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VI
Die Zugvögel
oder
Die Serenade von Asnois

Ende Juni

Des gestrigen Morgens ward uns kund, es kämen zwei fürnehme Gäste auf der Reise durch Clamecy, Fräulein von Termes und der Graf von Maillebois. Sie machten keinerlei Aufhalten und verfolgten ihres Weges bis zum Schlosse von Asnois, allwo sie drei oder vier Wochen verweilen sollen. Der Rat der Stadtväter ward willens, der Sitte gemäß, des anderen Morgens eine Abgesandtschaft zu den beiden edlen Vögeln zu senden, auf daß man ihnen im Namen der Stadt unsere Glückwünsche zu der glücklich vollbrachten Reise abstatte. (Man tut wahrlich, als wär's ein Wunder, so eins von diesen großen Tieren in ihren gepolsterten, gut durchwärmten Wagen von Paris nach Nevers gelangt, ohn sich des Wegs zu irren oder die Knochen zu brechen.) Da es gleichweis der Brauch will, setzte sich der Rat vor, einige leckere Kuchen für ihren Schnabel beizufügen, und zwar den Stolz unserer Stadt, die großen überzuckerten Biskuits, unsere besondere Kunst. (Mein Eidam, der Zuckerbäcker Florimond Ravisé, ließ drei Dutzend davon zurichten. Den Ratsherren war es an zween genug; indes, unser Florimond, der gleicherweis zu den Stadtvätern gehört, ist allweil großzügig: – das Stück ließ er sechzehn Sous kosten: sintemalen die Stadt zahlte.) Überdies, um ihre Sinne insgesamt gleichzeitig zu verzücken und dieweil es, wie's scheint, bei Musik besser schmeckt (mir liegt nicht an dem, dafern ich esse und trinke), bestellte man vier fürtreffliche Meister der Notenquetscherei, zwei Violinen, zwei Hoboen und überdies einen Tambourschläger, sich zu den Schloßgästen zu begeben und mit ihrem Klingklang ihnen eine Serenata zu verabfolgen, dieweil sich die ihre Kuchen zu Gemüte führten.

Ohngeachtet man mich nicht hatt gebeten, so schloß ich mich mit meinem Flageolett der Bande an. Eine solche Gelegenheit, neue Gesichter zu sehen, vermocht ich nicht zu versäumen, insonderheit, so es sich um so edles Federvieh vom Hofe handelt (mitnichten etwan vom Hühnerhofe: ich rufe euch zu Zeugen, dergleichen tat ich kein Sterbenswörtlein sagen). Ich freue mich ihres feinen Gefieders, ihres Gegackers und Getues, wann sie ihre Federn glätten oder sich spreizend umherstolzieren, mit dem Hintern schwänzeln, die Nase in die Luft recken, mit Flügeln und Patschen radschlagen und ihre Gulden im Kreise umherstreuen. Übrigens, ob vom Hofe oder von sonst irgendwo, mag es kommen, woher es will, dafern es nur etwas Neues bringt, da ist es mir recht. Ich bin ein Sohn der Pandora. Mich lüstet's, den Deckel von allen Büchsen zu lüpfen, von allen Seelen, ob weiß, ob schmutzig, ob fett oder mager, fürnehm oder gering. Mich erfreut's, in Herzen zu stöbern, mag gern erfahren, was in ihnen vorgeht, mache mich über Dinge, so mich nichts angehen, stecke allerwärts meine Nase hinein, schnüffele, schlürfe, koste. Aus Neubegier, da wollt ich mich mit Ruten streichen lassen. Aber ich vergesse derhalben mitnichten (seid des unbesorgt!), das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden; und als ich just in meiner Werkstatt zwo geschnitzte Wandfüllungen hatte, so für den Herrn von Asnois bestimmt waren, da schien es mir gar bequemlich, sie (ohn meine Geldkatz abzuschnallen) samt der Gesandtschaft, den Geigen, Hoboen und gezuckerten Biskuits zu befördern – wir hatten auch meine Glodie, Florimonds Tochter, mit uns genommen, um der Gelegenheit des Wagens, ohn daß es was koste, zu nutzen. Und ein anderer Stadtvater führte seinen Buben mit sich. Letztlich belud der Apotheker noch den Wagen mit Fruchtsäften, Gesundheitsweinen, Honigwasser, Marmelade, die er als seine Erzeugnisse (auf Kosten von Clamecy) darzubieten sich vermaß. Ich bemerke, mein Eidam nahm solches gar übel auf, er meinete, derlei sei nicht der Brauch, und dafern jedweder Meister, Schlächter, Schneider, Bäcker, Schuster, Bartscherer usw. so tun wollte, da würde man die Stadt samt den Bürgern zugrunde richten. Er hatte so unrecht nicht, aber der andere war Stadtvater gleichwie Florimond selbsten: da konnte man nichts dawider tun. Die Großen machen die Gesetze, und die Kleinen müssen sie befolgen. Man machte sich also des Wegs. Auf zwei Wagen: der Bürgermeister, meine Schnitzereien, die Angebinde, die Kinder, die vier Musikanten und die vier Abgesandten. Ich aber ging zu Fuß. Gut für Schlappschwänz, sich karren zu lassen, gleichwie die Kälber zur Schlachtbank oder alte Weiber zum Markt. Um die Wahrheit zu sagen, das Wetter war nicht überaus schön. Der Himmel hing schwer, gewitterig und weißgrau. Phöbus schoß aus seinem runden Auge glühende Blicke auf unsern Nacken. Staub wirbelte längs des Weges auf, und es wimmelte von Fliegen. Aber ausgenommen Florimond, der mehr denn eine Jungfer um seinen Teint besorgt ist, ließen wir es uns allesamt genügen. Geteiltes Leid ist schier ein Vergnügen. Alsolang der Turm von Sankt Martin noch sichtbarlich war, bewahrten die feinen Herren männiglich ihre gesetzten Mienen. Aber alsogleich man außer Sehweite der Stadt war, da hellten die Mienen sich auf, und es beliebte unserm Sinn, wie ich selbsten, sich in Hemdsärmeln zu zeigen. Zuerst tauschten wir etliche gepfefferte Zoten (das ist die Weis bei uns, sich gute Eßlust zu machen). Alsdann sang einer, sodann ein anderer, und mich bedünkt, verzeih mir Gott, es war der Bürgermeister in persona, so das Lied anstimmte. Ich spielte auf meinem Flötelein. Die andern ließen sich's dabei wohl sein. Und durch das Konzert der Stimmen und Hoboen schwebete das helle, zart Stimmlein meiner kleinen Glodie empor, flatterte auf, piepste, piepste laut gleichwie ein Sperling.

Man kam nicht überaus schnell vorwärts. Unsere Klepperlein blieben bei jeder Steigung stehen, schnauften und gaben ihre Salven ab. Man harrete, bis sie ihrer Musik ledig waren. Wann wir nach Boychault hinunterkamen, brachte unser Gerichtsschreiber Pierre Delavent uns zu einer Aufhaltung, um unterwegens zu einem Klienten heranzugehen und ein Testament aufzusetzen. (Man konnte ihm solches nicht abschlagen; er war der einzige Schöffe, so bislang nichts verlangt hätt. Derhalben waren wir allesamt damit einverstanden, aber es dauerte ein weniges lange, und unser Florimond – in diesem Punkt war er mit dem Apotheker eines Sinns – fand hierinnen nochmalen Grund zum Widerspruch: »Eine saure Traube für mich ist mir lieber als zwei Feigen für dich.« Meister Pierre Delavent erledigte desohngeachtet sonder Hast seine Geschäfte; und dem Herrn Apotheker blieb, ob er wollte oder nicht, anderes nicht übrig, als sich mit dem süßsauren Handel abzufinden.

Am End langten wir an (letztlich kommt allemal das Ende), gleichwie der Senf nach Tisch. Unsere Käuze hatten just ihre Atzung beendet, wann wir mit unserm Nachtisch, daherkamen, und so blieb ihnen nichts übrig, denn nochmalen anzufangen: Käuze vermögen alleweil zu fressen. Unsere Ratsherren hatten, da wir dem Schloß naheten, Sorge getragen, eine vorletztliche Rast zu nehmen, um ihre Staatsroben anzuziehen, die, fürsorglich zusammengefaltet, vor der Sonne geschützt gelegen hatten, gar schöne, leuchtende Gewände, deren Farben das Herz warm und die Augen fröhlich machen. Aus grüner Seide für den Bürgermeister und aus hellgelber Wolle für seine vier Begleiter; man hätt sie für eine Gurke mit vier Kürbissen nehmen können. Wir traten ein und ließen anbei unsere Instrumente ertönen. Diesem Lärm zufolge reckten etliche faulenzende Lakaien ihre Köpfe aus dem Fenster. Unsere vier in Wolle und der in Seide Gekleidete stiegen die Stufen der Freitreppe hinan, an dero Tür über zwei Halskrausen (am Gekraus erkennt man die Rasse) zwei gelockte, bebänderte, wie Hammel geschmückte Köpfe sich zu zeigen geruhten. Wir andern, arme Musikanten und armseliges Volk, blieben auf dem Hofe stehen. Derhalben vermochte ich der großen Entfernung willen nicht den schönen lateinischen Diskurs unseres Notars zu vernehmen. Aber ich tröstete mich: dieweil Meister Pierre selbsten wohl der einzige wird gewesen sein, so ihn anhörte. Indes zur Entschädigung ließ ich mir weislich des andern Schauspiels nichts entgehen, nämlich meine kleine Glodie, die mit winzigen Schrittlein, gleichwie Maria beim Tempelgang, die Stufen der Treppe emporstieg, zwischen ihren beiden Händlein, gegen ihren Schoß gepreßt, den Korb trug mit den übereinand getürmten Biskuits, die hoch und höher rageten, so hoch bis an ihr Kinn. Sie verlor deren nicht ein einziges. Sie hütete sie mit Augen und Armen, das Leckermäulchen, die Schelmin, das herzig kleine Ding. Bei Gott! Sie war zum Anbeißen ...

Der Liebreiz des kindlichen Wesens wirkt gleichwie Musik. Er dringt sicherer ins Herz als die, so wir zustande bringen. Die Hochmütigsten fühlen ein menschlich Rühren. Man wird wiederumb zum Kind, man vergißt einen Augenblick lang allen Stolz und allen Rang. Fräulein von Termes lächelte meiner kleinen Glodie artig zu, küßte sie, setzte sie auf ihr Knie, faßte sie beim Kinn, und einen Biskuit halb durchbrechend, sagte sie:

»Schnäbelein auf! Wir wollen teilen ...«

Dabei schob sie das größeste Stück in das kleine runde Ofenloch. Darauf ich, in heller Freude, rief aus vollem Halse:

»Es lebe die Gute, die Schöne, die Blume der Niverna!« und ließ auf meinem Flötlein einen freudigen Ruf ertönen, der gleichwie ein scharfer Schwalbenschrei die Luft durchpfiff.

Alsogleich dreht sich alles lachend nach mir um; und Glodie klatscht in die Hände und ruft:

»Großvater!«

Herr von Asnois winkt mich heran:

»Das ist wohl der tolle Breugnon?«

(Er weiß Bescheid damit, meiner Treu! Er ist es nämlich nicht minder denn ich.)

Er macht mir ein Zeichen. Ich nehme mein Flageolett, eile in munterem Narrenschritt die Treppe hinan und grüße:

»Mit höflichem Wort, den Hut in der Hand,
da kommt man billig durch alle Land'.«

Ich grüße nach allen Seiten, nach rechts, nach links, nach hinten und nach vorn, jeden und jede. Desohngeachtet beobachtete ich verstohlenen Blickes und suche rund um das Fräulein herumzukommen, die in ihrem weiten Hüftenwulst gleichwie ein Schwengel in der Glocke zu hängen scheint; und indes ich sie entkleide (in Gedanken nur, das versteht sich), muß ich lachen, da ich sie gar so nackt, dünn und verloren unter all ihrem Plunder erschaue. Sie war lang und mager, ein wenig schwärzlich von Hautfarbe, aber trefflich weiß von Puder, mit schönen, braunen Augen, die glänzeten gleichwie Karfunkelsteine, mit einem schnuppernden, gierigen Spanferkelnäslein, einem vollen roten Kußmund und mit gebrannten Löckchen über den Wangen. Da sie meiner ansichtig ward, sagte sie mit herablassender Miene:

»Ist das schöne Kind Euer?«

Ich gab eine feine Antwort.

»Was kann man wissen, gnädigstes Fräulein? Da steht mein Eidam, der hat's zu verantworten. Ich stehe nicht für ihn ein. Aber jedenfalls ist sie unser eigen. Niemands macht sie uns streitig. Damit geht's einem nicht als wie mit dem Geld. Kinder sind der Reichtum der Armen.«

Sie geruhte zu lächeln, und der Graf von Asnois lachte laut und lärmend. Florimond lachte gleichfalls, aber es klang erzwungen. Ich selbsten blieb ernst und tat ganz unschuldig. Alsdann ließen der Halskrausenherr und die Glockendame sich herab, mich des genaueren auszufragen (sie hielten mich nämlich für einen Musikanten), was mein Handwerk mir wohl einbringen könne. Ich erwiderte der Wahrheit gemäß: »Soviel als nichts ...«, ohn weiteres Wort meines sonstigen Berufs verlauten zu lassen. Warum hätte ich davon reden sollen? Sie fragte nicht darnach. Ich wartete ab. Ich wollte es an mich herankommen lassen. Das machte mir einen Spaß. Mich bedünket diese vertrauliche und gemessene Herablassung höchst spaßhaft, damit diese großen Herren, diese Reichen, uns arme Schlucker und solche, die nichts nicht haben, zu behandeln für richtig finden. Sie macht allweil den Eindruck, als wollte sie eine Lektion erteilen. Ein Armer scheint ihnen gleichwie ein Kind, er hat noch keinen Verstand, und (das sagt man nicht, aber denkt es) überdies ist's seine Schuld. Gott hat ihn gestraft; so ist's recht. Der Name des Herrn sei gelobt.

Gleichsam als sei ich gar nicht anwesend, sagte der Maillebois ganz laut zu seiner Gefährtin:

»Da auch wir just nichts anderes zu tun haben, gnädiges Fräulein, sollten wir uns die Gegenwärtigkeit dieses armen Teufels zunutze machen. Er sieht ein weniges einfältig aus. Er geht mit seinem Flageolett allerorts umher. Er muß die Leute in den Wirtshäusern gut kennen. Fragen wir ihn, wie man in der Provinz denkt, sofern als ...« – »Pst!« ... –

»... sofern als man dorten überhaupt denkt.«

Man fragte mich also:

»Sage mal, mein Lieber, was für ein Geist regiert denn eigentlich im Lande?«

Ich wiederhole mit der Miene eines damischen Stumpfbocks:

»Geist?«

Mit den Augen aber zwinkerte ich meinem dicken Junker von Asnois zu, so sich den Bart zupfte, mich meine Sach führen ließ und sein Lachen unter seiner großen Tatze verbarg.

»Nun, der Geist scheint die Provinz eben nicht mit seiner Gegenwart zu behelligen«, meinte der andere mit anzüglichem Spott. »Ich frage dich, mein Guter, was man denkt, was man glaubt. Ist man gut katholisch? Ist man dem König treu ergeben?«

Ich antworte:

»Gott ist groß, und unser erhabener König ist sehr groß. Man liebt sie alle beide treulich.«

»Und wie denkt man über die Fürsten?«

»Das sind gar große Herren.«

»Man hält also zu ihnen?«

»Aber ja, Euer Herrlichkeit, gewiß.«

»Und ist gegen Concini?«

»Für ihn ist man gleicherweis.«

»Wie, zum Teufel? Was sagst du? Aber er gehört doch zu den Feinden!«

»Ich sage ja nichts ... Das könnte wohl möglich sein ... Man ist halt für alle beide.«

»Man muß sich doch entscheiden, zum Teufel.«

»Muß man dieses, Herr? Kann man nicht ohn das auskommen? So es sich machen ließe, so möchte ich's jedenfalls tun. – Für wen ich bin? Ich werd's Euch nächstens sagen. Ich werd mir's noch überlegen, aber ich brauche Zeit dazu.«

»Ei, worauf wartest du denn?«

»Nun, Herr, wer der Stärkere sein wird.«

»Du Hundsfott, schämst du dich gar nicht, bist du denn nicht imstande, Unterschieds zu machen zwischen Tag und Nacht und zwischen dem König und seinen Feinden?«

»Meiner Treu, nein, Herr, Ihr verlangt wahrlich zuviel von mir. Ich merke wohl, wann's Tag ist, ich bin nicht blind. Aber so es mir ziemete, zwischen den Leuten des Königs und denen der Herren Fürsten zu unterscheiden, so wüßt ich wirklich nicht, welche von beiden das Saufen besser verstehen und welche den größten Schaden anrichten. Ich will ihnen gewißlich nichts Arges nachsagen. Sie haben gesunde Eßlust; so ist's, maßen sie sich wohl befinden. Auch Euch, Herr, wünsche ich eine gute Gesundheit. Die ordentlichen Esser gefallen mir. Ich würde es gern gleichweis machen. Aber ich will nicht verbergen: solche Freunde, so bei andern essen, gefallen mir noch besser.«

»Du Schelm, liebst du schier nichts?«

»Herr, ich liebe mein Hab und Gut.«

»Und willst es dem Könige, deinem Herrn, nicht opfern?«

»Ja, ich will wohl, Herr, so's eben nicht anders sein kann. Aber ich möchte wissen, was der König zu essen hätte, wenn da in Frankreich nicht ihrer etliche wären, so ihre Felder und ihre Weinberge liebten! Jeder bleibe bei seinem Handwerk. Die einen essen, die andern ... die andern werden gegessen. Politik heißt: die Kunst des Essens wohl verstehen. Wir armen Leute, was sollten wir damit anfangen? Für Euch die Politik, und für uns die Scholle. Eine Meinung haben, das ist unsere Sache nicht. Wir sind töricht und unwissend. Was vermöchten wir anderes denn gleichwie unser Stammvater Adam (man sagt, er sei auch der eure gewesen, aber was mich betrifft, so glaube ich mitnichten daran, vielleicht war's ein Vetter! halten zu Gnaden!), ja, was vermöchten wir, außer die Erde bestellen und sie fruchtbar machen, ihren Schoß durchfurchen und durchackern, säen, Hafer und Weizen wachsen lassen, den Wein beschneiden und pfropfen, das Gras mähen und einfahren, das Korn dreschen, die Trauben keltern, Wein und Brot bereiten, Holz spalten, Steine behauen, Tuch zerschneiden, Leder nähen, Eisen schmieden, meißeln, tischlern, Kanäle und Straßen bauen, Städte samt ihren Kathedralen errichten, um die Stirn der Erde die Zier der Gärten mit diesen unsern Händen winden. Auf Mauern und Holztafeln die Herrlichkeiten von Licht und Farbe aufblühen lassen, schöne, nackte weiße Körper aus der Steinhülle, so sie einengt, befreien, die Töne, so in der Luft schwingen, im Fluge erhaschen und sie in die goldbraunen Wände einer seufzenden Geige oder in meine gehöhlte Flöte einfangen, kurz, uns zu Herren der Erde Frankreichs, ihres Feuers, ihres Wassers, der Luft und der vier Elemente zu machen und sie insgesamt Eurem Vergnügen dienstbar zu machen ... Was verstehen wir ansonst? und wie sollen wir uns der Meinung vermessen, wir verstünden die Dinge der öffentlichen Gelegenheiten, etwan die Streite der Fürsten, die geheiligten Pläne des Königs, die Schachzüge der Politik und andere erhabene Dinge? Man muß nicht höher fürzen wollen, denn der Arsch ist, Herr. Wir sind Lasttiere und dazu geboren, geschlagen zu werden. Einverstanden! Aber von welcher Faust dies am annehmlichsten ist und welcher Knüttel unserm Rücken am weichsten dünkt ... eine schwierige Frage, Herr, für meinen armen Kopf zu hoch. Und in der Wahrheit, mir gilt es gleich, ob der, ob jener. Da müßte ich, um Euch Rede zu stehen, die Knüttel vorerst Selbsten halten, sie in der Hand wiegen und gut ausproben. Solches ist nicht angängig, als Geduld! Dulde, Amboß, dulde! Dulde, alsolang du Amboß bist. Schlage, wenn du Hammer wirst ...«

Mein Gegenüber betrachtete mich unschlüssig, zog die Nase kraus und wußte nicht recht, sollte er lachen oder sich ärgern. Da sagte ein Stallmeister aus dem Gefolge, so mich derzeit bei unserm guten Herrn von Nevers hochselig gesehen hatte: »Euer Herrlichkeit, ich kenne ihn, den absonderlichen Kauz. Ein guter Arbeiter, feiner Holzschnitzer und großer Redner. Seines Berufs ist er Bildhauer.«

Der edle Herr schien ohngeachtet dieser Mitteilung seine Meinung über Breugnon nicht ändern zu wollen. Erst als er durch den Stallmeister und seinen Wirt, meinen Herrn von Asnois, erfuhr, der und der Fürst mache gar viel von meinen Werken, bezeugte er einige Anteilnahme an meiner schmächtigen Person (schmächtig, Buben, sage ich nur vor Bescheidenheit, sintemalen ich schier also schwer bin als ein Faß). Nunmehr freilich war er nicht der letzte, so sich vor dem Brunnen verzückte, den ich geschaffen und den man ihm auf dem Hofe wies: ein Mägdelein mit aufgesteckten Röcken, das in ihrer Schürzen zwei miteinand kämpfende Enten trägt, so den Schnabel aufsperren und mit den Flügeln schlagen. Hernach sah er im Schlosse meine Möbel und Wandfüllungen. Herr von Asnois brüstete sich gleich einem Pfau damit. Diese reichen Schweine! man könnte schier meinen, die Werke, so sie mit ihrem Gelde bezahlt haben, wären von ihnen geschaffen worden! ... Den Maillebois dünkte es angemessen, um mir ein sonderliche Ehre zu erweisen, daß er sein Erstaunen kund tat, dieweil ich hier auf dem Lande verbliebe, allwo ich mich nicht entwickeln könne, so weit entfernt von den bedeutenden Geistern in Paris und an solcherlei kleinliche Arbeiten gefesselt, die wohl Geduld und Naturtreue, indes keinerlei Erfindung verlangten; Aufmerksamkeit, aber keine Phantasie, Beobachtungsgabe, aber keine Ideen, keine Symbole, Allegorien, Philosophie und Mythologie, kurz nichts von alledem, das dem Kenner erst beweiset, er habe die große Kunst vor sich (ein großer Herr bewundert nur das Große).

Ich erwiderte bescheiden (ich verhielt mich immer demütig und ein weniges einfältig), ich wäre mir meines geringen Wertes wohl bewußt; jedweder müsse halt in seinen Grenzen bleiben. Ein armer Kerl wie unsereiner hat nichts gesehen, nichts gehört, er kennt nichts nicht, und so tut er wohl daran, dafern er weise ist, an der bescheidenen Stelle des Parnaß zu bleiben, allwo man sich aller ausgebreiteten und erhabenen Pläne enthält; er wendet seine geblendeten Augen vom Gipfel, darüber sich die Flüge des heiligen Pferdes erheben, und gräbt drunten, am Fuße des Hügels, den Schacht, des Steine zum Bau des Hauses taugen mögen. Zufolge seiner Armut, beschränkten Geistes, schafft er nichts, erfindet nichts, als was dem täglichen Gebrauche dient. Brauchbare Kunst, das ist sein Los.

»Brauchbare Kunst, die beiden Worte stimmen mitnichten zueinand«, sagte mein Herr Schafskopf. »Nur das Überflüssige ist schön.«

»Ein großes Wort«, pflichtete ich bei. »Es saget die Wahrheit. Es gilt allerorts, im Leben wie in der Kunst. Nichts Schöneres als ein Diamant, ein Prinz, ein König, ein großer Herr oder eine Blume.«

Er entfernte sich überaus befriedigt. Herr von Asnois nahm mich beim Arm und flüsterte mir zu:

»Du verfluchter Schelm! Hast du nunmehr genugsam deinen Spott getrieben? Spiele nur den Dummen, das Bähschaf, ich weiß Bescheid. Widersprich nicht. Diesen schönen Halskrausenmann aus Paris, meinetwegen, den schenk ich dir. Aber dafern du es dir jemalen beifallen ließest, dich auch gleicherweis über mich herzumachen, wehe dir, Breugnon, mein Junge, dann kriegst du's mit mir zu tun, dann sollst du den Knüppel zu kosten bekommen.«

Ich verwahrte mich dagegen:

»Aber Euer Gnaden, wie sollte ich mich je an Eure Herrlichkeit heranwagen! Ihr, mein Wohltäter, mein Beschützer. Wie mögt Ihr Breugnon solcherlei Schändlichkeit zutrauen! Meinethalben haltet mich vor schändlich, aber, beim Himmel, nicht vor also dumm! Das überlasse ich andern, so's beliebt! Das ist unsere Sache nicht. Gott sei Dank, da ist mir meine Haut wahrlich zu lieb, als daß ich nicht den respektieren sollt, der sich Respekt zu verschaffen weiß. Da laß ich meine Finger davon, nein, nein, so dumm bin ich nicht. Denn Ihr seid nicht allein der Stärkere (das versteht sich von selbsten), sondern Ihr seid auch viel schlauer als ich. Ach Gott, ich bin nur ein ganz klein Füchslein neben dem großen Fuchs in seinem fürstlichen Bau. Wie viele tolle Streiche stecken nicht in Eurem Ranzen! Wer alles ist bei Euch nicht schon in die Falle gegangen: Junge und Alte, Tolle und Fürsichtige.«

Er erstrahlte vor Freuden. Nichts ist so annehmlich, als um eines Talentes wegen gelobt zu werden, das man am wenigsten besitzt.

»Schon gut, Meister Schwätzer«, sagte er. »Lassen wir meinen Ranzen, wir sollen besser zuschauen, was du in dem deinen hast. Denn ich vermute, wann du kommst, so tust du's nicht ohne Grund.«

»Seht da, seht, da habt Ihr auch dieses wahrlich erraten«, sagte ich. »Vor Euch ist man wie aus Glas. Ihr könnt in den Herzen lesen ganz wie unser Herrgott selbsten ...«

Ich packte meine beiden Wandfüllungen aus, und zwar ein italienisches Werk, eine Fortuna auf dem Rad, so ich derzeit in Mantua gekauft hätt und die ich alter Leichtfuß, warumb weiß ich nicht, für meine Arbeit ausgab. Sie trug nur mäßiges Lob ein. Alsdann zeigte ich ihnen eins meiner Werke, das Medaillon eines Jüngferchens, so ich als ein italienisches vorstellte. Das gab ein Getue. Da war kein Ende mit Ha's und Ho's. Man verlor fast den Verstand vor Begeisterung. Der Maillebois, der Mund und Nase aufriß, sagte, man vermöchte darauf den Widerschein des lateinischen Himmels, jenes von den Göttern zwiefach, von Jesus Christus und Jupiter, gesegneten Bodens erkennen. Und Herr von Asnois, der viel Lärmens derhalben schlug, zahlte mir sechsunddreißig Dukaten davor, für das andere – drei.

 

Gen Abend nahmen wir unseren Weg zurück. Auf dem Heimweg erzählte ich zur Ergötzung der Gesellschaft, wie der Herzog von Bellegarde eines Tages nach Clamecy zum Vogelschießen sei gekommen. Der gute Herr konnte keine vier Schritte weit sehen. Ich hatte den Auftrag, alsobald er schoß, den Holzvogel fallen zu lassen und flugs und gewandt an seiner Stelle einen andern, der mitten durchs Herz getroffen war, vorzuweisen. Man lachte gar sehr. Und nach mir gaben der Reihe nach männiglich irgendeine Geschichte über unsere großen Herren zum besten ... Diese guten Herren! Wüßten sie doch, wann sie sich in ihrer Erhabenheit königlich langweilen, wie ergötzlich sie uns erscheinen!

Aber die Medaillongeschichte sparte ich auf, bis wir bei verschlossenen Türen glücklich zu Hause saßen. Mein Florimond machte mir bittere Vorwürfe, wann er davon erfuhr, daß ich die italienische Arbeit als meine eigene so wohlfeil tat hergeben, hätten sie doch die andere, so nur dem Namen nach italienisch war, gar so hoch geschätzt, und bezahlt. Ich erwiderte, daß ich sie zwar gern einmalen an der Nasen zupfen, derhalben aber mitnichten sie rupfen wolle, o nein, das nicht! – Er erhitzete sich und fragte mich spitzig, was ich wohl davon hätte, mich auf meine eigenen Kosten zu verlustieren. Was taugt es, die Leute zu nasführen so man dafür seinem Geldsack nichts zuführt.

Da entgegnete ihm Martine, mein gutes Mädchen, mit trefflicher Klugheit:

»So sind wir nun einmal in der Familie, Florimond, ob groß, ob klein. Allweil lustig, allweil uns lustig machend, lachen wir über die Schnurren, die wir uns selber vormachen. Geh, Lieber, beklage dich nicht darob, denn nur diesem Sinn zufolge kommt's, daß dir noch keine Hörner gewachsen sind. Der Gedanke, ich vermöchte dich jedweden Augenblick zu hintergehen, macht mir so überaus Vergnügen, daß ich nimmer nötig habe, es in Wahrheit zu tun ... Aber sieh nicht so finster drein, du brauchst es nicht zu bedauern, es ist so gut wie geschehen. Ziehe deine Hörner ein, Schnecke, schon sehe ich ihren Schatten.«


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