Erwin Rosen
In der Fremdenlegion
Erwin Rosen

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Legionär Nummer 17 889.

Amerikanische und französische Signale. – Südwärts zur Stadt der Fremdenlegion. – Franz Adam Beyerlein in Sidi-bel-Abbès, – Pas bon sagt der Sergeant. – Ein letztes Aufbäumen. – Der Hohn der neuen Kameraden. – Die Weisheit des Negers. – Meine Kleider verhelfen einem Legionär zur Flucht. – La onzième. – Trödelhandel am Kasernentor. – No. 17 889.

Irgendwo blies ein Trompeter. Ich lag still in meinem versteckten Winkel, das Gesicht unter dem Ueberzieher, der meine Bettdecke war, und befand mich in jenem Stadium des Erwachens, in dem man sich noch nicht entschließen kann, die Augen zu öffnen – in dem man Worte und Geräusche hört, ohne zu wissen, woher sie kommen und was sie bedeuten. Die von Ferne leise klingenden Trompetentöne schlichen sich in meinen Schlaf hinein, und mein schläfriges Gehirn suchte in der Erinnerung ...

Mit einemmal wußte ich, was der Trompeter blies. Es war die Reveille, das Morgenwecken der amerikanischen Armee. Die Töne klangen genau so tremolierend und hinausgedehnt, wie der kleine Smiley von der »Sixth Cavalry« sie zu blasen pflegte. Der Text fiel mir ein, den der Humor des amerikanischen Regulären zu diesem Signal gedichtet hat:

I can't get 'em up,
I can't get 'em up,
I can't get 'em up in the morning!
I can't get 'em up,
I can't get 'em up,
I can't get 'em up at all!

»Sie stehen nicht auf, sie stehen nicht auf, sie stehen nicht auf des Morgens ...«

Mir schien es, als wäre ich verhext, verzaubert, verwunschen, als hätte ich nur einen häßlichen Traum geträumt von einem zerbrochenen Glück und einer phantastischen Fremdenlegion. Ein eiskalter, nebeliger Tropenmorgen war es, im Santiago-Tal auf Kuba, und ich lag in meiner Hängematte und war immer noch Kriegskorrespondent. Drüben bei den Zelten des sechsten Kavallerieregiments blies Smiley die Reveille ...

Lauter klangen die Trompetentöne. Ich erwachte, richtete mich auf und starrte in komischer Verwunderung den Hof des kleinen Forts bei Oran an und die Menschen in roten Hosen, die da herumliefen. Aber getäuscht hatte ich mich doch nicht: denn leise klang wieder von den Kasernen unten in Oran der Weckruf der Trompete herauf: Die amerikanische Reveille!

Des Rätsels Lösung ist einfach. Die französischen Signale zum Wecken und die amerikanische Reveille stimmen völlig überein.

Drei Tage lang blieben wir in dem kleinen Fort auf dem Sandsteinfelsen bei Oran. Dann brachte der Dampfer wieder neue Legionsrekruten, zwanzig Mann, und wieder waren es zum größten Teil Deutsche. Am gleichen Tage noch ging es auf der Eisenbahn weiter, hundert Kilometer nach dem Süden, nach Sidi-bel-Abbès, dem Zentraldepot der Fremdenlegion, dem Hauptquartier des ersten Regiments der Legion, des » premier étranger«. Der rumpelige Bahnzug mit seinem uralten Rollmaterial brauchte sechs Stunden für die Fahrt. Zuerst ging es durch Gärten hindurch, und das Gelände bei Oran schien dicht besiedelt zu sein. Aber es dauerte nicht lange, da verschwanden die Gärten und Aecker – der Sand begann. Weite wellige Linien: zerklüftete Felsen; schweigende Einsamkeit: Sand und Sonne.

Auf dem winzig kleinen Bahnhof von Sidi-bel-Abbès wimmelte es von Uniformen, und an der primitiven Perronsperre stand eine Unteroffizierspatrouille, die sich die paar Passanten scharf ansah und mit argwöhnischen Blicken wachte, ob nicht ein Legionär darunter sei, der sich den gelben Staub von Sidi-bel-Abbès von den Füßen schütteln wollte.

Wir marschierten nach der Kaserne. Die Legionärsstadt machte einen Eindruck auf das Geruchsempfinden, der in seiner Eigentümlichkeit selbst einem so Vielgereisten wie mir etwas Neues war.

Ein süßlicher Geruch hing dumpf und schwer über den Straßen, merkwürdig auf die Nerven fallend, zusammengesetzt aus Tausenden von Dingen – süß wie blühender Jasmin und doch dumpf wie Moder, häßlich und doch aufreizend auf die Sinne.

Dem Auge fiel vor allem das grelle Gelb auf. Gelb war die Sonnenluft, gelb waren die alten Festungsmauern, die vor vielen, vielen Jahren von Fremdenlegionären gebaut worden waren, gelb der sandige Straßenstaub. Grell wie alles, nur dann und wann von dem Stückchen Grün eines Gartens belebt, lag das Gelände um die Stadt da; in fahleren Tönen ragten im Hintergrunde die Felsen des Thessalagebirges empor. Und als wollten sich die Menschen von Sidi-bel-Abbès der Natur in Mimikry anpassen, hatten sie ihre Häuser auch noch gelb angestrichen!

Durch Palmenhaine und Olivengärten marschierten wir. Ein Omnibus ratterte vorbei, dicht bepackt mit weißbeburnußten Arabern. Irgendwo im Hintergrunde glänzte das Minaret einer schneeweißen Moschee, und hoch oben am Turm auf kleinem Balkon stand ein arabischer Priester, dessen wallender weißer Burnus sich scharf gegen den Himmel abhob.

Dann kam eine merkwürdige Ueberraschung. An einer uralten, halbverfallenen Mauer, an der wir vorbeimarschierten, wurde eben ein neues Plakat angeschlagen. Als sich der schreiend rote Reklamezettel mit den dicken gelben Lettern entfaltete, lasen wir: Prochaine semaine: »La Retraite«, par Franz Adam Beyerlein ...

Ein Theater in Sidi-bel-Abbès, der Stadt der Fremdenlegion! Und dieses Theater spielt Beyerlein's »Zapfenstreich«! Die Mauer und das Plakat verkörperten mir in jenem Moment die Bosheit der leblosen Dinge.

Aber schließlich mußte ich lachen über die Komik des Zufalls, die den Zapfenstreich ausgerechnet nach der Stadt der Fremdenlegion brachte! Was die Sidi-bel-Abbèser Schauspieler wohl für Spottgeburten deutscher Uniformen aufgetrieben haben mögen ...

An alten Festungsmauern ging es vorbei, die das ganze Städtchen umsäumen. Sie stammten noch aus jenen Zeiten, als die Garnison von Sidi-bel-Abbès jeden Augenblick darauf gefaßt sein mußte, sich gegen die Beni Amer verteidigen zu müssen. Dann kam eine breite, saubere Straße. Auf beiden Seiten lagen riesige Kasernengebäude, die Reiterkaserne der Spahis und, in einem gewaltigen Gebäudeviereck, die Kaserne der Fremdenlegion.

Durch ein kleines Pförtchen in dem riesigen vergitterten Tor marschierten wir im Gänsemarsch auf den Kasernenhof. Die Soldaten der Wache, die auf einer langen Bank am Tor sahen, grinsten uns stumpfsinnig an, und ihr Sergeant, eine Zigarette zwischen den Zähnen, die Hände in den Hosentaschen, betrachtete uns mit einem unendlich hochmütigen Gesichtsausdruck, so wie ein Viehtreiber ein Stück Vieh taxieren mag.

» Pas bon!« rief er seinem uns eskortierenden Kameraden lakonisch zu – »nicht gut!«

Das war die Begrüßung. Ich starrte auf die weite, kiesbestreute, peinlich saubere Fläche des Hofes, auf die kahlen Fronten der Kasernen und kam mir wie ein Narr vor, der in ein Narrenhaus eingesperrt werden soll. Mir war, als sei ich in gedankenlosem Wandeln vom Wege abgekommen und mit einem Male in einen Morast geraten. In einen häßlichen Sumpf. Zwischen diesen Mauern sollte ich leben? Unter diesen uniformierten Maschinen hausen! Nicht mehr denken – nicht mehr fühlen! Wie eine Wüste kam mir die ungeheure Fläche vor ...

Ueberall in den Kasernen wurden Fenster aufgerissen, und Legionäre steckten die Köpfe heraus, schreiend und johlend:

»Eh – les bleus! Bon jour les bleus!«

Von allen Seiten kamen die Legionäre gerannt und riefen sich zu: Les bleus! – als handle es sich um ein ja nicht zu versäumendes Amüsement. Während wir vor dem Gebäude der Kommandantur warteten, umdrängten uns Hunderte unserer neuen Kameraden, die in der schneeweißen Sauberkeit ihrer Uniformen sehr vorteilhaft von uns abstachen. Schlechte Witze, Fragen und Antworten flogen hin und her, ein wahres Kreuzfeuer.

»Hoh, habt Ihr nichts mehr zu fressen gehabt?« schrie einer auf Deutsch.

»Dat mag so oder so jewesen sin, mein Sohn,« antwortete Herr von Rader. »Du bist wohl sicher jekommen, weil dir dein vieles Jeld plagte?« Und schallendes Gelächter begrüßte die Antwort.

»Isch keener aus Frankfurt da?« schrie einer.

»Merde!« sagte er, als er keine Antwort bekam, drehte sich um und ging.

Auch ein Bayer suchte nach einem Landsmann. Einer der Rekruten war auch wirklich ein Münchner.

»Jesses, jesses,« apostrophierte ihn der bayrische Legionär, »du Luader, du saudumms, hättst net in Minken bleiben können, wo's halt a Bier gibt? Du werst di wundern! Du Urviech!«

Auch ein Neger war unter den Legionären. Er schien eine feine Nase zu haben, denn:

» You talk U. S.?« fragte er mich. »Sprichst du ›Vereinigte Staaten‹?«

» I guess I do,« antwortete ich.

» Oh Golly, white man, you 're a fool and the son of a fool!« sagte der Schwarze mit einem breiten Lachen. »Weißer Mann, du bist ein Narr und der Sohn eines Narren!«

Ich lachte noch über diese komische Schadenfreude, als ein anderer Soldat sich neben mich drängte und leise flüsterte:

»Du, gib mir deinen Zivilanzug. Verkaufen mußt du ihn doch und bekommst nur ein paar Sous dafür.«

Ich guckte ihn an: »Wozu brauchen Sie denn Zivil?« Das schnelle »Du« wollte mir nicht recht über die Lippen.

»Fort, fort will ich. Herrgott, wenn ich Zivil hätte, käm' ich durch! Dann ging' ich der Bande durch die Lappen. Schenk' mir doch den Anzug!« sagte er. »Wenn du eingekleidet bist, hol' ich ihn aus deiner Kompagnie; ich bekomme schon heraus, wo du bist.«

Die Antwort blieb mir im Halse stecken! Der Mann sah mich mit flehenden Augen an, und ich hörte den Ernst aus seinen Worten. Entfliehen wollte er – desertieren. Ich konnte ihm dazu verhelfen! Der Blick auf die nackten Kasernen und den öden Hof war genug gewesen. – – Wenn er wieder kam, sollte er meine Kleider haben.

Da kam unser Sergeant aus dem Kommandanturgebäude zurück, und nach einem kurzen Namensaufruf wurden wir in zwei Kompagnien verteilt. Die meine war » la onzième« – die elfte Kompagnie.

Man führte uns über den Hof nach der Kompagniekammer. Dort bekamen wir vorläufig Wäsche, eine Art Leinenanzug, aus zähen afrikanischen Alfa-Fasern gewebt, und – eine weißbaumwollene Zipfelmütze, die vorschriftsmäßig nachts getragen werden mußte. Worauf uns unter höchst anzüglichen und ohne Zweifel durchaus berechtigten Bemerkungen des Sergeantmajors (Vizefeldwebel) ein Stückchen Seife und ein Handtuch in die Hand gedrückt wurde. Dann marschierten wir zu einem kleinen Häuschen auf der Rückseite des Kasernenhofes, in dem ein primitives Brausebad eingerichtet war. Die Wasser spülten und spülten – und in der Tür stand ein Sergeant, der alle Augenblicke rief:

» Bon Dieu, wascht Euch ja recht sauber!« –

»Zivilkleider unter den Arm!« kommandierte der Sergeant. Zu einem kleinen Seitentor wurden wir hingeführt. Der Posten stieß das Tor auf und – die Hölle brach los. Araber, Levantiner, spanische Juden, Neger belagerten das Tor und schrien, jeder in seiner Sprache, gellend auf uns ein. Sie gestikulierten mit Händen und Füßen, sprangen umher und machten einen unsäglichen Skandal. Um Kleider und Schuhe, um Hemden und Kravatten wurde nach allen Regeln der Kunst gefeilscht, während der Sergeant den Posten des ehrlichen Maklers übernahm.

Ein deutscher Trödler, der einem solchen Verschleudern zusehen könnte, würde erblassen vor Neid! Ein guter Anzug mußte um 2 Franks verkauft werden, Stiefel um 80 Centimes, weiße Wäsche wurde kaum bezahlt. Wußten doch die Gauner von Sidi-bel-Abbès ganz genau, daß die Rekruten verkaufen müssen, daß sie das Tor nicht verlassen dürfen, ohne ihre Zivilkleider losgeschlagen zu haben. Drei Franken, höchstens vier, erlösten die meisten für ihr bißchen Eigentum. Meinen Anzug zog mir der Legionär von vorhin, der sich mit zum Tore geschlichen hatte, sachte aus dem Arm, stopfte ihn unter seine Jacke und machte sich schleunigst davon. Schon am nächsten Tage wurde er vermißt ...

Dann ging es auf das Schreibzimmer der Kompagnie, wo die Namen der neuen Rekruten und ihre Personalien eingetragen wurden – pro Forma. Was man sagte, wurde eben niedergeschrieben, und die sonderbarsten Angaben gingen anstandslos durch.

Herr von Rader erklärte, sein Vater sei Geheimer Oberregierungsrat, und als Beschäftigung gab er an, er sei Jongleur und Vizefeldwebel der Reserve!

Jeder von uns bekam eine Nummer, die matricule der Fremdenlegion. Denn von jetzt ab war unser Name Nebensache. Numeriert wurden wir! Ich hieß von jetzt ab 17 889. Ich war einer von Tausenden geworden, eine gleichgültige, unpersönliche, farblose Nummer.

Ich hatte erreicht, was ich wollte. Ich war untergesunken in der großen Masse.

Wie hieß ich doch? Nummer 17 889!


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