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XII
Andrer Leute Haus

Oktober

Ich hab am End einen Entschluß in betreff des Unterkommens fassen müssen. Solang ich konnte, habe ich gezögert. Man tritt zurück, auf daß man besser springe. Seit ich zum Heim nur noch einen Aschenhaufen hatte, habe ich den einen Tag hier, den andern dorten kampiert; einmalen bei diesem, zum andermalen bei jenem Freund. Es mangelte nicht der Leute, die mich vorläufig eine Nacht oder zwei bei sich behalten wollten. Alsolang die Erinnerung an die gemeinsame Gefahr auf uns lastete, da war man noch eine Herde, und jedweder fühlte sich bei dem andern zu Haus. Indes, das konnte mitnichten so weitergehen. Die Gefahr war im Abzuge. Jedweder zog seinen Leib in sein Schneckenhaus zurück, ausgenommen die, so keinen Leib mehr hatten, und ich, der nimmer ein Gehäuse hätt. Indes, im Gasthaus konnte ich mich nicht einquartieren. Ich habe zween Söhne und eine Tochter, die Bürger von Clamecy sind; die hätten es mir nicht erlaubt. Nicht etwan, daß die beiden Buben in ihrer Liebe sonderlich gelitten hätten! Aber was hätten die Leut dazu gesagt! ... Sie hatten's jedoch nicht eilig, mich aufzunehmen, und auch mir pressierte es mitnichten. Mein Freimut paßt schlecht zu ihrer Frömmelei. Welcher von beiden sollte sich opfern? Die armen Burschen! Sie waren akkurat in der gleichen Verlegenheit denn ich selbsten. Zum Glück für sie ist Martine, das wackere Mädchen, da, und sie liebt mich, so bedünkt mich, wahrhaftiglich. Sie beanspruchte mich um jeden Preis. Wohl. Aber da war noch mein Eidam. Er hatte keinerlei Grund, das begreife ich wohl, mich bei sich haben zu wollen. Also gingen sie mit scheelen Augen männiglich umeinand und um mich herum. Und ich floh sie; mir war, als sollte mein armer Leib versteigert werden.

Für den Augenblick hatte ich in meiner Weinberghütte auf dem Abhange von Beaumont meine Herberge aufgeschlagen; dorten, wo ich alter Sünder im Juli die Nacht mit der Pest durchgebracht hatte. Denn der Hauptspaß von der Geschichte war, daß diese Stumpfböcke der allgemeinen Gesundheit wegen mein unberührtes Haus verbrannten, aber die Kate, durch die der Tod geschritten war, heil und ganz ließen. Ich, der ich den Knochenmann nimmer fürchte, war wohl zufrieden, die Hütte mit dem gestampften Fußboden, auf dem die Flaschen vom Leichenschmaus noch herumlagen, wiederzufinden. Um es frei heraus zu sagen: ich wußte wohl, daß ich niemalen den Winter in diesem Loch könnte verbringen, das eine ausgehängte Tür hatte, zerbrochene Scheiben und ein Dach, dadurch das Wolkenwasser wie durch ein Käsesieb tropfte. Aber heute regnete es nicht, und morgen würde Zeit genug sein, an morgen zu denken. Ich mag mich nicht gern um einer ungewissen Zukunft willen quälen, und überdies, wann ich eine Frage nicht zu meiner Zufriedenheit lösen kann, da brauche ich das Mittel, die Angelegenheit auf die andre Woche zu verschieben. – »Wozu taugt das?« sagt man mir. »Die Pille muß wohl oder übel verschluckt werden.« – »Wollen sehen«, erwidere ich. »Wer weiß, ob in acht Tagen die Welt noch steht? Wenn ich sie nun verschluckte und die Trompeten des Jüngsten Gerichts würden zu tönen beginnen, wie wollte ich mich da ärgern, daß ich mich also beeilt hätt! Schiebe niemalen um eine einzige Stunde das Glück auf, mein Freund. Das Glück muß frisch getrunken werden. Aber das Üble kann warten. Wird solche Flasche schal, dann ist sie nur bekömmlicher.«

Also wartete ich, oder besser, ich ließ den lästigen Entschluß, so ich doch eines Tages mußte fassen, warten. Und auf daß bis dahin nichts nicht käme, mich zu stören, riegelte ich meine Tür ab und verschanzte mich. Meine Gedanken drückten mich nicht schwer. Ich grub meinen Garten um, harkte die Wege, bedeckte die junge Saat mit gefallenen Blättern, schützte die Artischockenbeete und verband den verwundeten Bäumen ihr Weh; kurzum ich machte Frau Erde, so im Begriffe war, unter ihrem winterlichen Daunenbett sich zur Ruhe zu legen, die Nachttoilette. Darnach kostete ich, maßen ich mich bezahlt machen wollte, eine kleine rot und gelb gefleckte Butterbirne, die am Baum vergessen worden war. Gott, wie köstlich ist es, sie schmelzen zu lassen und aus dem vollen Mund den duftenden Saft die Kehle entlang talauf, talab tief hinabgleiten zu fühlen. – In die Stadt begab ich mich nur, um meinen Vorrat aufzufrischen. Darunter verstehe ich mitnichten nur das Getränk und das Essen, sondern auch die Neuigkeiten. Meinem Nachwuchs zu begegnen, vermied ich. Ich hatte ihnen eingeredet, ich sei auf der Reise. Ich will nicht schwören, daß sie's glaubten; indes, als respektvolle Söhne wollten sie mich mitnichten Lügen strafen. Dieserart war's, als spielten wir Nachlauf wie die kleinen Burschen, die sich zuschreien: »Wolf, wo bist du?« Und so hätten wir noch geraume Zeit, auf daß wir das Spiel fortsetzten, antworten können: »Der Wolf ist nicht da.« Wir rechneten ohne Martine. Wann eine Frau im Spiele ist, da wird alleweil gemogelt. Martine ward mißtrauisch, Martine kannte mich; Martine hatte in Bälde meine List ausgekundschaftet. Sie läßt mit dem, was man sich zwischen Vater und Kind, Brüdern und Schwestern schuldet, nicht spaßen.

Eines Abends, als ich aus der Hütte heraustrat, sah ich sie den Weg heraufkommen. Ich trat zurück und schloß die Tür. Dann kauerte ich mich in eine Ecke und rührte mich nicht mehr. Sie kam, klopfte an, rief, trommelte gegen die Tür. Ich blieb still wie ein totes Blatt. Ich hielt den Atem an (just da wurde ich von einem Hustenreiz gepackt). Sie rief, ohn abzulassen:

»Willst du wohl öffnen! Ich weiß, du bist da.« Und mit der Faust und den Holzschuhen hämmerte sie auf die Türe los.

Ich dachte: ›Die wackere Dirn!‹ Gibt die Tür nach, stehe ich mitnichten groß da; und ich war schon willens, zu öffnen, um ihr einen Kuß zu geben. Indes, das gehörte nicht zum Spiel. Und wann ich spiele, da will ich alleweil gewinnen. Ich blieb dickköpfig. Martine rief noch eine Weil, am End gab sie's auf. Ich hörte, wie sie sich zögernd entfernte. Ich verließ mein Versteck und begann zu lachen. Und vor lauter Lachen und Husten erstickte ich schier. – Halbtot hatte ich mich gelacht und trocknete mir just die Augen, als ich hinter mir von der Mauer herab eine Stimme vernahm, die sagte:

»Schämst du dich nicht?«

Nicht viel, da wäre ich umgefallen. Ich sprang auf, wandte den Kopf und sah, an die Mauer geklammert, Martine, die mich anschaute. Mit strengen Augen sagte sie:

»Alter Possenreißer! Jetzo hab ich dich.«

Verdutzt gab ich's zu:

»Ich bin gefangen.«

Darauf brachen wir beide in ein schallend Gelächter aus. Beschämt ging ich öffnen; gleich einem Cäsar hielt sie ihren Einzug, pflanzte sich vor mir auf, faßte mich beim Bart und sagte:

»Bitte um Verzeihung.«

Ich sagte: »Mea culpa.«

(Aber es war just wie in der Beichte: man nimmt sich vor, morgigen Tags es wieder zu tun.)

Sie hielt mich noch immer am Kinnbart fest, zog daran und grollte:

»Eine Schande ist's! So ein Graukopf – mit einem weißen Schwanz am Kinn! Und nicht mehrer Vernunft im Hirnkasten denn ein neugeboren Kind!« Zwei, drei Malen zog sie ihn gleich einer Glocke nach links, nach rechts, nach oben, nach unten. Dann gab sie mir auf beide Wangen einen Klaps und küßte mich:

»Warumb bist du nicht gekommen, du schlechter Kerl?« sagte sie. »Du arger Wicht weißt doch, daß ich dich erwartet habe!«

»Mein Töchterlein«, meint ich, »ich werde dir alles erklären ...«

»Das kannst du bei mir tun. Los, vorwärts marsch!«

»Ja! Aber ich bin noch nicht bereit! Laß mich in der Erste meine Siebensachen zusammenpacken.«

»Deine Siebensachen! Herr des Himmels! Ich werde sie dir packen helfen.«

Sie warf mir meinen alten Umhang über den Rücken, stülpte mir meinen abgeschabten Filzhut auf den Kopf, wickelte mich ein, schüttelte mich und sagte:

»Nun ist's soweit! Jetzo aber los!«

»Einen Augenblick!« meinte ich noch.

Ich setzte mich auf einer Stufe nieder.

»Wie?« rief sie entrüstet. »Willst du dich etwan sträuben? Willst du nicht zu mir kommen?«

»Ich sträube mich mitnichten«, sagte ich. »Ich muß wohl zu dir kommen, dieweil es keinen andern Ausweg für mich gibt.«

»Ei, du bist ja sehr freundlich«, sagte sie. »Das ist also deine Liebe!«

»Ich liebe dich von Herzen, mein gutes Kind«, erwiderte ich, »von Herzen. Aber mir wäre lieber, dich bei mir zu sehen als mich bei einem andern.«

»So bin ich also ein anderer!« meinte sie.

»Du bist die Hälfte davon.«

»Nein! Mitnichten!« rief sie. »Weder die Hälfte noch das Viertel. Ich bin ich, ganz und vollkömmlich ich, vom Kopf bis zur Zeh! Ich bin seine Frau: wohl möglich! Aber er ist mein Mann, und ich will, was er will, dafern er will, was ich will. Du kannst geruhig sein; er wird überaus glücklich sein, daß du bei ihm wohnst. Ei freilich, er sollte was erleben, wenn er's nicht wäre!«

Ich sagte: »Ich glaub's wohl! Just wie Herr von Nevers, wenn er seine Besatzung bei uns einquartiert. Ich habe gar viele bei mir aufgenommen, aber ich gehöre nicht zu denen, die sich gemeiniglich aufnehmen lassen.«

»Du wirst es lernen. Keine Widerrede! Gehen wir.«

»Nun wohl. Aber unter einer Bedingung.«

»Schon Bedingungen? Du lernest es rasch.«

»Ich will, daß man mich gemäß meinem Wunsch unterbringt.«

»Ich merke wohl, du willst den Tyrannen spielen. Gut, gut; sei's drum.«

»Du schwörst es?«

»Ich schwöre.«

»Und dann ...«

»Nun ist's aber genug, du Schwätzer. Willst du jetzt wohl gehen?«

Sie packte mich beim Arm. Potz Donner! Welch Kneifzange. Ich mußte wohl oder übel mit.

 

In der Wohnung angelangt, zeigte sie mir das Zimmer, so sie mir bestimmt hätt: im Hinterladen; trefflich warm und unter ihren Fittichen. Das gute Mädchen verfuhr mit mir gleichwie mit einem Kind an der Mutterbrust. Das Bett war bereitet: mit feinen Daunen und frisch bezogen. Und in einem Glase auf dem Tisch ein Strauß Heidekraut. Innerlich lachte ich ergötzt und gerührt; und zum Dank nahm ich mir vor: ich werd sie in Zorn bringen, die brave Martine.

Also erklärte ich ihr bündig:

»Das ist mir nicht zupaß.«

Verletzt zeigte sie mir die andern Stuben im Erdgeschoß. Ich wollte keine von ihnen, und meine Wahl fiel auf einen kleinen Mansardenverschlag unterm Dach. Sie erhob groß Lärmens; ich aber sagte ihr:

»Wie dir's beliebt, mein schönes Kind. Du hast die Wahl: entweder ich richte mich hier ein, oder ich gehe in meine Weinberghütte zurück.«

Da mußte sie wohl nachgeben. Aber nun kam sie tagtäglich und zu jedweder Stunde auf die Angelegenheit zurück:

»Du kannst da nicht bleiben. Unten hättest du's besser; sag doch, was dir mißfallt; nun sag doch endlich, du Dickkopf, warum willst du nicht?«

Ich antwortete pfiffig:

»Weil ich nicht will.«

»Du machst mich rasend!« schrie sie voll Zorn. »Aber ich weiß wohl, warum ... Du hochmütiger Mensch! Du Hochmütiger – der von seinen Kindern nichts annehmen will. Von mir nicht! Von mir! Ich könnte dich schlagen!«

»Solcherweis«, meinte ich, »würdest du mich zumindest zwingen, Kopfnüsse von dir anzunehmen.«

»Geh, du hast kein Herz!«

»Mein Töchterlein!«

»Ei freilich, spiel nur den Sanften! Weg mit den Pfoten, du Schlimmer!«

»Mein großes Mädchen, mein süß Herzelein! Mein Liebchen, meine Allerschönste!«

»Willst du mir jetzt gar den Hof machen? Du Honigschnabel! Du Schmeichler! Du Süßholzraspler! Du Lügner! Hast du mich noch nicht genug ausgelacht mit deinem langen, schiefen Mund?«

»Schau mich an, auch du lachst ja!«

»Nein!«

»Du lachst!«

»Nein! Nein! Nein!«

»Ich sehe es ja.«

Und ich drückte meine Finger auf ihre Wangen, so von Lachen geschwellt waren und losplatzten.

»Das ist wahrlich zu dumm«, sagte sie, »ich bin erbost auf dich, ich hasse dich und habe nicht einmalen das Recht, zornig zu sein! Dieser alte Aff bringt mich wider Willen mit seinen Fratzen zum Lachen! ... Geh nur, geh. Ich mag dich nicht leiden. Ein armseliger, zugrunde gerichteter Kerl, der seinen Kindern genüber den Stolzen, den König spielen will! Du hast kein Recht dazu.«

»Es ist das alleinige Recht, so mir bleibt.«

Sie sagte mir noch etliche spitze Worte, und ich diente ihr mit gleich scharfen. Wir haben alle beid feingeschliffene Zungen, wir wetzen die Worte auf der Messerschleife. Zum Glück sagt sie oder ich just im Augenblick, da wir am zornigsten aufeinander sind, irgendein trefflich drollig Wort; dann lachen wir – das läßt sich nicht hindern – und wir müssen von vorn beginnen.

Nachdem sie ihren Zungenschwengel tät lang genug hin und her schwenken (ich hörte schon geraume Zeit nicht mehr zu), sagte ich ihr:

»Machen wir Feierabend. Des morgigen Tags kann's wieder losgehen.«

Sie sagte:

»Guten Abend! Du willst also wahrhaftiglich nicht?«

Mein Mund blieb verschlossen.

»Du Hochmut!« sagte sie noch einmalen.

»Hör, Liebling. Ich bin ein hochmütiger Kerl. Ein Pfau. Alles, was du willst. Aber sag mir freimütig: Was wolltest du tun, so du an meinem Platz wärest?«

Sie dachte nach und sagte: »Ich wollt's gleicherweis machen.« – »Da siehst du wohl. Daraufhin gib mir einen Kuß und nun: Gute Nacht!«

Sie küßte mich verdrießlich und ging brummend davon:

»Das ist ein Unglück, wenn man vom Himmel zween solcher Dickköpfe in die Familie bekommen hat!«

»So ist's recht«, meinte ich, »beklage dich beim Himmel, meine Teure, und nicht bei mir.«

»Ich werd's tun«, sagte sie, »aber du wirst auch dein Teil bekommen.«

Und ich bekam's. Des folgenden Morgens begann sie von neuem. Wie's dem Himmel erging, solches weiß ich nicht. Ich aber hatte nichts zu lachen.

Die ersten Tage saß ich wie der Vogel im Hanfsamen. Jedweder verhätschelte und verwöhnte mich. Florimond selbsten war voller kleiner Aufmerksamkeiten und erwies mir mehr Ehre, denn mir not tat. Martine paßte ihm auf und war um meinetwillen mißtrauischer denn ich selbst. Glodie ergötzte mich mit ihrem Geplauder. Ich hatte den besten Stuhl, bei Tisch reichte man mir als erstem die Schüssel; wollt ich sprechen, da hörte man mir zu. Es ging mir überaus gut, überaus gut ... Uff! Ich konnt's nimmer aushalten. Ich war ohn Behagen; ich konnt nimmer ruhig sitzen; wohl zwanzigmal in einer Stunde ging ich meine Bodentreppe hinunter, hinauf und wieder hinunter. Jedermann ward davon halb närrisch. Martine, die mitnichten geduldig ist, fuhr stumm und erregt zusammen, alsobald sie meinen Schritt krachen hörte. Wär's zumindest Sommer gewesen, da wär ich in den Feldern umhergestreift. Ich streifte wohl herum, aber in der Wohnung. Der Herbst war eisig; dicke Nebel lagerten auf den Wiesen; und der Regen fiel und fiel Tag und Nacht. Ich war an meinen Platz gebannt. Und dieser Platz, Gott verdamm mich, war nicht der meine! Der arme Florimond hatte einen törichten, aber anmaßenden Geschmack; Martine ließ es gehen; mich aber ärgerte alles im Haus, jedwedes Möbel, jedwedes Ding; ich litt darunter; in meinen Fingern juckte es, alles zu ändern, umzuformen oder umzustellen. Aber der, dem's gehörte, paßte auf: alsobald ich nur mit der Fingerspitze einen seiner Schätze berührte, da gab's eine Komödie! Da war insonderheit im Speisezimmer eine Wasserkanne, die war mit zwei sich schnäbelnden Tauben geziert und mit einer Jungfer, so mit ihrem faden Liebhaber schön tat. Mir ward ganz übel davon; ich bat Florimond, sie zumindest vom Tisch zu nehmen, wann ich aß. Die Bissen blieben mir im Schlunde stecken, ich erstickte schier. Aber der Kerl weigerte sich (das war sein gutes Recht). Er war stolz auf sein Marzipan; solch ein überladen Stück war für ihn das größte Kunstwerk. Und meine Grimassen verlustierten das ganze Haus.

Was tun? Über mich selbsten lachen; ich war töricht, das ist gewiß. Aber des Nachts drehte ich mich in meinem Bett um und um, gleichwie ein Kotelett, dieweil auf den Rost, will sagen auf mein Dach, der Regen unaufhörlich tropfte. Und dazu wagte ich nicht, auf meinem Boden hin und her zu spazieren, sintemalen er unter meinen schweren Schritten erzitterte. Am End, als ich einmal nachdenkend mit nackten Beinen auf meinem Bett saß, sagte ich mir: »Mein lieber Colas Breugnon! Wohl weiß ich nicht, wie und wann, aber ich werde mein Haus wieder aufbauen.« Ab diesem Augenblick ward ich frohgemuter: ich hatte einen heimlichen Plan. Ich hütete mich weislich, meinen Kindern davon zu sprechen: sie hätten mir geantwortet, die einzige Behausung, die für mich gut sei, sei das Tollhaus. Wo aber das Geld hernehmen? Seit den Tagen des Orpheus und des Amphion tanzen die Steine nicht mehr heran, helfen einand nicht mehr Mauern und Häuser aufführen, es sei denn beim Klange der Geldkatze. Die meine hatte ihren Klang, der niemalen sonderlich schön war, verloren.

Ohn Zögern nahm ich zu der von Freund Paillard Zuflucht. Wohl hatte sie mir der wackere Mann, um die Wahrheit zu gestehen, mitnichten angeboten. Aber gleichweis wie es mir eine Vergnügung ist, einen Freund um eine Gefälligkeit zu bitten, glaube ich, daß es für ihn ebenso eine sein wird, sie zu erweisen. – Ich nutzte einen Augenblick, da es sich aufklärte, und ging nach Dornecy. Der Himmel hing schwer und grau, der Wind strich feucht und müde vorbei gleichwie ein großer durchnäßter Vogel. Die Erde klebte einem an den Füßen; und die gelben Blätter der Nußbäume rieselten auf die Felder herab. – Bei den ersten Worten, so ich sagte, unterbrach mich Paillard beunruhigt, indem er über die schlechten Geschäfte, über ausstehende Zahlungen, Geldmangel, böswillige Kunden jammerte, und dies so lang und breit, daß ich zu ihm sagte:

»Wohl, wohl, Paillard, soll ich dir einen Heller leihen?«

Ich war verkrumpelt. Er war's noch mehr. Und wir maulten miteinand, dieweil wir mit eisiger Mien über dies und jenes sprachen, ich zornmütig und er beschämt. Ihm tat sein Geiz leid. Der arme Alte ist kein schlechter Kerl; er mag mich gern, das weiß ich; potz Herrgott, er hätte nichts lieber getan, als mir sein Geld geben, wann's ihn nur nichts gekostet hätt; und selbst bei einigem Drängen hätte ich von ihm erlangt, was ich wollte; es ist nicht seine Schuld, so er in seiner Haut drei Generationen von Wucherern umherträgt. Zweifelsohn kann man ein wackerer Bürger sein, und freigebig dabei: ab und an kommt das vor, oder es ist vorgekommen, wie man sagt. Jedweder gute Bürger aber wird fürs erste, wann man an seine Börse rühren will, mit nein antworten. Freund Paillard hätte in diesem selbigen Augenblick mancherlei darum gegeben, um ja sagen zu können; dazu aber hätte ich ihm von neuem entgegenkommen müssen. Ich hütete mich jedoch. Ich habe meinen Stolz; wann ich meinen Freund um ein Ding bitte, da glaube ich ihm eine große Vergnügung zu bereiten, und so er zögert, da will ich nimmer. Um so schlimmer für ihn! Also sprachen wir von andern Dingen, doch in verdrießlichem Ton und schweren Herzens. Ich lehnte ab, bei ihm zu frühstücken (das betrübte ihn tief), und stand auf. Mit gesenktem Kopfe begleitete er mich bis zur Schwelle; aber im Augenblick, da ich die Tür öffnen wollt, behielt ich's nimmer aus: ich legte meinen Arm um seinen alten Hals, und ohn ein Wort küßte ich ihn. Er gab mir den Kuß gar herzlich zurück. Schüchtern fragte er: »Colas, lieber Colas, willst du ...«

Ich wehrte ab:

»Reden wir nicht mehr davon.« (Ich bin ein Dickkopf.)

»Colas«, fing er noch einmal mit beschämter Mien an, »bleib zumindest zum Frühstück.«

»Das ist ein ander Ding«, sagte ich; »wohl, mein guter Paillard, frühstücken wir.«

Wir aßen für vier; aber ich blieb unerbittlich und gab meinen Entschluß nicht auf. Wohl weiß ich, daß ich solcherart am meisten gestraft war. – Er aber war es auch.

 

Ich kehrte nach Clamecy zurück. Nunmehr galt's, meine Behausung ohn Arbeiter und ohn Geld wieder aufzubauen. Ich ließ mich desohngeachtet nicht abschrecken. Was ich mir einmal in den Schädel gesetzt habe, das läuft, bei Gott, nimmer davon. Ich begann damit, den Schauplatz des Brandes fürsorglich abzusuchen, indem daß ich alles, was noch irgend dienen konnte, als beschädigte Balken, geschwärzte Ziegel, alte Schlösser, die vier wackligen Mauern, die schwarz waren gleich einem Kaminfegerkäppchen, in Augenschein nahm. Alsdann ging ich in aller Heimlichkeit nach Chevroche in die Steinbrüche, um mich über die Knochen der Erde herzumachen, über den schönen Stein, der da aussieht, als sei er warm und bluterfüllt, und darein man Ströme sieht als wie von geronnenem Blut. Und dann kann's auch geschehen sein, das ist wohl möglich, daß ich auf meinem Weg quer durch den Wald hie und da irgendeiner alten Eiche, so schon am End ihrer Laufbahn war angelangt, zur ewigen Ruhe verholfen habe. Mag sein, daß das nicht erlaubt war. Doch dafern man niemalen tat, als was erlaubt ist, da wäre das Leben allzu schwer. Die Wälder gehören der Stadt, damit man sie nutze. Man nutzt sie, jedweder ohne groß Lärmens, das versteht sich. Und man ist nicht unmäßig, man denkt: nach mir die andern. – Das Nehmen aber war ein Geringes. Nun galt's auch fortzuschleppen. Dank der Nachbarn kam ich damit zustand. Der eine lieh mir seinen Wagen, der andere seine Ochsen oder sein Werkzeug oder noch lieber seine Hilfe, dieweil das nichts kostet. Man kann von seinem Nächsten alles – selbst sein Weib – verlangen, nur nicht, daß er sein Geld hergebe. Ich begreife das: Geld bedeutet alles, was man haben kann, was man haben wird, was man haben könnte, mit Geld kann man alles erträumen; das übrige hat man wirklich: also hat man's kaum.

Des Tags, an dem wir schließlich, ich und mein Freund Robinet, genannt Binet, konnten beginnen, die ersten Gerüste aufzuschlagen, da trat der Frost ein. Man schalt mich einen Narren. Meine Kinder machten mir jedweden Tag einen Auftritt; und die Wohlwollendsten rieten mir, zumindest bis zum Frühjahr zu warten. Aber ich hörte auf nichts. Nichts ist mir ein so trefflicher Spaß, als die Leute und die Obrigkeit rasend zu machen. Ei, ich wußte gar wohl, daß ich nicht gänzlich allein, und dazu im Winter, ein Haus bauen konnte! Aber mir genügte eine Hütte, ein Dach, ein Kaninchenstall. Wohl bin ich gesellig, aber unter der Bedingung, daß ich es sein oder nicht sein kann, wann mir's beliebt. Ich bin ein Schwätzer, ich mag gern mit andern plaudern, wohl, wohl; aber ich will zu Stunden auch mit meinem Ich alleinig plaudern können: von allen meinen Genossen ist dies doch der beste, mir liegt an ihm, und um ihn wiederzufinden, würde ich sonder Schuh und sonder Hos unterm eisigen Nordwind gehen. Nur auf daß ich mit mir nach meinem Belieben könnte Unterhaltung pflegen, derhalben versteifte ich mich darauf, ohngeachtet allem, was man drüber sagte, und der guten Lehren meiner Kinder spottend, mein Haus zu bauen ...

Aber ach, ich war nicht der, so zuletzt lachte ...

Eines Morgens zu End Oktober, da die Stadt sich in Reif hüllte und auf dem Pflaster der Silberschaum des Glatteises glitzerte, glitt ich, dieweil ich mein Gerüst bestieg, auf einer Stange aus, und plumps, lag ich unten, schneller, als ich hinaufgekommen war. Binet schrie:

»Er hat sich zu Tod gefallen!«

Man lief herzu, mich aufzuheben. Ich ärgerte mich. Ich sagte:

»Laßt doch, ich hab's mit Willen getan!«

Ich wollte allein aufstehen. O je! Der Knöchel! Das arme Knöchelein! Ich fiel wieder zurück. Der Fußknöchel war gebrochen. Auf einer Bahre trug man mich davon. Martine lief herzu und machte groß Geschrei; und die Nachbarinnen begleiteten mich, jammerten und beredeten das Ereignis; wir sahen aus gleichwie ein Heiligenbild: der Gottessohn, so man ins Grab legt. Und die Marien sparten nicht an Geschrei, an Gefuchtel und an Gelauf. Sie hätten einen Toten wieder auferweckt. Ich war's mitnichten, aber ich spielte einen: es war das beste Mittel, mich vor diesem Sturzbad zu schützen. Und mit sanfter Miene, regungslos, mit zurückgelehntem Kopf und den Bart spitz nach oben gereckt, spielte ich still meine Rolle, dieweil ich innerlich raste ...


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