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IV
Der Bummler
oder
Ein Frühlingstag

April

April, o du zarte Tochter des Frühlings, feingliedrig Jüngferlein mit den liebreizenden Äugelein, ich sehe deine kleinen Brüste auf dem Aprikosenzweig blühen, des spitzige rosige Knospen vor meinem Fenster, in meinem Garten von der frischen Morgensonne gekost werden. Welch schöner Morgen! Was Glückseligkeit, zu wissen, man wird solchen Tag erschaun – man schaut ihn! Ich stehe auf, ich recke meine alten Arme, darin die gute Schwere rastloser Arbeit lastet. In den vergangenen zween Wochen, da haben meine Gesellen und ich, auf daß wir die unfreiwilligen Feiertage einholeten, die Späne fliegen lassen und das Holz unter unsern Hobeln zum Singen gebracht. Zum Unglück ist unser Hunger auf Arbeit gieriger denn die Eßlust der Kunden. Ja, ja, man kauft gar wenig, und man eilt sich noch weniger, das Bestellte zu zahlen; die Beutel sind bis zum letzten geschröpfet; da ist kein Blutstropfen mehr im Grund unserer Geldkatzen; indes immer noch Bluts genug in unsern Armen und unsern Feldern; die Erde ist gut – die, von der ich genommen bin, und die, auf der ich lebe (es ist dieselbige). Ora, ora et labora; so wirst du König sein. – Die Clamecyer sind allesamt Könige oder werden es dereinst, meiner Treu, werden: denn seit dem frühen Morgen höre ich die Schaufelräder der Mühle rauschen, den Blasebalg des Hüttenwerks schnaufen, den Hammertanz der Hufschmiede auf dem Amboß aufklingen, das Hackmesser auf dem Hackbrett die Knochen hacken, die Pferde an der Schwemme Wasser schlürfen, den Schuster singen und Nägel schlagen, die Räder der Wagen auf dem Wege, das Klipp-klapp der Holzschuhe, das Schnalzen der Peitschen, das Geschwätz der Vorübergehenden, die Stimmen, die Glocken, kurz, den Atem der Stadt bei ihrer Arbeit. Vater unser, wir kneten unser täglich Brot so lang, bis Du es uns gibst: so ist es klüglicher getan ... Und ob meinem Haupt, da spannt sich der schöne Himmel des blauen Frühlings, dadurch der Wind streicht, der die weißen Wolken vor sich herjagt, da ist die warme Sonne und die frische Luft. Man vermeinet ... die Jugend ist's, die da aufersteht. Sie kehret mit schnellem Flügelschlag aus der Ferne der Zeiten wieder und bauet von neuem ihr Schwalbennest unterm Wetterdach meines alten Herzens, das ihrer harrt. Die schöne Entschwundene, wie gar sehr liebt man sie bei ihrer Heimkehr! Weit mehr, weit besser denn beim erstenmal ...

Dieses selbigen Augenblicks vernehme ich, wie die Wetterfahne ob meinem Dach und gleicherweis meine Alte kreischet, dero spitze Stimme wer weiß was, wer weiß wem, etwan mir zuschreiet. (Ich höre nicht.) Aber die erschreckte, aufgescheuchte Jugend hat sich davongemacht. Hol der Teufel die Wetterfahn! Sie indes voller Wut (ich meine hiermit meine Alte!) kommt herab, mir ihren Sang ins Trommelfell zu posaunen.

»Was machst denn du allhie, du Wolkengucker, du verflixter Faulpelz, stehst da mit offenem Maul, als wär's ein Brunnenloch, und läßt die Arme hängen. Willst du die Vögel am Himmel das Fürchten lehren? Wes wartest du? Daß eine gebratene Lerch dir hineinflieget oder etwan ein Schwalbentropfen? Unterdes rackere ich mich ab, schnaufe, schwitze, mühe mich, schinde mich gleichwie eine alte Mähre zu Nutz und Frommen dieses Kerls da! ... Ei freilich, schwaches Weib, das ist dein Los hienieden! ... Nun also, laß dir sagen: Nein, mitnichten! Denn der Allmächtige hat nicht befohlen, daß wir alle Mühsal haben sollten und Adam, die Hände auf dem Rücken, hie und dorten umherschlendern dürfte. Ich will, daß auch er seine Plage, daß auch er seinen Verdruß habe. Wär's anderweis, wollt er sich alleinig verlustieren, der Schurk, ei, da könnt man ja schier an Gott verzweifeln! Ein Glück, daß ich noch da bin und darauf schaue, daß sein heiliger Wille geschehe. Hast du ausgelacht? An die Arbeit, so du das Haus willst nicht zugrund gehn lassen! ... Ja, nun seht doch, ob er mich anhört! Wird's bald?«

Mit sanftem Lächeln sage ich:

»Wohl, wohl, mein Engel. Es wär eine Sünd, an solch lieblichem Morgen im Haus zu bleiben.«

Ich trete in die Werkstatt und rufe den Gesellen zu:

»Ich brauche ein geschmeidig, weich und fest Stück Holz, Jungens. Will bei Riou nachschaun, ob er im Lagerhaus irgendeine schöne Eichenbohle hat. Los! Cagnat, Robinet! Wir wollen uns was auswählen!«

Sie und ich verlassen das Haus. Und meine Alte zetert. Ich sage:

»Singe geruhig weiter!«

Indes, dieser letzliche Rat war gar nicht vonnöten. Das gab eine Musik! Ich pfiff, auf daß das Liedlein vollkömmlicher sei. Der gute Cagnat sagte:

»Ei, Meisterin, man sollt vermeinen, es ging auf die Reise. In einer kleinen Viertelstunde sind wir wieder daheim.«

»Weiß man's gewißlich je bei diesem Landstreicher?« meinte sie.

 

Es schlägt just 9 Uhr. Wir gehen nach Beyant. Der Weg ist nicht lang. Aber am Beuvron, bei der Brücke, macht man eine kleine Aufhaltung (man muß sich doch nach dem Wohlsein der Leute erkunden), und wir tauschen einen Gruß mit Fétu, Gadin und Trinquet, der »schöne Jean« genennet, so ihren Tag damit beginnen, auf der Landstraße sitzend, dem Wasser zuzuschaun. Man schwätzt eine kleine Weile vom Regen und Sonnenschein. Alsdann machen wir uns brav wieder auf den Weg. Man ist ein Mann von Ehre und Gewissen, man geht den geradsten Weg, man pflegt mit niemands Unterhaltung (allerdings begegnen wir auf dem Weg keiner Seel). Allein man hat ein fühlend Herz für die Schönheiten der Natur und bewundert den Himmel, die jungen Frühlingstriebe, einen blühenden Apfelbaum im Graben der Stadtmauern, schaut der Schwalbe zu, macht noch eine Rast, diskutieret über die Windrichtung.

Auf halbem Wege fällt mir bei, ich hätte meine Glodie des Tages noch nicht begrüßt. Ich sage:

»Geht nur zu. Ich habe noch einen Gang zu machen. Wir treffen einand bei Riou.«

Als ich anlangte, war meine Tochter Martine just im Zug, ihren Laden mit Strömen Wassers zu waschen, ohn derhalben aufzuhören, mit dem und jenem zu schwätzen, zu schwätzen und zu schwätzen, sei's mit ihrem Mann, ihren Buben, dem Lehrjungen, Glodie und obendrein zwo oder drei Gevatterinnen aus der Nachbarschaft, mit denen sie lachte, daß die Zwerchfelle wackelten, wobei sie aber fürder und fürder schwätzte, schwätzte, schwätzte. Und als sie am End war, nicht mit Schwätzen, aber mit Waschen, trat sie heraus und leerte mit gewaltigem Schwung den Eimer in die Straße. Ich war etliche Schritte vor dem Eingang stehengeblieben, um sie zu bewundern (Augen und Herz erfreut mir's, das Weibsstück!), und nun bekam ich den halben Inhalt des Eimers an die Waden. Das brachte sie noch mehrer zum Lachen, mich aber noch weit lauter. Ei, was für ein prächtig gallisch Weib ist sie doch, wenn sie mir also ins Gesicht lacht, mit ihren schwarzen Haaren, die ihr tief in die Stirn gewachsen sind, ihren dichten Brauen, ihren glühenden Augen und ihren noch glühenderen Lippen, die rot sind wie Feuer und schwellend wie Pflaumen. Bloßen Halses, mit bloßen Armen, kecklich geschürzt, so kam sie gegangen. Sagte: »Da kamst du ja zupaß! Hast zum wenigsten alles abgekriegt?«

Ich erwidere: »Fehlt nur ein weniges; aber Wasser ficht mich nicht an, es sei denn, ich muß es trinken.«

»Tritt ein«, sagt sie, »du von der Sintflut erretteter Noah, du Weinbauer Noah!«

Ich komme herein, ich sehe Glodie in kurzem Unterröcklein unter dem Ladentisch hocken.

»Guten Morgen, kleines Bäckerbürschlein.«

»Ich wette«, meint Martine, »ich weiß, was dich so zeitig aus dem Haus getrieben hat.«

»Du wirst die Wette gewißlich gewinnen, kennst ja den Grund – hast du nicht Selbsten an der holden Brust gelegen?«

»Also die Mutter?«

»Du sagest es.«

»Schöne Memmen sind die Männer.«

Florimond kam just herein und kriegte den Hieb ins Gesicht. Er setzte eine erboste Miene auf.

»Es gilt mir. Fühle dich mitnichten getroffen, mein Junge.«

»Ihr könnt beide euer Teil nehmen. Sei nicht ein solcher Giermund.«

Der andere wahrete noch fürder seine verletzte Würde. Er ist ein rechter Bürgersmann, er duldet niemalen, daß man seiner lache; auch wird er, so er uns beide, Martine und mich, selbander sieht, alsogleich mißtrauend und lauert mit argwöhnischem Blick auf die Worte, so aus unsern lachenden Mündern herauskommen werden. Ach, wir armen, unschuldigen Kindlein! Welcher Bosheit werden wir doch bezichtigt.

Ich sage ohne List und Falsch:

»Du spaßest, Martine; ich weiß wohl, Florimond ist Herr in seinem Hause, er läßt sich nicht, gleich mir, unterkriegen. Überdies ist seine Florimonde sanft, fügsam, bescheiden, hat keinerlei Willen, gehorcht ohn Widerrede. Das gute Kind, es schlaget nach mir, so auch allweil ein armer schüchterner Mann war, stets unterwürfig und unterdrückt!«

»Hast du dich in Bälde genugsam über alle Welt verlustiert?« meint Martine, die auf den Knien liegend von neuem mit vollem Eifer die Fliesen und Fenster scheuert (feste, feste, hast du nicht gesehn!).

Und unter der Arbeit (ich schaue ihr zu) tauschen wir mancherlei gute und rasche Reden. Ganz hinten im Laden, der schier erfüllet ist von Martinens Regsamkeit, Reden und derbem Leben, hält sich, in einen Winkel gedrückt, mit krauser Stirn, zusammengekniffen und zugeknöpft, Florimond auf. Er fühlt sich gar nie behaglich in unserer Gesellschaft; die derben Reden und die saftigen, gut französischen Spaße bringen ihn aus der Fassung. Sie verletzen seine Würdigkeit. Und dann versteht er nicht, daß man aus Überschuß an Kraft zu lachen vermöchte. Er ist mickerig, bläßlich, dürr und mürrisch. Er jammert am liebsten über alles. Er findet nirgend was Gutes, zweifelsohn, dieweil er immer nur sich Selbsten betrachtet. Ein Tuch um seinen Hühnerhals gewunden, sitzt er mit besorgter Miene da und dreht die Augen nach rechts und nach links. Am End sagt er:

»Hier weht's von überall, als wär man ob einem Turm. Die Fenster stehen allesamt offen.«

Martine meint, ohn innezuhalten:

»Ei was! Ich ersticke schier.«

Etliche Minuten ist Florimond guten Willens, standzuhalten. (Es blies wahrhaftig ein recht frisches Windlein.) Dann geht er zornmütig hinaus. Die hockende Schelmin hebt den Kopf und sagt in ihrer warmherzigen und spottfrohen Art:

»Er wird sich am Backofen erholen.«

Anzüglich frage ich sie, ob sie sich allweil mit ihrem Zuckerbäcker gut verstände. Sie hütet sich trefflich, mir mit nein zu antworten. Ei, der verflixte Racker, eher sollte man sie vierteilen, als daß sie das Geständnis ablege, sie habe sich getäuscht.

»Ja, weshalben sollten wir einand denn nicht verstehen?« sagt sie. »Er ist just nach meinem Geschmack.«

»Freilich, freilich«, meine ich; »auch ich würde dergleichen fressen. Indes ein großer Mund wie der deine hat ein klein Küchlein schnell verschluckt.«

»Man muß sich an dem genügen lassen, das man hat.«

»Wohlgesprochen. Desohngeachtet wäre ich, an Stelle des Küchleins, das gestehe ich, nur halbwegs geruhig.«

»Warumb? Da ist nichts nicht zu fürchten, denn ich treibe ehrlichen Handel. Nur muß er gleicherweis verfahren. Denn dafern der schlimme Gesell es nicht tut, dafern er mich betrügt, ist's ausgemacht: der Tag würde nicht verstreichen, ehe er nicht ein Kikerikihahnrei geworden sei. Jedem sein Recht. Ihm das seine. Mir das meine. Also mag er seine Pflicht tun.«

»Seine Pflicht vollkömmlich und gänzlich.«

»Freilich – das wäre noch besser, wann er sich gar beklagte, die Jungfer sei allzu schön.«

»O du Teufelin, wenn ich nicht gänzlich irre, so warst du's, die der Gans die Antwort so kräftig gab, als sie das Gebot des Himmels herniederbrachte.«

»Ich kenne mehr als eine Gans, aber ohn Federn. Von welcher sprichst du?«

»Kennst du nicht«, sagte ich, »die Geschichte von der, die ihre Gefährtinnen zu Gottvater ausschickten, ihn zu bitten, er solle den kaum aus dem Ei geschlüpften Jungen das Vermögen geben, auf ihren zwei Beinen zu laufen. Der liebe Gott sagte: ›Mit Vergnügen.‹ (Er ist den Damen gegenüber galant.) ›Ich stelle dagegen meinen liebwerten Kindern nur eine kleine Bedingung: daß von nun an Frauen, Jungfern und Mägdelein unter den Federn schlafen gänzlich allein.‹ Die Gans überbrachte unterm Flügel getreu ihre Botschaft; ich war nicht zugegen, als sie anlangte. Aber ich weiß, daß die Botin was Schönes zu hören bekam!«

Martine ließ, noch hockend, das Reiben sein, um in ein schallend Gelächter auszubrechen; darnach rief sie, mich knuffend und puffend:

»Alter Schwätzer! Bist ja wie ein Topf mit Senf so kitzlich, witzlich, spitzig und hitzig. Mach, daß du von hinnen kommst, mach dich fort! Possenreißer du! Wozu taugst du nur, sag an? Läßt andere die Zeit verlieren! Los, troll dich! Aber höre, nimm auch dies kleine schwanzlose Hündlein mit, das mir zwischen den Beinen herumläuft – deine Glodie, ja sie, man hat sie just wieder aus der Backstuben gejagt, allwo sie, ich wette, ihre Patschen in den Teig gesteckt hat (sie hat ja noch davon auf der Nase). Flink, macht euch des Wegs, laßt uns in Ruh, ihr Fratzen, laßt uns arbeiten, oder ich greife zu meinem Besen ...«

Sie setzte uns vor die Tür. Wir zogen beide wohl zufrieden hinaus; mitsammen gingen wir zu Riou. Aber am Ufer der Yonne verweilten wir ein weniges. Wir sahen dem Fischen zu. Wir gaben gute Ratschläge. Und wir hatten unsere Lust, wann der Korken niedertauchte oder wann der Weißfisch im Bogen aus dem grünen Spiegel sprang. Glodie aber sagte, da sie den Wurm am Angelhaken sah, der sich krümmte vor Lachen, mit einem angewiderten Mäulchen:

»Großvater, ihm ist übel zumut, er wird verspeist werden.«

»Ei freilich, mein Herzblatt, zweifelsohne«, sage ich. »Verspeist werden ist gar nicht annehmlich. Man muß daran nicht denken. Denke vielmehr dessen, der ihn speist, an den schönen Fisch. Der sagt: ›Das schmeckt gut.‹«

»Aber wann man nun dich verspeisen wollt, Großvater?«

»Wohlan, so sagte ich auch: ›Hier ist wohl sein! Der Glückspilz! Der hat's gut, der Schelm, daß er mich speisen kann!‹ Siehst du, Töchterlein, solcherart ist Großvater allzeit frohgemut. Ob essend oder gegessen, man braucht die Dinge nur in seinem Kopf sich zurechtlegen. Ein Burgunder findet alles recht und gut.«

So schwatzend waren wir schon (es war noch nicht elf Uhr) bei Riou angelangt, ohn dessen zu achten. Cagnat und Robinet warteten mein, aber recht in Frieden, am Uferhang hingewälzt, und Binet, der seine Angel fürsorglich mitgebracht hatte, piesackte die dummen Fische.

Ich ging in das Holzlager. Alsobald ich mich inmitten schöner Bäume finde, die da entkleidet und nackt hingelagert sind, und mir der schöne Geruch der Sägespäne in die Nase steigt, da können, bei Gott, ich gesteh's, Wasser und Zeit um die Wette laufen. Ich werd's nicht müde, ihnen die Schenkel zu tätscheln. Einen Baum lieb ich mehr denn eine Frau. Ein jeder hat seinen Sparren. Da kann ich noch so gut wissen, welchen ich will und nehmen werde. Wäre ich beim Großmogul und sähe auf einem Markt zwischen zwanzig schönen nackten Mädchen die, so ich liebe, vermeint ihr, da würde die Liebe zu meinem Liebchen mir verwehren, im Vorbeigehen mit dem Blick die Leckerbissen des übrigen Rudels zu kosten? Also dumm bin ich mitnichten! Warumb hätte mir Gott Augen, die nach Schönheit dürsten, gegeben, wenn ich sie, so die Schönheit mir erscheinet, schließen sollte? Nein, o nein, die meinen stehen weit offen gleich Torwegen. Alles geht da hinein, nichts hinaus. Und akkurat wie ich alter Schlaukopf unter der Haut der gewiegten Weibchen ihre Begierden, ihre Bosheit und ihre listigen Gedanken erkennen kann, so verstehe ich auch unter der rauhen oder glatten Rinde meiner Bäume die Seele, so in ihnen verschlossen liegt, zu entziffern – die Seele, die aus dem Ei erstehet, dafern ich es ausbrüten will.

Unterdes ich wähle, schwätzt der ungeduldige Cagnat (der ist ein Herunterschlinger; nur wir Alten wissen etwas auszukosten), schwätzt maulheldisch mit entwelchen Flößern, so vom andern Ufer der Yonne herübergekommen sind, umherschlendern oder auf der Brücke von Beyant umherstehen. Denn, mögen in den beiden Vorstädten die Geschöpfe auch verschieden sein, ihre Art und Weise ist die gleiche: so lang der Tag ist, sich mit den Arschbacken auf die Brückengeländer pflanzen und sich den Schnabel in einem benachbarten Wirtshaus begießen. Die Unterhaltung bestund, wie's Gewohnheit ist zwischen den Söhnen von Beuvron und den Söhnen von Bethlehem, in anzüglichen Späßen. Diese Herren aus Judäa behandeln uns als Bauern, als Burgunder Schnecken und Mistkäfer. Und wir erwidern ihre Feindseligkeiten damit, daß wir sie Frösche und Karpfenmäuler nennen. Ich sage: wir, denn so ich die Litanei singen höre, kann ich mich nicht enthalten, mein Ora pro nobis mit herzusagen. Es ist um der Höflichkeit willen. Wird man angesprochen, muß man antworten. Aber wir sind nicht solcher Art, daß wir alles ernst nähmen. Und nachdem, daß wir ehrlich etliche Höflichkeitsreden getauscht hätten, siehe, da klingt der mittägliche Angelus! Ich springe verdutzt auf ... Holla, Zeit, holla! dein Sand hat's aber eilig! ... Vorerst bitte ich unsere wackeren Flößer, Cagnat und Robinet zu helfen, mein Wäglein zu beladen und, secundo, es samt dem gewählten Holz nach Beuvron zu karren. Sie schreien Zeter und Mordio:

»Breugnon, du verflixter! Schämst du dich nicht!«

Sie schreien arg, aber sie tun, was ich will. Im Grunde sind sie mir wohlgesinnt.

Wir kehrten im Galopp heim. Von den Schwellen der Läden sah man, voll Bewunderung unseres Eifers, uns vorüberkommen. Als aber mein Gespann auf der Brücke von Beuvron anlangte und dorten, ihrem Posten getreu, die drei andern sauberen Burschen noch immer stunden und dem Wasser zuschauten, da hielten die Beine inne, und die Zungen begannen, wie billig, von neuem zu laufen. Die einen verachteten die andern, dieweil sie etwas taten. Die andern verachteten die einen, dieweil sie nichts nicht taten. Alle Register wurden gezogen. Ich hatte mich unterdes auf den Meilenstein gesetzt und harrete des Endes, um den Preis zu erteilen. Da plötzlich schreit mir eine Stimme ins Ohr:

»Strolch! Da bist du also wahrlich zurück! Wirst du mir jetzo vielleicht kundtun, wie du seit neun Uhr zwischen Beuvron und Beyant deine Zeit vertan hast? Du Tagedieb! Das ist ein Kreuz mit dir! Wann wolltest du heimkehren, so ich dich nicht erwischt hätte? Ins Haus mit dir, Schandbube! Mein Essen ist angebrannt.«

Ich sage: »Dir gebührt der Preis. Liebe Freunde, ihr mögt euch noch so sehr mühen. Neben der da seid ihr, was das Musizieren betrifft, die wahren Kinder.«

Mein Lob trieb ihren Ehrgeiz noch mehr an. Sie verabfolgte uns noch ein Stücklein. Wir schrien:

»Bravo! ... Und nun: nach Haus. Geh voran. Ich folge dir.«

 

Meine Frau kehrte also, gefolgt von den beiden Lehrbuben, heim, indes sie meine Glodie an der Hand führte. Gefügig, doch sonder Hast, war ich willens, desgleichen zu tun, als aus der oberen Stadt ein fröhlich Stimmengeschwirr, Hörnerblasen und das heitere Glockenspiel vom Turm Sankt Martinus mich alte Spürnase ein neu Spektakel in der Luft wittern ließ. – Man feierte die Hochzeit des Herrn von Amazy mit Fräulein Lucrezia von Champeaux, der Tochter des Steuereinnehmers.

Da nahmen nun allesamt die Beine in die Hand und kletterten, vier Stufen auf einen Sprung, zum Schloßplatz empor, um den Hochzeitszug heimkommen zu sehn. Ihr könnt wohl denken, daß ich mitnichten der letzte war, der da lief. Dergleichen ist ein gefundenes Fressen, so man nicht alle Tage hat. Alleinig Trinquet und Gadin und Fétu, die Bummler, geruhten nicht, ihren Arsch, der war noch ans Flußufer geschraubt, zu erheben – und sagten, ihnen als Vorstadtleuten gezieme nicht, den Herrschaften von da oben einen Besuch zu verstatten. Gewißlich, ich liebe jedweden Stolz; und die Selbstachtung ist ein schön Ding. Aber ihr meine Vergnügung opfern ... ergebenster Diener, werte Selbstachtung. Deine Weis, mir Lieb zu bezeugen, ist so viel wert als die des Herrn Pfarrers, der mir sagte, es geschähe um meines Besten willen, wann er mich verhaute ...

Obzwar ich in einem einzigen Zuge die Stiege von sechsunddreißig Stufen genommen hatte, die zu Sankt Martinus emporsteigt, langte ich (welch Pech!) zu spät auf dem Platz an, um den Hochzeitszug hereinkommen zu sehen. Ich mußte also (das war Notwendigkeit) warten, bis er herauskäme. Diese verflixten Pfaffen aber können sich nie genug singen hören. Um der Zeit zu nutzen, erzwang ich im Schweiße meines Angesichts den Eintritt in die Kirche, indem daß ich gefällige Schmerbäuche und Fleischkissen beiseite puffte. Aber am Eingang der Vorhalle sah ich mich gefangen, und zwar so trefflich warm unter dem menschlichen Fettkissen, wie in einem Bett unter der Daunendecke. Wär's nicht der heilige Ort gewesen, so hätte ich, eingestandenermaßen, etwelche mutwillige Gedanken haben können. Aber man muß auch ernst sein können, so Ort und Stunde es gebieten; und so ich's muß, kann ich's so gut wie ein Esel. Doch geschieht wohl auch, daß die Ohrspitze zum Vorschein kömmt und daß der Esel schreit. – Diesen Tags geschah's. Denn dieweil ich gottergeben und bescheidentlich, den Mund aufreißend, auf daß ich besser sähe, der fröhlichen Opferung folgte, die mit der keuschen Lucrezia dem Herrn von Amazy dargebracht wurde, klangen zu Ehren des Jägers vier Jagdhörner von Sankt Hubertus und begleiteten den Gottesdienst; nur die Meute fehlte; derhalben war allgemein Bedauern. Ich schluckte mein Lachen hinunter; und ich konnte mich nicht enthalten, das verstand sich, den Hörnertusch zu pfeifen (wenn auch ganz leis). Jedoch, als der kritische Augenblick kam, da die Vermählte auf die Frage des neugierigen Pfaffen ihr »Ja« antwortet und die geblähten Backen frisch-fröhlich das Ergreifen der Beute zum Klingen brachten, da war's zuviel, da schrie ich: »Halali!« Ihr könnt euch vorstellen, was man lachte. Aber der Schweizer kam stirnrunzelnd daher. Ich machte mich gar klein, und an den Rücken vorbeistreichend gelangte ich hinaus.

So stund ich wiederum auf dem Platze. An Gesellschaft fehlte es mitnichten. Allesamt, gleich mir biedere Leute, die wissen ihre Augen zum Sehen zu gebrauchen, die Ohren zum Einsaugen, und glauben des, was andere Augen aufgefangen haben, und ihre Zunge, um das zu erzählen, was man nicht allzeit notwendigerweis hat sehen müssen, um es zu bereden. Da tat ich mich nun, weiß Gott, überaus befleißen, ihnen zu berichten, wessen ich Zeuge – oder nicht Zeuge – war. Um trefflich zu lügen, braucht man nicht aus weiter Ferne zu kommen. So verstrich die Zeit gar schnell, fürnehmlich für mich, bis daß die große Kirchtür beim Rauschen der Orgel sich wieder auf tat und der Jagdzug erschien. Von seinem Ruhm erfüllet, marschierte allen voran Amazy, an seinem Arm das erlegte Wild, so seine schönen Rehaugen nach rechts und links warf und eine holdselige Miene aufsetzte ... O je, mir ist annehmlicher, nicht bestellt zu sein, es zu hüten, das schöne Kind! Wer sie abspult, der bekommt Garn zum Spinnen! Wer das Tier gewinnt, nimmt auch die Hörner in Kauf ...

Aber ich sah nicht mehr von der Jagd und dem Jägerrecht, von dem gespornten Reiter und der Gespornten, und vermöchte nicht einmal zu beschreiben, wes Farbe der Anzug von dem edlen Herrn oder der Vermählten war. Denn just in diesem Augenblick wurde unser Sinn und Aufmerken durch die gewichtige Frage der Rangordnung, des Aufmarschs und des Vortritts unter den Herren der Gefolgschaft gefangen. Schon wann sie hineingingen (ach, daß ich das versäumte!) waren der Herr Richter und Anwalt des Burgbanns und der Herr Schöffe und Bürgermeister von Amts wegen auf der Kirchschwelle, gleichwie zwei Widderböcke, aneinand geraten. Letztlich war der Bürgermeister aber als der dickere und stärkere vorangeschritten. Nun galt's zu wissen, wer jetzo von beiden als erster herauskäme, wes Nase als erste auf dem geheiligten Kirchplatz zum Vorschein käme. Wir wetteten untereinand. Aber nichts nicht erschien: gleichwie eine zerschnittene Schlange nahm der Kopf des Hochzeitszuges seinen Weg; der Leib folgte mitnichten. Schließlich drängten wir an die Kirche heran und sahen darinnen zu beiden Seiten des Eingangs unsere wütigen Widder, deren einer den andern als Widersacher am Vortritt hinderte. Maßen sie an dem heiligen Ort nicht wagten, einand anzuschrein, sah man sie mit Nase und Kauwerkzeugen wackeln, die Augen überaus aufreißen, einen Katzenbuckel machen, die Stirn runzeln, schnaufen, die Backen blähen – und das alles, ohne daß ein Laut vernehmbar wurde. Wir hielten uns die Seiten; und unterdes wir noch wetteten und lachten, hatten auch wir Partei ergriffen. Die reifen Männer für den Richter als Statthalter des Herrn Herzogs (wer für sich Ehre begehrt, predigt sie den andern); die Junghähne für den Bürgermeister, als Vorkämpfer unserer Freiheiten. Ich war für den, so den andern am trefflichsten abführen würde. Auf daß jeder den seinen noch mehr in Zorn bringe, schrie man:

»Kß! Kß! Geht voran, Herr Grasset! Steigt ihm aufs Dach, Herr Pétaud! So, so ist's recht, stopft ihm das Maul! He, los doch! Vorwärts, Eselein!« ...

Aber diese faulen Brüder begnügten sich, ihren Zorn gegen einand zu schleudern, ohn sich in die Haare zu kriegen, zweifelsohn aus Furcht, ihre schönen Kleidungsstücke zu verderben. Solcherweis hätte der Streit leichtlich in Ewigkeit andauern können (denn es war keine Gefahr, daß der Schnabel ihnen zufröre), so nicht der Herr Pfarrer wär gewesen, besorgt, zu spät zum Mahl zu kommen. Der sprach:

»Meine teuren Kinder, der liebe Gott hört euch, das Mahl harrt euer; unter keinem Umstand muß man ein Mahl lassen warten, unsern Herrgott in seinem Tempel unsre zornmütige Laun hören lassen. Waschen wir unsre Wäsche im eignen Haus ...«

Dafern er so nicht sprach (denn ich hörte es nicht), so muß dieses doch der Sinn gewesen sein: denn ich sah, wie letztlich seine zween gewaltigen Hände sie beide beim Kragen faßten und ihre Mäuler zu einem Friedenskuß aneinand brachten. Darnach schritten sie hinaus, aber auf ein und demselbigen Strich, gleich zween Pfeilern, die in ihrer Mitten den Bauch des Pfarrers einrahmeten. Anstatt eines Gebieters dero drei. Wenn die großen Herren sich streiten, kommt das Volk niemals zu kurz.

 

Sie waren allesamt vorübergezogen und ins Schloß zurückgekehrt, das Festmahl zu verspeisen, das sie gar wohl verdient hatten – indes wir dummen Kerle auf dem Platz blieben und um den unsichtbaren Kochtopf herumstanden, als wollten wir die Düfte des Mahles einschlucken. Auf daß ich mir reichlicher Genüge tat (ich bin vor die Genauigkeit), ließ ich mir die Gerichte hersagen. Wir waren unser drei Feinschmecker, Mosjö Tripet, Bauldequin und der gegenwärtige Breugnon, die bei jeder Platte, so man nennete, einander lachend ansahen und uns mit den Ellbogen in die Seite pufften. Dies Gericht billigen wir, jenes bemäkeln wir: da hätte man besser getan, erfahrene Leute gleich uns zu Rate zu ziehn; aber wie's auch sei, das sind keine Rechtschreibfehler und keine Todsünden; und das Essen insgesamt war überaus anständig. Gelegentlich eines Hasenpfeffers sagte jedweder sein Rezept; und die, so zuhörten, gaben ihren Senf dazu. Doch bald entbrannte darob ein Streit. (Derlei Fragen sind brennend; nur ein schlechter Kerl kann kalten Herzens und eisigen Bluts dergleichen erörtern.) In Sonderheit ward er zwischen der Dame Perrine und der Jacquotte lebhaft, die sind Nebenbuhlerinnen und bereiten die großen Festessen der Stadt. Eine jede hat ihre Partei. Jede Partei maßt sich an, die andre bei Tisch auszustechen. Das sind gar herrliche Turniere. In unsern Städten sind gute Eßgelage die Lanzenkämpfe der Bürger – doch obzwar ich mich an klugen Beratungen ergötze, ist mir nichts also verdrießlich, als wenn ich von den Großtaten der andern erzählen höre, dieweil ich Selbsten untätig verbleibe; auch bin ich mitnichten der Mann dazu, mich lange Zeit von dem Saft meiner Gedanken und dem Schatten von Platten zu nähren, die ich nicht esse. Derhalben war mir's lieb, wann mein Tripet (der Arme litt gleicherweis) mir sagte:

»Spricht man allzu lang von der Küche, Breugnon, da wird man wie ein Liebender, der viel von Liebe schwatzt. Ich halt's nimmer aus – oha! ich bin nahe des Platzens, mein Freund, ich brenne, ich verzehre mich, und meine Eingeweide rauchen. Komm, wir wollen das Ungetier, so an meinem Bauche nagt, tränken und nähren.«

»Wir werden damit fertig werden«, sagte ich; »zähle auf mich. Wider das Gebrest des Hungerns wächst kein besser Kraut als essen, sagt einer der Alten.«

So gingen wir selbander an die Ecke der Grande Rue ins Gasthaus zum fränkischen Gulden: denn nunmehr nach zwei Uhr heimzukehren, daran dachte niemand. Tripet hätte gleich mir gefürchtet, eine kalte Suppe und eine kochende Frau vorzufinden. – Es war Markttag, der Raum war völlig gestopft. Sitzt man am Tisch allein auch gar bequemlich, so fühlt man sich beim Essen doch mehr wohl, wenn man recht fest zwischen wackeren Gefährten sitzet; alsdann ißt sich's besser: solcherart ist alles allzeit sehr schön.

Einige gute Zeit lang redeten wir beide nimmer, es sei denn, daß wir gar heimlich mit dem Herzen und den Kauwerkzeugen mit einem trefflichen Pökelfleisch und Kraut Zwiesprach hielten, das rosig und zart duftete und zerschmolz. Darüber gossen wir ein rot Schöpplein, auf daß sich der Staubnebel vor meinen Augen zerteile: denn essen ohne Trank – so sagten unsre Vorfahren – macht Augen nicht sehend, sondern krank. So getan, vermochte ich mit klarem Blick und gewaschenem Schlund von neuem die Menschen und das Leben genau zu betrachten, die nach dem Essen doppelt schön erscheinen.

Am Nachbartisch saß ein Pfarrer aus der Umgegend einer alten Pächterin genüber, die vor ihm katzbuckelte; sie neigte sich und beugte sich, schob ihren Kopf schier in ihren Rücken hinein, wand und drehte ihn seitwärts und hob voll Süßigkeit ihr Gesicht zu ihm auf, als war sie in der Beichte. Und der Pfarrer ließ es gleicherart, im Profil sitzend, leutselig und ohn hinzuhören, geschehen; auf jede Verbeugung antwortete er artig mit einer Verbeugung, ohne derhalben einen Bissen sich entgehen zu lassen. Es war, als sagte er: »Gut, gut, meine Tochter, absolvo te. All deine Sünden sind dir vergeben. Denn Gott ist gut. Ich habe wohl gespeist. Denn Gott ist gut. Und diese Blutwurst ist gar vortrefflich.«

Ein weniges weiter abseits saß unser Notarius, Meister Pierre Delavaut, der einen seiner Zunftgenossen traktierte und dabei von Besitz und Tugend redete, von Geld, Politik, Verträgen und der Republik – von Rom. (In lateinischen Versen ist er Republikaner, aber im Leben ist er als klüglicher Bürger ein treuer Diener seines Königs.)

Darnach entdeckte mein herumlungernder Blick im Hintergrund Perrin, den Koch, in blauer, steif gestärkter Bluse, Perrin, den Stolzen aus Corvol, des Blick gleicherzeit auch den meinen traf. Er tat überaus überrascht, stund auf und rief mich an: ich möchte schwören, daß er mich von Anfang an hatte gesehen. Aber der Schalk hielt sich ruhig, denn er schuldet mir seit zwei Jahren zween Schränke in schönem Nußbaum, die ich zugeschnitten habe. Er kam auf mich zu und bot mir ein Glas dar:

»Von Herzen, von ganzem Herzen sei gegrüßt«, ... bot mir gar ein zweites:

»Auf daß du gerad gehst, mußt du auf zwei Beinen gehn ...« schlug mir gar vor, seine Mahlzeit zu teilen. Er hoffte, ich würde nein sagen, dieweil ich bereits tät speisen. Doch er fiel herein: denn ich sagete ja. Das geht von meiner Forderung ab!

So begann ich denn von neuem, doch diesmalen geruhiger, gesetzt, dieweil ich den Hunger nimmer zu fürchten hatt. Nach und nach täten die groben Esser, die eiligen Leut, so gleich den Tieren nur verstehen, um der Nahrung willen zu speisen, den Ort räumen; und es blieben nur noch wackere Leute, reife, begabte Leute, die da wissen, den Wert des Schönen, des Wahren, des Guten zu schätzen, und denen ein gut Gericht eine gute Handlung bedeutet. Die Tür stund offen, Luft und Sonne drangen herein, gleicherweis drei schwarze Hühner, so ihren steifen Hals recketen, um die Krümlein unter dem Tisch aufzupicken, dazu die Pfoten eines alten Hundes, der schlief, das Geplapper der Frauen auf der Straße, der Ruf des Glashändlers und des Fischers, und überdies das Schreien eines Esels, das klang wie Löwengebrüll. Auf dem staubigen Platz, da sah man zween weiße Ochsen, die lagen, vor einen Wagen gespannt, reglos, ihre Bein unter ihre schönen, glänzenden Flanken geschlagen, und kauten, den Speichel ums Maul, ihren Schaum voll Sanftmütigkeit.

Die Tauben auf dem Dach gurrten in der Sonne. Ich hätte am liebsten es ihnen gleichgetan; und mich bedünket, wir allesamt fühleten uns so voll Behagens, daß, wann uns einer längs des Rückgrats tät streichen, wir hätten geschnurrt.

Die Unterhaltung entspann sich von Tisch zu Tisch zwischen allen, die wir da saßen, allesamt vereint als Freunde, als Brüder: der Pfarrer, der Koch, sein Partner und die Wirtin mit dem süßen Namen Küßlich; der Name verspricht viel; er hat noch mehr gehalten. Auf daß ich leichter plaudere, setzte ich mich einmal hier, einmal dorten hin und diskurierte. Man redete von Politik. Um das Glück vollkömmlich zu machen, ist es nicht von Übel, nach dem Essen an die unglücklichen Zeitläufte zu denken. Unsere Herren männiglich klageten über das Elend, die Teuerung, die geringen Geschäfte, den Ruin unseres Frankreichs, unsre untergehende Rasse, über die Regierenden, die Ränkeschmiede. Aber fürsichtiglich. Sie nannten niemand. Die Großen haben Ohren, die sind also groß als sie selbsten. Man weiß niemalen, ob man nicht just in diesem Augenblick wird eines hinter der Tür hervorlugen sehen. Indes, dieweil die Wahrheit auf gut Burgundisch auf dem Grund des Fasses liegt, wagten wir Freunde nach und nach, wider die Gebieter, so in der weitesten Ferne weilen, uns zu entrüsten. Fürnehmlich waren sie eines Sinns, als sie gegen die Italiener loszogen, gegen das Ungeziefer, so der große florentinische Pausback, die Königin, in ihren Röcken mitgebracht hat. Wenn da zween Hunde sind, die an eurem Braten fressen, davon der eine ein fremder, der andere zu euch gehöret, so jagt ihr diesen davon; jenen aber schlagt ihr tot. – Aus Gerechtigkeitsgefühlen oder aus Widerspruch sagte ich, man dürfe einen Hund allein nicht abstrafen, sondern alle beide; hörete man sie, so sollte man vermeinen, daß das Übel in Frankreich nur von den Italienern käme; Gott sei Dank aber fehle es auch uns weder an schlimmen Dingen noch an Schurken.

Darauf erwiderten allesamt einstimmig, daß ein italischer Schurk so viel wie drei andere war und daß drei wackere Italiener noch nicht einmalen den Dritteil eines wackeren Franzosen abgäben. – Ich entgegnete, daß hier wie dorten, allwo immer Menschen sind, da sind's dieselbigen Kerle, und daß ein Vieh so gut wie ein anderes wär – daß ein braver Mann, woher er auch käme, gut anzuschaun und gut zum Freund zu haben sei und daß ich ihn, so er's sei, herzlich liebe, war er selbst italisch. Derhalben fielen sie allesamt über mich her, spotteten mein und sagten: Man wisse schon, daß ich an der Bologneser Wurst meine besondere Lust hätte, nannten mich einen alten Narren, Breugnon das Perpetuum mobile, den Pilger, den ewigen Juden, Breugnon, den Straßentreter. Es ist wohl wahr, daß ich derzeit ihrer viel abgenutzt habe. Wann unser guter Herzog, der Vater des jetzigen, mich nach Mantua und nach Abissola sandte zu dem End, daß ich die Schmelz-, die Steingutarbeiten und die Kunstgewerbe studiere, die wir seither in unsere heimische Erde verpflanzten, da habe ich weder der Straßen noch der Sohlen unter meinen Füßen gespart. Den ganzen Weg von St. Martinus bis St. Andreas, den Mantuaner, habe ich, den Stock in der Faust, auf meinen zwei Beinen zurückgelegt. Es ist gar annehmlich, zu sehen, wie sich die Erde unter den Schuhen dehnt, und herrlich, den Teig der Welt zu kneten ... Aber wir wollen nicht allzuviel daran denken: ich begänne es ansonsten noch einmalen. – Sie machen sich über mich lustig! Potzkuckuck! Ich bin ein Gallier, ich bin ein Sohn derer, die über das Weltall herfielen. »Worüber, zum Teufel, bist du hergefallen?« fragt man mich lachend, »und was hast du heimgebracht?« – »Just so viel als sie. Gefüllte Augen. Leere Taschen, das ist wohl wahr. Aber den Kopf vollgestopft ...« Gott, wie schön ist das: sehen, hören, schmecken und sich's zurückrufen! Alles sehen und alles wissen, das kann man nicht, ich weiß wohl; aber man kann zumindest soviel, als man kann! Ich bin gleichwie ein Schwamm, der den Ozean in sich einsaugt, oder besser, ich bin gleichwie eine dickbauchige reife Traube, die vom schönen Saft der Erde schier platzen will. Welch Ernte könnte man haben, so man sie auspressen wollte! Aber also dämisch bin ich nicht, liebe Jungens. Ich selbsten trinke sie aus; denn ihr mißachtet sie. Nun gut, um so besser für mich! Ich dränge euch nicht. Derzeit wollte ich die Brosamen des Glücks, das ich aufgespeichert habe, mit euch teilen; alle meine schönen Erinnerungen aus dem Lande des Lichtes. Aber die Leute bei uns sind nicht neugierig, es sei denn, was der Nachbar tut und sonderlich die Nachbarin. Das übrige ist allzuweit, als daß man's glauben könnte. So du magst, gehe hin und schau es dir an! Ich sehe hier gleich viel. »Hinten zum Loch heraus, vorne zum Loch heraus, die von Rom nach heimwärts kehren, sind noch ärger als die zu Haus.« Gut, gut. Ich lasse sie reden und zwinge niemands. Maßen ihr nichts davon wollt, behalte ich, was ich gesehen habe, unter meinen Lidern tief im Innern meiner Augen. Man muß die Leute mitnichten zu ihrem Glücke zwingen. Man tut klüger, zuvörderst auf ihre Weis mit ihnen glücklich zu sein – hernach auf die seinige. Ein Glück ist nicht soviel als zwo.

Derhalben höre ich ihr längst bekanntes Lied mit an, unterdes ich, ohne daß er's ahnt, Delavaux' Nüstern und den Pfarrer, der beim Reden mit den Händen fuchtelt, zeichne; ich stimme ihnen bei: Wie stolz kann man sein, wie lustvoll ist's, so man aus Clamecy stammt! Und bei Gott, also denke ich auch. Es ist eine gute Stadt. Eine Stadt, so mich schuf, kann mitnichten schlecht sein. Die Menschenpflanze schießt dorten nach ihrem Wohlgefallen. Dick und fett, ohn Dornen, ohn Arg. Es sei denn, was den Schnabel betrifft, so wir hier gut gewetzt haben. Aber lästert man auch ein weniges über den Nachbarn, so geht's ihm, da wird keiner widersprechen, derhalben nicht übler. Man liebt ihn nur desto mehr, und man wollte ihm kein Haar krümmen. Delavaux erinnert uns, wie unsere Niverne derzeit ihren geruhigen Spott bewahrte, wann rings umher das Land voll Torheiten war, erinnert uns, wie unser Schöffe Ragon sich weigerte, mit den Guisen sich zusammenzuschließen, mit den Liguisten, den Ketzern, den Katholiken, mit Rom oder Genf, mit den tollen Hunden und Wölfen, und wie St. Bartholomäus bei uns sich seine bluttriefenden Hände abwusch (und derhalben sind wir allesamt stolz, selbst der Pfarrer). Allesamt eng um unsern Herzog geschart, bildeten wir eine Insel des verständigen Sinns, daran sich die Fluten brachen. Der verstorbene Herzog Ludwig und der frühere König Heinrich lebten dermalen noch; man kann von ihnen nicht reden, ohn gerührt zu sein! Wie wir einander liebten! Sie waren für uns, wir waren für sie wie geschaffen. Wohl hatten sie ihre Fehler, akkurat wie wir. Doch diese Fehler waren menschlich und rückten sie näher, nicht ferner. Man sagte lachend: »Nevers ist noch rüstig!« Oder: »Das Jahr wird gut werden. An Kindern wird's uns nicht fehlen. Unser strammer Herzog macht uns noch eins!« Ach, derzeit haben wir's gut gehabt. Derhalben mögen wir auch allesamt gern von diesen Zeiten reden. Delavaux hat gleich mir den Herzog Ludwig gekannt. Aber ich allein habe König Heinrich gesehen, und das mach ich mir zunutz; denn bevor sie mich noch bitten, berichte ich's ihnen zum hundertsten Mal (für mich ist es allzeit das erste – und für sie, so hoff ich, gleicherweis, dafern sie gute Franzosen sind); berichte ihnen, wie ich ihn sah, den grauen König, im grauen Hut, grauen Gewand (seine Ellbogen schauten aus Löchern heraus), auf einem grauen Pferd, mit grauem Haar und grauen Augen: außen ganz grau, innen ganz von Gold ...

Zum Unglück unterbricht mich der Erste Schreiber des Herrn Notarius, um dem kundzutun, ein Klient sterbe und verlange seiner. Er muß davongehen, so leid es ihm ist – doch nicht, ehe er uns eine Geschichte verabfolgt hat, die er seit einer Stunde vorbereitete (ich sah es ihm an, wie er sie auf seiner Zunge drehte und wendete; aber ich brachte zuerst die meine an). Doch seien wir gerecht, sie war gut, ich habe trefflich gelacht. Wenn's gilt, einen Schwank zu erzählen, so hat Delavaux nicht seinesgleichen.

 

Nachdem wir uns solcherart von unserer Rührung erholt hätten, von der Kehle bis zur Ferse entspannt und gewaschen, gingen wir mitsammen fort. (Es mußte ohngefähr ¾5 oder knapp 5 Uhr sein ... in drei kurzen Stunden, ei, seht! da hatte ich samt zwei guten Mahlen und fröhlichen Erinnerungen eine Bestellung des Notarius auf zwei Truhen geerntet, die er mich machen ließ.) ... Die Gesellschaft trennte sich, nachdem sie zuvor einen Biskuit, in zwei Tropfen Johannisbeersprits getaucht, bei Rathéri, dem Apotheker, zu sich genommen hatte. Delavaux vollendete dort seine Geschichte und begleitete uns, auf daß er noch eine andere vornähme, bis zur Mirandola, allwo wir uns wirklich und wahrhaftig trennten, hatten aber zuvor noch den Bauch zur Mauer gekehrt, eine Aufhaltung genommen, um unsern letzten Herzensergüssen freien Lauf zu lassen.

Dieweil es allzu spät und allzu früh war, um heimzukehren, stieg ich mit einem Kohlenhändler gen Bethlehem hinab, der seinem Wägelein folgte und dabei ins Horn blies. Nahe beim Turm Lourdeaux begegnete ich einem Wagner, der ein Rad vor sich herdrehend einherlief; und wenn es sich verlangsamte, sprang er hinzu und versetzte ihm einen Hieb. Just wie einer, der dem Rad des Glückes nachläuft; und wenn er hinaufsteigen will, so flieht's hinweg. Ich skizzierte mir das Bild, auf daß ich's einmal verwende.

Ich war noch unschlüssig, ob ich den kürzesten oder den längsten Weg nehmen sollte, um nach Haus zurückzukehren, als ich aus dem Hospital eine Prozession kommen sah. Das Kreuz voran, von einem Knirps getragen, der mir schier bis zum Knie reichte; er stützte es gleich einer Lanze auf seinen Wanst, reckte seine Zunge gen den andern Chorknaben und schielte zum End seines heiligen Stabes empor. Hinter ihm trugen vier Alte nicht gerad zum besten, sondern wie es just kam, in ihren roten und geschwollenen Händen unter einem Tuch einen Entschlafenen, der unter den Fittichen seines Pfaffen in der Erde seinen Schlaf beenden sollte. Aus Höflichkeit gab ich ihm bis zur Wohnstätte das Geleite; 's ist vergnüglicher, wenn man nicht alleinigt geht. Ich gestehe, ein weniges folgte ich auch, um der Witwe zuzuhören, die, wie's Brauch ist, heulend neben dem Offizianten schritt und die Krankheit des Verblichenen erzählte, die Heilmittel nannte, die er genommen, seinen Todeskampf und seine Tugenden beschrieb, seine Treue, seine Wesensart, kurzum sein Leben und das seiner Ehefrau. Ihr Klagelied und die Gesänge des Pfarrers wechselten einander ab. Wir folgten voll Anteilnahme: denn da tut nicht not, zu sagen, daß längs des ganzen Wegs wir wackere Herzen aufsammelten, die da ihr Mitleid bezeigen wollten, und Ohren, die hören wollten. Am End, da wir an der Behausung ankamen, an der Herberge zum guten Schlaf, legte man ihn in seinen Sarg an den Rand der gähnenden Grube; und dieweil ein armer Teufel nicht das Recht hat, sein hölzernes Hemd mitzunehmen (man schläft schier nackt wohl ebenso trefflich), leerte man den Kasten, nachdem man Tuch und Deckel gehoben hatte, in den Grund des Loches.

Wann ich eine Handvoll Erde dazu geworfen hatte, um ihm sein Bett zu verbrämen, und ihm das Zeichen des Kreuzes geschlagen, um die bösen Träume zu verjagen, ging ich wohlzufrieden davon; ich hatte alles gesehen, alles gehört, teilgenommen an Freuden, teilgenommen an Leiden; mein Ranzen war voll. Zum Abschluß kehrte ich längs des Wassers heim. Beim Zusammenfluß der beiden Flüsse gedachte ich, den Beuvron zu nehmen, um nach Haus zurückzukehren; aber der Abend war also schön, daß ich gedankenlos aus der Stadt herausging und folgte der schmeichelnden Yonne, die mich bis zu den Stromschnellen La Forêt fortzog. Das stille und glatte Wasser floh ohn eine Falte in seinem klaren Kleid dahin; man wurde von seinen Augen festgehalten, wie ein Fisch, der einen Angelhaken übergeschluckt hat. Der ganze Himmel war gleich mir im Netz des Stromes gefangen; er badete sich darein samt seinen Wolken, die, dahinschwebend, sich an die Gräser und Schilfstauden hingen; und die Sonne wusch ihre Goldmähne im Wasser. Ich setzte mich neben einem alten Mann nieder, der, das Bein nachziehend, zweier magerer Kühe hütete. Ich tat nach seiner Gesundheit fragen und riet ihm, sein Bein in einen Strumpf mit Brennesseln zu stecken (ich spielte zu meinem Ergötzen den Arzt). Er erzählte mir heiteren Sinns seine Geschichte, seine Krankheiten, seine Trauerfälle, schien gekränkt, die weil ich ihn fünf oder sechs Jahre jünger schätzte (er war fünfundsiebzig), denn er war stolz auf sein Alter, war stolz, daß er mehr als die andern gesehen und durchgemacht hätt. Er fand es billig, daß man dulden müsse, daß die Besten mit den Argen Unbill litten, dieweil zum Ausgleich die Segnungen des Himmels sich ohn Unterschieds über Gerechte und Ungerechte ergössen: zu guter Letzt ist solcherweis alles ein und dasselbe, und so ist's recht; ob reich, ob arm, schön oder häßlich, eines Tages werden sie alle friedevoll in den Armen desselbigen Vaters schlafen. Und seine Gedanken, seine geborstene Stimme, die wie die Grillen im Gras klang, das Rauschen der Schleuse, der Duft von Holz und Teer, den der Wind vom Hafen hertrug, das reglose Wasser, das da floh, die schönen Spiegelbilder darin, all das einte sich und verschmolz mit dem Abendfrieden.

Der Alte ging davon, ich kehrte alleinig mit kleinen Schritten, die Arme auf dem Rücken, zur Stadt zurück, indes ich die Kreise, die im Wasser sich drehten, betrachtete. War so vertieft in die Bilder, so auf dem Beuvron flossen, daß ich vergaß, dessen zu achten, wo ich ging, wo ich stand: war so vertieft, daß ich jählings emporschreckte, als mich vom andern Flußufer eine nur allzu vertraute Stimme anrief ... ich war, ohn darauf zu achten, bis vor mein Haus gekommen. Vom Fenster drohte mir mein süßes Liebchen, mein Weib, mit der Faust. Ich tat, als sähe ich sie mitnichten, und ließ die Augen auf den Strom gerichtet; und unterdes hatte ich den Spaß, sie tobend und fuchtelnd mit dem Kopfe nach unten im Spiegel des Flusses zu sehen. Ich schwieg stille; aber ich lachte, daß mein Zwerchfell tanzte und mir der Bauch wackelte. Und je mehr ich lachte, um so entrüsteter tauchte sie kopfüber in den Beuvron. Und je mehr sie den Kopf hineinsteckte, um so mehr lachte ich. Am End warf sie voller Zorn Tür und Fenster zu und fegte wie ein Sturmwind aus dem Haus, um mich zu holen ... Ei freilich, aber sie mußte übers Wasser kommen. Links? Rechts? Wir stunden zwischen zwei Brücken ... Sie wählte den Übergang rechts, und wann ich sie auf diesem Wege sah, nahm ich den andern, das verstand sich, und kehrte über die große Brücke heim, auf der einsam Gadin gleich einem Reiher hingepflanzt stund, unentwegt seit dem Morgen.

Nun war ich wieder zu Haus. Es war Nacht. Wie, zum Teufel, vergehen nur die Tage so schnell? Ich mach's glücklicherweis nicht so wie Titus, dieser römische Faulpelz, der allweil jammerte, er habe seine Zeit verloren. Ich verliere nichts nicht, ich bin mit meinem Tag zufrieden, ich hab ihn gewonnen. Nur sollte ich deren zween haben, jeden Tag zween; ich bekomme für mein Geld nicht genug. Kaum beginne ich zu trinken, da ist mein Glas leer. Es hat einen Sprung! Ich kenne andere Leute, die schlürfen langsam an dem ihrigen, sie bringen's niemals zu End. Haben sie etwa ein größeres Glas? Potzdonner! das wäre eine schreiende Ungerechtigkeit. Heda, Du da oben, Gastwirt zur Goldenen Sonne, Du, der den Tag ausschänkt, gib mir ein gut Maß ... Aber nicht doch, gesegnet seist Du, mein Gott, der mir die Gabe hat verliehen, von Tisch allweil mit solchem Hunger und solcher Liebe zum Tage und auch zur Nacht, die da gleicherweis gut ist, aufzustehen – daß ich weder von dem einen noch von der andern jemalen genug habe! ... Was fliehst du so schnell, April! So bald zu End, mein Tag! ... – Was tut's! Ich habe euch besessen, ich habe euch in meinen Armen gehalten, und ich habe deine kleinen Brüste gekost, feingliederiges Jüngferlein, zarte Tochter des Frühlings ... Und jetzo sei du willkommen, Nacht! Jetzo umfange ich dich, immer einer nach dem andern. Wir wollen zusammen schlafen gehen ... Aber o je! und Potzdonner! zwischen uns wird eine andere schlafen ... Meine Alte kehrt heim ...


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