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IX
Das abgebrannte Haus

Mitte August

Soll ich vom heutigen Tag berichten? Das ist ein harter Bissen. Noch ist er nicht gänzlich verdaut. Los, Alter, Mut! Solches wird das beste Mittel sein, ihn abzutreiben!

Es heißt: Sommerregen bringt Segen. Wäre das wahr, dann müßte ich also reich sein wie Krösus: denn diesen Sommer läßt es nicht nach, auf meinen Buckel zu regnen; und desohngeachtet stehe ich nun sonder Hemd und sonder Hos da, gleich einem heiligen Johannes. – Kaum hatte ich die doppelte Heimsuchung hinter mir: Glodie war genesen und mein alt Eheweib gleichermaßen, die eine von ihrer Krankheit und die andere vom Leben, da hatte ich von den Mächten, so das Weltall regieren, einen wütenden Ansturm zu bestehen (es muß da oben eine Frau im Spiele sein, die mir zürnt; was, zum Teufel, habe ich ihr getan? ... Sie liebt mich doch, meiner Treu!), aus dem ich bloß, besiegt und mit zerschlagenen Knochen, aber dennoch (das ist letztlich die Hauptsach) samt allen meinen Knochen herfürging.

Obzwar mein Enkelchen jetzo geheilt war, eilte ich mich nicht, in meine Vaterstadt zurückzukehren; ich blieb bei ihr und freute mich an ihrer Genesung noch mehr denn sie selbsten. Erlebt man die Genesung eines Kindes, so ist's gleich, als schaue man der Erschaffung der Welt zu: das gesamte Universum erscheint weiß und frisch wie ein eben gelegtes Ei. – So ging ich denn müßig und hörte zerstreut auf die Neuigkeiten, so die Nachbarinnen, die zu Markte gingen, mitbrachten. Bis ich eines Tages bei einer Äußerung gleich einem alten Esel, der die Peitsche des Eseltreibers ober sich sieht, die Ohren spitzte. Es hieß, in Clamecy, in der Vorstadt Beuvron, sei Feuer ausgebrochen und die Häuser stünden gleich Reisigbündeln in Flammen. Ander Auskunft vermochte ich nicht zu erlangen. Ab diesem Augenblick saß ich in einer dunklen Ahnung wie auf Kohlen. Man hatte mir gut zureden: »Bleib geruhig! Schlimme Nachrichten reisen schnell wie Schwalben. Wärst du getroffen, da wüßtest du es schon. Wer redet von deinem Haus? Es gibt mehr denn einen Esel in Beuvron.« ...

Mich hielt's nicht länger; ich sagte mir:

»Das meine ist's ... es brennt. Ich rieche den Brand.« Ich nahm meinen Stock, ich ging davon. Ich dachte: ›Großer Gott, was für ein Dummkopf bist du!‹ Das erstemal ist's, daß ich Clamecy verlasse, ohn irgendein Ding in Sicherheit zu bringen. Allzeit, wann ich zu anderen Malen den Feind kommen sah, trug ich meine Hausgötter hinter die Mauern auf die andere Seite der Brücke: mein Geld, meine Kunstwerke, auf die ich am meisten stolz bin, mein Werkzeug, meinen Hausrat und den Krimskrams insgesamt, der, obzwar häßlich und unbequem, einem dennoch für alles Geld der Erde nicht feil wäre, dieweil er die Reliquien unseres armseligen kleinen Glückes bedeutet ... Diesmalen hatte ich alles im Stich gelassen ...

Und ich glaubte, meine Alte zu vernehmen, die aus der besseren Welt gegen meine Dämischkeit wetterte. Ich erwiderte ihr:

»Du bist schuld, um deinethalben habe ich mich so geeilt!«

Nachdem wir uns beide gehörig gezankt hätten (damit war zum mindest ein Teil des Weges ausgefüllt), suchte ich uns einzureden, daß ich mich schier umsunst sorgte. Aber desohngeachtet kehrte die schlimme Vorstellung gleich einer Mücke, so sich auf die Nase setzt, allweil zurück; unaufhörlich sah ich mein Haus vor mir, und kalter Schweiß rann mir an Rückgrat und Lenden hinab. Ich schritt tüchtig aus. Villiers lag schon hinter mir, und ich begann just den langen, bewaldeten Hügel emporzusteigen, da sah ich auf dem Abstieg einen daherkommenden Wagen und den Vater Jojot, den Müller aus Moulot, der, alsobald er mich erkannte, anhielt, seine Peitsche hob und schrie: »Ach, du armer Kerl!«

Mir war, als bekäme ich einen Tritt vor den Bauch. Ich blieb offenen Mundes am Wegrand stehen. Er fuhr fort: »Wo willst du hin? Kehr um, mein Colas! Geh nicht in die Stadt. Du regst dich allzusehr auf. Alles ist verbrannt, ratzekahl niedergebrannt. Nichts bleibt dir mehr übrig.«

Bei jedwedem Wort drehte mir der Kerl das Herz im Leib herum. Doch ich wollte den Tapferen spielen, riß mich zusammen und sagte: »Zum Teufel, ich weiß es wohl!«

»Wohlan«, meinte er beleidigt, »was willst du denn noch dorten suchen?«

Ich antwortete: »Die Überbleibsel.«

»Nichts ist übrig, sage ich dir. Schier nichts nicht, nicht ein Radieschen!«

»Jojot, du schneidest auf; du wirst mir nicht einreden, meine beiden Lehrbuben und meine wackeren Nachbarn hätten mein Haus brennen sehen, ohn zu versuchen, ein weniges, ein paar Hausgerät, aus dem Feuer zu retten, wie das unter Brüdern Brauch ...«

»Deine Nachbarn, du Unglücksmensch? Aber gerade sie haben ja das Feuer angelegt!«

Der Stoß warf mich um. Er meinte triumphierend: »Siehst du wohl, daß du nichts weißt!«

Ich wollte es nicht zubilligen. Er aber, nunmehr gewiß, mir als erster die schlimme Zeitung zu überbringen, begann, teils befriedigt, teils bekümmert, mir die Geschichte zu erzählen:

»Die Pest ist schuld«, sagte er, »sie sind allesamt wie von Sinnen. Warumb auch haben die Herren vom Gemeinderat und vom Burgbann, die Schöffen und der Prokurator uns allesamt verlassen? Die Schäfer sind davon. Da werden die Schafe wild. Da neue Krankheitsfälle in Beuvron auskamen, hat man geschrien: ›Verbrennt die verpesteten Häuser!‹ Kaum gesagt, so getan. Dieweil du nicht am Platze warst, begann man natürlicherweise mit dem deinen. Man ging mit wackerem Eifer daran; jedweder half trefflich mit: man vermeinte, zum Wohl der Stadt zu arbeiten. Überdies steckt einer den andern an. Beginnt man erstlich zu zerstören, da weiß ich selbst nicht, was geschieht: man wird trunken, alles geht drunter und drüber, man kann nicht mehr innehalten ... Wann sie das Feuer angelegt hatten, da tanzten sie rings herum. Es war schier wie Wahnsinn ... ›Auf der Brücke des Beuvron tanzt man rund und rundherum.‹ ... Du hättest sie sehen sollen: ›Seht nur an, wie man trefflich tanzen kann.‹ Wenn du sie gesehen hättest, da hättest du vielleicht Selbsten mitgetanzt. Du kannst dir fürstellen, wie das Holz, so du in der Werkstatt hattest, aufflammte, wie's prasselte. Kurz und gut, man hat alles verbrannt!«

»Das hätte ich sehen mögen, das muß schön gewesen sein!« sagte ich. Und ich dachte es wahrlich. Aber ich dachte gleichermaßen:

»Mit mir ist's aus! Sie haben mich zugrund gerichtet.« Das aber hütete ich mich, Jojot zu sagen.

»Also du machst dir nichts daraus?« meinte er mit unzufriedener Miene.

(Er hatte mich wohl gern, der wackere Mann; aber ab und an hat man – verflixte Menschenbrut! – nichts dagegen, so man seinen Nachbarn im Elend sieht, und wäre es nur, um die Vergnügung zu haben, ihn zu trösten.) Ich sagte: »Schade, daß man mit solch schönem Feuer nicht bis zur Johannisnacht warten tat.«

Ich machte Miene, weiterzugehen.

»Und du willst trotz allem hin?«

»Ich will's. Guten Tag, Jojot.«

»Komische Kauz!«

Er trieb sein Pferd an.

Ich ging, oder vielmehr, es mochte so scheinen, bis daß der Wagen an der Wegbiegung verschwunden war. Nicht zehn Schritte hätte ich zu machen vermocht; die Beine knickten mir unterm Leib zusammen. Ich ließ mich auf einen Meilenstein fallen, saß da gleichwie auf einem Nachttopf.

Die Minuten, die nunmehr folgten, waren schlimme Minuten. Es tat nimmer not, den Prahlhans zu spielen. Ich konnte verzweifelt, unglücklich, kreuzunglücklich sein, worauf ich auch keineswegs verzichtete. Ich dachte:

»Ich habe alles verloren, mein Heim und die Hoffnung, jemalen ein neues zu bauen; mein Erspartes, so ich Tag für Tag, Sou für Sou zusammengetragen habe mit jener langsamen Mühsal, so die beste Freud ist, dazu die Erinnerungen meines Lebens, die in den Mauern eingegraben sind, die Schatten der Vergangenheit, die gleich Fackeln leuchten. Und noch weit mehr habe ich verloren; ich verlor meine Freiheit. Was soll jetzo aus mir werden? Ich werde bei einem meiner Kinder hausen müssen. Und doch hatte ich mir geschworen, was auch immer komme, diesen unglücklichen Stand zu meiden. Ich liebe sie, bei Gott; sie lieben mich, ja gewiß; aber ich bin nicht also dumm, nicht zu wissen, daß jeder Vogel in seinem Nest bleiben soll und daß die Alten die Jungen stören und Selbsten gestört werden. Jedweder denkt an seine Eier, an die, so er ausgebrütet hat, und kümmert sich nimmer um die, von denen er stammt. Der Alte, der sich an sein Leben klammert, wird zum Eindringling, wann er sich vermißt, unter die junge Brut sich zu mischen; mag er sich auch nicht vordrängen: man schuldet ihm Respekt. Zum Teufel mit dem Respekt! Er ist die Ursach allen Übels. Man ist nimmer ihresgleichen. Ich habe all mein Möglichstes getan, damit meine fünf Kinder nicht durch ihren Respekt vor mir gedrücket wurden; es ist mir ziemlich gelungen; aber was man auch anstelle und ohngeachtet sie einen lieben, sie betrachten einen doch allzeit ein weniges als Fremden: man kommt aus Gegenden, darin sind sie nicht geboren, und man wird die Gegenden, dahin sie wandern, nimmer kennenlernen; wie sollte man sich da vollkömmlich verstehen? Einer hindert den andern, und das bringt sie gegeneinand auf. Und dann soll der Mensch obzwar das ist schrecklich auszusprechen – und mag er auch am zärtlichsten geliebet sein – die Liebe der Seinen so wenig wie möglich auf die Probe stellen: das heißt Gott versuchen. Man darf nicht allzuviel von uns Menschen verlangen. Gute Kinder sind gut; ich habe mitnichten Grund, mich zu beklagen. Sie sind noch besser, wann man nicht Not hat, ihrer Hülfe zu bedürfen. Darüber könnte ich viel sagen, so ich wollte ... Und am End, ich hab meinen Stolz. Ich mag den Kuchen, so ich Selbsten ihnen gegeben, nicht wieder fortnehmen. Das wäre, als wollt ich sagen: Bezahlt! Die Bissen, so ich nicht selbst verdiene, bleiben mir im Halse stecken; da wär's mir, als zählte man jedes Stück, das ich in den Mund steckte, mit den Augen. Ich will niemand nichts schulden als nur meiner eigenen Mühsal. Ich muß frei sein, Herr in meinem Hause, kommen und gehen können, wie es mir behagt. Wann ich mich gedemütigt fühle, tauge ich zu nichts. Ach, welch Elend, alt zu sein, abhängig zu werden – weit schlimmer noch als von seinen Mitbürgern, von der Großmut der Seinen: denn diese sind dazu gezwungen; und man weiß niemalen, ob sie es mit ganzem Herzen tun; und man würde wohl lieber verrecken, als ihnen im Wege stehen.

Solcherart jammerte ich und litt in meinem Stolze, in meiner Liebe, in meiner Unabhängigkeit, in allem, was mir teuer gewesen, den Erinnerungen der Vergangenheit, die in Rauch aufgegangen waren, an allem, was ich Schönstes und Schwerstes erlebt hatte. Und ich wußte, daß, was immer ich begönne und wie überaus ich mich dagegen aufbäumte, mir nur dieser alleinige Weg zu gehen übrigblieb. Ich gestehe, daß ich keinerlei weise Gelassenheit dazu mitbrachte. Ich fühlte mich elend, gleichwie ein Baum, den man an der Wurzel abgesägt und gefällt hat.

Wie ich so auf meinem ärmlichen Sitz Umschau halte, ob ich nicht irgend etwas sähe, daran ich mich klammern könne, da erblicke ich nicht weit von mir, vom Laubgeflecht einer Allee verschleiert, die Zinnen des Schloßturmes von Cuncy, und ich denke plötzlich all der schönen Werke, die ich seit fünfundzwanzig Jahren dahin geliefert habe. Der Möbel, der Holzverkleidungen, der geschnitzten Treppen, kurz, alles dessen, was mein braver Herr Philibert mir bestellen tät ... der treffliche Kauz! Er hat mich etliche Male verteufelt in Wut gebracht. Ist ihm nicht eines schönen Tages beigefallen, sich seine Geliebte in Evas Gewand schnitzen zu lassen und sich selbsten im Adamskleid als frisch-fröhlichen, galanten Adam nach dem Sündenfall?! Und hat er nicht die Grille gehabt, daß im Waffensaal die auf dem samtbezogenen Paneel geschnitzten Hirschköpfe die Gesichter der braven gehörnten Ehemänner der Umgegend zeigen sollten?! Wie herzhaft haben wir derhalben gelacht! ... Aber der Teufelskerl war nicht leichtlich zufriedenzustellen. Kaum war man fertig, da mußte man wieder anfangen. Und was sein Geld betrifft, so bekam man's nicht oft zu sehen ... Aber was tut's! Er hatte die Gabe, ein schön Ding zu lieben – sei es aus Holz oder aus Fleisch und Blut. Und er tat's schier auf die gleiche Art und Weis (es ist die rechte, denn man soll ein Kunstwerk wie seine Geliebte lieben; voll Wollust und mit Geist und Seel und Leib und Gliedern). Und hat er mich nicht bezahlt, der Knauser, so rette er mich jetzt! Denn hier kann ich wieder auftauchen, obzwar ich da unten untergegangen bin. Der Baum meiner Vergangenheit ist zerstört, aber seine Früchte blieben mir; sie sind vor Frost und Feuer geschützt. Und ich verspürte Lust, sie wiederzusehen und des Augenblicks hineinzubeißen, auf daß ich wieder Geschmack am Leben fände.

Ich ging ins Schloß hinein. Man kannte mich dort wohl. Der Herr war nicht zugegen; aber unter dem falschen Vorwand, Ausbesserungen und Maße für neue Arbeit vornehmen zu müssen, ging ich dorten hin, allwo ich meine Kinder finden mußte. Etliche Jahre waren vergangen, seit ich sie nimmer gesehen. Alsolang ein Künstler die Kraft seiner Lenden spürt, zeugt er und gedenkt nicht dessen, das er gezeugt hat. Überdies hatte mich das letztemal, da ich hinein wollte, Herr von Cuncy mit einem sonderlichen Lachen davon zurückgehalten. Ich hatte mir gedacht, daß er zweifelsohn irgendein Weibsbild, irgendeine verheiratete Frau verberge; und dieweil ich sicher war, daß es nicht die meine sei, scherte ich mich nicht darumb. Und überdies, die Gelüste solcher großen Herren soll man nicht erörtern. Das ist klüglicher. In Cuncy versucht niemand, den Herrn zu begreifen; er ist ein weniges übergeschnappt.

Ich stieg also frischen Mutes die Haupttreppe empor. Indes, noch hatte ich nicht zehn Schritte getan, da blieb ich gleich dem Weibe Lots, wie zur Salzsäure erstarrt, stehen. Die Weintrauben, die Pfirsichzweige und die Blumengewinde, so sich um die geschnitzte Rampe wanden, waren mit tiefen Messerhieben zerstückelt. Ich traute meinen Augen nicht, ich umfaßte die armen Verstümmelten mit meinen beiden Händen; ich fühlte, wie sich ihre Wunden unter meinen Fingern vertieften. Mit einem Stöhnen, mit versagendem Atem sprang ich in großen Sätzen die Stufen hinauf: ich ahnte nunmehr, was ich finden sollte! ... Indes, was ich vorfand, das überstieg jedwede Vorstellung. Im Speisesaal, im Waffensaal, im Schlafgemach war den Figürchen der Möbel und der Täfelungen insgesamt irgendein Ding abgeschnitten: dem die Nase, jenem der Arm, diesem das Bein, dem andern das Feigenblatt. Auf den Wölbungen der Truhen, zu seiten der Kamine, auf den schlanken Schenkeln der geschnitzten Säulen machten sich in tiefen Messerschrammen Inschriften breit: der Name des Besitzers, etwelcher dämische Gedanke oder wohl auch Tag und Stunde dieser Herkulesarbeit. Am End der langen Halle hatte meine liebliche nackte Yonnenymphe, die da auf dem Hals einer zottigen Löwin kniet, als Zielscheibe gedient; ihr Leib war von Büchsenschüssen durchlöchert, und allerorts, aufs Geratewohl, Stiche und Schnitte, abgehobelte Späne, Tinten- oder Weinflecke, angemalte Schnurrbärte oder schmutzige Späße. Kurzum, da war alles, was nur die Einsamkeit und die plumpe Laune eines reichen Tropfes ersinnen kann, der, in seinem Schloß vergraben, nimmer weiß, was er soll anfangen, und der, dieweil er zu nichts Besserem taugt, nur noch aufs Zerstören verfällt ... – Wär er zur Stell gewesen, ich glaube, ich hätte ihn getötet. Ich wimmerte, ich keuchte aus der Tiefe meines Schlundes. Geraume Zeit vermochte ich nicht ein Wort herfürzubringen. Mein Hals war krebsrot, und die Stirnadern traten hervor; die Augen schwollen mir aus dem Kopfe gleichwie bei einem Krebs. Am End brachte ich etliche Flüche heraus. Es war höchste Zeit! Weniges fehlte, und ich wäre erstickt ... Aber nunmehr, da der Zapfen einmal gezogen war, potz Wetter! Jetzo ging's los. Zehn Minuten allweil so fort, und ohn Atem zu schöpfen, habe ich alle Götter verflucht und meinen Haß von der Leber gespült:

»O du Hund«, schrie ich, »mußte ich wohl meine schönen Kinder just in deine Mistbude führen, auf daß du sie martern, verstümmeln, vergewaltigen, beschmutzen und besudeln könntest! Ach Gott! Ach weh! Ihr, meine süßen Kleinen, ihr, die ihr in Freude gezeugt wart, ihr, auf die ich als meine Erben zählte, ihr, die ich gesund, kraftvoll und rund geschaffen hatte, mit festen Gliedern, an denen nichts fehlte; die ihr aus Holz, so tausend Jahre überdauern kann, gefertigt waret, in welchem Stand finde ich euch wieder: lahm, verstümmelt, oben, unten und in der Mitten, von hinten, von vorne, an der Spitze, am Bug, vom Keller bis zum Boden, mehr mit Schrammen bedeckt denn eine Bande alter Raubgesellen, so aus dem Kriege heimkehren! Soll ich der Vater dieses Spitals sein! ... Großer Gott, erhöre mich, laß mir die Gnade zuteil werden (mag sein, mein Gebet scheint Dir überflüssig), mich nach meinem Tode mitnichten in Dein Paradies eingehen zu lassen, sondern in die Hölle; tue mich neben den Bratspieß, an dem Luzifer die Seelen der Verdammten röstet, auf daß ich mit eigener Hand den Henker meiner Kinder, der da auf seinen Arsch gespießt ist, um und um drehen darf!«

Alsoweit war ich gerad, als der alte Andoche, ein Lakai, den ich wohl kannte, mich bat, meinem Gejammer ein End zu setzen. Indes er mich zur Tür drängte, suchte der wackere Mann mich zu trösten:

»Ist es denn möglich«, meinte er, »um etlicher Holzstücke willen sich in solch einen Zustand zu bringen! Was wolltest du sagen, so du gleich uns mit diesem Narren zusammenleben müßtest? Ist es nicht besser, daß er sich (solches ist sein Recht) mit den Brettern ergötze, die er dir bezahlt hat, als auf Kosten guter Christen gleich mir und dir?«

»Ei, daß er dich doch verprügele!« erwiderte ich; »vermeinest du, ich wollte mich nicht gern um eines einzigen dieser Holzstücke willen, die meine Finger zum Leben erweckt haben, verwamsen lassen? Der Mensch ist nichts; nur das Werk ist heilig. Ein dreifacher Mörder, der da den Geist tötet!« ...

Ich hätte noch weit andere Dinge und mit der gleichen Beredsamkeit gesagt; aber ich sah, daß meine Zuhörerschaft nichts nicht davon begriff und daß ich für Andoche schier ebenso närrisch war als der andere. Und da ich mich im selbigen Augenblick noch einmalen umwandte, auf daß ich von der Schwelle der Tür ein letztliches Mal den Anblick dieses Schlachtfeldes umfange, da durchschoß plötzlich das Komische der Dinge, das Komische meiner armen nasenlosen Götter und ihres Attila, des Andoche mit den sanftmütigen Augen, die mich bemitleideten, und meiner selbst, des dicken Dummkopfes, der seine Kraft mit Jammern vertat und vor Planken Selbstgespräche hielt, gleich einer Rakete durch meinen Kopf; so überwältigend, daß ich jählings meinen Zorn und mein Leid vergaß, dem verdutzten Andoche ins Gesicht lachte und davonging.

 

Nun war ich wieder auf der Straße. Ich sagte: »Diesmalen haben sie mir alles genommen. Ich bin reif, eingescharrt zu werden. Nichts nicht bleibt mir als meine Haut« ... Wohl, aber mir bleibt auch, potz blitzblau, was darinnen steckt. Gleich jenem andern Belagerten, der dem, so ihm drohte, seine Kinder zu töten, dieweil er sich nicht ergeben wollte, erwiderte: »Wie dir's beliebt! Aber ich habe das Werkzeug, um neue zu machen, bei mir.« – So habe auch ich, potz Kuckuck, das meine; das haben sie mir nicht genommen und können es mir nicht nehmen.

Die Welt ist eine öde Wüste, darin hie und da Kornfelder wachsen, die wir Künstler gesäet haben. Die Tiere der Erde und des Himmels kommen, sie zu berauben, sie abzuweiden und niederzustampfen. Ohnmächtig, zu schaffen, können sie nur zugrunde richten. Nagt und zerstört nur, ihr Viecher, tretet mein Getreide mit Füßen, ich lasse neues emporwachsen. Ob die Ähre reift oder abstirbt, was kümmert mich die Ernte? Im Schoß der Erde keimt neue Saat. Ich bin, was sein wird, und nicht, was gewesen ist. – Und wenn der Tag kommt, da meine Kraft erlischt, da ich meine Augen nicht mehr werde haben, noch meine fleischigen Nüstern, noch die Gurgel darunter, durch die man den Wein hinabgießt und in der meine tüchtige bewegliche Zunge hängt, wann ich nimmer meine Augen haben werde, noch die Geschicklichkeit meiner Hände, noch meine frische Kraft, wann ich überaus alt sein werde, blutlos und gedankenlos – – den Tag, mein Breugnon, wirst du nicht mehr erleben. Geh, sorge dich nicht! Könnt ihr euch einen Breugnon vorstellen, der nimmer fühlt, einen Breugnon, der nimmer schafft, einen Breugnon, der nimmer lacht und der nimmer vier Eisen zugleich im Feuer hat? Mitnichten! Das kann nur geschehen, dieweil er aus seiner Haut geschlüpft ist. Die mögt ihr verbrennen. Ich überlasse euch den Fetzen ...

Damit setzte ich meinen Weg gen Clamecy fort. Und wann ich an der höchsten Steigung angekommen war, den Haudegen spielte und, wie es meine Gewohnheit ist, mit dem Stock wirbelte (wahrhaftig, ich fühlte mich schon wieder getröstet), da sahe ich in schnellem Laufe ein blondes weinendes Kerlchen auf mich zukommen. Das war Robinet, oder Binet genannt, mein kleiner Lehrbub. Ein Schlingel von dreizehn Jahren, der bei der Arbeit aufmerksamer den schwirrenden Fliegen folgte denn dem Unterricht. Der öfter draußen als drinnen war, allwo er Steine übers Wasser tanzen ließ oder die Waden der vorbeiziehenden Jungfern in Augenschein nahm. Ich ohrfeigte ihn wohl zwanzigmal des Tags. Aber er war behende gleich einem Äfflein, verschmitzt und listig; seine Finger waren geschickt gleich ihm selbsten und gute Arbeiter; und ich hatte ihn trotz allem gern, liebte seinen allzeit offenen Schnabel, seine kleinen Nagezähne, seine mageren Beine, seine pfiffigen Augen und seine aufgestülpte Nase. Er wußte es wohl, der Racker! Ich hatte gut, die Faust heben und ihn andonnern: er entdeckte das Lachen um Jupiters Mundwinkel. Also schüttelte er sich auch seelenruhig gleichwie ein Esel, wann ich ihn geohrfeigt hatt, und begann in Bälde darnach von neuem. Er war ein vollkömmlicher Tunichtgut.

Ich war derhalben nicht wenig erstaunt, ihn jetzt, akkurat wie den Triton eines Brunnens, dem große, lange Tränen aus Auge und Nase tropfen, zu erblicken. Und da wirft er sich auch noch auf mich, umfängt meinen Leib und überschwemmt ihn, laut heulend, mit seinen Tränen. Ich verstund nicht, was das bedeuten sollte. Ich sagte:

»Nu! Was denn! Wer hat dir was getan? Willst du mich wohl loslassen! Man wischt sich die Nase, zum Donnerwetter! ... bevor man jemands umarmt!«

Aber statt aufzuhören, hält er mich weiter gleich einem Baumstamm umschlungen, läßt sich dabei zu meinen Füßen auf die Erde gleiten und weint noch heftiger. Ich fange an mich zu sorgen:

»Aber, aber, Bürschlein! Steh auf! Was hast du denn?«

Ich nehme ihn in die Arme, hebe ihn gleich einer Feder empor (seine Knochen wogen nicht schwer), und da sehe ich, daß er eine Hand umwickelt hat, die hindurch die Lumpen blutet, daß sein Gewand in Fetzen hängt und seine Augenbrauen verbrannt sind. Ich sage (meine Angelegenheit hatte ich schon vergessen):

»Schlingel, hast du wiederum eine Torheit angestellt?«

Er stöhnt: »Ach, Meister! Ich bin so traurig!«

Ich setze ihn neben mich auf die Böschung. Ich sage: »Wirst du nun endlich reden!«

Er schreit:

»Alles ist verbrannt!« Und von neuem fangen die großen Wasser zu springen an. Da begriff ich mit eins, daß dieser ganze große Jammer mir galt, daß der Brand ihn verschuldet hatte; und ich vermag wahrlich nicht zu sagen, wie so wohl mir das tat.

»Mein armer Junge«, erwiderte ich, »weinst du derhalben?«

Er wiederholte (er glaubte, ich hätte nicht begriffen):

»Die Werkstatt ist verbrannt.«

»Wohl, wohl. Das ist eine alte Geschichte; ich kenne sie schon, deine Neuigkeit! Wohl zehnmal in dieser Stunde hat man sie mir in die Ohren geschrien. Was ist da zu tun? Es ist halt ein Unglück!«

Er schaut mich erleichtert an. Indes, das Herz war ihm doch schwer.

»Du hingst also an deinem Käfig, du lockerer Zeisig, und hast doch nur allweil gedacht, wie du daraus könntest entwischen? Gesteh's nur, ich habe dich im Verdacht, daß du Gauner gleich den andern um den Scheiterhaufen getanzt hast.« (Ich dachte freilich nichts dergleichen.)

Er macht ein empörtes Gesicht. »Das ist nicht wahr«, schreit er, »nicht wahr! Ich habe mich geschlagen. Alles, was wir vermochten, um das Feuer aufzuhalten, alles, Meister, haben wir getan; aber wir waren unser nur zween, und Cagnat (das ist mein anderer Lehrbub), obzwar überaus krank und vom Fieber geschüttelt, war aus dem Bette gesprungen und hatte sich vor die Haustür gestellt. Aber haltet einmal eine Horde Gorillas auf! Wir wurden beiseitegeschoben, zu Boden geworfen, fortgestoßen, niedergetrampelt. Wir konnten noch so sehr wie die Besessenen um uns schlagen und stoßen: sie drangen über uns fort wie der Fluß, wann die Pforten der Schleuse offen sind. Cagnat raffte sich auf und lief ihnen nach. Sie haben ihn schier umgebracht. Ich hatte mich, indes sie kämpften, in die brennende Werkstatt geschlichen ... Guter Gott, welch ein Flammenmeer! Alles hatte auf einmal Feuer gefangen. Es sah aus wie eine Fackel, die ihre weiße, rote und zischende Zunge herausrecket und einem Flammen und Rauch ins Gesicht speit. Ich weinte, ich hustete, ich fing an zu braten. Ich sagte mir: ›Robin, du wirst gewißlich noch zur Blutwurst werden!‹ ... Na, dann um so schlimmer! Warten wir's ab! Hoppla, ich nehme einen Anlauf gleichwie beim Johannisfest; ich springe, meine Hose brennt, und mein Haar ist versengt. Ich falle in einen Haufen Hobelspäne, die furzend in die Luft fliegen. Ich tue ein gleiches, springe auf, versuche es noch einmalen und fliege der Länge nach mit dem Kopfe gegen den Werktisch. Dort bleibe ich schier betäubt liegen. Nicht lange Zeit. Rings um mich hör ich das knisternde Feuer und draußen die Teufel, die da tanzten und tanzten. Ich versuche mich zu erheben und falle wieder zurück, denn ich war gleichsam wie zerschlagen; ich stütze mich mit dem Arm auf die Späne, und da seh ich zehn Schritt vor mir Eure kleine heilige Magdalena; da steht sie mit ihrem zarten, nackten Körper, nur von ihren Haaren bekleidet, rundlich und lieblich und wird schon von dem Feuer beleckt.

›Halt!‹ schreie ich, laufe hinzu, ergreife sie, ersticke mit meinen Händen den Brand ihrer schönen lodernden Füße und presse sie in meine Arme; meiner Treu, ich weiß nimmer, ich weiß nimmer, was ich tue; ich küsse sie, ich weine, ich sage: ›Mein Schätzlein, du bist bei mir, hab keine Furcht. Ich halte dich fest, du sollst nicht verbrennen. Ich gebe dir mein Wort darauf! Und du, hilf auch du mir! Magdalein! Wir werden uns schon retten!‹ ...

Da war keine Zeit mehr zu verlieren, schon stürzet die Decke ein! Unmöglich war es, dorten zurückzukehren, von wannen ich gekommen war. Wir stunden ganz nahe just neben der runden Luke, die zum Fluß hinausgeht; ich schlage mit der Faust das Glas ein; wir drängen uns durch gleichwie durch einen Ring: es war just Platz genug für unser beider Körper. Ich kugele hinunter und mache einen Kopfsprung bis auf den Grund des Beuvron. Glücklicherweis ist der Grund nicht weit von der Oberfläche; und dieweil er trefflich weich und mit Schlamm gepolstert ist, hat sich die Magdalena beim Fallen nicht einmal eine Beule geschlagen. Ich kam minder gut davon: ich ließ sie nicht los, ich steckte im Schlamm, verwickelte mich darein und hatte den Schnabel tief im Topf; ich trank und aß davon mehr, als mir lieb war. Am End aber bin ich dennoch herausgekommen; und was soll ich noch weiter erzählen, da sind wir alle beid! Verzeiht mir, Meister, daß ich's nicht besser machen konnte!«

Und nun wickelte er voller Ehrfurcht seinen Pack aus und zieht aus seiner zusammengerollten Jacke Magdalein heraus, die trotz ihrer verbrannten Beine mit ihren unschuldigen und verliebten Augen lächelt. Da war ich so bewegt, daß ich (was ich mitnichten beim Tod meiner Alten, bei der Krankheit meiner Glodie, beim Untergang, bei der Zertrümmerung meiner Werke getan hatte) – daß ich weinte. Und da ich Magdalena und Robinet umarmte, erinnerte ich mich auch des andern und fragte: »Und Cagnat?«

»Er ist vor Gram gestorben.«

Ich kniete auf dem Wege nieder, küßte die Erde und sagte: »Hab Dank, mein Junge!«

Und da ich den Knaben, der die Statue mit seinem verletzten Arm an sich preßte, anschaute, sprach ich, auf das Kind deutend, zum Himmel:

»Sieh hier mein schönstes Werk: die Seelen, so ich gemeißelt habe. Die werden sie mir nicht nehmen. Verbrennet das Holz! Die Seele bleibt mein!«


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