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XI
Der Possen, so man dem Herzog spielte

Ende September

Die Ordnung war wiederhergestellt. Die Asche war erkaltet, und man hörte nimmer von der Krankheit reden. Aber fürs erste lebte die Stadt noch fürderhin gleichwie unter einem Druck. Die Bürgerschaft hatte noch mit der ausgestandenen Angst zu tun. Sie tastete gleichsam den Boden ab; sie war noch nicht vollkömmlich gewiß, darüber und mitnichten darunter zu sein. Meistens versteckten sie sich in ihren Häusern, und dafern sie auf der Straße waren, schlichen sie mit gesenkten Ohren und eingezogenem Schwanz eilig an den Mauern entlang. Ach! man war gewißlich nicht stolz, schier wagte man nicht, einand ins Gesicht zu schauen, und man hatte keinerlei Vergnügung daran, sich Selbsten im Spiegel zu betrachten: man hatte sich zu genau angeschaut, man kannte sich allzu gut; die innerste Menschennatur hatte sich sonder Hemd überrumpeln lassen: das ist nicht annehmlich! Man fühlte sich beschämt und voll Mißtrauen. Was mich betrifft, so fühlte ich mich auch nicht sonderlich wohl in meiner Haut: das Gemetzel und der Brandgeruch jener Rösterei verfolgten mich; und mehr denn alles die Erinnerung an die Feigheiten und Grausamkeiten, die ich auf mir vertrauten Gesichtern gesehen hatte. Sie wußten es und waren mir heimlich gram darum. Ich begreife das wohl; mir Selbsten war es noch viel peinvoller; ich hätte ihnen am liebsten gesagt: »Nichts für ungut, Freunde. Ich habe nichts gesehen.« ... – Und dazu drückte die schwüle Septembersonne schwer auf die ermattete Stadt. Fieber und Betäubung, so der Spätsommer mit sich führt.

Unser Racquin war unter guter Bedeckung nach Nevers abgefahren, allwo der Herzog und der König sich die Ehre strittig machten, ihn zu richten, so daß er, die Uneinigkeit nutzend, begründete Hoffnung hatte, ihnen zwischen den Fingern durchzuschlüpfen. Was mich Selbsten betrifft, so wollten die Herren vom Burgbann die Güte haben, ob meinem Betragen die Augen zu schließen. Wie es scheint, beging ich bei der Rettung Clamecys zwei oder drei grobe Verbrechen, die mir für das mindest die Galeerenstrafe hätten eintragen können. Maßen sie aber nicht hätten begangen werden können, so die Herren, anstatt sich aus dem Staub zu machen, dageblieben wären und die Führung übernommen hätten, bestanden sie nicht darauf. Und ich ebensowenig. Mir liegt nicht sonderlich an, meine Angelegenheiten vor Gericht hin und wider wenden zu lassen. Mag man sich auch unschuldig fühlen: weiß man jemalen, was geschehen kann? Hat man erst den Finger in der Teufelsmaschine, da ist's um den Arm geschehen. Schneidet durch, schneidet durch, ohne Zögern, so ihr nicht wollt, daß das ganze Tier mit hineingezogen werde ... So war auch zwischen ihnen und mir ein wortlos Übereinkommen getroffen, daß ich nichts nicht getan hätt und sie nichts gesehen, und daß alles, was sich in jener Nacht unter meiner Führerschaft zugetragen, durch sie vollzogen worden sei. – Hat man auch den besten Willen, man kann nicht auf einen Schlag auslöschen, was geschehen ist. Man erinnert sich dessen, und das ist peinvoll. Ich las es in aller Augen: man hatte Angst vor mir; und ich Selbsten hatte Angst vor mir, vor meinen Heldentaten, von diesem unbekannten, abgeschmackten Colas Breugnon, so ich gestrigen Tags gewesen war. Zum Teufel mit diesem Cäsar, diesem Attila, diesem Pulverfaß! Ein Faß voll Wein, wohl, das ist mir recht. Aber voll Pulver, nein, nein! Das ist meine Sache mitnichten! – Kurz und gut, wir waren bestürzt, zermürbt und müde; Herz und Magen taten uns weh.

Mit wahrer Wut warfen wir uns wieder auf die Arbeit. Die Arbeit saugt alle Scham und allen Kummer in sich auf gleichwie ein Schwamm. Die Arbeit gibt der Seele eine neue Haut und neues Blut. An Arbeit fehlte es nicht: ringsumher lag alles in Trümmern! – Am meisten aber kam uns eine zur Hilfe: das war die Erde. Niemalen hatte man einen gleichen Überfluß an Früchten, niemalen eine so reiche Ernte gesehen; und die Krone des Ganzen war letztlich die Weinlese. Man hätte wahrlich meinen können, die gute Mutter Erde wolle uns das Blut, so sie getrunken, in Wein zurückgeben. Und warumb auch nicht? Nichts nicht geht verloren; nichts darf verlorengehen. Ginge es verloren, wo wollte es da hingehen? Das Wasser kommt vom Himmel und steigt wieder zum Himmel; warumb sollte der Wein nicht gleicherweis solch Hin und Her zwischen der Erde und unserm Blut machen? Es ist der nämliche Saft. Ich bin ein Rebstock oder bin es gewesen oder werde es sein. Es mir fürzustellen, ist mir eine Lust: ich will gern einer sein. Und lieber denn in jedweder andern Unsterblichkeit war mir's, als Rebe oder Rebstock weiterzuleben, zu fühlen, wie mein Fleisch sich dehnt und zu schönen, gut gerundeten, vollen Beeren anschwillt, zu blauen, schmelzbedeckten Trauben, wie es ihre Haut an der Sommersonne bis zum Platzen spannt und letztlich (das ist das Beste) verspeiset wird. –

Jedenfalls ist gewiß, daß in diesem Jahr der Saft der Reben überfloß und das Blut der Erde aus allen Poren strömte. Kam es nicht gar so weit, daß es an Fässern mangelte? Und daß man aus Mangel an Gefäßen die Trauben in Bottiche oder gar in Waschfässer tat, ohn sie auch nur zu keltern? Ja, es kam noch besser. Es geschah, so unglaublich es klingt, daß ein alter Bürger aus Andries, Vater Coullemard, der nicht zu Rande kam, die Tonne Trauben für dreißig Sous verkaufte, unter der Bedingung, daß man sie selbst vom Weinstock pflücke. Ihr könnt euch fürstellen, wie uns das aufregte, uns, die wir wahrlich nicht kaltblütig zuschauen können, wenn das warme Blut unseres guten Gottes verderben soll! Ehe wir es verschleudern, da ist's besser, es zu trinken. Man opfert sich, man ist ein Mensch von Gewissen. Indes, es war eine Herkulesarbeit; und mehr denn einmal war es Herkules und nicht Antäus, der den Erdboden berührte. – Das Gute bei der Geschichte war letztlich, daß unsere Gedanken ein ander Gesicht bekamen; ihre Stirn glättete und ihre Haut klärte sich.

Aber ohngeachtet allem, ein gewisses Etwas blieb noch auf dem Grund des Bechers, ein schlammiger Geschmack, gleich einer Art Hefe; einer hielt sich immer noch vom andern fern; man beobachtete einand. Wohl hatte man ein weniges an geistigem Schwung (schwankender Weis) zurückgewonnen; aber man wagte noch nicht, dem Nachbarn näherzukommen; man trank alleinig, man lachte alleinig: das ist überaus ungesund. – – Die Dinge hätten noch lange dergestalt weitergehen können, und man sah kein Mittel, aus diesem Stand herauszukommen. Der Zufall aber ist ein Schlaukopf. Er findet das rechte Mittel, das einzige, das die Menschen aneinanderkittet: das heißt, es dahin bringen, daß sie sich wider irgendwen vereinen. Auch die Liebe bringt einander nahe; doch, was alle wie einen einzigen Mann zusammenstehen läßt – das ist der Feind. Und der Feind, das ist unser Gebieter.

Es geschah also in diesem Herbst, daß Herzog Karl sich anmaßte, uns das Tanzen zu verbieten. Das ist ein weniges stark! Potz Donner! Da gab's mit einem Schlag nicht einen, außer denen, so gichtbrüchig waren, hinkten oder keine Beine hatten, der nicht ein Prickeln wie Ameisen in den Waden gespürt hätte. Wie gemeiniglich gab die Grafenwiese den Anlaß zum Streit. Sie ist nun einmal der Zankapfel, um den sich allweil alles dreht. Diese schöne Wiese, so am Fuß des Berges Croc Pinçon vor den Toren der Stadt liegt und um die sich gleich einer nachlässig hingelegten Sense der Beuvron schlängelt, wird seit dreihundert Jahren zwischen dem großen Maul des Herrn von Nevers und dem unsern hin und her gezerrt, das zwar weniger groß ist, doch trefflich festzuhalten versteht, was es einmal gefaßt hat. Das geschieht ohn jedwede Feindseligkeit von der einen oder der andern Seite; man lacht, man ist höflich, man nennt einand: »mein Freund, Euer Liebden, mein durchlauchtigster Herr« ... Nur daß jedweder tut, was er will, daß keiner auch nur einen Fußbreit Boden aufgibt. Um die Wahrheit zu sagen, bei unsern Prozessen haben wir niemalen recht behalten. Von den hohen Gerichtshöfen, vom Oberamt, an der Marmortafel des Justizpalastes sind Urteile über Urteile abgegeben worden, die setzeten fest, daß unsere Wiese nicht unsere Wiese sei. Wie man weiß, nennt man Rechtsprechen die Kunst, für Geld schwarz zu heißen, was man weiß sieht. Das stört uns nicht sonderlich. Richten ist nichts, haben ist alles. Ob deine Kuh schwarz oder weiß sei, hüte deine Kuh, mein wackerer Junge. Wir hüteten ihrer und blieben auf unserer Wiese. Das ging so bequemlich! Denkt nur, es ist die einzige Wiese in Clamecy, die keinem von uns gehört. Dieweil sie dem Herzog zu eigen ist, gehört sie uns allen. Wir empfanden derhalben keinerlei Bedenken, sie abzunützen. Und Gott weiß, daß wir solches von ganzem Herzen taten! Alles, was man daheim nicht tun kann, tut man dort. Man arbeitet, man putzt, man zupft die Matratzen aus, man klopft dorten die alten Teppiche, wirft sein Gerümpel ab, spielt, spaziert herum, läßt seine Ziege weiden, tanzt zum Klang des Leierkastens, übt sich in der Handhabung der Büchse oder der Trommeln. Und nächtlich treibt man dorten auf dem mit Papieren besäten Grase seine Liebesscherze längs des flüsternden Beuvron, den nichts in Erstaunen setzen kann (er hat schon anderes zu sehen bekommen).

Solange Herzog Ludwig lebte, ging alles gut: denn er tat, als sähe er nichts. Das war ein Mann, der wußte, er könne sein Gespann desto besser im Zaume halten, je freier Spiel er seinen Untertanen ließ. Was tat es ihm, so wir uns einbildeten, frei zu sein und unsern Kopf für uns zu haben, wenn er in Wahrheit unser Herr war? Sein Sohn aber ist ein eitler Fant; dem liegt mehr an, zu scheinen, als zu sein. (Solches ist begreiflich, denn er ist nichts.) Und so steigt er auf die Hinterbeine, alsobald einer auch nur kräht. Und doch, ein Franzose muß singen können und sich über seine Gebieter verlustieren; wann er ihrer nicht spotten kann, wird er aufsässig: es behagt ihm nicht, jemands zu gehorchen, der allzeit ernst genommen sein will. Wir lieben nur den von Herzen, über den wir von Herzen lachen können. Denn das Lachen macht uns alle gleich. – Dieser Gänserich indes ließ es sich beifallen, ein Verbot ergehen zu lassen, das uns untersagte, auf die Grafenwiese zu gehen, zu spielen, zu tanzen, uns herumzuwälzen und das Gras zu zertreten. Er hatte einen trefflichen Augenblick gewählt! Nach allen unsern Mißgeschicken, da er besser getan hätte, uns von Steuern zu entlasten! ... Aber wir zeigten ihm, daß die Clamecyer nicht aus dem Holz gemacht sind, daraus man Scheiterhaufen schichtet, sondern aus harten Eichenklötzen, in die die Axt nur mit Mühe zu dringen vermag und, wann einmal darin, mit noch größerer Mühe herauskommt. Wir brauchten uns miteinand nicht zu verabreden. Insgesamt schlugen wir groß Lärmens. Uns unsere Wiese nehmen! Das Geschenk zurückgeben, so man uns verabfolgt hatte oder das wir uns angemaßt hatten. (Das kommt auf das gleiche heraus: ein Gut, das man gestohlen und dreihundert Jahre bewahrt hat, wird zum dreimal heiligen und geheiligten Eigentum.) Ein Gut, das uns um so teuerer war, als es uns nicht gehörte, als wir es Schritt vor Schritt, Tag vor Tag durch langsames Erobern und zähes Festhalten zu dem unsrigen gemacht hatten – das einzige Gut, das uns nichts gekostet hatte als die Mühe, es wegzunehmen! Das konnte einem ja wahrlich jedes Wegnehmen verleiden! Wozu dann überhaupt noch leben? Wenn wir nachgegeben hätten, ja, da hätten sich gewißlich unsere Toten in ihren Gräbern umgedreht! – Die Ehre der Stadt machte uns allesamt einmütig.

Am Abend desselbigen Tages, an dem der Stadttrommler mit düsterem Tone (er setzte eine Miene auf, als gäbe er einem zum Galgen Verurteilten das Geleit) den verhängnisvollen Beschluß verkündete, versammelten sich alle Männer von Rang, die Oberhäupter der Gilden, der Korporationen und die Stabträger unter den Pfeilern am Markt. Auch ich war dorten. Ich vertrat wie billig meine Schutzpatronin Frau Joachim, die heilige Anna, Anna die Gute. Darüber, was geschehen mußte, waren die Meinungen unterschiedlich; daß aber etwas geschehen müsse, billigte jedweder zu. Gangnot, der Sankt Eleusius, und der Kalabreser, der Sankt Nikolaus vertrat, waren für rücksichtsloses Vorgehen: sie wollten, daß man zur selbigen Stunde Feuer an die Tore lege, die Schutzwehre und die Köpfe der Gerichtsdiener einschlage, und daß man die Wiese rasibus bis auf den Grund abscheren solle. Aber der Bäcker Florimond, der für Sankt Honorius, und Maclu, der Gärtner, der für Sankt Fiacre sprach, wollten als sanftmütige Männer und sanftmütige Heilige langmütig sein und sich weislich mit einem papierenen Krieg begnügen. Sie wollten zarte Wünsche und Bitten an die Herzogin richten – zweifelsohn begleitet von gut berechneten Erzeugnissen aus Backstube und Garten. Zum Glück waren wir unser drei: ich, Jean Bobin für Sankt Crispinus und Edmond Poifou für Sankt Vinzentius, die wir ebensowenig geneigt waren, dem Herzog zur Lektion den Arsch zu verwamsen, als ihm etwa auf diese Stelle einen Kuß zu verabfolgen. In medio stat die Tugend. Ein echter Gallier versteht die Art, wann er sich einen Spaß mit den Leuten machen will, es voller Gemütsruhe zu tun, ihnen gerad ins Gesicht, aber mit leisem Finger und sonderlich ohne selbsten Schaden dabei zu nehmen. Sich rächen macht alleinig nicht glücklich; man muß sich dabei auch ergötzen. Also hört, was wir erdachten ... Aber soll ich den trefflichen Possen, den ich erfand, erst erzählen, bevor das Stück gespielt ist? Nein, mitnichten; das hieße der Speise die Würze nehmen. Es genügt zu berichten, daß unser groß Geheimnis zu unser aller Ehre vierzehn Tage hindurch von der ganzen Stadt gewußt und bewahrt ward; und ist auch die erste Idee von mir (darob bin ich stolz), so fügte jedweder noch irgendeine Verschönerung hinzu. Der eine zupfte ein Zipfelchen zurecht, der andere tat ein Schnällchen oder ein Schleifchen hinzu: also daß das Kind trefflich ausgestattet ward; an Vätern fehlte es ihm mitnichten. Die Schöffen, der Bürgermeister, die mit im Geheimnis und einverstanden waren, erkundeten tagtäglich die Fortschritte des Wurms; und Meister Delavaux kam nächtlicherweis, sein Gesicht unterm Mantel versteckt, mit uns die Geschichte zu bereden; wies die Weis, das Gesetz zu umgehen und es dennoch mitnichten zu verletzen, und zog triumphierend aus seinen Taschen etliche mit Fleiß zusammengestellte lateinische Inschriften, so den Herzog und unsere Unterwürfigkeit verherrlichten und gleicherzeit auch just das Gegenteil besagen konnten.

 

Endlich brach der große Tag an. Auf dem Sankt-Martinsplatz harrten wir Meister mitsamt unserm Anhang, wohlrasiert, aufgeputzt und ehrbar um unsere Abzeichen gestellt, der Schöffen. Schlag zehn Uhr begannen die Glocken des Turmes zu läuten. Im selbigen Augenblick wurden zu beiden Seiten des Platzes die beiden Tore des Rathauses und der Sankt-Martinskirche weit geöffnet; und auf die beiden Rampen traten (man hätte vermeinen können, es wären die Figürchen der Turmuhr, die vorbeizogen) von der einen Seite die weißen Chorhemden der Priester, von der andern grün und gelb wie Quitten die Schöffen. Einand erblickend, wechselten sie über unsere Köpfe hinweg feierliche Verbeugungen. Alsdann schritten sie zum Platz hernieder, die einen unter Vortritt der rotgewandet und rotnasig leuchtenden Kirchendiener, die andern mit den aufgezäumten Gerichtsdienern; die ließen ihre Halsketten klappern und ihre langen Stöcke auf dem Pflaster springen. Wir andern waren rings um den Platz und längs der Häuser aufgestellt und bildeten solcherweis einen Kreis; und die Obrigkeit, akkurat in der Mitte placiert, stellte den Nabel vor. Jeder Mann war männiglich zur Stell. Da gab's keine Nachzügler. Die Rechtsverdreher, die Gerichtsleute und der Notarius unter dem Banner von Sankt Ivo, dem Vermögensverwalter unseres Vaters im Himmel – und die Apotheker, Quacksalber und Ärzte, die feinen Urinkenner (jedweder duftet nach seinem Wein) und Klistierspritzer, sub invocatione des heiligen Kosmus, der die Gedärme der Paradiesischen ausputzt – sie alle bilden rings um den Bürgermeister und den alten Erzbischof eine heilige Garde von Feder und Spritze. Von den Herren der Bürgerschaft fehlte, glaube ich, nur ein einziger: es war der Prokurator, der Statthalter des Herzogs, aber auch der Gatte der Tochter des Magistratsschöffen, ein guter Clamecyer, maßen es ihm bei uns gut ging; er hatte, von dem unterrichtet, das man zu tun beabsichtigte, und nichts mehr fürchtend, als daran teilzunehmen, weislich einen Vorwand gefunden, um des Abends zuvor sich in der Stille wegzumachen.

Etliche Zeit brieten wir auf dem Platz gleichwie auf langsamem Feuer. Wir bildeten gleichsam einen Bottich, darein der Most gärte. Welch fröhliches Durcheinander! Ein jedweder sprach, lachte, Geigen wurden gestimmt, und die Hunde bellten – man wartete ... Auf wen denn? Geduld! Die Überraschung ... Ah, da kommt sie schon. Noch ehe man sie erblickt, läuft Stimmengewirr gleichwie ein Lauffeuer ihr voran und kündet sie an. Und alle Hälse drehen sich, gleich Wetterfahnen im Wind, mit einem Schlag herum. Von der Marktgasse her rückt, auf den Schultern von acht kräftigen Burschen getragen und ober der Menge hin und her schwankend, ein hölzerner Aufbau in Art einer Pyramide heran: drei ungleiche übereinand getürmte Tische mit bebänderten, bortenumnähten, mit lichter Seide umwundenen Beinen; und ganz oben unter einem Baldachin, darauf Federbüsche gesteckt waren und von dem eine Flut farbiger Bänder herabfloß, eine verschleierte Statue. – Niemands dachte daran, zu erstaunen: denn alle waren mit im Geheimnis. Jedweder zog gar höflich die Mütze davor ab; aber hinter der Mütze verborgen lachten wir alten Schelme uns ins Fäustchen.

Alsobald das Ding bis just auf die Mitte des Platzes zwischen Bürgermeister und Pfarrer vorgerückt war, zogen die Korporationen, mit Musik an der Spitze, vorüber, beschrieben vorerst einen vollkömmlichen Kreis um die reglose Achse und verloren sich dann in der Gasse, die am Kirchenportal entlang zum Beuvrontor hinabsteigt.

Als erster marschierte, wie billig, Sankt Nikolaus. Der König von Kalabrien, in einen kirchlichen Chormantel gekleidet, mit einer gestickten goldenen Sonne auf dem Rücken, also daß er aussah gleich einem Skarabäus, hielt in seinen dunklen, knotigen Armen den Stab des Flußheiligen, in Form eines an beiden Enden aufgebogenen Bootes, auf dem Nikolaus mit seinem Krummstab die drei kleinen Kinder, so am Bug sitzen, segnet. Vier alte Seeleute geleiteten ihn. Sie trugen vier gelbliche Kerzen, dick wie Keulen und hart wie Knüppel, die als solche zu brauchen, so's not tat, sie auch bereit waren. Der Kalabreser aber stolzierte stirnrunzelnd und sein einziges Auge zu dem Heiligen erhebend daher, spreizte die Beine und blähte, was er an Bauch besaß.

Nun folgte die Geleitschaft des Zinntopfes, die Söhne des heiligen Eleusius: Messerschmiede, Schlosser, Stellmacher und Hufschmiede; ihnen schritt Gangnot mit der verstümmelten Hand voran und trug hoch in seiner zweifingrigen Zange ein Kreuz, auf dessen Schaft Hammer und Amboß eingeschnitzt waren. Und die Hoboen spielten:

»Guter König Dagobert,
hast die Hosen ganz verkehrt!«

Alsdann kamen die Winzer, die Küfer, die die Hymne auf den Wein und seinen Heiligen, den Vinzentius, sangen, der, auf der Spitze des Stabes sitzend, mit der einen Hand einen Weinkrug, mit der andern eine Traube umklammert hält. – Wir Schreiner und Zimmerleute, mit dem heiligen Joseph und der heiligen Anna, Eidam und Schwieger, insgesamt tüchtige Süffel, wir folgten dem Schutzpatron der Wirtshäuser, schnalzten mit der Zunge und schielten nach einem guten Tropfen. Und die von Sankt Honorius, die Feisten, Mehlbestäubten, trugen, gleich einer römischen Trophäe, auf einem Hakenspieß ein rundes Brot, mit einer goldgelben Krone geschmückt. Nach den Weißen kamen die Schwarzen; die ausgepichten Schuhflicker. Die tanzten und ließen ihre Knieriemen um den heiligen Crispinus knallen; und letztlich als Krönung, ganz mit Blumen geschmückt, Sankt Fiacre. Gärtner und Gärtnerinnen trugen auf einem Traggestell Nelken und Levkojen und hatten Rosen um ihre Hüte, Hacken und Harken gewunden. Ihr Banner aus roter Seide, das den heiligen Fiacre mit nackten Waden und bis an den Hintern geschürzt darstellt, wie er seinen großen Zeh auf dem ins Erdreich gesenkten Spaten krümmt, wehte klatschend im Herbstwind.

Hinterher schwankte das verschleierte Etwas. Weißgekleidete Mägdelein, die voranschritten, miauten Lieder. Der Bürgermeister und die drei Schöffen marschierten zu beiden Seiten und hielten die dicken Quasten der Bänder, die von dem Baldachin herabhingen. Die um Sankt Ivo und Sankt Kosmus bildeten Spalier; dahinter brüstete sich, aufgebläht wie ein streitsüchtiger Hahn, der Schweizer. Und der Pfarrer, von seinen Vikaren begleitet, davon der eine lang wie ein Fasttag, der andere dick und platt wie schlecht gegangen Brot, sang alle zehn Schritt mit seinem tiefen Baß ein Stück der Litanei, aber ohn sich groß anzustrengen, dieweil er die andern singen ließ und nur die Lippen bewegte, die Hände auf dem Bauch gefaltet hielt und im Gehen schlief. Die große Menge des Volkes wälzte sich hintennach wie ein einzig Stück dicken und weichen Teiges, gleichwie eine ölig fließende Welle. Wir aber waren ihre Schleuse.

Wir gingen aus der Stadt heraus. Geraden Wegs begaben wir uns auf die Wiese. Die Blätter der Platanen wirbelten im Winde. Auf der Straße tanzten sie scharenweise in der Sonne und der träge Fuß spülte ihr goldenes Blätterkleid davon. Am Schlagbaum machten die drei Polizeidiener und der Schloßhauptmann Miene, uns den Durchgang zu wehren. Aber außer dem neugebackenen Hauptmann, der eben in unsere Stadt gekommen war und alles für bare Münze nahm (der arme Teufel hatte sich schier außer Atem gelaufen und rollte gar wütig die Augen), waren wir, gleichwie Diebsgesindel, allesamt unter einer Decke. Wir fluchten derhalben nicht weniger, schwuren bei allen Heiligen und pufften einand: das gebot unsere Rolle, die wir gewissenhaft spielten; man hätte indes die Posse nimmer allzulange lassen dauern dürfen, denn der Kalabreser und die Seinen begannen allzu trefflich zu spielen. Sankt Nikolaus auf der Spitze seines Stabes wurde bedrohlich, und die Kerzen, angelockt von den Rücken der Gerichtsdiener, zitterten in den Fäusten hin und wider. Nunmehr trat der Bürgermeister vor, nahm die Mütze vom Kopf und rief: »Hut ab!«

Im selbigen Augenblick fiel die Hülle, so die Statue unter dem Baldachin bedeckte, und die Magistratsdiener riefen: »Platz dem Herzog!«

Der Tumult hörte mit einem Schlage auf. Sankt Nikolaus, Sankt Eleusius, Sankt Vinzentius, der heilige Joseph und die heilige Anna, Sankt Honorius, Sankt Fiacre standen zu beiden Seiten aufgereiht und präsentierten die Waffen. Die Polizeidiener und der dicke Hauptmann gaben bestürzt, mit entblößten Köpfen den Weg frei. Und nun erblickte man, über den Trägern schwebend, von Lorbeer gekrönt, das Barett auf dem Ohr und den Degen überm Bauch, den Herzog in effigie. So wenigstens verkündete die Inschrift Meister Delavaux' urbi et orbi. Aber, um die Wahrheit zu gestehen, der Spaß vom Ganzen war dieser: dieweil wir weder Zeit noch Mittel hatten, ein ähnlich Bildnis herzustellen, so nahmen wir guten Glaubens vom Speicher des Rathauses eine alte Statue (man hat niemalen recht erfahren, wen sie darstellen sollte, noch von wem sie war; auf dem Sockel konnte man den halb verwitterten Namen Balthasar entziffern, und seit der Zeit nannte man sie »Baldux«). Was liegt auch daran? Der Glaube macht selig. Sind denn die Bildnisse des wackeren Eleusius, des Sankt Nikolaus oder Jesu mehr wahr? Dafern man nur glaubt, da sieht man in allem den, so man sehen will. Braucht's einen Gott? Mir genügt, wenn's mir gefällt, ein Stück Holz, um darin ihn und meinen Glauben unterzubringen. An jenem Tage tat ein Herzog not, und man fand ihn.

Vor den gesenkten Bannern zog der Herzog vorüber. Dieweil die Wies sein eigen war, betrat er sie. Und wir gaben ihm zur Ehre insgesamt mit flatternden Fahnen, mit klingendem Spiel, mit Pfeifen, Dudelsack und dem heiligen Sakrament das Geleit. Wer hätte das mißbilligen können? Nur ein schlechter Untertan des Herzogs, nur ein grämlicher Gesell. Mit sauersüßer Mien blieb dem Hauptmann nichts anderes übrig, als es gutzuheißen. Er hatte nur. die Wahl, den Herzog festzunehmen oder sich dem Gefolge anzuschließen. Und so folgte er dann unsern Schritten.

Alles war im besten Gange, als man kurz vor dem Hafen schier noch gestrandet wäre. Am Eingang geriet Sankt Eleusius mit Sankt Nikolaus aneinand, und der heilige Joseph zankte sich mit seiner Schwieger herum. Jedweder wollte ohn Ansehung des Alters, der Rücksicht und der Höflichkeit als erster voranschreiten. Und da wir am selbigen Tag männiglich kampfbereit und in kriegerischer Laune ausgezogen waren, juckte es uns allen in den Fäusten. Ich, der ich meinem Namen zufolge Sankt Nikolaus angehöre, meinem Beruf nach dem heiligen Joseph und der heiligen Anna, meines Milchbruders, Sankt Vinzentius, des heiligen Traubenschluckers, nicht zu vergessen, ich, der ich für alle Heiligen bin, dafern sie für mich sind, entdeckte glücklicherweis einen von der Weinlese kommenden Wagen, der die Straße daherfuhr, und daneben hin und her schwankend meinen Zechgenossen Gambi. Also schrie ich:

»Freunde, unter uns ist keiner der erste! Umarmen wir einand! Hier kommt der, vor dem wir alle gleich sind. Unser einziger Gebieter (nach dem Herzog, das versteht sich). Er ist da. Er sei gegrüßt! Ehre dem Bacchus!«

Und indem ich meinen Gambi beim Arsche packe, ziehe ich ihn auf den Wagen, allwo er ausrutscht und Hals über Kopf in ein Faß ausgepreßter Trauben hineinfällt. Dann ergreife ich die Zügel, und wir gelangen als die ersten auf die Grafenwiese; Bacchus, seine Grundfeste in den Saft des Fasses getaucht, das Haupt von Weinlaub umrankt, strampelt lachend mit den Beinen. Alle männlichen und weiblichen Heiligen folgen Arm in Arm, tanzend hinter dem Hintern des triumphierenden Bacchus. Auf dem grünen Rasen war's herrlich! Da tanzte man, aß, spielte, lagerte all den Tag über um diesen unsern guten Herzog herum ... Und des folgenden Morgens sah die Wiese gleichwie ein Saustall aus. Keine Spur von Rasen mehr. Unsere Sohlen hatten auf dem weichen Boden ihre Inschriften hinterlassen und zeugten von dem Eifer, mit dem die Stadt den Durchlauchtigsten Herrn Herzog gefeiert hätt. Mich bedünket, er war des wohl zufrieden. Und, potz Donner! wir waren es gleichermaßen.

Wohl hielt des folgenden Tages der Prokurator es für ziemlich, wann er zurückkehrte, sich zu entrüsten, Einspruch zu erheben, zu drohen. Er tat nichts dergleichen, er hütete sich. Ja richtig, er eröffnete ein Verhör; aber er trug Sorge, es mitnichten abzuschließen: es tut besser, sich einen Ausweg offen zu lassen. Niemandem lag daran, etwas festzustellen.

Solcherweis zeigten wir, daß die Clamecyer gleicherzeit gehorsame Untertanen ihres Herzogs und Königs sein können und desohngeachtet alles nach ihrem eigenen Kopf zu machen vermögen: denn der ist von Holz. Und dieser nunmehr erbrachte Beweis ließ den Frohsinn in der geprüften Stadt wieder auferstehen. Man lebte wieder auf. Mit zwinkernden Augen redete man einand an, umarmte sich lachend und dachte:

»Unser Sack mit Narrenspossen ist noch nicht leer. Das Beste haben sie uns nicht geraubt. Alles steht vortrefflich.«

Und all unser Mißgeschick war vergessen.


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