Sidi-bel-Abbès besuchte und mit dem ich zufällig ins Gespräch kam, in tiefer Verwunderung:

»Vorhin sprach ich mit einem Lehrer der griechischen Sprache, jetzt spreche ich mit einem Journalisten! Ist denn die Legion nichts als eine Versammlung von ruinierten Talenten?«

Zwischen den Gemälden im Ehrensaal stehen die Erinnerungstafeln des Regiments,Die Fremdenlegion besteht äußerlich aus zwei Regimentern, dem »premier étranger« und »deuxième étranger«. Im geschichtlichen und im militärischen Sinne jedoch ist die Legion ein einheitliches Ganzes. – D. Verf. auf denen die Schlachten geschrieben sind, die die Legion geschlagen hat. Achtundvierzig große Gefechte sind es, geschlagen in allen möglichen Ländern, von Indochina im Osten bis nach Mexiko im fernen Westen. Das fürchterlichste Gefecht des Regiments war das Scharmützel von Camaron in Mexiko am 30. April 1863.

Eine grausige Erinnerung daran liegt auf einem kleinen Tischchen im Ehrensaal – eine präparierte Menschenhand. Es ist die abgeschlagene Hand des Kapitäns Danjou, der ein Detachement von 60 Mann der 3. Kompagnie der Legion kommandierte, die bei Camaron fast bis auf den letzten Mann niedergemetzelt wurde. Ueber zweitausend mexikanische Irreguläre griffen die Kompagnie in der Nähe des Dörfchens Camaron an. Das Detachement schlug sich durch die feindliche Kavallerie zu einem Landhaus durch, verbarrikadierte sich und hielt einen Tag lang gegen die erdrückende Uebermacht stand. Fünfmal wurde das Häuflein aufgefordert, sich zu ergeben, und fünfmal war die Antwort – merde!

Als die Mexikaner endlich das Tor des Hauses erstürmten, fanden sie, in dichten Haufen vor dem Tor zusammengeballt, eine Schar von Toten. Die wenigen Ueberlebenden waren schwer verwundet. Wenige Stunden darauf kam Entsatz. Aber die französischen Truppen fanden nur ein Haus voll Toter. Neben der Leiche des Befehlshabers lag seine abgehauene Hand.

Waffen aus allen möglichen Ländern schmücken die Wände des Ehrensaals. Neben den geraden mexikanischen Säbeln hängen die gebogenen Araberklingen aus dünnem biegsamem Stahl; neben Giftpfeilen aus Madagaskar alte Legionsbajonette, die alle blutige Arbeit getan haben.

Die Souvenirs in dem kleinen Gebäude des Ehrensaals der Fremdenlegion erinnern an nahezu ein Jahrhundert von Kämpfen.

Im Jahre 1831 wurde die Fremdenlegion als afrikanische Hilfstruppe ( auxiliaires) errichtet. Die fortwährenden Kampfe in Algerien dezimierten damals die französischen Truppen. So kam man unter der Regierung des Königs Louis Philippe auf den Gedanken, die alte Institution der Landsknechte neu ins Leben zu rufen und für den Krieg in Afrika eine Truppe zu schaffen, die sich aus fremden Abenteurern zusammensetzen sollte. Ein belgischer Aventurier, der sich Baron de Boegard nannte, hatte, ohne eigentliche Autorisation, aber unter stillschweigender Duldung der Generale des Königs, eine Bande von zweifelhaften Charakteren aller Nationen um sich versammelt. Er legte sich den Titel eines Generalleutnants bei und wußte schließlich die Militärbehörden zu überzeugen, daß seine Leute ein ganz brillantes Kanonenfutter für Algerien sein würden. Es waren im ganzen 4000 Mann, die in Toulon auf die Fahnen Frankreichs vereidigt und nach Afrika verschifft wurden. Die dortigen französischen Truppen nahmen die zerlumpte Gesellschaft mit großem Mißbehagen auf, und die feindlichen Araber nannten sie spottend »die BeduinenDer Araber der Städte und festen Ansiedlungen blickt auf die armen Nomadenstämme der Beduinen geringschätzig herab. von Frankreich«, weil sie gar so arm und abgerissen waren. Die neuen Ankömmlinge plünderten mit einer Raubgier, die selbst bei den durchaus nicht skrupulösen afrikanischen Truppen Verwunderung erregte, aber sie schlugen sich auch brillant. Ein königliches Edikt vom 10. März 1831 sanktionierte ihre Inkorporation in ein eigenes Fremdenregiment unter dem Namen Légion étrangère, nach dem Vorbild der Légion de Hohenlohe, die unter der Restauration gekämpft hatte. Das Regiment bestand aus sieben Bataillonen, nach Nationalitäten gesondert:

1. 2. und 3. Bataillon: Schweizer und Deutsche,
4. Bataillon: Spanier,
5. Bataillon: Italiener,
6. Bataillon: Belgier und Holländer,
7. Bataillon: Polen.

Nach ganz kurzer Zeit wurde die Einteilung nach Nationalitäten aufgegeben, und man beschränkte sich darauf, den fremden Soldaten so schnell als möglich die französischen Kommandos beizubringen.

Nun begann für die Legion eine Kampfzeit, wie sie kein Regiment der Welt aufzuweisen hat.

Schon in den ersten Kämpfen in Algerien litt das Regiment schwer. Dann verborgte der König von Frankreich die Fremdenlegion an die Königin-Regentin Christina von Spanien gegen die Carlisten. Diese spanische Episode sollte der Legion einen Sold von 800 000 Franks einbringen, aber die Summe wurde niemals bezahlt. Dagegen wurden von 4000 Legionären 3500 getötet. Nur 500 kehrten nach Afrika zurück, halb verhungert und in zerfetzten Uniformen.

Neue Rekruten kamen – an Menschenmaterial hat die Fremdenlegion niemals Mangel gehabt. In fortwährender Kampfarbeit wurde Algerien erobert, und die Gefechte bei Condiat-Ati, M'Schomesch, Constantine, Zaatcha bezeichneten nur die wichtigeren Etappen eines Feldzugs ohne Ende. Schon damals erfaßte die Legion ihre eigentliche Aufgabe, nicht nur Soldaten zu sein, sondern Pioniere, feldbestellende Landarbeiter und Städtebauer. Ein Fort nach dem anderen errichteten sie in zäher Arbeit, und es gibt heutzutage keine Stadt im französischen Nordafrika, deren erste europäischen Gebäude nicht von Legionären geschaffen wurden. Der Krimkrieg führte das Regiment nach Rußland, wo es in der Schlacht von Alma sofort unter Feuer kam und sich mit größter Bravour schlug. In den Depeschen des Generals Canrobert wurden 29 Offiziere und Soldaten der Legion wegen hervorragender Tapferkeit bei Alma und Inkermann erwähnt. Bei der Belagerung von Sebastopol taten sich die Fremdenlegionäre besonders hervor und waren bei den Russen höchst unbeliebt. Sie wurden von den Belagerten »Lederbäuche« genannt, nach der riesig großen afrikanischen Patronentasche, die sie vorne auf dem Leib trugen. Auch in der Krim waren die Verluste der Legion enorm, und Napoleon III. belohnte ihre Dienste, indem er eine Menge von Offizieren, Unteroffizieren und Soldaten des Regiments naturalisierte.

Friedensjahre gab es in jenen Zeiten für die Fremdenlegion nicht, höchstens Friedensmonate, und selbst diese waren dünn gesäet. Kaum waren »les étrangers« aus der Krim zurückgekehrt, so entstanden neue Unruhen unter den Kabylen, die zu der großen Kabylen-Expedition führten. Der große Kampf bei Ischeriden brachte die Stamme der Beni-Jenni, Beni-Raten, Beni-Amer zur Ruhe. Das Regiment hatte einige hundert Männer mehr auf den Listen seiner Toten zu führen und hatte sich neue Auszeichnungen erworben, nur um, als rechte Landsknechtstruppe, sofort nach einem neuen Kriegsschauplatz verschickt zu werden. Wandernde Ahasvers waren diese afrikanischen Söldner. Diesmal ging es nach Italien, Magenta entgegen. Wieder kehrten sie zurück, um tausend Tote ärmer, und rückten sofort wieder von Sidi-bel-Abbès aus, zu einer Expedition gegen die Marokkaner.

So verging das Jahr 1860. Die nächsten beiden Jahre schlug sich die Legion dann und wann ein wenig mit den Kabylen und Beduinen herum, ohne – zu ihrer großen Betrübnis – eine grande affaire erzielen zu können.

Im Februar aber schiffte sich die Legion nach Mexiko ein und wurde Zeuge der traurigen Geschichte des kurzen Kaiserreichs. Sie baute Straßen, tat harte Arbeit, lieferte gelegentlich irgend ein tollkühnes Stückchen und gab der Regimentsgeschichte den Tag von Camaron. Das Resultat des mexikanischen Abenteuers für die Fremdenlegion läßt sich am besten in Zahlen ausdrücken, in ihren Verlustziffern: 1918 Mann an Toten und Vermißten: 328 Legionäre starben an den Folgen ihrer Wunden, 1589 Mann gingen an verschiedenen Krankheiten zu Grunde.

Nach Algerien zurückgekommen, rekrutierte die Legion ihre Reihen und wurde in kleinen Posten über die Provinz Oran zerstreut, um zur Abwechslung Kolonisator zu spielen, Brunnen zu graben, Ortschaften zu erbauen, Straßen anzulegen – bis zum Jahre 1870. Im deutsch-französischen Kriege trat die Legion erst bei Orleans in Aktion. Alle Legionäre deutschen Stammes waren jedoch in Afrika gelassen und in die entlegensten Forts gesandt worden. Nach dem Friedensschluß half das Regiment bei der blutigen Unterdrückung der Commune und machte sich bei den Parisern gründlich verhaßt.

Als ob es so sein müßte, weil es immer so gewesen war, seit die Legion bestand, kamen sofort wieder Kämpfe in Algerien. Der Aufstand des Kabylen-Kaids Si-Hamze im Jahr 1871 und jedes folgende Jahr brachten kriegerische Expeditionen. Als de Négrier Regimentskommandeur wurde, machte er sein Regiment teilweis auf Mauleseln beritten, um größere Etappen zurücklegen zu können, ein System, das sich noch heute erhalten hat und eines der ersten Beispiele »berittener Infanterie« darstellt. Bis zum Jahre 1883 blieben die Legionäre in Afrika, in verhältnismäßiger Ruhezeit, die »nur« einige Araberaufstände und etliche Dutzend Scharmützel brachte. Dann aber gingen sie wieder auf die Wanderung. Der fernste Osten, Tonkin, war der Schauplatz eines Kolonialkrieges gegen einen zähen asiatischen Feind und ein mörderisches Klima. Die Tage von Bac-Ninh, Hong-Hoa, Soc-Nam, Chu, bedeuteten ebenso viele Ruhmestage für die fremden Söldner, die sich in 50 Jahren eine Regimentsgeschichte erstritten, die ihresgleichen sucht.

Das Jahr 1892 fand die Legion in Dahomey im Kampfe gegen König Behanzin, das Jahr 1895 in Madagaskar. Die moderne Zeit sieht le régiment étranger in Marokko.

Das ist in kurzen Zügen das Gerippe der LegionsgeschichteAls Quellen dienten mir: » Légion étrangére«, par Roger de Beauvoir; » Conquête de l'Algérie«, par Camille Rousset; »Récits Algériens«. – Der Verfasser. – der merkwürdigsten Geschichte, die irgend eine soldatische Chronik aufzuweisen hat, der Geschichte heimatloser Abenteurer. Der Sold war immer lächerlich gering, die Strafen waren immer barbarisch, und die Disziplin war bitterhart. Dennoch fanden sich immer wieder neue Tausende, die für ein Nichts ihr Blut gaben, die nicht nur schlecht und recht unter einer Söldnerfahne dienten, sondern eine Elitetruppe allerersten Ranges schufen. Welchen Jammer und welches Unglück muß unser altes Europa in sich bergen, daß fortwährend frische Tausende von Armen und Verzweifelten sich um das Legionsbanner scharen, eine Gesamtzahl von Unglücklichen, die in den achtzig Jahren des Bestehens des Regiments sich zu einer ungeheuren Ziffer aufsummen mußte. Ich habe die französische Literatur über die Legion durchstöbert, um genaue Ziffern zu erhalten – ohne Erfolg. Man hat den Effektivbestand der Truppe stets verschleiert. Die beiden Regimenter haben aber zeitweise eine ungeheure Stärke gehabt. Beauvoir erwähnt, daß im Jahre 1895 eine einzige Depotkompagnie in Sidi-bel-Abbès aus 4864 Mann bestand!

Die Nationalitäten der Legion in jenem Jahre gibt er folgendermaßen an:

Elsässer 45 vom Hundert
Deutsche 12 "
Schweizer 8 "
Belgier 7 "
Franzosen 5 "
Spanier 5 "
Italiener 5 "
Oesterreicher 4 "
Holländer 4 "
Verschiedene Staaten 5 "

Die reinliche Scheidung in »Elsässer« und »Deutsche« ist bei dem bekannten französischen Standpunkt nicht weiter erstaunlich. Die Zusammensetzung der einzelnen Kompagnien, so wie sie mir bekannt ist, ergibt auch heutzutage noch die Tatsache, daß weit über die Hälfte der Legionäre Deutsche sind. Die Elsässer darunter sind jedoch kaum in der Mehrzahl, sondern die deutschen Legionäre stammen aus allen Gauen des Reichs. Die wichtigste Tatsache bleibt immer diejenige, daß die Legion zur größeren Hälfte aus deutschen Landeskindern besteht!

Im allgemeinen schwankt der Bestand der beiden Regimenter zwischen 8 000 und 12 000 Mann. Der Prozentsatz der Menschenverluste durch Krankheit, durch Fieber vor allem, ist außerordentlich hoch, und wenn man die vielen Tausende von Gefallenen hinzurechnet, wenn man bedenkt, daß Desertionen von jeher häufig waren, so kommt man zu dem erstaunlichen Resultat, daß im Laufe von 80 Jahren weit über hunderttausend Menschen der Fremdenlegion angehört haben!

Diese Zahl kann auf Genauigkeit keinerlei Anspruch machen, sie kann viel höher sein – sie mag auch um einige Tausende niedriger sein.

Jedenfalls hat im Laufe der Zeiten eine große Armee von Männern aller Nationen in der Fremdenlegion gedient, unter fortwährender harter Arbeit, unter unsäglichen Strapazen, unter einer eisernen Disziplin, die selbst die kleinsten Vergehen mit grausamen Strafen belegte. Der Sold war niemals höher als er jetzt ist, er hat niemals genügt, um auch nur die notwendigsten Kleinigkeiten einzukaufen, die ein Soldat zum Reinigen der Umformen und der Waffen braucht, von persönlichen Bedürfnissen, seien sie auch noch so klein, ganz zu schweigen. Es ist keinerlei Uebertreibung, wenn man die Behauptung aufstellt, daß diese hunderttausend Menschen dem französischen Staate ein Gratisgeschenk ihrer Arbeitskraft und allzu häufig ein Gratisgeschenk ihres Lebens gemacht haben. Wenn die Geschichte der Fremdenlegion, diese Historie einer Schar von unablässig kämpfenden Männern, sich wie mittelalterliche Romantik liest, so wird man zu leicht verführt, sich auf den französischen Standpunkt zu stellen und die etwas pharisäische französische Erklärung sich zu eigen zu machen, daß die Fremdenlegion den Abschaum der Menschheit, nutzlosen Menschenabfall zu wertvollem Kolonisationsdünger im Dienste der Kultur verarbeitet habe.

Der moderne Mensch wird viel eher geneigt sein, sich in verständnislosem Erstaunen zu fragen, wie es denn möglich war, daß Jahr auf Jahr immer wieder neue Menschenmassen sich für die Kämpfe eines Landes opferten, das nicht ihr eigenes war. Nicht einmal das Motiv hoher Bezahlung haben diese Tausende gehabt.

Man steht geradezu vor einem Rätsel, vor einer geheimnisvollen Suggestionskraft, die Tausenden von Verzweifelten vorspiegelte, das afrikanische Fremdenregiment sei ihr letzter Zufluchtsort. Noch ein weit größeres Rätsel aber sind die Leistungen der Legion! Alle diese Menschen sind nicht so töricht gewesen, um nicht über kurz oder lang zu erkennen, welch ein miserables Geschäft sie mit dem Werber gemacht hatten, und der Legionsboden war von jeher eine prächtige Reinkultur gärender Unzufriedenheit. Wie es heute noch ist, war es früher: das beherrschende Gesprächsthema im Fremdenregiment ist ein ewiges Ueberlegen, ob und wie man desertieren könne. Der Legionär hat die französische Sprache mit den sonderbarsten Schimpfwörtern bereichert, um in ihnen seine Wut auszudrücken über die Ausbeutung und die infame Behandlung, deren Gegenstand er ist. Da scheint es fast wie ein Wunder, daß diese Unzufriedenen, diese Soldaten, die immer auf dem Sprung waren, zu desertieren, alle ihre Leiden stets vergaßen, wenn sie dem Feind im Feuer gegenüberstanden.

Es mögen Menschentypen unter ihnen gewesen sein, wie sie heute noch in der Legion häufig sind, Verzweifelte, die nur in das Regiment der Fremden kamen, um den Tod auf ihre Art zu suchen, die sich so lange als Freiwillige zu gefährlichen Expeditionen meldeten, bis sie die Kugel fanden, die sie sich ersehnten. Aber sie stellten doch immer nur Einzelfälle dar. Bei den andern ist die Kampflust ein Taumel!

... Eine Abteilung Fremdenlegionäre liegt in einem einsamen Sandfort. Die Sonnenhitze ist erdrückend, die harte Arbeit fast unerträglich, die Dienstroutine zerrt an den Nerven. Aus der ganzen Besatzung wird eine nervöse Masse, die nur mit härtester Strenge regiert werden kann. Da kommt der Befehl zum Ausrücken, die Aussicht auf Soldatenarbeit ist da. Da hallt Jubel durch die Kasernen – der Kampf bedeutet Erlösung aus Fron ohne Ende!

Die Begeisterungsfähigkeit der Legion, die Sehnsucht, an den Feind zu kommen, muß den letzten Wert darstellen in einem verlorenen Leben. Ein Sicherheitsventil gegen überwältigende Verzweiflung!

Die Legion hat niemals gekämpft, nur weil sie mußte, oder weil ihre Offiziere sie antrieben oder weil die Legionäre ihre eigenen armseligen Leben in der Defensive verteidigen mußten. Die Gefechtsgeschichte des Regiments weiß nur von Angriffen zu berichten, von einem wütenden Stürzen auf den Feind mit todesverachtender Tapferkeit. Die armen Abenteurer hatten sich eine eigene Art von Ehre geschaffen, einen ureigenen Ehrbegriff, den sie mit dem Leben bezahlten, den der einzige französische General, der die Legion verstand, in kurzen Worten heller Begeisterung ausdrückte. Sagte General de Négrier:

»Andere Truppen wissen zu kämpfen – der Legionär weiß zu sterben.«

Das ist die Ehre des Legionärs. Er betont sie auf seine Weise. Er will kein Rückzugssignal. Ich selbst habe das Murren miterlebt, als bei einem Manöver das gehaßte Signal erklang. Und elfmal in ihrer Geschichte hat die Legion den Gehorsam verweigert, als zum Rückzug geblasen wurde!

Die Leistungen der Fremdenlegion sind in Frankreich immer anerkannt worden. Freilich nicht in Taten. Die äußeren Ehren und die raschen Beförderungen heimsten die Offiziere ein; der Fremdenlegionär ist stets ein armer Teufel ohne Sold und ohne Hoffnung geblieben. Den Mangel an praktischer Dankbarkeit aber ersetzten französische Militärschriftsteller mit wunderschön klingenden Worten.

Ich zitiere nur ein Beispiel. D'Albéca schreibt in seinem Werk » La France au Dahomey« :

»Diese Menschen, diese Söldner, zusammengeströmt aus allen Winkeln der Welt, Männer ohne Heimat und ohne Vaterland, die sich anwerben ließen, weil sie sich nach einem Stückchen Brot sehnten oder weil sie vielleicht das Leben haßten, erduldeten unerhörte Leiden und verrichteten ohne Hintergedanken, ohne Hoffnung auf Lohn, Akte wahren Heldentums ...«

Ja! »Ohne Hoffnung auf Lohn!«

*

Fünf Centimes täglicher Sold!

Auf dem Papier allerdings erhält der Legionär eine Löhnung von sieben Centimes täglich. So steht's in der französischen Armeeliste. Zwei Centimes täglich werden ihm aber »für Aufbesserung der Menage« abgezogen, so daß sein barer Verdienst fünf Centimes im Tag ist. Beim zweiten congé, wann er fünf Dienstjahre hinter sich hat und zum zweitenmal für fünf Jahre engagiert, steigt seine Löhnung auf zehn Centimes täglich. Der Korporal erhält zwanzig Centimes im Tag!

Eine Löhnung also, die vielleicht in der chinesischen Armee eine Parallele finden mag. Sonst nirgends auf der Welt!

Um dem elenden Sold ein beschönigendes Mäntelchen umzuhängen, wird in der französischen Legionsliteratur auf das rasche Avancement hingewiesen. Dem halte ich eine Tatsache gegenüber: es existiert gegenwärtig in beiden Regimentern der Fremdenlegion, unter rund 300 Offizieren, ein einziger Nichtfranzose, ein Ausländeroffizier, der von der Pike auf diente! Selbst unter den Unteroffizieren ist der Prozentsatz der Ausländer sehr klein. Man kann es zwar begreiflich finden, daß die Kommandeure auf einen Stamm von französischen Unteroffiziere Gewicht legen; aber man wird ebenso begreifen, daß damit die Beförderungsaussichten für den ausländischen Legionär recht mäßige werden!

Nur in seltenen Fällen bringt es der ausländische Legionär weiter als bis zum Korporal. Er mag bei besonderer Begabung Unteroffizier werden, aber fast niemals Sergeantmajor oder Feldwebel. Eine Ausnahme bilden nur die in die Legion verschlagenen früheren Offiziere anderer Armeen. Für sie hat das Fremdenregiment besondere Vorschriften. Von solch' einem früheren Offizier wird weder ein Offizierspatent verlangt noch der Nachweis ehrenvoller Entlassung, sondern nur eine Photographie, die ihn in Offiziersuniform zeigt. Dann wird er sofort von allem Rekrutendienst befreit, ins peleton des élèves caporaux, in die Unteroffiziersschule kommandiert und ist in acht Wochen Korporal, in vier Monaten Sergeant. Die Epauletten wird er jedoch nur in den seltensten Fallen erreichen.

Häufig werden auch die Pensionsverhältnisse als günstige bezeichnet. Der Legionär ist nach fünfzehn Dienstjahren pensionsberechtigt, und zwar erhält er dann jährlich etwa 500 Franks. Das klingt sehr schön! Bleibt nur die Einschränkung, daß die Männer, die fünfzehn Jahre Legionsdienstzeit in allen möglichen Klimaten, unter härtesten Strapazen, unter unendlich aufreibenden Lebensbedingungen aushalten, sich irgendwo anders unter der Sonne bei gleicher Energie, gleich harter Arbeit, gleicher spartanischer Beschränkung in den fünfzehn Jahren sicherlich schon ein kleines Vermögen erworben hätten! Viel wichtiger aber ist, daß sehr wenige Legionäre fünfzehn Jahre dienen können. Sie sterben nämlich vorher! Am Fieber, an Ueberanstrengung, an feindlichen Kugeln.... Nein, die Pensionierung von Legionären hat entschieden etwas Komisches!

Bleiben noch als Pflaster auf die Fünf-Centimeswunde das Kreuz der Ehrenlegion und die médaille militaire, beide mit einem Ehrensold verknüpft, die Ehrenlegion sogar mit einem sehr bedeutenden. Diese Ehrenzeichen werden jedoch nur in so seltenen Fällen verliehen, daß sie als Ergänzung für den erbärmlichen Sold, als eine Möglichkeit, sich in der Legion etwas anderes zu holen, als Kupferstücke, praktisch nicht in Frage kommen.

Praktisch haben diese Fremdenlegionäre, die Helden der im Ehrensaal gefeierten Ruhmestaten als Dank bekommen:

Fünf Centimes für jeden Tag – auch für die Heldentage!

Und das Ende?

Wenn ein Mann fünf Jahre in der Fremdenlegion gedient hat, so kann er wahrhaftig sagen: »Es ist Mühe und Arbeit gewesen!« Seine Legionszeit begann unter der Devise »Arbeit ohne Lohn« und sie endigt damit, daß er in schäbigen Kleidern wie ein Bettler auf der Straße steht und nicht weiß, was in Gottes Welt er nur anfangen soll. Selbst im günstigsten Fall, wenn Strapazen und Klima ihn nicht gebrochen haben und seine Gesundheit noch gut ist, steht er hilflos da.

Ich habe mit Hunderten und Aberhunderten von diesen ausgedienten Legionären gesprochen, wenn sie im Kasernenhofe von Sidi-bel-Abbès umherschlenderten und darüber triumphierten, daß sie und die Fremdenlegion nun ewig voneinander geschieden sein würden. Auf dem Leibe trugen sie einen dunkelblauen Anzug, wie er den Ausgedienten von der Regimentskammer geliefert wird, aus einem häßlichen groben Stoff, der nichts ähnlicher sieht als blaugefärbter Sackleinwand. Natürlich schlotterten die Kleider an ihnen herum, die Hosen waren entweder zu lang oder zu kurz, und die Röcke hatten einen ganz abscheulichen Schnitt, denn auf der Regimentskammer nahm man keinerlei zarte Rücksichten auf gutes Passen. Die Kopfbedeckung war eine riesiggroße, flache Mütze, wie sie die Seeleute der Mittelmeerhäfen tragen. Dieser fragwürdige Anzug, Stiefel, Strümpfe und Hemd waren ihr ganzes Besitztum nach fünf Jahren Soldatendienst und Fronarbeit.

Sie hatten das Recht auf freie Beförderung nach irgendeiner Stadt Frankreichs und auf ein Verpflegungsgeld von einem Frank für jeden Tag der Reisedauer. Nach seiner eigentlichen Heimat, also ins Ausland, wird kein Legionär befördert. In grimmigem Humor wählten die meisten irgend ein Städtchen im nördlichen Frankreich, mit Vorliebe Dünkirchen, damit die Reise und die Verpflegung auch ja so lange dauern sollte, als es nur irgendwie möglich war; bis schließlich der Bürgermeister von Dünkirchen den französischen Kriegsminister höflich aber dringend ersuchte, ihm doch keine Legionäre mehr schicken zu wollen. Die Stadt wisse ja gar nicht, was sie mit den Leuten anfangen solle – in Dünkirchen gäbe es nicht einmal Arbeit genug für die Dünkirchener!

So steht nun solch ein ausgedienter Legionär ohne die geringsten Hilfsmittel, ohne jedes Geld in einer völlig fremden Stadt. Seine Kleidung ist derart, daß er sich nur zu der allerniedrigsten Arbeit melden kann. Sein Legitimationspapier ist der Entlassungsschein aus der Fremdenlegion, und der ist miserabel wenig wert in Frankreich! Man hat sehr schöne Worte für » la légion« im republikanischen Frankreich, aber man will nicht gerne mit einem Legionär etwas zu tun haben. Ueberall werden ihm die Türen gewiesen, und eine böse Hungerszeit beginnt für den armen Teufel.

Wie oft haben sie's erzählt, wenn sie mit einem Rekrutenschub wieder in Sidi-bel-Abbès ankamen, und die alten Kameraden spottend fragten, weshalb sie nun doch wieder in Afrika seien! Es war immer die gleiche Geschichte: sie hatten sich tagelang, wochenlang, Monate oft gegen ihr Schicksal gewehrt und waren hungernd und frierend herumgelaufen, bis die armseligen Kleider zerrissen und die Stiefel in Fetzen gingen. Schließlich verzweifelten sie daran, jemals Arbeit zu finden und liebäugelten mit dem Gedanken, daß man in der Legion wenigstens etwas zu essen bekomme, so lange, bis sie auf dem nächsten Werbebureau einen neuen Kontrakt unterzeichnet und wieder fünf Jahre ihres Lebens geopfert hatten.

Arbeit, fünf Jahre lang, und dann ein hilfloses auf der Straße-Stehen – Frankreichs Lohn!


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